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1088 PAPIER-ZEITUNG. No. 38. Zierde, wie sie schöner und grossartiger nicht gedacht werden kann. Rings um den Saal herum, den Wänden entlang, sind Sam metpolster auf den Strohmatten des Fussbodens ausgebreitet, auf welchen nun die Festtheilnehmer dem Range nach Platz nehmen, indem sie auf den Polstern niederknieen und sich sodann auf die Fersen zurücksetzen. Die eine Schmalseite des Saales nimmt der Direktor mit seinem Stabe, dem technischen Personal, ein, die Ehrenplätze zur Rechten werden uns deutschen Gästen angewiesen, und dann folgen die Sitze des kaufmännischen Personals, der Aufseher, Vorarbeiter usw. Uns Deutschen ist es einigermaassen beschwerlich, auf den Fersen zu sitzen, indessen: die Geschmäcker sind eben verschieden, und was uns zur Qual ist, gereicht den Japanern zur Freude, und umgekehrt. Wenn sich Japaner irgend wo befinden, wo sie nach europäischer Weise sitzen sollen, z. B. im Eisenbahnwagen, so ist dies für sie eine Marter, welche sie nur so lange aushalten, als der Zug an den Stationen stillsteht. Sobald sich derselbe aber in Bewegung setzt, und eine Zurecht weisung von Seiten des Bahnpersonals nicht mehr zu befürchten ist, werden flugs die Sandalen oder Schuhe abgestreift, die Beine in die Höhe gezogen und im Bereich der körperlichen Wärme quelle untergebracht. Nachdem sämmtliche Gäste ihre Sitze eingenommen haben, macht ein Japaner, welcher die Rolle des Festordners übernom men hat, die Anwesenden in kurzen Worten mit der Veranlassung des Festes bekannt und begrüsst dieselben, indem er knieend das Haupt zur Erde neigt, sodass die Stirne fast den Fussboden be rührt. Wie auf Kommando machen sämmtliche Anwesenden diese Verbeugung in gleicher Weise mit, und wie auf Kommando schnel len sie nach einigen Minuten (?) wieder empor, um auf das Zeichen des Festordners zugleich mit diesem abermals die Erde zu küssen. Wir glauben, dass es nun genug der Höflichkeit sei und wollen erleichtert Athem schöpfen, aber schon sinken zum drittenmale alle Köpfe zu Boden, und um nicht als Barbaren zu gelten, machen wir mit einem innerlichen Seufzer auch noch diese Ver beugung mit. Nach Beendigung derselben haben wir ja Zeit ge nug, das verstauchte Rückgrat einigermaassen wieder einzuren- ken und darüber nachzudenken, wie schön es doch daheim ist, wo die Leute nicht so übermenschlich höflich, sondern oft ganz unmenschlich grob sind. Uebrigens haben wir den Trost, dass auf des Festordners kurze Rede mit den langen Verbeugungen keine weitere Rede folgt, und dies ist wieder schöner als daheim, wo der Genuss eines Festes manchmal durch langweilige Reden vergällt wird. Der Festordner scheint auch endlich ein menschliches Rühren zu empfinden und giebt deshalb der harrenden Schaar festlich geschmückter Mädchen Befehl, das Mahl aufzutragen. In seidene Gewänder gehüllt, welche mit breiten, gold durch wirkten Gürteln zusammengehalten und hinten zu kunstvollen Knoten geschürzt sind, trippeln nun die zierlichen Wesen herein und stellen mit lieblichem Lächeln kunstvolle Lackplatten mit den Speisen vor jeden Gast auf den Boden. Da giebt es neben dem unvermeidlichen Reis und Thee duftende Suppe in Lackschaalen und auf kostbarem, japanischem Porzellan einladende Gerichte von Fischen, Polypen, Krabben, Hummern, theils roh, theils gebacken, jedoch mit Aus nahme von Suppe und Thee alles kalt. Während wir Europäer warme Speisen und kalte Getränke geniessen, nähren sich nämlich die Japaner ausschliesslich von kalten Speisen und warmen Ge tränken. Alles ist nett und appetitlich zubereitet und duftet uns so einladend an, dass wir gern zugreifen möchten. Verwundert müssen wir uns aber fragen, ob denn in Japan die Speisen nur zum Anschauen aufgetragen werden, denn nirgends entdecken wir einen Löffel oder Messer und Gabel. Wir winken daher eines der Mädchen herbei und geben ihr durch Zeichen zu ver stehen, uns diese wichtigen Esswerkzeuge zu bringen, aber die kleine Hexe nimmt kichernd zwei Holzstäbchen, welche wir zwar schon früher bemerkt, aber für Zahnstocher gehalten haben, von der Speisenplatte, fasst dieselben zwischen Zeigefinger und Daumen der rechten Hand und zeigt uns nun in anschaulicher Weise, wie man damit isst, indem sie uns die besten Bissen vor dem Munde wegschnäbelt. Durch den Schaden klug geworden, lernen wir nun ebenfalls mit diesem einfachsten aller Essbestecke umgehen. Auch die Suppe wird damit gegessen, indem die darin schwimmenden fetten Bissen von Fisch oder Geflügel zuerst mit den Stäbchen heraus gefischt und verzehrt werden und dann die klare Suppe ausge- schlürft wird. Während des Mahles ist ein Theil der Mädchenschaar eifrig damit beschäftigt, die Trinkschaalen der Gäste mit heissem »Sake«, dem aus Reis gebrauten Nationalgetränk der Japaner, zu füllen, während die übrigen Tafelmusik machen. In der Mitte des Saales sitzen die Sängerinnen (jap. Gescha) in zwei Reihen am Fussboden und schlagen kräftig ihre guitarreähnlichen Instrumente (jap. Scha- misen), indem sie dazu mit näselnder Stimme einen Chorus singen, welcher arm an Melodieen, reich an Dissonnanzen ist und mit einem schrillen Aufschrei schliesst. Ein kleines Mädchen begleitet den Chorus ihrer älteren Kolleginnen mit ohrenbetäubendem Trommelwirbel, wodurch der Gesang fast ganz übertönt wird, und man neben den Paukenschlägen nur die schrillen Akkorde der Schamisen heraushört. Das Ganze erinnert einigermaassen, freilich karrikirt, an Wagner’sche Musik, und diese entfernte Aehnlichkeit zwischen deutscher und japanischer Nationalmusik mag vielleicht auch die Ursache sein, dass Wagner in Japan so rasch Aufnahme fand. Im Jahre 1890, während der japanischen National-Ausstellung im Uyenopark in Tokio, hatte ich Gelegenheit, einem Militärkonzert im Ausstellungspark beizuwohnen, und war nicht wenig über rascht, als die Kapelle plötzlich den Kriegerchor aus »Rienzi« vom Stapel liess, welchem der Einzugsmarsch aus »Tannhäuser« folgte. Als zum Schluss noch Wagner’s »Kaisermarsch« intonirt wurde, gerieth ich für einen Augenblick ernstlich in Zweifel, ob ich noch in Japan sei, oder ob mich eine Zaubergewalt plötzlich in die ferne Heimath entrückt habe — so mächtig ist der Ein druck, wenn in fernen Landen unvermuthet heimathliche Klänge an das Ohr schlagen. Nach dem Gesang der Gescha folgen pantomimische Tänze, welche die kleine Trommelschlägerin in reizender Weise ausführt, während zwei Sängerinnen die Saiten schlagen und mit eintönigem Gesang den erklärenden Text zu den Tänzen vortragen. Paarweise Tänze nach europäischer Weise sind in Japan gänzlich unbekannt. Die Pausen des Festes, welches alsbald in ein fröhliches bachantisches Gewirre übergeht, wissen die Japaner in ent sprechender Weise auszufüllen, indem sie fleissig Umtrunk halten, — eine uralte japanische Sitte, wie mein Nachbar versicherte, der in seiner vaterländischen Geschichte sehr erfahren ist. Jeder, der einem Kneipgenossen seine besondere Hochachtung bezeugen will, nimmt diesem gegenüber Platz und reicht ihm mit einer tiefen Verbeugung eine leere Trinkschaale, welche eine der Sängerinnen sofort mit Sake füllt. Der also Geehrte trinkt die Schaale aus und reicht sie dem Geber zurück, welcher dieselbe abermals füllen lässt und nun selbst austrinkt. In gleicher Weise wiederholt er dies bei den übrigen Gästen, bis er im ganzen Saale die Runde gemacht hat, denn der Anstand erfordert es, allen Anwesenden seine Hochachtung zu bezeugen, damit sich niemand zurückgesetzt fühlt. Dabei entwickelt sich ein förmliches Wettbestreben aller, alle anderen — gleichgiltig, ob Direktor oder Arbeiter — durch den Umtrunk zu ehren; und wenn bei einem Gelage fünfzig Theil nehmer beisammen sind, so kann man sich vorstellen, welche Mengen des edlen Reisweines dabei vertilgt werden. Wenn der selige Tacitus die Bewohner des Mikado-Reiches gekannt hätte, er hätte sicher von ihnen gesagt: Die alten Japaner wohnen Am Mare Japonicum, Sie machen die Fersen zu Thronen Und trinken immer noch eins ’rum. Emil Nemethy.