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Sulfitverfahren. Ein Beitrag zur Theorie desselben von August Harpf. (Fortsetzung und Schluss zu Nr. 38.) In der Zellstofffabrik, in welcher ich thätig war, stellte ich gelegentlich einen Kolben, gefüllt mit gewöhnlicher Äblauge, die mit etwas konzentrirter Salzsäure stark angesäuert war, gut ver schlossen im Kesselhaus auf den Dampfkessel. Nach einigen 'Pagen zeigte sich am Boden ein starker Bodensatz von Schwefel. Nun wurde eine gewöhnliche Ablauge von guter Kochung mit Jodlösung titrirt. Man muss dabei stets in grösserer Ver dünnung arbeiten, indem sonst der Uebergang in die blaue Jod stärkefarbe nicht gut zu bemerken ist. Auch beim Titriren in Verdün nung wird die Lauge zuerst allgemein blau, nach kurzem Stehen aber immer wieder hell, und da angenommen werden kann, dass die schwefelige Säure rasch auf Jod einwirkt, während die orga nischen Substanzen, welche in der Lauge vorhanden sind, erst später durch das Jod oxydirt werden, so wurde die Titrirung immer nur bis zur ersten allgemeinen Blaufärbung durchgeführt. Ob diese Annahme richtig ist, kann ich nicht beweisen, aber auf diese Art ist es einzig und allein möglich, übereinstimmende Resultate zu erzielen. Solche Ablauge von einer guten Kochung enthielt 0,36 pCt. SO. Wurde sie jedoch gelegentlich eines vorläufigen Versuches mit etwas Salzsäure angesäuert und in verschlossener Flasche einige Stunden an einem warmen Orte stehen gelassen und dann titrirt, so erhielt ich 0,49 pCt. SO und ausserdem noch einen starken weissen Bodensatz von Schwefel. Die Menge des ausge schiedenen Schwefels ist zwar nicht schwierig quantitativ zu be stimmen; es mangelte mir jedoch an Zeit, diese Sache weiter zu verfolgen, und da ich auch jetzt noch nicht in der Lage bin, dies zu thun, so behalte ich mir eingehende weitere Untersuchungen in dieser Frage für später vor. Nun wurde dieselbe Ablauge, welche oben, ohne jeden Zusatz titrirt, 0,360 pCt. SOa gegeben hatte, folgender Untersuchung unterzogen: 1. 100 ccm Ablauge wurden in einem Kolben mit konzentrirter Salzsäure stark angesäuert, destillirt und bis zur Trockne einge- dampft. Das Destillat wurde in Natronlauge von bestimmtem Gehalt aufgefangen und die überdestillirte schwefelige Säure unter Anwendung aller Vorsichtsmaassregeln nach dem Ansäuern mit Jod titrirt: 0,949 pCt. 2. 100 ccm derselben Ablauge wurden zur Trockne eingedampft, der Trocken-Rückstand in einem Kolben mit Wasser befeuchtet und sodann in gleicher Weise nach Zusatz von etwas konzentrir ter Schwefelsäure destillirt: Es ergaben sich 0,969 pCt. schwefelige Säure, welche auf diese Weise aus der Ablauge ausgetrieben worden waren. Hiervon 0,360 pCt. SO 2 , welche durch einfaches Titriren gefunden wurden, abgezogen, bleiben noch 0,609 pCt. S0 s , welche erst durch das Erhitzen mit Säuren aus der Ablauge vollständig freigemacht worden waren, welche also in irgend einer Form, wahrscheinlich an organische Körper gebunden, in der Lauge enthalten waren und beim Titriren mit Jod nicht sofort j zur Wirkung kamen. Aus diesen und ähnlichen Untersuchungen, welche leider noch nicht vollständig sind, ergiebt sich aber heute bereits Folgendes: 1) Ein geringer Theil des Schwefels ist als Schwefeltrioxyd an Kalk gebunden in der Form von Gips in guter Ablauge vorhanden. 2) Ein fernerer Theil findet sich als Schwefeldioxyd theils frei, theils gebunden, aber in einer Form in derselben, dass er direkt mit Jodlösung titrirt werden kann. 3) Ein anderer Theil ist ebenfalls als Schwefeldioxyd in der Lauge enthalten, aber in irgend einer Form gebunden, gewisser- maassen maskirt, dass er nur durch Abdestilliren mittels irgend einer stärkeren Säure ausgetrieben und sodann bestimmt werden kann. 4) Ein letzter Theil des Schwefels ist als solcher, und zwar in Verbindung mit irgend einem noch unbestimmten organischen Körper in der Ablauge vorhanden und kann daraus durch Er wärmen mit Salzsäure in Form eines fein vertheilten Nieder schlages gewonnen werden. Am leichtesten erhält man diesen Niederschlag, wenn man die Ablauge mit Wasser verdünnt, mit Salzsäure gut ansäuert, und diese Flüssigkeit sodann längere Zeit auf eine nicht zu hohe Temperatur erwärmt. Dieselbe wird zuerst dunkler, bleibt aber zunächst noch klar; erst nach einiger Zeit trübt sie sich und setzt schliesslich bei längerem ruhigem Stehen den Schwefel am Boden des Gefässes ab. Tilghman und die Andern, deren Ansichten ich in meiner Arbeit »Chemie des Sulfitverfahrens« besprochen habe, ebenso Herr Max Schubert in seinem neuerdings erschienenen Buche über 1 die Cellulosefabrikation«, schieben auf Grund von Vermuthungen ohne analytische Beweise die Schwefelsäure-Bildung in den Vorder grund, und dies ist nach ihnen die Haupterscheinung beim Koch prozess. Wenn diese Ansicht richtig wäre, müssten sich grosse Massen von Schwefelsäure bilden, und da die Lauge ja sehr kalk reich ist, müssten sich entweder in der Lösung oder auf dem Stoff nicht nur geringe, sondern ungeheure Massen von Gips (Ca SOa) vorfinden. Dem ersteren widersprechen nun nicht nur die geringe Löslichkeit des Gipses, sondern auch die Resultate der Analyse, dem zweiten die Ergebnisse des Betriebes. Da bei regelmässiger Kochung nach meiner Analyse 23,5 pCt. Kalk ausfielen, während der bedeutend grössere Rest (76,5 pCt.) in Lösung blieb, wovon nur ganz winzige Antheile in der Ablauge an Schwefelsäure und die durch Jodtitrirung auf gewöhnlichem Wege zu bestimmende schwefelige Säure gebunden sind, so bin ich der Ansicht, dass die Hauptmenge des Kalkes in der Ab lauge in anderer Weise, und zwar als organisch-saures schwefelhaltiges Salz in Lösung ist, und dass folglich die Umwandlung des Calciumsulfits in dieses Salz als der Haupt vorgang des ganzen Prozesses zu betrachten ist. Die anfängliche Oxydation der schwefeligen Säure zu Schwefel säure, sowie die Ausfällung des geringeren Theiles des Kalkes ist, was ich wiederholt hervorheben will, nur ein Vorgang von sekun därer Bedeutung und hat meiner Ansicht nach mit der eigentlichen Aufschliessung des Holzes nichts gemein. Der grösste Theil des Kalkes ist auch in guter Ablauge an eine organische Säure gebunden, mit welcher ein Theil des Schwe fels in Form von SOa oder irgend einer anderen niedrigeren Sauerstoff-Verbindung, möglicherweise auch als SO (gewisser- maassen das Radikal der hydroschwefeligen Säure) verbunden ist; ein anderer Theil des Schwefels aber ist als solcher oder in Verbindung mit Wasserstoff, vielleicht als das Radikal SH, an die organischen Körper gebunden, was sich dadurch begründet, dass dieser Theil des Schwefels durch Säuren ausgeschieden werden kann. Was für eine organische Säure in der Ablauge vorhanden ist, konnte bisher trotz vielfacher Untersuchungen noch nicht bestimmt werden. Diese Untersuchungen sind, wie bekannt, schon aus dem Grunde um so schwieriger, als wir ja auch die eigentliche Natur der Inkrusten des Holzes noch nicht kennen. Ich habe beispiels weise gefunden, dass die Ablauge, mit Alkohol behandelt, eine zähe, fadenziehende, eigenthümlich glänzende Masse abscheidet, welche sehr reich an Asche ist, also möglicherweise das Kalksalz enthält. Hierbei will ich auch bemerken, dass unser Fabrikslabo ratorium, wie dies ja gewöhnlich der Fall ist, nicht darauf ein gerichtet war, organische Untersuchungen vorzunehmen; diese Studien werde ich gelegentlich später fortsetzen. Herr Dr. Buddeus hat unter dem Titel: Organische Säuren der Sulfitlaugen« in der Papier-Zeitung 1891, Nr. 23, eine sehr interessante Abhandlung veröffentlicht, aus welcher hervorgeht, dass es auch ihm bisher noch nicht gelang, die in der Ablauge vorhandenen organischen Säuren rein abzuscheiden und zu identi- fiziren. Er erhielt beim trockenen Destilliren der neutralisirten und mit Ammoniumcarbonat behandelten, vorher eingedampften Ablauge äusser anderen Gasen auch Schwefelwasserstoff und ölige Destillationsprodukte, welche einen widerlichen, mer- captan-ähnlichen Geruch zeigten, welcher Geruch mir beim ge legentlichen Arbeiten mit der Ablauge auch schon aufgefallen ist. Dieser Umstand spricht sehr für meine Ansicht, indem die Mercaptane sämmtlich schwefelhaltig und als Schwefelwasserstoff moleküle zu betrachten sind, in welchen ein Wasserstoffatom durch ein Alkoholradikal ersetzt ist, z. B. Aethylmercaptan = Ca H 5 . SH. Auf Grund einiger von ihm gefundener Reaktionen, welche das Destillationsprodukt der eingedampften Ablauge ergab, glaubte Herr Dr. Buddeus darauf schliessen zu dürfen, dass in derselben Bernsteinsäure und Protocatechusäure vorhanden sei; aber es ge lang ihm noch nicht, dieselben abzuscheiden. So viel erscheint mir jedoch erwiesen, dass der Kochprozess im wesentlichen kein Oxydationsprozess der schwefeligen Säure ist, sondern dass dabei eine wenigstens theilweise Reduktion der selben vor sich geht. Nachdem ich die regelmässige Kochung erledigt, gehe ich zum Schluss auf die sogenannte »umgeschlagene«, d. h. die durch Uebergare verdorbene Kochung über. (Siehe Kochung Nr. 18 (1889/90) in meiner Abhandlung »Chemie des Sulfitver fahrens«, Papier-Zeitung 1891, Nr. 68). Die Merkmale der über kochten Ablauge habe ich schon früher eingehend beschrieben. Der Umschlag lässt sich schon beim Probenehmen erkennen, in dem die Lauge nicht nur ihren Geruch verändert, sondern auch