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Bezug-Prel» Morgen-Ausgabe v. L«zeige»-Pre» Mr t!«»»,» »»» ^>o«n« durch unser« lrä-er „ii kMd«t«r» «n» Hau« gebracht i Lusgad« t <»»» moroe»«) vtertutlL-rltch » «., mbnaüich 1 Uubaade I (miraeas und abend«) »l> cOI Lurch dt« W«ft >» dqtehe«: st «al täglich) innerhalb Druttchlanb» und der deutlchen Kolonien merreljüdrlich 5,25 M., monatlich 1,75 M. an«ichl. Poft» beslellgew, ckr Oesterreich 9 L V6 k, Ungarn 8 L vierteljährlich. Ferner in Bel- »I«, Dänemark, den Donaustaaten, Italien, Luremdurg, Niederlande Norwegen, Nnft- laud. Schweden, Schwei» und Spanten. In alleu iibrtaen Staate» nur direkt durch «a Lxped. d. «l. erbältlich. «donnement-Lnnabmr t Auguftuftplutz 8, bei unteren Drägern, Filialen, Spediteuren »ad Lnnahmeftellen, iowte Postämtern u»d Briestrtgern. Die «tnzelne Nummer kostet 1« Redaktion und «rpedtttou: Johannirgast« 8. Deleoboa Nr. IEL Nr 1EN Nr >488«. WMgrr T agMM Haudelszettung. Amtsblatt des Rates i»«d des Rolizeiamtes der Stadt Leipzig. M aus »md dl»« «atzii-g» södl^ NMlN»» 1 »» «uOoärtft » Pl-, lll» Mr Jnjerate». Behärd«^ u m»lIiche»D«tl« V- veilage^bübr 5 Pt. ». Dauiead extl. Poft» gebühr, »elchsfiran,eigen a» denorzugter Stelle im Preis« rrbäht. Nadatt nach Lari, Festertellt» Suiträg« känueu nicht zurück, gejogen werven. Für da« ltrjchetue» an deftiiaown Lagen und Plätzen wir» keiue Mqet««a.»iwa-»», ft» «Platz v» »ot sämtliche» Filiale« lü älle» ilanoncm» Lrpedittourn do« gu» und »ullaude«. Haupt »Filiale Vera», Carl Dauckor, Hertzogl. Baqr. Hastuch» haudluig, Lützmoftrafte M kLelephon VI, Nr. ES). Haupt»Silt^e Vrr«de»! keestrade 4.1 (Delevdoa «S!U). Nr 173. Mittwoch 24. Juni 1908. 102. Zahrqanq. Dar wichtigste. * Die gemischte Kommission zur Vorbereitung der Oberdürger- meisterwahl in Leipzig faßte in ihrer gestern nachmittag adgehattenen Sitzung den einstimmigen Beschluß, von der Ausschreibung der Stelle abznsehen. Dieser Beschluß bestätigt unsere frühere Nachricht, daß die Wabl des Bürgermeisters Tr. Dittrich zum Oberbürgermeister als gesichert anzusehen ist. Die gemeinschaftliche Sitzung des Rates und der Stadtverordneten zur Vornahme der Wahl soll am Freitag» oen 3. Juli, stattfinden. * Der bayrische Reichsrat sprach sich für Berechtigung der Realgymnasiasten zum juristischen Studium aus. IS. Dtschs. R.j * Die neuen Steuerentwürfe des Reichsschatzjekretärs sind gestern dem bayrischen Finanzminister zugegangen. lS. Letzte Dep.) * Die Königin von Spanien ist oon einem Prinzen entbunden worden. (S. Ausl.s * Ein Geschwader der russischen Schwarze-Meer-Flotte, sowie eine Torpedobootsflottille sind von Sebastopol nach den türkischen Gewässern abgegangen. * InTeheran ist es zu einem Zusammenstoß zwischen Truppen des Schahs und den Konstitutionellen gekommen. ,'S. Ausl.j * Der König vonSerbien hat den Altradikalen Velimr - rovitsch mit der Kabinettsbildung betraut. Italien am Scheidewege. In Deutschland will man noch nicht recht daran glauben, daß sich eine neue internationale Gruppierung vorbereitet oder daß sie vielmehr schon zur Talsache geworden ist. Man hält sich mit pedantischer Wort, klauberei an die tröstliche Versicherung, daß England und Frankreich kein Bündnis geschlossen haben und daß es sich nur um eine Bekräfti gung und Bestätigung der bereits vorhandenen Entente handelt. Wir können uns nicht entschließen, diese Politik der Selbstvcrblendung mit- zumachen. Es ist ganz klar, daß in der Tat eine Art Dreibund im Werden ist, und es ist nicht von einscheidender Wichtigkeit, ob diese neue taktische Formation schwarz auf weiß festgelegt wird oder nicht. Es genügt vollauf, daß die Regierungen der drei mächtigen Staaten sich sehr viel näher getreten sind, als dies noch vor wenigen Jahren der Verstand der Verständigsten für möglich gehalten hätte. Wenn König Eduard, der sehr wohl weiß, was die öffentliche Meinung in England bedeutet, den Besuch beim Zaren trotz der Opposition der Liberalen und Sozia listen nicht unterlassen hat, so hat er eben schwerwiegende Gründe dafür» seine sonst so unangefochtene Popularität aufs Spiel zu setzen. Und sowohl der König von England wie der Präsident der Republik reisen nicht zum Vergnügen nach Rußland, denn eine solche Reise ist immerhin nicht ungefährlich. Selbstverständlich denken Männer, die an der Spitze eines Staates stehen, in erster Linie an die Wohlfahrt ihrer ddatiou und in zweiter Linie an sich selbst, indessen begibt sich doch niemand »n Gefahr, wenn es nicht triftige Motive für eine solche Selbstverleugnung Hali Und es läßt sich doch nun einmal nicht leugnen, daß über dem Zaren und seinen Gästen das Damoklesschwert des Attentates schwebt. In anderen, an der politischen Entwicklung nicht minder inter essierten Staaten macht man auch gar nicht den Versuch, den Kopf in den Sand zu stecken. Vor allem die italienische Presse betont energisch, daß Italien am Scheidewege stehe. Im „Malino" erörtert ein Schrift steller, dessen gute Beziehungen zu der Regierung bekannt sind, die Frage, wie sich Italien dem neuen Dreibunde gegenüberstellen solle. „Was man auch sagen möge", führt er aus, „wenn auch die Entente noch nicht zur förmlichen Tripelallianz geworden ist, so besitzt sie doch schon heute alle Elemente, um bei eintretendem Bedürfnisse eine tatsächliche Allianz mit bestimmten Richtlinien zu werden. So große politische Kombinationen, die so lange und mühsame Vorbereitung erfordern, werden nicht ins Leben gerufen, um fortwährend im platonischen Zu stande zu verbleiben." Der Autor wirft dann die Frage auf, ob Italien der neuen Allianz gegenüber das alte Spiel des Gleichgewichts mit Er folg fortsetzen könne und ob nicht ein engerer Zusammenschluß der alten Dreibundmächte notwendig sei. Jedenfalls müsse Italien sich darüber klar werden, wie weit die Verpflichtungen gegen den alten Dreibund mit den Beziehungen zu dem neuen Dreibund vereinbar seien. Er zweifelt daran, daß die sogenannte Politik der freien Hand auf die Dauer durchführbar sei und meint, es werde der Tag kommen, „wo die gerissenste Geschicklichkeit an dem harten Anprall der Tatsachen scheitern wird". Diese Darstellung ist durchaus der Sache entsprechend und vom ita lienischen Standpunkt aus unanfechtbar. Wir dürfen unS aber nicht der Illusion bingeben, daß ein engerer Zusammenschluß des alten Drei bundes möglich sei, so wünschenswert er auch wäre und so sehr er in ge wissem Sinne als natürliche Antwort auf die neue Kombination gelten dürfte. Italien ist aber mit einer Flotte, die für den Küstenschutz der beiden mächtigsten Seestaaten gegenüber völlig unzureichend ist, allzu sehr auf Englands und Frankreich« Sympathien angewiesen, als daß es keine Eiertanzpolitik anfzugeben vermöchte. Auch besteht der Gegensatz gegen Oesterreich doch im Grunde unverändert fort, und erst vor kurzem hat ein italienischer Abgeordneter wieder auSgeführt, daß Italiens Ost grenze nicht verteidigungsfähig sei, und daß nach dem Tode Iran, Josefs niemand wissen könne, ob mcht Oesterreich sich gegen Italien wenden werde. Eine solche Voraussetzung erscheint uns zwar völlig gegenstandslos, aber das Mißtrauen der beiden Rationen muß nun ein- ma' als Faktor in daS Rechenexempel eingestellt werden. Auch auf dem Balkan wird eS schwerlich möglich sein, die Interessen der beiden Staate» auf die Dauer zu versöhnen. Anderseits neigt sich die italienische Nation der französischen zu und die Regierung kann diese Bolktstimmung nicht ignorieren. Wir müssen »nS also mit der Tat sache ebfinden, daß der alte Dreibund innerlich defekt ist und daß er eine ernste Prüfung schwerlich bestehen würde. Wird Italien in der Tat mit drohendem Ernst vor eine Wahl gestellt, so kann es kaum noch zweifelhaft sein, wie seine Entscheidung ausfallen wird. Das sächsische Sparkassenwesen. Im Bureau des sächsischen Landtages oder in der Druckerei liegt über die Sonimcrferien ein höchst interessanter Bericht über die Pc- titiou der sächsischen Sparkassen gegen tue bekannte Verordnung vom 2. August 1906, durch die die Gemeindesparkassen des Landes samt und sonders gezwungen wurden, 25 Prozent ihres verzinslich angelegten Vermögens in mündelsicheren Jnhaberpapicren, und zwar mindestens 8 Prozent in sächsischen Staalspapieren, zu halten. Die erwähnte Beiordnung gab noch weitere Einzelbcstimmungen, betreffend die Ueber- gangszeit, Ausnahmen usw., die aber jetzt kein besonderes Interesse mehr haben, da die gesamte Verordnung von der Mehrheit der Ge- mclndcsparkasscnverordnung angefochten und der Regierung das Recht hierzu bestritten wird. Die Sparkassenvcrwaltungen der großen Städte des Königreiches wurden von der Verordnung so gut wie gar nicht ge troffen, sie haben also kein materielles Interesse an ihrer Aushebung, denn sie haben schon längst bedeutend mehr als den von der Regierung verlangten Bruchteil ihres Vermögens in mündelsicheren Inhaber- papieren angelegt, die beiden größten Städte weit über 30 Prozent. Das konnte sic aber nicht veranlassen, der Regierungsverordnung in Bausch und Bogen zuzustimmen, denn sie bat zwei Seiten, — eine ver- waliungsrechtliche und eine fiskalische. Als Aufsichtsbehörde ordnet das Ministerium des Innern im Interesse der steten Zahlungsbereitschaft die gesamten 25 Prozent an, — das ist eine Maßnahme, die sich von einem gewissen Standpunkt aus unschwer rechtfertigen läßt, wenn sie auch sehr viele Gegner hat. Dann aber kommt das Finanzministerium und verlangt, daß 8 Prozent aus sächsischen Staatspapiercn bestehen sollen. Tas ist eine rein fiskalische Maßregel, mit der die Sparkassen einem Zwecke dienstbar gemacht werden sollen, der mit ihrem Wesen sonst gar nichts gemein hat, — sie sollen dazu helfen, den Kurs der sächsischen Rente zu heben, den sächsischen Papieren ein besseres Absatz- gebiet zu verschaffen. Diese Seite der Negierungsmaßnahme ist ent schieden höchst anscchtbar und sic hat auch fast allc Gemcindesparkassen- vecwaltungen zu Günern, auch einen großen Teil derjenigen, die be reits freiwillig die Wünsche der Negierung vor Erlaß der Verordnung befriedigt kabcn. Sie wird nicht nur als ein unberechtigter Eingriff in die Selbstverwaltung der Sparkassen, die einen wesentlichen Teil der Selbstverwaltung der Gemeinden bilden, empfunden, sondern als eine direkte Schädigung dieses eminent wichtigen Zweiges der sächsischen Volkswirtschaft, da die Sparkassenverwaltungen sich machtlos Kursver lusten ausgesetzt sehen, die sic im Interesse der Sparer unbedingt zu vermeiden hätten. Die Beschwerde- und Petitionsdepuralton der Zweiten Kammer, der die Angelegenheit im Frühjahr vorlag, hat sich sehr eingehend damit beschäftigt und schließlich nach zum Teil sehr schwierigen Debatten und Erörterungen beschlossen, der Petition der Lparkassenverwaltungen die beste Zensur zu geben, indem sie der Regierung zur Erwägung gibt, ihre gesamte Verordnung zurück- zuzicben. Damit will die Deputation ohne Zweifel ganze Arbeit machen, sic will sich nicht in lange Erörterungen einlassen, sondern bestreitet der Regierung voll und ganz das Recht zu diesem Eingriff in die Verwaltung. Der Antrag der Deputation kam allerdings mit 9 gegen 7 Stimmen zustande, so verlautet zuverlässig, und wenn dieses Stimmenverhältnis auf Richtigkeit beruht, so wird man sich noch auf eine lange und erregte Debatte in der Nachsession gefaßt machen müssen, da man nicht erwarten kann, daß die Regierung ohne Kampf den von ihr gefaßten Boden ausgeben wird. Selbst wenn beide Kammern dem Antrag der Deputation beitreten, ist es immerhin noch fraglich, ob er nicht dasselbe Schicksal findet, wie z. B. die Beschlüsse betreffend die Aushebung des gesetzlichen Schutzes für das Cpiphaniasfest. Immerhin dürfte die Regierung sich in diesem Falle doch veranlaßt sehen, ihre Stellungnahme zu revidieren und — selbst wenn sie die Verordnung formell aufrechterhält — nicht rigoros bei ihrer Durchführung vorzu gehen, sondern die einzelnen Verhältnisse bei den verschiedenen Spar kassen zu berücksichtigen. Bei der Beurteilung dieser Frage wird man sich vergegenwärtigen müssen, daß die Sparkassenverwaltung lediglich einen Zweig der allge meinen kommunalen Selbstverwaltung bildet und daß somit das staat liche Oberaufsichtsrecht auch die Oberaufsicht über die Gemcindespar- kassen umfaßt, die der Regierung bei allen anderen Gemeindcangelegen- heiten zusteht. Kann die Staatsregierung einerseits den Gemeinden be- züglich ihrer Sparkassen besondere Privilegien erteilen, so kann sic ge wiß ihre Macht auch in Hinsicht auf die Entwickelung und stete Zablungs- bereitschaft der Sparkassen betätigen. Ueber den weitergehenden Teil der Verordnung werden die Meinungsverschiedenheiten nicht sehr groß sein. Daß die schon lange andauernde Unbeliebtheit der ein heimischen S t a a t s p a p i er e zum größten Teile durch Maßnahmen der deutschen Regierungen selbst ver schuldet ist, wird niemand im Ernste bestreiten wollen. Das ist eine Binsenwahrheit, dienichtnurfürSachsengilt, — wie zur Ent- lastung der sächsischen Finanzminister der letzten Jahre gesagt sei. Wenn die Regierungen sich entschließen, den jeweiligen Geldverhältnissen Rech nung zu tragen und denjenigen Zinsfuß für ihre Anleihen zu wählen, der dem Zeitkurs entspricht, so können sie auch ihre Anleihen glatt unter bringen. Diese Erfahrung kann man in Preußen, in Hamburg, in Bayern und auch im Reiche bestätigt finden. Auch dieSparkassen würden sich ohne jeden erzwungenen Patriotismus wieder dem Ankauf einheimischer Papiere zuwenden. Akso mag es mit der in der vielbesprochenen Denkschrift der Regierung erwähnten Vernachlässigung der Staatspapiere durch die Sparkassen ruhig sein Bewenden haben. Anderseits wird nicht in Abrede gestellt werden können, daß von der Regierungsverordnung in ihrer Gesamtwirknng gerade diejenigen Sparkassen am schwersten betroffen wurden, die am stärksten — wie man zu sagen pflegt — auf Nebers chuß gewirtschaftet haben, die gar keinen oder einen wesentlich zu geringen Efsektenbestand batten. Diesen Kassen kann man den Vorwurf nicht ersparen, daß sie in der Erfüllung ihrer wichtigsten Aufgabe rückständig sind, resp. vor Erlaß der Verordnung waren. Sie hätten sich selbst längst sagen müssen, daß die Sorge um möglichst großen Reingewinn — so angenehm dieser für die Gesamtheit der Steuerzahler ist — aus keinen Fall dem Anspruch der Sparer auf glatte Rückzahlung ihrer Einlagen vorangestellt werden darf. Gewiß darf die Gewinnsroge nicht an letzter Stelle sieben, das bringt die Praxis schon von selbst mit sich. Die Sparkasse muß die Sparpfennige annehmen wie sie kommen, sie muß sie nicht bloß sicher, sondern auch möglichst gut zinsbar anlegen. Sie hat dabei die Ver waltungskosten zu decken, sie soll einen gewissen Barbestand halten, die kleinen Guthaben, die erfahrungsgemäß keinen Gewinn, sondern das Gegenteil davon bringen, pflegen, und dabei soll sie auch noch die wich tige Ausgabe der Förderung des Realkredits und der wohltätigen Be- strebungen nicht aus den Äugen verlieren. Wahrlich, das Vrogramm ist nicht klein und nicht einfach zu erledigen. Auf vielen Gebieten so zialen Fortschrittes hat sich der Ueberschnß der Gemeindesparkassen ais sehr wohltätig erwiesen, das wird man zugunsten auch derjenigen Kassen sagen dürfen, die bisher zu sehr auf den Gewinn bedacht waren, aber nichtsdestoweniger wird es nach und nach zur Regel für alle Kassen verwaltungen werden müssen, bei ihren Hypotheken nicht die Höhe des Zinsfußes und auch ni.cht die Aufrechterhaltung des Realkredits aus schlaggebend sein zu lassen, sondern einzig und allein die Sicherheit deS Pfaudobjektes. Dann werden die Hypotheken den sicheren Wertpapieren auch für die Zahlungsfähigkeit durch ihre Fähigkeit der Beleihung am nächsten kommen, und nur dann wird das Vertrauen zu den Gemeinde- sparkassen, von dem die Regierung in ihrer Denkschrift vom Jahre 1906 spricht, unerschüttert bleiben. Im übrigen kann man wohl die Bedenken gegen den Antrag der Deputation mit den Worten ablun, die bei einer früheren Gelegenheit in der Ersten Kammer gefallen sind, — daß die Sparkassen nicht dazu da seien, den Staatskredit zu heben; das sei Sache des Staates und nicht der Gemeinden. Die Antwort -es „Temps". lVon unserem Pariser I».-Korrei'pondcnten.j Paris, 22. Juni. Eine Antwort des oft offiziösen „Temps" auf den bekannten, dem Reichskanzler zugeschriebenen Artikel der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung", die in arrogantem Ton das Maß des Erlaubten überschreitet, verdient, daß man sich etwas ausführlicher mit ihr beschäftigt. „Man würde ohne weiteres die Richtigstellung der Döberitzer Kajser- r e-d e registriert haben, wenn nicht die Reichskanzlei, die immer die Maxime: „Oounar vt ovtonär uv vuut" vergißt, mit der einen Hand wegnehmen würde, was sie mit der anderen gibt. Schon Hatte, wie man sich erinnert, nach der Veröffentlichung der „Dortmunder Zeitung" ein hoher Beamter der Wilhclmstraße unserem Berliner Korrespondenten gegenüber Worte geäußert, die verschleierte Drohungen enthielten. Jetzt sängt man damit von neuem an. Die „Nordd. AUg. Ztg." beklagt sich bitter über die bösen Gedanken, wenn nicht die bösen Absichten, die man hinsichtlich Deutschlands hegt. Gestern schließlich sagte man auf dem Auswärtigen Amte unserem Korrespondenten: „Die Unruhe wird sich schwer beschwichtigen lassen, so lange diese Politik von Abmachungen fortgesetzt wird, von der Deutschland ausgeschlossen ist, und so lange m»» davon redet, den Frieden zu wahren, als ob Deuiichland ihn bedrohte. Die Lage wird so lange ungewiß bleiben, als man Vereinbarungen trifft, rings um eine Großmacht, an denen diese nicht tcilnimmt. Deutschland hofft, in Konstantinopel nicht erneuert zu sehen, was in Algeciras vor ging." Werden unsere deutschen Kollegen von der Presse uns die Gunst erweisen, zu glauben, daß wir diese Erklärungen ohne jeden Hinter- aedankcn geleien haben und daß wir sie ohne Voreingenommenheit dis kutieren? Werden sie sich, wie wir, von der diplomatischen „Enormität" Rechenschaft ablegen, die diese Zeilen enthalten? Wie? Man hat nicht das Recht, von der Aufrechterhaltung des Friedens zu reden, ohne im geheimen darunter zu verstehen, daß Deutschland ihn bedroht? Man hat nicht das Recht, Abmachungen zu treffen, ohne daß Deutschland daran txilnimmt? Man hat nicht das Recht, „ringsum" Deutschland, das heißt außerhalb seiner Kontrolle zu unterhandeln? Welche erstaunliche Auffassung von öffentlicher europäischer Ordnung! Die Deutschen, die diele Sprache führen, beklagen sich, daß man sic „einkreist". Aber kommt es bei ihnen wie bei uns nicht täglich vor, daß man Individuen „einschließt", die ähnliche Prätentionen haben? Die Irrenärzte sehen tatsächlich darin das Symptom eines Verfolgungs wahns, der für Dritte gefährlich werden könnte. Die deutsche Presse möge doch überlegen! Wenn man die Lage Deutschlands schlimm und falsch gestalten kann, sind es derartige Worte, wie man sie in Berlin beharrlich wiederholt." Die deutsche Presse, an die sich der „Temps" direkt wendet, wird ihm die Antwort nicht schuldig bleiben. Sie wird ihm sagen, daß es eine direkte Unverschämtheit ist, wenn ein Blatt, das ost die offi ziösen Aeußerungen seiner Regierung erhält, und in derselben ersten Spalte veröffentlichen darf, eine offiziöse Aeußerung einer benachbarten Regierung in den Vergleich zieht, als handle es sich um die Behauptung eines Verrückten, der wegen Verfolgungswahns eingesperrt werden muß. Im Privatleben hört die Diskussion aus, wenn sie so ausartet, und als Argumente bleiben nur noch Stockprügel. Glücklicherweise engagiert eine derartige Publizistik, die sich dank ihrer offiziösen Beziehungen aus ein gewisses Piedestal erhebt, nicht die Völker. Warum aber aus dem Auswärtigen Amt weiterhin diese Vorzugsbehandlung des deutsch feindlichen französischen Organs möchte man sich sraaen. Das Blatt fährt fort: „Wenn man mit Deutschland nicht so viel geplaudert hat, als es gewünscht hätte — und wie könnte man übrigens vergessen, daß es in den letzten drei Monaten am Kongo-Kamerun vertrag, am Abkommen über das Baltische Meer und dem über die Nord- see tcilnahm? —, dann liegt vielleicht der Grund darin, daß die Unter haltung mit ihm nur von mittelmäßigem Vergnügen Ist. Erwecken wir nicht die Geschichte und erinnern wir nicht daran, waS Napoleon HI. — und Frankreich — eine Plauderei Benedettis mit Bismarck hinsichtlich Belgiens kostete. Bleiben wir in der Gegenwart! Erinnern wir uns der Unterhaltung, die 1905 von Herrn Rouvier eröffnet wurde. Sie führte ihn nach Algeciras, was nicht in seinen Wünschen lag. Es ist wahr, daß die Deutschen heute vor diesem Andenken Schrecken verspüren. „Wir wollen nicht", so rufen sie, „in Konstantinopel ein zweites Algeciras wiederfinden." Auch hier, an wem liegt die Schuld? Wenn man nach Algeciras ging, war es. weil Deutschland es erzwang. Wenn dort Dinge vorgingen. die von ihm nicht vorausgeahnt wurden, dafür mag es die schlechte Voraussicht seiner Staatsmänner, nicht aber die Perfidie der anderen Nationen verantwortlich machen! Das die Be hauptungen angeht, daß seine dortigen Enttäuschungen Europa unter sagen müssen, in Zukunft, sei eS wegen Mazedonien, sei cs wegen Marokko, zu dem normalen Verfahren der Diplomatie seine Zuflucht zu nehmen, eine Konferenz einzuberufen, so ist das abermals eine nicht zu rechtfertigende Prätention. In der Welt gibt es nicht nur Kongresse von Berlin. Jeder kommt an die Reibe, jeder nach seinem Vermögen, jeder nach seinem Verdienst; dos ist die Spielregel. Unser Korrespon dent telegraphiert uns, daß der Reichskanzler durch sein Eommnniauä in der „Nordd. Alla Ztg." die deutsche öffentliche Meinung hat auswecken und aufrütteln wollen. Bedurfte sie dessen? Bald liest man in den Zeitungen von drüben, daß die Einkreisung eine drohende ist. bald er- klärt man, daß sie nur ein leeres Wort ist Und das ist die Wahrheit; denn im gegenwärtigen Europa ist Deutschland die einzige Macht, die gleichzeitig zwei Verbündete bat. Man fürchtet, versichert man, daß Rußland im Orient seine traditionelle Politik, unter Verkennung deS Programms von Mürzsteg, wieder ausnehmen wird. Aber von wem rührt die erste orientalische Initiative her, wenn nickt von Oesterreich, dem Verbündeten Deutschlands? Eine deutsche Persönlichkeit, die nickt der Regierung angehört, sagte unserem Korrespondenten: „Unsere Geistesverfassung ist recht kompliziert. Aber ich erkenne an, daß das, waS anfängt am beunruhigendsten zu erscheinen, der Eifer der Offi ziösen ist." Warum mäßigt man nickt diesen Eifer, statt ihn auizn- stackeln? Bedauernswert ist diese vorgefaßte Meinung, daß jede Ab- mackung, die ohne Deutschland geschlossen wird, gegen dasselbe genickte» ist; denn sie bat ihre Quelle in der Prätention, die Hegemonie auszu üben. die niemand in Europa annehmen kann. Selbst Herr JauröS. der den Zeitungen jenseits deS RbeinS wenig verdächtig ist, erkannte daS vorgestern in der Kammer an: Deutschland möge ausswren, sich für ver- solgt zu wähnen. ES wird dabei eine ruhige Haltung gewinnen, die sick den anderen Mächten mittcilen wird Die mazedonische Angelegenheit beunruhigt eS, und es verlangt das Recht, nickt seine Ueberzeuauna zn opfern: ganz gut. Aber es soll den anderen Mächten den Vorteil veS-