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Programmgestaltung: Nach dem 4. Teil sang Amalia Joachim, die Frau des berühmten Geigers, „Ich weiß, daß mein Erlöser lebt" aus Georg Friedrich Händels „Messias" und — begleitet von Joseph Joachim — die Arie „Erbarme dich" aus der Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach, überdies spielte Joachim zwischen den Sät zen des Brahmswerkes einen Satz aus einer Bachschen Violinsonate, einen Sonatensatz von Tartini und seine Transkription des Abend liedes von Robert Schumann (was wohl als Reverenz für die anwe sende Clara Schumann gedacht sein mochte). Ob diese behördlich verursachte .Bereicherung' des Requiems dem von Hanslick ja bescheinigten Er folg des Werkes dienlich war, bleibt zu bezweifeln. überdies findet sich in den Brahms briefen noch eine interessante Be merkung, die nicht unerwähnt blei ben soll: Dem Freund Adolf Schub ring schrieb er unmittelbar vor der Leipziger Uraufführung: „Solltest Du noch nicht die politischen Anspie lungen in meinem Requiem ent deckt haben? ,Gott erhalte' fängt’s gleich an —im Jahr 1866." Ein wenig rätselhaft bleibt diese Notiz allemal: Ein Hamburger Wiener zitiert im „Deutschen Requiem" die österreichische Hymne, zu der es aber seit 1841 auch schon den deutsch-nationa listischen „über-alles-Text" von Hoffmann von Fallersleben gab; darüber hinaus verweist Brahms ausdrücklich auf das Kriegsjahr 1866, also auf die Niederlage Österreichs im Krieg gegen Preußen (oder den Sieg Preußens über die Donaumonarchie?) Das könnten unter anderem poli tische Anspielungen sein — schil lernd und kauzig —, die aber mit dem landläufigen Brahmsbild zu kollidieren scheinen, wenn man zu alledem noch den (von Siegfried Ochs übermittelten) Brahmssatz „Tja, wenn’s keiner hört, schadet’s nicht viel" zur Kenntnis nimmt. Die Leipziger Uraufführung 1869 brachte Brahms fast ohne Ausnahme posi tive Kritiken. Dieser Umstand ist insofern bemerkenswert, als er vor dem Hintergrund erbitterter ästheti scher Meinungsstreitigkeiten zwi schen den „Neudeutschen" auf der einen und den „Klassizisten" oder „Brahminen" auf der anderen Seite zu werten ist. Selbst im Musik journal „Signale für die musikali sche Welt" zählte man das Re quiem „zu den bedeutsamsten Thaten . . ., die von unsrer jüngern und jüngsten Componisten-Gene- ration ausgegangen sind", und in den „Leipziger Nachrichten" hieß es: „Das Werk von Johannes Brahms hat in seinem Totale auf uns einen wahrhaft erhebenden Eindruck hinterlassen, uns ausge söhnt mit den Widersprüchen des Lebens, daß wir nicht Abstand nehmen, es als die bedeutendste Tonschöpfung der sechziger Jahre hinzustellen." UteWollny