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Ilm heimilcben 6ercl llnkervattungtbeilsae rum „AttsüruNer Lageblatt" — Umttblatt. Die gefundene Brieftasche. Skizze von Hans Auer. Als er vormittags wie gewöhnlich von der Badgag. die Klostergasse einbog, um sich bei der Frau Längerl situ, Deka Leberstreichwurst auf eine Frühstücksemmel streichen zu lassen, sah er plötzlich am Gehsteig eine Brieftasche liegen. Es war eine ganz instinktive Bewegung: er bückte sich, hob sie auf und ließ sie in seine Rocktasche verschwinden; so wie man etwas ganz Gleichgültiges aufhebt. Dann ging er weiter, mit einem Gesicht, das etwa einem möglichen Beobachter die Antwort geben konnte: Ich habe etwas gefunden? Was fällt Ihnen ein! Trotzdem schritt er entschlossen auf den nächsten Schutz mann zu, um seinen Fund abzugeben. „Herr Wachtmeister, ich habe —" Der Polizist grüßte höflich. „— ich habe —" Paul Schnitzelbauer fühlte plötzlich das Weiche, gepflegte Leder, „Herr Wachtmeister, ich habe meine Uhr zu Hause vergessen. Bitte, wie spät haben wir?" Der Schutzmann wies etwas gekränkt auf die andere Seite. „Ich bitte, mein Herr, dort ist eine öffentliche Uhr!" Schnitzelbauer murmelte etwas Verwirrtes, dankte und ging. Er schlenderte dem Stadtpark zu und suchte eine einsame Bank auf. Räkelte sich unbefangen in der Sonne, wippte mit den Füßen und zog sachte aus der Tasche seines Ueberrockes den Fund. Ein Stückchen nur; er blinzelte hinein und sah, es war ein herrliches, nicht abgeschundenes Leder, das nur zu einer Brieftasche gehören konnte, die nichts von Sorgen und Ratenzahlungen wußte. So, jetzt werde ich sie herausziehen und Hineinschauen, dachte er — dazu habe ich doch ein Recht! „Gestatten, darf man sich setzen?" Ein alter Herr hüstelte es heraus, ließ sich neben ihm nieder und sah ihn forschend an. „Ja, ja, junger Herr, in meinem Alter tut einem die Sonne Wohl — —" Schnitzelbauer erhob sich, grüßte und ging langsam durch den Park. Kinder spielten, junge Mädchen schwatzten, ein Gärtner stach in ein Beet — er sah es nicht. Er streichelte zärtlich die Brieftasche auf und ab, drückte sie, hielt sie fest. Schritt so versunken und wehrte sich nicht gegen die Gedanken: diese Brieftasche kann Dir verlorene Stunden geben. Zuerst wirst Du oie fünfzehn Mark an Popak und Co. zurückzahlen, die Dir immer so ekelhafte Mahnbriefe schicken. Abends ein Schnitzel essen und Deiner Mutter Handschuhe kaufen. Dir selbst eine neue Kravatte, damit Du die jämmerlichen Be mühungen los wirst, mit denen Du Deine alte binden mnßt, um die Löcher nicht sehen zu lassen ... Schnitzelbauer griff genauer und merkte, daß diese Bries tasche zum Platzen voll sein müsse. Eine heiße Freude stieg in ihm hoch. Da war ja noch viel mehr darin! Anschaffunaen des so lange Notwendigen, neue Doppler, neue gute Farber (Schnitzelbauer war Maler) und dann: Blumen für Lora — Rosen, Körbe voll Rosen, Veilchen und Flieder für die elsen- beinfarbige Lora. — Schnitzelbauers Züge wurden hart. Sein Entschluß stand fest: Er würde die Brieftasche nicht abgeben. Rasch ging ei in eine Straße, suchte sich ein unscheinbares Haustor aus. Schlüpfte hinein, stellte sich in die Ecke. Zog die Brieftasche in der Absicht, sie auszuleeren und die Hülle dann in der Fluß zu werfen. „Sucht der Herr wen?" Ein Weib stand mit einem Besen auf der Stiege. Schnitzelbauer stotterte: „Jaja. Ein Fräulein Mali. Wohnt sie nicht — hm, ja im dritten Stock?" „Dös Haus hat nur zwa Stock, und dann Ham ma kam solchenen Damen, die was Herrenbesuch empfangen!" Schnitzelbauer ging in Schweiß gebadet. Setzte sich in dic Straßenbahn und fuhr nach oem Stadtwäldchen. Dort kein Mensch. Waldesstille. Bei der Endstation stürzt ein Bekannter auf ihn zu: „Servus, Pauli! Grad' wollt' ich heim gehen! Aber komm, geh'n wir noch spazieren. Was ich Dir schon lang erzählen wollte..." Als Schnitzelbauer ihn endlich los wurde, suchte er eim kleine Weinstube auf, trank zwei Viertel Wein und spann Phantasien. Die letzten moralischen Hemmungen schwanden. Dann zündete er sich eine Zigarette an und suchte jene Tür auf, welche die Bezerchnung „Herren" trug. Riegelte sich sorgsam ein, untersuchte Tür und Wand auf Abgeschlossenheit. Dann zog er die Brieftasche. Wog sie in der Hand. Dick und schwer, aus gelbem Krokodilleder lag sie auf feiner Hand. Zitternd nestelte er am Verschluß. Es pumperte an die Tür. Eine polternde Stimme: „Ja Kreuzdeixel, is denn schon wieder Wer drin? Sö, Herr — brauchen S' no lang?" Dann verächzte jener. Schnitzelbauer aber ließ die Brief tasche wieder in seinem Rock verschwinden. Kummervoll nickte er. Das war mehr als Zufall, daß er immer gestört wurde. Entschlossen ging er zur nächsten Wachstube. „Herr Inspektor, ich habe eine Brieftasche gefunden!" Schnitzelbauer legte die dicke Brieftasche auf den Tisch. Der Inspektor sah sie an, machte sie auf. Ein Haufen weißer Zettel quoll hervor, Geschäftsbriefe, Rechnungen — „Geld war keines darin?" forschte der Beamte. ,^Ja natürlich —", stotterte Schnitzelbauer, „das, das heißt — hm, ich habe nicht hinein gesehen!" Der Beamte sah Schnitzelbauer scharf an. „So, Sie haben nicht hinein gesehen. Wo und wann haben Sie denn die Brief tasche gefunden?" „Um zehn Uhr in der Klostergasse!" „So. Und jetzt ist es ein Uhr, und hier ist die Wachstube Lendplatz. Möchten Sie mir nicht sagen, was Sie von zehn bis eins mit der Tasche Setzen Sie sich. Sie heißen?" Schnitzelbauer wankte. „Schnitzelbauer." „Beruf?" „Maler." „Sie bleiben also dabei, daß Sie das Geld nicht heraus genommen haben!" Schnitzelbauer fuhr hoch: „Erlauben Sie? Ich habe den Fund abgeliefert, und Sie verdächtigen —" Statt einer Antwort rief der Inspektor in einen Neben raum: „Herr Kleinhuber, geh'n S', mach'n S' a Sprüngel in die Sackgassen zu Popak und Co. Ich laß den Herrn Ches bitten, er soll Herkommen. Seine Brieftasche ist unter ver dächtigen Umständen g'funden word'n!" Und zu Schnitzel bauer: „Wissen S', die Tasch'n g'hört dem Herrn Popak. Steht eh drinnen!" Schnitzelbauer war gebrochen. Der Inspektor würdigte ihn keines Blickes, behandelte ihn aber sichtlich als Gefangenen. Herr Popak kam angestürmt mit seinem Kompagnon: „Mei Brieftasch' is gefunden?" strahlte er, „großer Gott!" „Herr Popak, wieviel Geld hatten Sie drin?" forschte der Inspektor. „Geld?" rundete Popak seine Augen vorsichtig. „Gar keines. Aber wichtige Belege." „Sehen Sie —" schrie Schnitzelbauer — „und mich ehr lichen Menschen verdächtigen Sie —" Popak kam auf ihn zu: „Oh, der Herr Schnitzelbauer. Ich werde Ihnen was sagen. Weil Sie mei' schönes Brief taschele gesunden, brauchen Sie mir die letzte Rate nicht be zahlen!" — Sie schüttelten sich die Hände. Ein Paar Gassen weiter zog Popak die Brieftasche, faltete sie auf, öffnete einen winzigen, versteckten Schlitz und entzog ihm sechs schöne, blanke 100-Mark-Noten. Dann meinte er zu seinem Kompagnon: „Herr Blau, ich rat' Ihnen, lassen Sie sich auch so eine Brieftasch' machen. Kein Mensch findet das Geld in dem Fach." Die beiden Fides. Skizze von Franz P. I. K r e m e r s - Rheydt. Ja, sagte der Hauptmann, die Gräber der beiden Fides ... die Denksteine... also hören Sie, ich will Ihnen den Her gang erzählen: Vorauszuschicken: als ich mir damals aus meinen Negern den einen Fides zu meinen persönlichen Diensten herausnahm, war die Ordnung hier im Lande, die man heute als eine Selbstverständlichkeit hinnimmt, noch gar nicht geschaffen. Sie herzustellen ist keine Kleinigkeit gewesen. Und ich will nicht abstreiten: Wir sind nicht immer zart mit den Eingeborenen umgegangen. Aber was damals als Kolonialareuel in die Welt hinausposaunt wurde, ist natürlich politische Lüge ge wesen. Man wollte gegen uns Stimmung machen. Die Verhetzung drang sogar in unsere eigenen Truppen, wenigstens soweit es sich um farbige handelte. Verluste mußten ersetzt werden, säuberliche Papiere mit einem Dutzend Stempel gibt es hier heute noch nicht, und so kam es immer wieder vor, daß für den Feind arbeitende Agenten eingestellt wurden. Auf Meutereien mußte man damals immer gefaßt sein. Völlig sicher war ich nur einer Handvoll meiner Leute; an erster Stelle stand Fides. Aber wenn es überhaupt um die Zuverlässigkeit geht oder meinetwegen um die Treue, so stand auch nicht der Neger obenan, sondern ein zweiter Fides. Und das war kein Mensch, das war ein Hund. Riesenstark, treu, klug, von unglaublichem Mut und grenzenloser Ausdauer. — Rasse? Weiß ich nicht! Seine Eigenschaften waren mir wichti ger. Auf den Hund Fides vertraute ich mehr als auf den Menschen Fides. Was soll ich viele Umstände machen... Jedenfalls: eines Tages meuterte die Bande. Meine Unteroffiziere wurden er stochen, Fides, mein Diener, niedergeschlagen und ich selbst überrascht, das heißt: gefesselt, geknebelt und an den Baum dort draußen gebunden. Schönes Exemplar, der Baum, wie? Und man sieht ihm nicht an, daß ich sechs Stunden an den Stamm gebunden war und kein Glied rühren konnte. Der Hund? Ja, der Hund kommt jetzt! Der war im Hause geblieben. Einer der Kerle wollte ins Haus hinein. Er öffnete die Tür — und weiter kam er nicht. Er wurde von dem Riesentier angefallen und entsetzlich zugerichtet. Dann erblickte er mich an dem Baum, umringt von den Kerlen, die sich allerdings nicht mehr um mich bemühten, sondern erstarrt dem kurzen Kampf zwischen ihrem Genossen und dem Hunde zugeschaut hatten. Wissen Sie, was geschah? Die Kerle rissen aus! Zu schießen wagten sie nicht, um nicht andere Abteilungen auf merksam zu machen. Fides setzte ihnen nicht weiter nach. Er kam zu mir, sprang an mir hoch, leckte mich unv gav uver- haupt zu verstehen, daß ich keine Sorge zu haben brauchte: Er werde mich bewachen! Sehr schön. Aber lieber wäre ich doch oon dem Baume los gewesen. Hätte ich keinen Knebel im Munde gehabt, wäre gewiß alles anders gekommen. Aber da ich doch dem Tiere nichts sagen konnte... Nun, hören Sie! Der Hund saß vor mir, nach allen Seiten Ausschau haltend. Ab und zu wandte er mir seine vor Kampfeslust funkelnden Augen zu, wedelte tröstend mit dem Schweif und hielt Wache. Die Nacht fiel über uns. Der Mond kam und stand bald herrlich am Himmel. Da endlich, endlich regte sich etwas neben dem Hause. Fides, Ser Neger, trat aus dem Schatten ins Licht, von einem freudigen Aufbellen des Hundes begrüßt. Der Neger, der übrigens eine böse Kopfverletzung hatte, sah uns und kam zu meinem Baume. Ich muß annehmen, er hat den Knebel in meinem Munde gar nicht bemerkt. Er machte sich sofort an den Stricken zu schaffen. Aber sie lösten sich nicht. So ging er also ins Haus, ein Messer zu holen, um die Seile durchzuschneiden. Verstehen Sie: einfach durchzuschneioen! Sehr einfach, nicht wahr? Aber es war wirklich nicht sehr einfach. Ganz und gar nicht! Denn Fides, der Hund, der Getreue, wendete sich gegen Fides, den Neger, seinen besten Freund, als der mit einem Brotmesser an mich heran wollte... Das ist eine der grimmigsten Lagen meines Lebens ge blieben: die beiden Getreuesten, die ich besaß, miteinander im Kampf um mich. Handelte nicht der Hund aus Liebe zu mir? Was galten ihm die Freundschaftsgefühle für den Neger, wenn der mit einem Messer an mich heran wollte? Keinen Augen blick zögerte er, den Freund als Feind anzunehmen. Und handelte nicht der Neger aus Liebe zu mir? Worum ging also der Kampf? Jeder bekämpfte des anderen Liebe und Treue zu mir, seinem Herrn, der hilflos dem Unheil zusehen mußte... Der Neger hat alles versucht, um dem Tiere beizukommen: Güte, Strenge, List. Er ging ins Haus zurück, der arme Kerl, der sich selbst kaum auf den Beinen zu halten vermochte, und holte ein zweites Messer, das er aber in der Tasche verbarg. Das Brotmesser trug er offen in der Hand und warf es vor den Augen des Hundes weit von sich. Es nützte nichts mehr: Das Tier war ein für alle Mal mißtrauisch und ließ seinen Freund nicht mehr an seinen Herrn heran. Was der Neger schließlich getan hat? Er brauchte Ge walt. Es blieb nichts anderes übrig. Aber lassen Sie mich nicht die Einzelheiten des wahrhaft heroischen Kampfes er zählen, den der Hund Fides bis zu seinem letzten Atemzuge für seinen Herrn geführt hat. Ich kann es Ihnen nicht schil dern. Es ist zu schrecklich. Besonders auch deshalb, weil der Neger nicht mehr über seine vollen Kräfte verfügte und keine Schußwaffe zur Hand hatte. Er gebrauchte feig Messer Aks er mrcy endlich tosschneiden konnte, sank er vor Er schöpfung zusammen. Ich allerdings auch. Ich konnte mir gerade n»ch den Knebel aus dem Munde reißen, dann schwan den mir die Sinne. Ich kam zu mir morgens mit der ersten Sonne. Da waren beide tot: Fides, der Mensch, und Fides, der Hund. Der Mensch War verblutet. Nicht an der Kopfverletzung, sondern an den Wunden, die ihm der Hund beigebracht hatte. Ja, und weiter? — Nichts weiter! Ich habe die beiden begraben. Einige Jahre später ihnen die Denksteine gesetzt. Auch dem Hunde. Meinen Sie nicht auch, daß beide das ver dient haben? Ich denke doch ... Kamelien. Skizze von Frida Schanz. Ein junges Menschenkind hat ihn mir als Geschenk ge bracht, den schönen blühenden Kamelienstock. Sehr drollig war die schmollende Enttäuschung, als ich mich nicht vor Freude überschlug! Ich hätte Wohl Kamelien nicht gern? Ob ich sie liebe in ihrer kühlen Herrlichkeit, diesem Ge misch von Wachs und Eis! Den Treibhausstock mit den fünf vollen leucht-rosa Blüten und den dicken Knospen habe ich nur in der schmerzlichen Gewißheit, daß die Pracht und Hoffnung, trotz aller Pflege, in meinem sonnenarmen Heim nach drei Tagen abgefallen sein werde, bedenklich angefaßt. Aber solange die schönen Gebilde leben, will ich mich daran freuen. In ihrem Anblick will ich noch einmal den Sturm des Entzückens durchleben, den Kamelien an einem glücklichen Abend in jungen Tagen in mir entfachten. Drunten, am Mittelländischen Meere war es, in der stolzen Stadt an der wunderbaren Bucht. Freunde, mir äußerlich noch unbekannte Menschen, hatten mich zu Gast geladen. Frühester Frühling war's. Im Weichen Enzian blau des Himmels hing scharf und golden im strahlenspin nenden Sternennetz der junge Mond. In ein Paar großen Kehren fuhr der Wagen, in dem die Freunde mich abgeholt, den Berg hinan, unter dem Stadt und Hafen wie ein zweiter Sternhimmel immer tiefer versanken. Höher, immer höher ging's. Immer voller und tiefer in mir das heimliche Jauchzen. Nun hielt der Wagen. Ich sah marmorne Säu len, sah marmorne Treppenstufen, sah vom schneeig leuchten den Vorbau eine strahlendhelle Leuchte weit und voll Hinein greifen in des zärtlich-tiefen Dunkels blauschwarzen Samt. Und wohin das Licht auch fiel, glänzte dichtes, tiefgrünes Laub. Aus dem Blattwerk leuchtete es, tausendfältig, weiß, rosa, dunkelrot, keusch und kühl — Kamelien, voll aufgeblühte Kamelien, ein ganzer Hain, ein kräftiger, strotzender kleiner Wald, eine einzige, festliche, überwältigende Herrlichkeit. Ein glückseligkeitverheißendes Willkommen! — Mein junges lebensfrohes Herz hat es dafür genommen. Und Verheißung und Ahnung logen nicht. Eine Woche voll hohem Herzschlag, voll Schönheit, Glück und Leben stieg herauf, wuchs an mit dem sich golden run denden Mond. Wir haben später einmal lachend nachge rechnet, kaum sieben Stunden hatten wir in sieben Tagen und sieben Nächten geschlasen. Kunst und Schönheit, Witz und Geschmack, ein alle feinsten Nerven in Bewegung setzen des Verstehen füllte die Zeit. Tage, an denen man, bildlich und auch fast wörtlich genommen, schon beim Aufstehen in das Weiße Festkleid schlüpfte. Berge und Meer, Kirchen und edle Freundeshäuser . Und immer dieses Schwingen der Saiten im Herzen. Und immer die silbernen Schalen voll Kamelien. Und immer und immer, nach jedem Gang, nach jeder Ausfahrt, bei jeder Ausfahrt dasselbe ungeschwächte Entzücken! Der marmorne Aufgang; die marmorzarte, über quellende Schönheit des Kamelienwaldes. Und dann — der letzte Tag. Im frühen Abendblau sollte mein Zug nach der Heimat sahren. Da kam noch eine letzte mächtige Steigerung. Ueber dem Meer, auf das man aus den hohen Fenstern blickte, stieg totdunkel und blitzdurch flammt ein Gewitter herauf. Sturm, ein weites, wildes, tosendes Orchester von Sturmesgebraus hob, spaltete, zer fleischte das Meer. Und der Himmel, dessen ganzer einziger Bestand Wasser erschien, brach rauschend hernieder. In je dem Donnerschlag, in jedem scharfzackigen Blitz ein Ausbruch unbändiger Kraft, ein alle Bande zerreißendes Austoben. Und mitten drin, mitten in meine stumm-jubelnde Lust an der Schaustellung der Elemente plötzlich eine tastende, lockende, verführerisch aufreizende Frage. Ob ich Luft hätte? — Oder Mut — so sagte man Wohl. Mitten durch den Guß und Sturm, durch die Donnermusik und das Blitzfeuerwerk an den Hafen zu fahren, das Meer in seinem wildesten Toben in der Nähe zu fehen? Da fuhren wir auch schon. Bis an die Knöchel haben wir im halbgeschlossenen Wagen im Wasser gesessen, den Sturm überstürmend mit der Bewegung unserer Herzen. Bis wir ganz still wurden. Totenstill, reglos, nur krampfhast die klatschenden, wehen den Kleider an uns haltend, standen wir, den Wagen ent stiegen, drunten am Kai. Ich sehe aus all der wilden, grausig-herrlichen, raumweiten Leidenschast der tobenden Natur bis heute nur immer wieder das eine Bild: Die über die lange, schmale Mole setzende Kavalkade wilder, blitzender, schaumsprühender Wellenrosse, springender weißer Riesen pferde in schier endlosem, mähnenumflattertem Zug. Wäh rend sie uns in rasender Flucht entgegenstoben, hörte der Regen mit einem Schlage auf. Noch vom abflauenden Sturm umfaucht, sind wir hinaufgefahren. Auch der Sturm ließ nach. Keiner von uns hat eine Silbe gesprochen. Was sollten wir sagen nach diesem Finale? In einer Stunde suhr mein Zug. Schweigend sind wir, zum letztenmal vereint, durchs hohe Portal des Freundeshauses in den Vorgarten getreten, bis an die Haustreppe heran knöcheltief durch Weiße, rosa, rote Blumenblätter, die viele Zoll hoch auf dem Boden lagen. Bis auf die letzte hatte der Wettersturm die übervoll er blühten Kamelien, die Tausende und Tausende, aus dem blanknassen, tropfenfunkelnden Laube herab geweht. Ihre Blütezeit war zu Ende. MWM M Hl «M WW