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Redaktioneller Teil. ^ 275, 27, Noveinber 1916. wie anders Goethes Stellung zur Musik sich entwickelt haben würde, wenn beizeiten ein wirklich Großer ihm zur Seite ge standen hätte, Friedlaender sagt an einer Stelle: »Vielleicht würde Goethe andere Anschauungen über die Verschmelzung von Musik und Dichtung gewonnen haben, wenn ihm das Glück wider fahren wäre, von vornherein mit einem wirklich bedeutenden Musiker in Verbindung zu treten«. Bei Erwähnung Mozarts heißt es: »Zn derselben Zeit, da das Mozartsche .Veilchen' ent stand, 1785, hörte übrigens Goethe in Weimar das um drei Jahre ältere Mozartsche Singspiel: ,Die Entführung aus dem Serail' zweimal, ohne innere Anteilnahme, und ohne die Be deutung dieser neuen Musik zu erfassen; er hat sich nur über den mittelmäßigen Text absprechend geäußert. Wäre doch da mals in Weimar ein hervorragender Fachmusiker zur Stelle ge wesen, um Goethe über die Schönheit und Bedeutung der Mo- zartschen Musik die Augen zu öffnen, ähnlich wie es später auf dem Gebiete der Malerei die Brüder Boisseree taten! Eben hatte Mozart seinen ,Figaro' geschrieben, ,Don Juan' entstand erst zwei Jahre später. Wie anders hätte diese Zeit für die Ent wicklung der deutschen Vokalmusik entscheidend sein können, wenn Goethe den Augenblick erfaßt hätte! Es ist unausdenkbar, wel cher Segen für die deutsche Literatur und die deutsche Musik einer Verbindung Goethes mit Mozart entsprossen wäre«. Wenn man in weiten Kreisen geneigt ist, Goethes Stellung zur Musik nach seinem Verhalten Beethoven und Schubert gegen über zu beurteilen, so berichtigt Friedlaender endgültig solche falsche Schlußfolgerungen, wenn er sagt: »In unseren Tagen Pflegen wohlmeinende Musikfreunde vor- wurfsvoll darauf hinzuweisen, daß Goethe Beethoven eine nur geringe Anteilnahme erwiesen, Schuberts Brief gar nicht be antwortet habe. Ich möchte sehr davor warnen, aus diesen Tat sachen voreilige Schlüsse auf Goethes Stellung zur Musik zu ziehen, Goethe war 63 Jahre alt, als Schuberts Brief eintraf. Wie wenigen ist es gegeben, in diesem Alter ihre Kunstanschau ung zu ändern und sich in eine fremde, neue Welt einzuleben! Sagt doch Goethe selbst: »Ein jeder wäre, zehn Jahre eher oder später geboren, ein ganz anderer geworden«. Daß Goethes Stellung der zeitgenössischen Musik gegenüber, bedingt durch Zufälligkeiten, nur eine kleine Provinz in Goethes Beziehungen zur Musik überhaupt ist, erhellt schon klar aus Friedlaenders Ein leitungsworten, Der Verfasser hat aber auch die andere Frage, die mit dem Vortragsthema eng zusammenhängt, was die Musik Goethe zu danken hat, und wie sie von ihm befruchtet wurde, früher schon in der Publikation »Gedichte von Goethe in Kompositionen seiner Zeitgenossen«, die 1896 als Schrift der Goethe-Gesellschaft erschien, näher beleuchtet; er läßt jetzt ebendaselbst einen zweiten Band »Goethes Gedichte in Kompositionen« folgen. Der erste Band, chronolo gisch nach Dichtungen geordnet, enthält in 78 Nummern nur Kompositionen von Zeitgenossen Goethes, darunter vier Kom positionen vom Heidenröslein, fünf vom Veilchen und sechs vom Erlkönig. (Tappert hat 1898 »70« < !> verschiedene Kompositionen des Erlkönigs namhaft gemacht.) Der zweite Band, nach Kom ponisten chronologisch geordnet, wird in 90 Nummern Komposi tionen von Breitkopf, Reichardt, Zelter, Beethoven, Schubert bis Brahms, Hugo Wolf und Richard Strauß bringen. Ist es schon überaus fesselnd, zu sehen und zu hören, wie verschieden diese 32 Komponisten Goethe erfaßt haben, so erhöhen die in beiden Büchern als Anmerkungen gegebenen Erläuterungen des Ver fassers noch das Verständnis und den Genuß des Gebotenen, Wenn der Vortrag von Friedlaender für den Buchhandel nur allgemeines Interesse hat — er ist im Goethe-Jahrbuch nur den Mitgliedern der Goethe-Gesellschaft zugänglich —, so möchte ich wenigstens kurz noch auf einige neuere musikliterarische, wissenschaftliche Publikationen Hinweisen, die auch als Ver kaufs-Objekte Interesse beanspruchen dürfen, Hugo Goldschmidt, Die Musikästhetik des 18, Jahrhunderts und ihre Beziehungen zu seinem Kunstschaffen, 1915, Rascher L Co,, Zürich, ,/k >1,—. 1150 Dieses Buch wird als bedeutsame Bereicherung der Musik ästhetik bewertet. Eine ausführliche Würdigung durch Pauk Moos, Ulm, wird demnächst in der Zeitschrift für Musikästhetik erscheinen. Die Grundlage der Musikwissenschaft und das duale Reinin st rument von A, von Det tingen, 1916, B, G, Teubner, Leipzig, „K 8.—, Das im Verlage von C, F, W. Siegels Musikalienhandlung R, Linnemann erschienene Buch »Das duale Harmoniesystem« von Dettingen gab, lvic Ricmann sagt, den Anstoß zu einer von Rie- mann durchgcführtcn Reform der praktischen Harmonielehrmetho- den. Das neue Buch des greisen, achtzigjährigen Verfassers wird als Krönung seines Lebenswerkes bezeichnet, Riemann, Folklori st ische Tonalitätsstudien. 1916, Breitkopf L Härtel, Leipzig, ,/k 4,—, Der trotz leidendem Zustand rastlos schaffende Gelehrte hat in dem letzten Jahrbuch der Musikbibliothek Peters einen Aufsatz veröffentlicht: »Ideen zu einer Lehre von den Tonvorstellun gen«, Der Beitrag erregte Aufsehen, da er, als Resultat einer mehr als 40jährigen Forschung, die ersten Bausteine zu der Er kenntnis beibringt, daß die Vorstellung der Tonverhältnisse und nicht die Tonempfindungen das Entscheidende beim.Hören sei. Die obige Schrift, die sich mit der Melodik im schottischen, irischen usw, Volksliede beschäftigt, ist, wie der Verfasser im Vorwort sagt, auf dem Boden der neuen Idee des erwähnten Aufsatzes erwachsen. Die Arbeit wurde als erste Veröffentli chung des Kgl, Sächs. Forschungsinstituts für Musikwissenschaft Publiziert. Schenker, Beethovens neunte Symphonie. 1912. Universal-Edition Wien, 8,—. — Beethoven, Sonaten Op, 109 usw, 1915/16, Universal-Edition Wien. Je 3,— n. Das von dem Wiener Musikgelehrten Heinrich Schenker ver faßte Buch über Beethovens 9. Symphonie trägt schon durch seinen Umfang, 375 Seiten, den Stempel des Außerge wöhnlichen an sich. Der Kunstwart bezeichnet es auch dem Inhalt nach als eines der erstaunlichsten Werke der letzten Jahre, Die Bedeutung dieses Beethoven-Forschers er weist vielleicht in noch stärkerem Maße seine im gleichen Verlage erschienene Ausgabe der Beethoven-Sonaten Op, 109, 110 und Op, 111, Obgleich dies eigentlich Noten-Publikationen sind, da die Sonaten vollständig geboten werden, so ist man doch geneigt, auch diese Hefte zu den musikliterarischen Erschei nungen zu rechnen, denn der weitaus größte Teil der Hefte be steht in literarhistorischen Erläuterungen und in Auseinander setzungen des Verfassers mit den verschiedenen Herausgebern. Er stützt seine Behauptungen und Angriffe gegen die Beethoven- Herausgeber, die er fast alle, Hans von Bülow einbegriffen, in heftigster Weise bekänipft, auf peinlichste Manuskript-Verglei chung und jahrelange Forschung, Wenn er zum Schaden der von ihm verfochtenen Sache in der Polemik auch weit über das Ziel hinausschießt, so ist, abgesehen von dem Tatsächlichen, das er zum Verständnis dieser Beethoven-Sonaten bietet, die Ge wissens-Schärfung und seine Predigt: Habt Ehrfurcht vor dem Original, vor jeder Note, jeder Zeile der Gewaltigen, Großen — für alle werdenden Musikforscher und -Herausgeber sicher von Wert! Die Beispiele mögen als Beweis genügen, daß auch auf dem musikwissenschaftlichen Gebiete trotz des Krieges mit Eifer und Erfolg gearbeitet wird. Die Mnsikwissenschaft: Aesthetik und Historie ist eine verhältnismäßig junge Wissenschaft, umsomehr bedarf sie aber, wie die jungen Pflanzungen draußen, zum Wach sen und Gedeihen verständige Stützung und liebevolle Fürsorge. Es ist für die Autoren wie für die mutigen Verleger von ent scheidender Bedeutung, daß die Publikationen bei dem an und für sich beschränkten Leserkreis nun auch die tatsächlichen In teressenten wirklich erreichen. Neben dem reinen Musikhandel ist hierfür Mithilfe und Arbeit des Buch-Sortiments unerläßlich. Mir will aber scheinen, wie schon früher erwähnt, daß das Sortiment im allgemeinen, so tatkräftig es für juristische, theo logische, medizinische Fachwerke eintritt, so lebhaft es gerade i in jüngster Zeit neben den Kunsthandlungen die zahlreichen Pu-