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No. 39. PAPIER-ZEITUNG. 1123 Buchgewerbe. Druckindustrie, Buchbinderei, Buchhandel. Sachliche Mittheilungen finden kostenfreie Aufnahme; Mitarbeiter und Berichterstatter erhalten angemessene Bezahlung. Eingesandte Werke finden Besprechung. Typographisches aus Amerika. Um auch mein Scherflein zu der gegenwärtig in der Papier- Zeitung behandelten Frage der besten Schulterung überhängender Theile von schräggeschnittenen Schreibschriften beizutragen, habe ich einige irisch aus der Giesserei von Barnhart Bros. & Spindler in St. Paul und Chicago zu diesem Zwecke empfangene Typen der »Standard Script« hinübergesandt. (Die Ueberhänge sind in der bekannten und noch immer meistverbreiteten Art unterstützt, welche man jetzt in Deutschland durch eine bessere zu ersetzen sucht. D. Red.) Diese Schrift ist schon seit zehn Jahren in dieser Form geliefert worden. Das 1887 darauf erhaltene Patent bezieht sich nicht auf die Schulterung, sondern auf den Schriftcharakter. Man weiss hier nichts von den Schwierigkeiten, die im Laufe des letzten Vierteljahres in der Papier-Zeitung festgestellt wurden. Erstens stimmt die Schulterung mit den besten in Deutsch land eingeführten Systemen so ziemlich überein, zweitens lässt man diesen Schriften beim Gebrauch die peinlichste Sorgfalt an gedeihen, und drittens greift man schon bei Auflagen von einzelnen 'Pausenden zu dem Schonungsmittel der Klichees. Der verunglückte Neujahrsgruss der Papier-Zeitung wäre hier elektrotypirt worden. Nur für Einladungen, Verlobungs-Anzeigen und Visitenkarten, wo es sich selten um mehr als hundert Abdrücke handelt, wird die Originalschrift zum Druck eingehoben. Wir haben hier noch einige Schriftcharaktere, welche in den Abhandlungen der Papier-Zeitung, Jahrg. 1891, Seiten 2702, 2771, 2851 und Jahrg. 1892, Seite 61, nicht dargestellt wurden, ob wohl sie mir ebenso dankbar scheinen, als manche der erwähnten Schriften, weshalb ich sie folgen lasse. Die haarfeine und auch musterhaft gedruckte Zirkularschrift auf der Karte von Sniders Sons, Cincinnati, (leider eignet sie sich nicht zur Wiedergabe; d. Red.) ist in meinen Augen das beste, was hierseits je zu dem Zwecke, originell zu sein, ohne sonderbar zu werden, geliefert wurde. Wir scheinen überhaupt den Gipfelpunkt der stilgerechten Schnörkelei erreicht, wenn nicht bereits überschritten zu haben. Der erfolgreichste Schulmeister des unbändigen Jungamerika, die Noth, hat diesen Sieg des Taktvoll-Frischen über das Schranken los-Bizarre herbeigeführt. Wie die Feuerversicherungs- Gesell schaften den immer höher wachsenden Wolkenschabern (nicht -Schiebern), so entdeckten die Buchdruckereibesitzer der immer höhersteigenden Schnörkelwuth gegenüber ganz plötzlich, dass es jetzt des grausamen Spieles genug sei. Eine Schnörkelschrift wird unter Umständen schon nach einem Jahre todtes Kapital und verdient nicht den Platz im Kasten, den sie anderen Schriften von bleibendem Werth versperrt. Die Lithographie wird von ihrem Vorrechte, sich auf dem Tummelplätze der Parforce-StilVerhunzung vermöge ihrer leichteren Beweglichkeit noch vollends auszutoben, Gebrauch machen. Nach her wird man’s wieder eine Zeit lang aushalten können. Die Rückkehr zum Maassvollen »im neuen Kurs« herbeigeführt zu haben, wird nicht zum wenigsten das Verdienst der deutsch schweizerischen Schriftlithographen sein. Die Bemerkung in meinem »lithographischen Briefe« (Jahrg. 1891, Nr. 64), inbetreff des unter den Scheffel gestellten Lichtes, hatte zur Folge, dass mir zahlreiche Erzeugnisse der modernsten Schriftlithographie aus Deutschland und der Schweiz zugesandt wurden. Mit nicht ge ringer Genugthuung habe ich vor diesen braven Leistungen im Geiste die Mütze abgezogen, indem ich folgenden Monolog in mein Tagebuch eintrug: »So ist’s recht! Das jugendfrische, über die Stränge schlagende Amerika wirft in kühner Gestaltungskraft die flotte Skizze hin; die an Schule und Erfahrung reicheren, ge setzten Schwestern Germania und Helvetia legen die Feile der stilvollen Ausgestaltung an, und es entsteht ein harmonisches Gebilde, in welchem das nicht geringe Verdienst des selbständigen, von ganz neuen Ideen eingegebenen Entwurfes ebenso scharf zum Ausdruck gelangt, wie der veredelnde Einfluss des »finishing touch« Alt-Europas sich deutlich wahrnehmen lässt«. Wenn bei der deut schen graphischen Ausstellung in Chicago diese veredelte Yankee- Renaissance das vorherrschende Merkmal bildet, so wird sie damit nicht nur Ehre einlegen, sondern auch greifbare Früchte zeitigen. Ich vermag von hier aus nicht zu beurtheilen, ob schon genug Material in dieser Richtung vorliegt, um in einem in sich abge schlossenen Vorlagenwerke verwerthet werden zu können, nehme aber keinen Anstand, meine Ueberzeugung auszusprechen, dass ein mit der grössten Sorgfalt behandeltes derartiges Vorlagen werk mit Beigabe angewandter Zusammenstellungen in englischer Sprache, die sich auf die Weltausstellung beziehen könnten, ein eben so dankbares, wie gewinnbringendes Unternehmen sein würde. Um allen Kreisen der Lithographie und Schildermalerei zugänglich zu sein, dürfte entweder das ganze Buch nicht über 2 bis 3 Dollar kosten, oder es müsste eine Heft-Ausgabe veranstaltet werden, wobei das Heft sich nicht über 50 Cents stellen dürfte. In diesem Falle müsste das letzte Heft kurz vor der Weltausstellung er scheinen. Das Prang'sche Vorlagenbuch, welches als das beste gilt und auch den Architekten und Ingenieur berücksichtigt, kostet meines Wissens 7 Dollar, ein Preis, der es Tausenden von Praktikern und Dilettanten unzugänglich macht. Der obenerwähnte Sieg des grossen Lehrmeisters Noth steht übrigens nicht einzig da. Der ganzen Linie entlang, die bisher durch das scheinbar unerschöpflich Massenhafte und die dem gemässe geniale Oberflächlichkeit gekennzeichnet war, vermag man deutlich zu sehen, dass es nicht mehr so aus dem Vollen geht, wie nach dem Bürgerkriege. Das typographische Amerika wenigstens fängt an, den Kopf zwischen die aufgestützten Hände zu nehmen und zu rechnen, wie Uli der Pächter in »Jeremias Gotthelf«. Es ist für mich von jeher ein untrügliches Barometer zur Bemessung der guten oder schlechten Zeiten gewesen, in Detailgeschäften darauf zu achten, ob ein so unentbehrliches Requisit wie das Stadt-Adressbuch in neuer Auflage gehalten, oder ob das alte beibehalten wird. Wer an dieser dringenden Ausgabe von 2 bis 5 Dollar sparen muss, kann dazu nur durch schlechten Geschäftsgang gezwungen sein. Wie ich hier im Westen viele Adressbücher finde, welche »nicht da sind«, so möchte ich wetten, dass in der Weltausstellungsstadt Hunderte von kleinen Ladengeschäften die Erwerbung der diesjährigen Aus gabe des 5 oder 6 Dollar kostenden City Directory sich nicht ge statten zu können glauben. Ein bedeutsames Zeichen, dass Schmalhans anfängt Küchen meister zu werden, liegt in der Verlegung der Druckereien aus dem Herzen der Weltausstellungsstadt (Jahrgang 1891, Nr. 63), wo jeder Quadratzoll Baugrund thatsächlich mit Gold aufgewogen werden muss, nach den Vorstädten oder angrenzenden Nachbar städten. Die »Book Publishing Co.«, welche, so lange sie in Chicago etablirt war, wenig Fortschritte machte, gelangte seit ihrer Ueber- siedelung nach der Uhren-Fabrikstadt Elgin schnell zu einer über raschenden Ausdehnung. Sie ist auch die erste, welche die elektrische Lichtanlage in der angeblich von Edison ersonnenen hübschen Weise zur Kontrollirung der Umdrehungen jedes einzelnen Druckcylinders benutzt. In dem vom Pressraum getrennten Kabinet des Faktors ist eine über seinem Schreibtische befindliche Anlage von ebensovielen Glühlichtern angebracht, als Schnell- und Rotationspressen vorhanden sind. In ganz einfacher Weise wurde nun von jeder Presse eine Drahtleitung so mit der Glühlicht anlage verbunden, dass bei jeder Umdrehung das betreffende, mit einer korrespondirenden Nummer versehene Licht auslöschte, um sofort wieder aufzuleuchten. Nach der Schnelligkeit dieses Aus löschens und Aufleuchtens kann der Faktor jede einzelne Presse überwachen, ohne von seinem Sitz aufstehen zu müssen. Bei der Rotationspresse war die Schnelligkeit so gross, dass das Leucht signal häufig »überschnappte«, weshalb in diesem einen Falle die Stromunterbrechung auf zwei Umdrehungen statt einer ausgedehnt wurde. Trotz der grossen, in der Papier-Zeitung schon oft erwähnten Schnelligkeit der Rotationspressen gehen dieselben den amerika nischen Zeitungsverlegern entweder immer noch nicht schnell genug, oder deren Betrieb ist zu kostspielig, wie aus folgendem, tiefblickenlassendem Preisausschreiben hervorgeht, welches soeben von der »American Newspaper Publishers Association« erlassen worden ist: »Die Exekutive ist hiermit ermächtigt, eine Goldmedaille von nicht weniger als 50 Dollar Feigoldgehalt und angemessener künstlerischer Form demjenigen Erfinder oder Entdecker eines besonderen Verfahrens oder Prozesses zu verleihen, wodurch die Herstellung einer Zeitung wesentlich entweder verbilligt oder das bisherige Druckverfahren be schleunigt werden kann. Der einzige, bei Verleihung der Medaille maassgebende Vorbehalt soll darauf gerichtet sein, ob eine derartige Erfindung oder Entdeckung wesentlich genug ist, um die preis gekrönte Anerkennung zu rechtfertigen. Die Patentirung eines solchen Verfahrens für den Erfinder oder Entdecker ist hierbei nicht ausge schlossen, da die Medaille vielmehr zur Erfindung oder Entdeckung an regen soll«. Den Herren Barnhart Bros. & Spindler in St. Paul und Chicago, Besitzer der grössten Schriftgiesserei im Westen, und nicht im