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Deutsche Allgemeine Zeitung «Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz!» Cernirung am 20. Sept, erstatteten Berichts über die verfügbaren LebenSmittclvorräthe) „nur noch für drei Tage Ochsenfleisch hat", während die Hammel längst, wahrscheinlich aber auch schon die Schweine bereit« verzehrt und die Mehlvorräthe gleichfalls zu Ende sind — wenn dem so ist (und man wird im deut schen Hauptquartiere wol wissen, wie es in Paris steht, oder eS wäre vaS erste mal, daß unsere deutsche Kriegführung über die Lage des Gegners nicht genau unterrichtet gewesen wäre!), so begreift sich auf der einen Seite ein Vorschlag wie der von Bismarck ge machte, und auf der andern der gewaltige Ausbruch von Verzweiflung und Erbitterung, den derselbe in Paris hervorgebracht hat. Ein soeben eintreffendes Telegramm aus London nöthigt unS, noch einmal auf die VerproviantirungS- frage zurückzukommen. Daily Telegraph, bekanntlich nebst der Morning Post das franzosenfreundlichste Blatt Londons, übersetzt, was gestern noch bei letzterer ein bloßer Vorschlag von französischer (!) Seite war, heute in eine vollendete Thatsache. Der Waffenstill stand sei abgeschloffen auf die Bedingung, daß Paris täglich neu verproviantirt werden dürfe. Wir wiederholen: ein Waffenstillstand auf eine solche Bedingung hin wäre so absurd, baß wir eS für eine Beleidigung Bismarck's halten, ihm die Annahme, geschweige die Initiative eines derartigen Abkommens zuzutrauen. Die Sache steht vielmehreinfach so: entweder weist Paris, welches bisher Frankreich tyrannistrte und durch den Druck, den es übte, jede verständigere, dem Frieden zugeneigte Richtung im französischen Volke gewaltsam niederhielt, den angebotenen Waffenstillstand zurück — dann verfällt es seinem unausweichlichen Schicksal, der Beschießung; oder es nimmt ihn an, dann wird es, da die ganze Last des fortgesetzten mi litärischen Statusquo nur auf Paris drückt, indem dieses täglich mehr dem Hunger verfallen muß, noth gedrungen vielmehr auf Beschleunigung der Friedens verhandlungen hiudrängen müssen, als etwa dagegen opponiren können. Aus dieser eisernen Schraube kann eS, mag es sich winden, wie es will, nicht heraus, und daran werden auch Volksbewegungen im Innern nichts ändern. Kaum sollte man meinen, daß die klägliche Rolle, welche die französischen Landheere in diesem Kriege gespielt haben, noch übertroffen werden könnte. Diese schwierige Leistung war der französischen Flotte Vorbehalten. Nachdem dieselbe sich im ersten Ab schnitte des Krieges in der Nähe unserer Häfen ge zeigt hatte, war sie eines schönen Tages Plötzlich wieder verschwunden; vor kurzem hatte sie bekanntlich wieder einen Abstecher nach unsern Küsten gemacht, um alsbald wieder zu verschwinden. Man war lange im Zweifel darüber, ob diese vielleicht nur scheinbare Unthätigkeit nicht irgendein großes Manöver verdecken Leipzig, 5. Nov. Der Waffenstillstand, wie er von unserm Bundeskanzler vorgeschlagen worden, hat hüben und drüben MiSfallen erregt. Von den berliner Blättern war es namentlich die National-Zeitung, welche sich un zufrieden damit bezeigte und in der Gewährung einer Waffenruhe von nahezu vier Wochen „ohne weitere Garantien" eine Dahingabe unserer jetzt so trefflichen militärischen Stellung, ja nahezu eine Gefährdung unserer ganzen fernern Kriegführung, falls es nicht zum Frieden komme, erblickte. Aber auch die sonst so selien oppositionelle und gegenüber den maßgebenden Kreisen so vertrauensvolle Spcner'sche Zeitung ver hehlte ihre großen Bedenken gegen diese Art von Waf fenstillstand nicht. Frankreich, sagen diese und an dere Stimmen, kann seine Rüstungen, namentlich die Bildung von Freischaren, während eines solchen Waf fenstillstandes uncontrolirt und uncontrolirbar fortsetzen und somit nach dem Ablauf der 25 Tage uns ganz anders wehrhaft gegenübertreten als jetzt. Auffallenderweise ist diesmal die Berliner Börsen- Zeitung — sie, welche sonst nicht selten die Maß regeln der Bundesregierung anficht — dasjenige ber liner Blatt, das (neben den osficiösen oder sonst der Negierung nahe stehenden) sich am rückhaltslosesten mit dem Vorgehen Bismarcks in der Waffenstillstandsfrage einverstanden bezeigt. Und zwar ganz aus demselben Grunde, aus welchem auch wir unser anfängliches Bedenken gegen den vorgeschlagcnen Waffenstillstand überwanden und (wie unsere gestrige Uebersicht be kundet) diesen Vorschlag (wir sagen nicht' den Waffenstillstand) als fach- und zeitgemäß seitens der deutschen Diplomatie erkannten. Gleich uns faßt auch die Berliner Börsen-Zeitung Paris als den Haupt- und Angelpunkt der ganzen gegenwärtigen militärischen und politischen Lage Frank reichs ins Auge. Die entscheidende Frage ist: kann, wird sich Paris noch 25 Tagelang halten, wenn eS auch nur fortwährend so eng, wie bisher, cernirt, wenn es auch nicht beschossen wird. Denn das be trachten wir allerdings als selbstverständlich, daß die vollständige Abschließung von Paris, so wie sie jetzt stattfindet, somit auch die Unmöglichkeit einer Ver- proviantirung der Stadt, während der Waffenruhe unverändert fortbestehen müßte. Anders hätte der Passus vom „militärischen Statusquo" keinen Sinn; anders würde Bismarck, anders würde Moltke in einen solchen militärischen Statusquo niemals gewil ligt haben. Die gegentheilige Auffassung, daß Paris während dieser Zeit sich täglich neu verproviantiren könne u. dgl., mag die Wünsche der Freunde Frank reichs ausdrücken, aber selbst nur die Gestalt von wirklichen Vorschlägen, etwa von einer oder der an dern neutralen Macht (wie wol gefabelt ward), hat sie gewiß nicht angenommen; dazu ist sie zu ab geschmackt. Ar. WO. Leipzig. «rjchelxt außer Sonntag« täglich. Preis vierteljährlich, r Thlr., jede einzelne Nummer s Ngr. Sonntag, 6. November 1870. Inserate fiud an Haaicnstein w Vogler in Leipzig oder an deren übrige Häuser zu senden. Insertionsgebühr sllr die Spaltenzeile l r/, Ngr., unter Eingesandt Ngr. Wir glauben daher, daß der Gedanke, der den Bundeskanzler bei diesem Waffenstillstandsvorschlage leitete, von der Berliner Börsen-Zeitung richtig wie dergegeben worden ist, wenn st« sagt: „Jedermann weiß — Graf Bismarck so gut wie Hr. Thiers — daß ganz Paris nach 25 Tagt« bereits verhungert sein würde. Folglich ist BiSm«ck's Proposition wol mehr eine scharfe Nöthigung des Gegners, das Ver zweifelte seiner Lage einzugestehea, als ein mit Aussicht auf Erfolg gemachter Vorschlag." Ganz dasselbe deuteten wir bereit« am Schluffe unserer gestrigen Uebersicht an, indem wir die Frage aufwarfen: was denn nun wol die Franzosen diesen so gerechten und so mäßigen Bedingungen entgegen setzen würden? Auf diese Frage ist bereits die Antwort, und zwar eine sehr handgreifliche Antwort erfolgt. Wäh rend die provisorische Regierung zu Paris, oder we nigstens ihr militärisches Haupt, General Trochu, den Bismarck'schen Vorschlag in Erwägung ziehen zu müssen glaubte, regte derselbe die wildern Elemente der Bevölkerung und ihre revolutionären Führer zu so großer Erbitterung an, daß eine förmliche neue Revolution ausbrach, ein Wohlfahrtsausschuß gebil det, die Mitglieder der bisherigen Negierung theils mishandelt, theils gefangen gesetzt wurden, und es nur mit Hülfe des treu gebliebenen Theils der Na tionalgarde endlich gelang, die Gefangenen zu be freien und die Ordnung momentan wiederherzustellen. Damit ist die Ansicht der Spener'schen Zeitung, welche meint, „selbst die krieg-wüthigste Fraktion der Regierung" müsse bei einem solchen Waffenstillstands- Vorschläge „mit beiden Händen zugreifen", wenigstens insofern entkräftet, als man sieht, daß es, wo nicht im Schose der jetzigen Regierung (was Hr. Gambetta zu dem Vorschläge sagen wird, wissen wir noch nicht), doch neben und über ihr, im souveränen Volke von Paris, „Fractionen" gibt, die einen solchen Waffen stillstand als „Verrath" betrachten und verwerfen. Auch läßt sich das Gefühl, von welchem die pa riser Bevölkerung, und zumal die zahlreichste Klaffe derselben, die Arbeiter, bei dem Gedanken an eine noch 25 Tage lang fortgesetzte Aushungerung der Stadt ergriffen wird, wohl vorstellen. Versetzen wir uns in die Lage jener nicht Tausende, sondern Hun derttausende, welche schon jetzt durch die Theuerung aller Lebensmittel jedenfalls furchtbar leiden und nun die Aussicht hätten, diese Nahrungsmittelnoth von Tag zu Tag bis zum förmlichen Mangel an allen noth wendigen Lebensbedürfnissen steigen zu sehen, und wir können den Verzweiflungsausbruch der ohnehin längst von Rednern der alleräußersten Parteien bearbeiteten Mafien uns wohl erklären. Wenn wirklich Paris, wie heute die Berliner Börsen-Zeitung ausrcchnet (und zwar auf Grund eines vom Maire von Paris selbst vor Beginn der Aus dem dresdener Leben. -o- Dresden, Ende Oktober. Als ein wahrheits liebender Berichterstatter kann und will ich nicht leug nen, daß das Scheitern aller FriedcnSverhandlungen auch uns Dresdener nicht gerade angenehm überrascht hat. AuS diesen Geständnissen dürfen Sie aber keines wegs den Schluß ziehen, als ob man hier in Dres den geneigt wäre, mit einem „faulen" Frieden zufrie den zu sein; nein, so weit geht unsere Genügsamkeit und Bescheidenheit denn doch nicht. Wir wünschen den Frieden so sehnlichst, als dies nur irgendwo sonst im lieben deutschen Vaterlande der Fall sein mag, aber wir wollen keinen Frieben, dessen Resultat nicht die gründliche Schwächung Frankreichs in sich schließt und der uns nicht den Besitz von Elsaß und von Deutsch-Lothringen mit Metz und Thionville sichert. Möglich, daß die Reise des alten Thiers nach Ver sailles nicht ganz ohne Erfolg bleibt; wir fürchten jedoch, paß nur Pulver und Blei im Stande sein werden, einen wirklichen Frieden ins Leben zu rufen, Das außergewöhnlich große Nordlicht, welches am 24- und 25. Oct. auch hier den Himmel hoch bis zum Zcnith mit einem dunkeln Purpurroth färbte, er innerte nur zu lebhaft an die Worte des Kapuziners in Schiller's „Wallenstein": Es ist eine Zeit der Thränen und Noth, Am Himmel geschehen Zeichen und Wunder, Und aus deu Wolken, blutigroth, Hängt der Herrgott den KricgSmantel 'runter. Die Größe der EinquartierungSlast, die mit der Zeit gar drückend für unsere Stadt wird, hat unsere Stadtverordneten kürzlich veranlaßt, energische Schritte zu thun, um die in dieser Hinsicht obwaltenden MiS- bräuche und Uebelstände abzuschaffen. Hoffen wir, daß dieses Vorangehen von einem günstigen Resultate be gleitet sein wird! Wenn eS übrigens wahr ist, daß in Leipzig und anderswo bereits Vergütungen für statt gefundene Einquartierungen gegeben wurden, so ist eS allerdings sehr wunderbar, daß man hier in Dresden noch gar nicht daran denkt, in ähnlicher Weise die Einquartierungslast zu erleichtern. Die Auflösung des übel berüchtigten Club francais, der längere Zeit ungestört seine deutschfeindliche und franzosenfreundliche Existenz fristete, ist unter einem schlecht angebrachten, um nicht zu sagen unverschämten, Protest erfolgt. An der Spitze desselben stand ein ge wisser Schweizer-Franzose, der Professor Hessöle, der früher Lehrer am hiesigen Cadettenhause war und die Leitung des verrufenen Bulletin international besorgte. Wir wissen uns frei von aller Franzosenfresserei; wenn aber das wahr ist, was ein hiesiges Blatt berichtete und von dessen Widerlegung wir nichts vernommen haben, so können wir doch beim besten Willen nicht umhin, unter den gegenwärtigen Umständen eS im höchsten Grade auffällig zu finden, daß ein Mensch wie der genannte Hr. Hessele als ehemaliger Professor am hiesigen Cadettenhause eine Staatspenston erhält und noch dazu, wie der amtliche Adreßkalender ausweist, als „Professor und ordentlicher Lehrer der französischen Sprache und Literatur an der königlichen Polytech nischen Schule" wirkt. Die Antecedentien des Hrn. Hessele lassen unmöglich die Annahme zu, daß sein Wirken am Polytechnikum in einem deutsch-patrioti schen Sinne ein segensreiches sein kann. Wenn wir Ihnen vor nicht langer Zeit meldeten, daß Professor Hähnel der Schöpfer einer ausgezeich neten Körner-Statue war, so können wir Ihnen dies mal mittheilen, daß Gustav Kietz, der fähige Schüler und langjährige Mitarbeiter Ernst Rietschel's, kürz lich das Modell einer Uhland-Statue vollendete, welche für Tübingen bestimmt ist. Bekanntlich half Kietz mit den ebenfalls hier lebenden Künstlern Schil ling und Tonndorf wesentlich an der Vollendung de« Luther-Monuments zu Worms, jenes letzten Meister werks des nur zu früh verstorbenen Rietschel. Von Kietz sind auf diesem Monument die Statue von Huß, die übrigens keinen allseitigen Beifall findet, die Gestalten Philipp's des Großmüthigen und Me- lanchthon's, und eine Frauenfigur, welche die Stadt Augsburg darstellen soll. Die in Rede stehende Uhland-Statue ist eine vollkommen würdige und künstlerisch schöne Auffassung und Darstellung des edeln Dichters. Die rechte Hand hält, aus der Brust ruhend, eine Schriftrolle, während der linke Arm mit leichtgeballter Faust ungezwungen herabhängt. Der stark ausgebildete Kopf, welcher den Schwaben- typuö nicht verleugnet, ruht auf der kräftigen Gestalt, die fast durchweg, bei großer Porträtähnlichkcit, die Charakterfestigkeit und das ganze geistige Wesen Uhland's auSdrückt. Das hohe, viereckige Postament, worauf die Statue zu stehen kommt, trägt auf der vordern Seite eine passende Inschrift; auf den übri gen drei Seiten, welche mit gefällig und schön aus- geführten Reliefs geschmückt sind, befinden sich drei weibliche Gestalten, die drei Hauptrichtungen der GeisteSthätigkeit des gefeierten Mannes darstellend: