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Wilsdruffer Tageblatt 2 Blatt Nr. 189 — Sonnabend, den 15. Aug 1931 Crntetag. O du reifeschwerer, voller Erntetag, - Ohne Amselruf, ohne Finkenschlag, Die Erfüllung bringst du, alles Hoffen Gleichst du aus, nichts läßt du offen. Eben auch die Bäume tragen schweren Segen, Der Erfüllung sehnsuchtsvoll entgegen Drängen sie, und mit der Sonnen Kraft Wird gewalt'ges Werk zu End' geschafft. Rainfarn steht am dürren Wegesrande, So als ob auch er mit goldnem Brande, Mit der flachen, üpp'gen Blütcndolde Der Vollendung Ziel verkünden wollte. Himmel spannt sein dunstig blei-grau Tuch lieber eiliges, geschäst'ges Werken, Ach, der Hände sind es nicht genug, Um in kurzer Zeit die goldne Last zu bergen. Und Erfüllungsschwere grüßt von ferne, Und Vollendungsdrängen bang bewegt die Brust, Beide stehen über uns — verwandte Sterne, Grüßend stehen sie im Schmerz. O du reifeschwerer, voller Erntetag, Wollst du kommen doch auch in mein Leben. Sei'st du gleich auch ohne Finkenschlag, Gerne wollt' ich alle Freuden für dich geben. Devisen und nationale Selbsthilfe. Schutz der bäuerlichen Vcredelungswirtschaft. Der Retchslandbund richtete ein Schreiben an die Reichsregierung, in dem es u. a. heißt: „Der Reichskanzler hat letzthin mehrfach die Notwen digkeit der nationalen Selbsthilfe betont. In das Gebiet der nationalen Selbsthilfe gehören auch alle die jenigen Maßnahmen, die es verhindern, daß Deutschland unnötig ausländische Waren kauft und deutsches Geld für diese Waren ins Ausland fließt. Die aus den Vorgängen der letzten Wochen heraus entstandene Devisenbewirtschaftung hätte ein geeignetes Mittel der nationalen Selbsthilfe werden können Nun hören wir, daß Devisen ohne nähere Nachprüfung des tatsächlichen deutschen Bedarfs dem Importeuren tm Rah men ihres früheren normalen Importes gegeben werden sollen. Dadurch entfallen alle die Erwartungen, die Vie Landwirtschaft an dieses Mittel der nationalen Selbsthilfe geknüpft hatte. Es ist nicht zu verstehen, daß von dem in der Devisenordnung ge gebenen Mittel. die Erzeugnisse der bäuerlichen Veredclungswirtschaft zu schützen, nicht Gebrauch gemacht werden solle. Insbesondere verweisen wir aus Vie Notwendigkeit und Möglichketi der Ab drosselung von Feiten aller Ari, insbesondere auch von Tranen, von Obst Südfrüchten Gemüse. Wein, sowie der M o I k e r e i p r o d u t i e ü a An die Reichsregierung richten wir daher den dringenden Appell, von den ihr jetzi zur Verfügung stehenden Möglich keiten des Schubes der bäuerlichen Beredelungsprovuktion nicht zur im Interesse der Landwirtschaft, sondern der gesamten Volkswirtschaft nachdrücklichst Gebrauch zu machen" Agrarische Nunlchrettel Was das Landvolk verlangt. Vor schweren Aufgaben der Zukunft. Auf dem Parteitag des Deutfchen Landvolks herrfchte Einmütigkeit über folgende grundsätzliche Forderun gen, die im Interesse der deutschen Landwirtschaft gestellt wer den müßten: Ein vollkommenes Schwenken in der Steuerpolitik, mindestens für das Jahr des Auslandsmoratoriums, eine er hebliche Änderung in der Parallelbesteuerung durch das Reich und die Länder unter Berücksichtigung hypothekarischer Be lastung ist die Grundforderung auf steuerpolitischem Gebiet, um einer weiteren Vernichtung der Landwirtschaft vorzubeugen. Dazu ist weiter notwendig, eine völlige Abänderung der Grund sätze des landwirtschaftlichen Berussgenosssenschafts- wefens sowie der W o h l f a h r t s l a st e n dei Landkreise und Landgemeinden. Unerläßlich ist eine völlige Umstellung des bis zur Groteske erhöhten Zinsfußes. Die Möglichkeit etappenweiser Entschuldung muß geschaffen werden; die Verhinderung der Ernteverschleuderung zu Katastrophenpreisen ist ein Gebot der Stunde Das Land volk erkennt an, daß die vom Reichsernährungsminister Schiele eingeleiteten Erntefinanzierungsmaßnahmen auf diesem Ge biete gemeinsam mit der Selbstdisziplin der Landwirtschaft vieles zu leisten vermag Ans sozialpolitischem Gebiet fordert das Landvolk, daß bei aller Anerkennung des Grund satzes, das Staar und Volk dein alten, kranken und schuldlos arbeitslos gewordenen Volksteil helfen müssen, in erster Linie jeder versuchen müsse, sein eigener Versicherung s- träger zu sein, weil nur aus diesem Wege gewtsfen Aus wüchsen, insbesondere in der Arbeitslosenversicherung, gesteuert werden kann Die aus der Wirtschaft gezogenen Summen, die aus Reniengründen so arbeitend angelegt werden müssen, daß Grünes Vogtland. Der Musik- und Badewinkel Sachsens. Im Südwestzipfel Sachsens, wo im 11. Jahrhundert Vögte über den Reichsdomänen saßen, steigen die Berge, bachzerkluftet aus grünen Wicsemälern. Weißgetünchte,schieiergleitzcnve Hütten träumen im Gold der Bergäcker und tue Bergwiefen sind be stickt mit bunter Blumenfülle. Winvzerzaust stehen korallen rote Ebereschen an den Landstraßen, und die Erika säumt zu ihrer Zeit glühend die Waldwege, um die bunte Häher zänkisch gaukeln. Pusferlandschaft zwischen Erzgebirge, Fichtelgebirge und Frankenwald — das ist das Vogtland, der Musik- und Bäderwinkel Sachsens. Die vogtländischen Dörfer sind oft weil über die Berghänge gestreut. Zwischen einem Kartoffelacker, ein Stück Wiese und Getreide baute der Vogtländer seine Blech- oder Schieferdach Hütte, von ein paar Obstbäumen umkränzt — so ist er Herr auf eigenem Grund und Boden und kann nun ruhig an seinen Instrumenten basteln. Schon längst selig verblichen sind die Trachten der Vogtländerinnen: reizendes Häubchen, Bausch rock und die mächtig weiten Puffärmelmieder; zuweilen kann man sie noch zu einem Trachtenfest sehen. Es sind klingende Hütten, die Hütten Les Vogtländers! Wo der Aschberg dicht an der Grenze des benachbarten Erzgebirges wie ein Wächter des Vogtlandes steht, Hünen an seinen Hang geduckt bis zum Kamm empor in fast 1000 Meier Höhe, heißt bezeichnend eine ganze Stadl, ein ganzes Tal: „Klingenthal". Tie vogtländische Musik- industric ist seit dem Jahre 1560 nachweisbar, Angeführt da mals von böhmischen Exulanten. War einst der vogtlündische Waldreichtum für diese Industrie bestimmend, so werden heute die Rohstoffe aus aller Welt bezogen, aus Südamerika ebenso wie aus Afrika und Indien. Markneukirchen vertreibt in nor malen Zeiten etwa jährlich eine viertel Million Geigen und eine halbe Million Geigenbogen. Alle Arten Instrumente werden jedoch hier gefertigt, wenn insbesondere auch der Geigen sie kurzfristig verfügbar sind, sollten aus dem Krcdttwege ebenso kurzfristig den Wirtschaftskreisen zur Verfügung gestellt werden, die zur Bildung dieser Kapitalien beitragen, statt daß sie in unproduktiven Berwallungspalästen und in einem aufgeblähten Apparat angelegt werden Der Sozialversicherungsapparat mutz durch radikale Änderungen eben dieses Apparates in Ord nung gebracht werden, nicht durch erneute Bürgschaftsbelastung: keinesfalls darf durch erneute Verschuldung an das Ausland noch durch Neubelastung der Wirtschaft saniert werden. Für den Haushalt des Staates mutz endlich die Höhe der Ausgaben von dei Höhe feststehender Einnahmen abhängig gemacht werden Es wird eines ener gischen Eingriffes in die Ausgabenseite des Haushaltes be- dürsen, um innerhalb des Moratoriumsjahres in die finan ziellen Verhältnisse Ordnung zu bringen. Das Deutsche Landvolk wünscht daß gerade diese Klärung mit aller Offenheit erfolgt, damit der deutsche Bauer, wenn auch nicht freudigen, aber mutigen Auges seiner schweren Auf gäbe des nächsten Jahres entgegensetzen kann. Oas Sofortprogramm der nationalsozialistischen Landwirte. Wie der Völkische Beobachter meldet, versammelten sich im Braunen Haufe in München die Vertreter der national sozialistischen Landwirte zur Aufstellung eines Sofort programms für die Landwirtschaft Als wichtigste und dringendste Forderungen werden bezeichnet: Einjähriger Zah lungsaufschub für alle bisher eingegangenen Kapital- und Steuerschulden der Landwirte; durchgreifende Herabsetzung des Zinsfußes für die gesamte deutsche Wirtschaft; Senkung der im allgemeinen viel zu hohen Kunstdüngerpreise; Abdrosselung aller überflüssigen Einfuhr durch Ein richtung einer Devisenzentrale; sofortige Ausfuhrsperre für deutsches Brotgetreide. bau hoch entwickelt ist. Vom musikalischen Kinderspielzeug bis zur Äutohupe, dem Wahrzeichen unserer Zeit, wird alles her gestellt, was es in Streich-, Blas-, Zupf- und Schlaginstrumen ten gibt. Es fehlen auch Großbetriebe von Weltruf nicht. Das Markneukirchcncr Musikinstrumentenmuseum, in dem etwa 2000 Instrumente aller Zeiten und Völker zu sehen sind, von der Buschmänner-Violine aus Leder bis zur Biedermeier-Orgel und zum Kuhhorn, ist beachtenswert. Neben einer Jnstrumen- tenbauerschule findet auch die Musik edle Pslegstätte hier. Geht man durch die Gassen, so jubelt eine Geigenmelodie auf, zittert ein Mandolinenklang, düdeltüt eine Flöte, schmettert jäh ein Trompeten-Schnäderängdäng, dröhnt ein Paukenschlag; es sind „klingende Gassen". In Klingenthal ist die Mundharmonika- und Akkordeonfabrikation hochentwickelt; stundenweit zwängen sich hier die Hütten der Instrumentenbauer in die Täler, Musikdörfer, Musikstadt untrennbar miteinander verbunden. Dem Musikwinkel benachbart ist' Bad Elster gelegen, reiz vollster aller vogtländischen Orte, Weltkurort und Frauenbad. 16 Heilquellen wetteifern hier, die Kranken zu gesunden. Schon der Gedanke an Bad Elster stimmt heiter. Zwischen Waldbergen der Ort, schlichte Pensionshäuser um nadelspitzen Kirchturm gruppiert. Mittelpunkt der von modernen Kurbad- und Hotel' bauten umrahmt? Kurplatz, umschmeichelt von Blumenanlageu in höchster garteuarchitcktonischcr Gestaltung. Tie Brunncnmäd- chen tragen letzte Bestandteile altvogtländischer Samttracht. In der jungen Elster, die durch das Bad fließt, werden noch Perl muscheln gefischt; die Perlenfischerei ist staatlich aus Gründen des Naturschutzes, um die Perlmuscheln vorm Aussterben zu be wahren. Im Grünen Gewölbe zu Dresden befindet sich eine kostbare Perlenkette aus den schönsten im 18. Jahrhundert ge fischten Elsterperlen zusammengestellt. — Nicht viel weniger Quellen von verblüffender Heilkraft finden sich in dem be nachbarten Bad Brambach, dem stärksten Radiumbad der Welt. Reich an charakteristischer Eigenart der Landschaft und des Volkstums, arin aber an irdischen Gütern, ist das Vogtland /.rede rÄ rM MöMs unis?' l/msn... Koman von Holms von Hellermann OovvriLM dv Martin Halle 1831 l51 Stundenlang waren sie auch oamft beschäftigt, einen Katalog der wissenschaftlichen Bibliothek Joachims anzu- sertigen, was große Mühe verursachte, da viele Bücher sich unten, viele auf dem Speicher in Kisten befanden, die nun alle durchgesehen werden mutzten. Dann trieb Rosemarie aus ves Vetters Anregung englische und französische Sprachstudien mit ihm, der sich in vier Sprachen fließend zu unterhalten vermochte und in der Literatur der ver schiedenen Länder wohlbewandert war. All diese gemeinsamen Interessen verbanden die beiden, knüpften die Fäden der Verwandtschaft zu einem Bande, dessen wachsende Festigkeit dem Mädchen ganz unbewußt blieb. Da Joachim gleichmäßig freundlich und teilneh mend war, ließ sich Rosemarie die kleinen Neckereien und Vertraulichkeiten ruhig gefallen, ahnungslos, daß die selben einem wohlberechneten Plan entsprangen. Lie bewunderte die Seelenkraft des Vetters, der mit wahrhaftem Heldenmut setne körperlichen Beschwerden zu verheimlichen suchte, bewunderte seine umfassende Bildung und Klugheit freute gch datz sie beide so gute Kameraden geworden, empfand dankbaren Herzens all seine Güte als Versuch, ihr über die Lrennung von dem Geliebten hin wegzuhelfen — und lief so offenen Auges in die Falle die der Jäger dem edlen Wild gestellt. Als er sie zuerst gesehen, ein blasses Kind von etwa sieben Jahren, mit großen, fragenden Augen im mageren Gesichtchen, still und leicht verschüchtert, war er ein Fünf zehnjähriger gewesen, dem Krankheit und Leiden eine große Frühreife verliehen. Im Bewußtsein, körperlich auch nie das Allergeringste leisten zu können, was gesunden Menschen leicht und selbstverständlich schien, hatte er alle Energie auf die Ausbildung seines an sich schon regen Geistes verwandt. Sein Verstand wuchs und gedieh — aus Kosten des Gemüts. So kam es, daß die kleine Kusine, deren liebebedürftiges, einsames Kinderherz so rührend aus den blauen Augen um ein wenig Güte bat, wenig oder keinen Eindruck auf ihn machte, ja, nur langweilte oder störte, bis sie alt genug geworden zu den vielen kleinen Hilfeleistungen, deren er gerade in jenen Jahren besonders häufig bedurfte. Und da Rosemarie, allmählich zur lieblichsten Mädchenhaftig keit herangeblüht, ihrer sanften Bescheidenheit treu blieb, es so gar nicht verstand, ihre Reize ins Licht selbstzufrie dener Ichsucht zu stellen, war dieser erste Eindruck zum dauernden geworden. Sie blieb für den Vetter ein farb loses, von der Hilfe seiner Eltern abhängiges Geschöpf- chen, das gern diente, schweigen konnte, wenn er Ruhe brauchte, gut vorlas, wenn es gewünscht. Ein Eigenleben schien sie nicht zu führen. Da kam ein Fremder des Weges, schön, jung und reich, von ritterlichem Wesen, hochbegabt. Der sah Rosemarie, erfaßte auf den ersten Blick die seltene Anmut dieser holden Menschenblüte und begehrte das Mädchen zum Weibe. Und wie beim Nennen eines Zauberwortes, fiel die Binde von Joachim Rohsens Augen, erkannte auch er den Schatz — den nun ein anderer hob. Er fühlte oas wonnige Wachsen und Werden ihrer Liebe, sah, wie ihre Jugend sich unter der Wundersonne des Glücks täglich herrlicher entfaltete, und mutzte, wie immer in seinem leidvollen Leben, beiseite stehen und zuschauen, wie der Sonnenstrahl, der auf seinen Pfad gefallen und den er bisher blind übersehen, weiterwanderte und ihn wieder im Dunkeln lietz. Zum ersten Male regte sich der Mann in ihm, empfand er den heißen Drang, um das Weib zu kämpfen, das sein Herz geweckt, sie jenem anderen zu entreißen und für sich zu gewinnen. Der plötzliche Zusammenbruch des Hardl- schen Hauses, von dem er Kenntnis gehabt, ehe Rosemarie es erfahren, bestärkte ihn in seinem Bemühen. Und als Hardt auf unbestimmte Zeit nach dem Ausland gereist, wuchs seine Hoffnung zur Gewißheit auf Sieg. Dem starken Willen mutzte Wunscherfüllung werden! Das am Fenster in tiefes Nachdenkeft versunkene Mäd chen fuhr leicht zusammen. Der Vetter stand neben ihr und lächelte sie an, in heimlicher Freude über das warme Rot, das sich über ihre feinen Züge ergoß. „Hoffentlich habe ich dich nicht allzusehr erschreckt, Kusinchen?" Rosemarie wehrte in leichter Verwirrung ab. „Nein, Joachim, durchaus nicht; aber ich hörte dich gar nicht kommen, wie sonst." „Schon möglich!" Etwas in seiner Stimme ließ sie aufmerken. Ein fragender Blick in sein lächelndes Gesicht, das von diesem weichen Ausdruck unendlich verjüngt und verschönt wurde, ein forschendes Betrachten: „Joachim, wo ist denn dein Stock?" „In meinem Zimmer", erwiderte er, sich an ihrer Ueberraschung weidend und unwillkürlich noch gerader stehend. „Du bist ohne — aber das ist — das ist ja herrlich!" Sie klatschte in die Hände wie ein fröhliches Kind, legte dann die Rechte in harmlos vertraulicher Geste auf seinen Arm: „Seit wann vermagst du denn ohne Stock zu gehen, Joachim?" „Seit einigen Wochen. Ich habe immer heimlich auf meinem Zimmer geübt, hoffte, daß du dich mit mir über die Besserung freuen würdest." Er nahm die Hand auf seinem Arm, führte sie an seine Lippen. „Ich danke dir für deine Teilnahme, Rosemarie." Schlicht und ernst klang es. Dennoch konnte das Mäd chen eine erneut aufsteigende Blutwelle nicht unterdrücken. Etwas von der Befangenheit jener ersten Verlobungstage überfiel sie, ein innerliches, seltsam ängstliches Zurück- weichen vor des Vetters Nähe . . . Zornig schalt sie sich darob, lächelte ihm, gleichsam sich selber zum Trotz, herz lich zu, ihm sanft die Hand entziehend, die er noch hielt. „Auch deinen Eltern wird dieser neue Fortschritt eine grobe, große Freude sein!" lForftctzunq solgt.j