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Werkeinführung ♦ Bruckners 3. Sinfonie führung im „Goldenen Saal der Gesell schaft der Musikfreunde Wien“ zu ret ten, sprang der Komponist selbst ein - ein wenig geübter Dirigent und kaum Proben mit den eh unwilligen Musikern führten diese Uraufführung in die Kastrophe. Ein Augenzeuge berichtet vom 16. Dezember 1877: „ Es war ein unvergesslich ergreifender Augenblick, als Bruckner am Schlüsse des Konzer tes, ganz allein inmitten des Podiums stehend - denn auch die Orchestermusi ker hatten so schnell als möglich das Weite gesucht - seine Noten zusammen raffte, unter den Arm nahm und, den großen Schlapphut auf dem Kopf, einen langen, wehmuthsvollen Blick auf den völlig leeren Saal warf.“ Grenzenloses Unverständnis war dem Komponisten entgegengeschlagen, selbst der „Kritikerpapst“ Eduard Hans- lick wandte sich nach diesem Konzert von Bruckner ab mit den Worten, „daß wir seine gigantische Symphonie nicht verstanden haben.“ Allerdings war Bruckner auch als Wagnerverehrer in Wien vorverurteilt, was eine Quelle in der Wiener Abendpost am Tag nach dem Konzert verdeutlicht: „Noch bevor Herr Bruckner den Taktstock hob, begann ein Teil des Publikums schon aus dem Saale zu strömen, und dieser Exodus nahm nach jedem Satz immer größere Dimen sionen an, so daß das Finale nur mehr von einer kleinen Schar zum Äußersten entschlossener Waghälse abgespielt wurde.“ Dass an diese Sinfoniefassung viele Kenner glaubten und bis heute glauben, belegte damals, das sich trotz des ereigneten Desasters der Urauf führung schnell ein Verleger fand. Und Gustav Mahler, der „erste Propagandist Bruckners“, verfasste einen vierhändi gen Klavierauszug - beides half der Popularität des Werkes nicht. Also arbeitete Bruckner zehn Jahre spä ter nochmals um, sein Schüler Schalk nahm weitgehende Kürzungen im 4. Satz vor, und 1890 erklang die Version Nr. 3 der 3. Sinfonie mit den Wiener Philharmonikern unter der Leitung von Hans Richter, mit ähnlichem Tumult, allerdings vor begeistertem Publikum: „Es wurde gestampft, getobt, geschrien; nach jedem Satz mußte der Componist wieder und wieder dankend hervortre ten.“ Die Zeit war jetzt reif für die mächtigen Klangphantasien Bruckners, für seine orgelgeprägten satten und dichten Klangfarben. Die Dritte, „die mit der Trompete“, zu deren Widmung Cosima Wagner in ihr Tagebuch notierte: „Wir nehmen die Symphonie von dem armen Organisten Bruckner aus Wien vor...“, diese Sinfo nie zählt heute zu den meistgespielten aus der Feder Anton Bruckners. Jede Aufführung - in allen Fassungen - erlebt von Neuem ein unglaublich küh nes Bekenntnis eines gottgläubigen Musikanten, dass auch heute als etwas Besonderes und Außergewöhnliches empfunden wird. Bruckners Feinde sind schon lange verstummt: Nr. 3 lebt.