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15. Juli 1902. Berichte über Versammlungen aus Fachvereinen. Stahl und Eisen. 789 Berichte über Versammlungen aus Fachvereinen. IX. Internationaler Schiffahrts-Congrefs in Düsseldorf. Der Congrefs mit annähernd 2400 Theilnehmern begann am 29. Juni in der Tonhalle mit einer Be- grüfsungsfeier, welche durch eine Rede des ersten Präsidenten des Congresses Herrn Ministerialdirector Schultz-Berlin eingeleitet wurde. In der ersten Plenarsitzung am 30. Juni, an welcher auch der deutsche Kronprinz theilnahm, hielt zunächst Ministerialdirector Präsident Schultz eine Ansprache, in der er einen Rückblick auf die ver flossenen Schiffahrts-Congresse warf, besonders auf den ersten auf deutschem Boden, der in Frankfurt a. M. unter dem Vorsitz des nachmaligen Finanzministers Miquel stattfand. Eingehend auf die Entstehung und Bedeutung dieser internationalen Schiffahrts-Congresse, deren Begründer der belgische Civilingenieur August Gobert ist, führte er aus: auf dem diesjährigen Congrefs erscheine das Deutsche Reich zum erstenmal in eigener Vertretung. Sodann gab er eine Uebersicht über das, was seit dem Jahre 1900, in welchem der letzte Con grefs abgehalten wurde, in Deutschland auf dem Gebiet der Wasserwirthschaft geschehen ist. Er schlofs mit den Worten: Wenn es auch bis her nicht geglückt ist, die schon auf den früheren Congressen erwähnte grofse wasserwirthschaftliche Vorlage unter Dach und Fach zu bringen, so halten wir doch an der Hoffnung, dafs dies bei der nächsten Wiedervorlage gelingen wird, unentmuthigt fest. Heber die Nothwendigkeit einzelner der in dieser Vorlage ent haltenen Projecte herrscht schon jetzt Einverständnifs, und die Anzeichen dafür, dafs auch eine Einigung über die anderen, von den Vertretern der vorzugsweise Ackerbau treibenden Bevölkerungskreise bekämpften Projecte zu erzielen sein wird, sind im Wachsen be griffen. Wie die einsichtigen Vertreter der Industrie den berechtigten Forderungen der Agrarier entgegen zukommen bereit sind, so werden auch diese die schon zu lange unerfüllt gebliebene, bei der jetzigen Depression der Industrie sich als immer dringlicher herausstellende Nothwendigkeit des weiteren Ausbaues der künstlichen Wasserstrafsen anerkennen müssen, besonders wenn die Lage unserer Staatsfinanzen wieder sich gebessert haben wird und wenn es gelingt, auch den von diesen künstlichen Wasserstrafsen nicht direct berührten Landestheilen eine Erleichterung der Production durch Ermäfsigung der Tarife zu gewähren. Wie uns von den Vertretern des uns so befreundeten Nachbarreiches Oesterreich - Ungarn bereitwillig zugestanden ist, dafs die technischen und wirthschaftlichen Vorbereitungen für unsere Wasserstrafsenvorlagen zu dem Zustande kommen ihrer eigenen gleichen Vorlage wesentlich beigetragen haben, so hoffen auch wir, dafs die An strengungen, welche diese Monarchie, desgleichen Frankreich und andere Staaten machen, um ihre Wasserstrafsen stetig zu verbessern und zu vermehren, auch unsere Landes Vertretung zur Annahme dar Vor schläge der Regierung bestimmen und willig machen werden, ebenso hoffen wir auf den unterstützenden, belehrenden, aufklärenden Einflufs der Verhandlungen unseres Congresses, der, wie wir dankbar anerkennen, eine so überaus stattliche Reihe von Männern gröfster Bedeutung und glänzendsten Rufes zu seinen Mitgliedern zählt und von so vielen Staaten und in so umfang reicher, vielseitiger Vertretung beschickt ist, wie noch keiner seiner Vorgänger. Unsere gröfste Hoffnung setzen wir aber auf unseren erhabenen Souverän, dessen Interesse für alles das, was der Verbesserung und Er leichterung des Verkehrs dient, und insbesondere für die Vermehrung der künstlichen Wasserstrafsen stets das gleiche bleibt, und dem, wie wir ja Alle wissen, es bisher immer geglückt ist, das, was er in seiner Weis heit als gut, heilsam und nothwendig erkannt hat, wenn auch häufig erst nach Ueberwindung zähen Wider standes und nach langen Kämpfen, durchzusetzen. Lassen Sie uns, nach altgeheiligter Sitte, unsere Ver handlungen beginnen, indem wir an erster Stelle derer gedenken, die an die Spitze unserer Staaten gestellt sind, und indem wir rufen: Se. Majestät, der deutsche Kaiser, König von Preufsen, und die Oberhäupter aller der Staaten, welche auf unserem Congresse ver treten sind, hoch, hoch, hoch! Oberbaudirector Dr. Franzius-Bremen nahm hierauf das Wort zu folgender Ansprache an den Kronprinzen: Eure Kaiserliche und Königliche Hoheit wollen gnädigst gestatten, dafs ich im Namen des IX. Inter nationalen Schiffahrts-Congresses Eurer Kaiserlichen und Königlichen Hoheit den allerehrerbietigsten Dank für die Uebernahme des Protectorats ausspreche. Die in den letzten drei Decennien aufgetretenen Steigerungen des Verkehrs haben die Ansprüche an die Binnen schiffahrt und die Seeschiffahrt etwa in gleichem Mafse gesteigert. Wo vor 30 Jahren ein Binnenschiff 100 bis 200 t, ein Seeschiff 2000 t trug, verlangt der heutige Verkehr Binnenschiffe von 1000 und Seeschiffe bis zu 20 000 t. Mit diesen gesteigerten Ansprüchen sind aber die technischen und wirthschaftlichen Schwierig keiten mehr als in gleichem Mafse gewachsen. Kanäle und Flüsse, Häfen und Hafenstrafsen für solche früher ungeahnte Fahrzeuge herzustellen und zu unterhalten, das konnte auch den kühnsten und erfahrensten Wasser bautechniker und Wirthschaftsmann in Augst versetzen. Da war es eine hocherfreuliche That, dafs vor 17 Jahren der erste Congrefs, und zwar zunächst nur für Binnen schiffahrt, sich bildete, um die jeweiligen wichtigsten und schwierigsten Fragen durch schriftliche Bearbeitung von Autoritäten und sodann durch mündlichen Meinungs austausch in den Sitzungen des Congresses aufklären und lösen zu lassen. Dadurch nun, dafs alle diese Bestrebungen von den berufensten Vertretern aller ge bildeten Nationen in freundschaftlichem Wettstreite gefördert werden, liefert die Einrichtung der Schiff- fahrts-Congresse den Beweis für die ideale Thatsache, wie sehr alle Nationen von dem Wunsche nach fried lichem Zusammengehen durchdrungen sind und wie hoch sie die gemeinsame Arbeit Aller schätzen. Haben wir nun zwar in Deutschland das grofse Glück, dafs wir in unserem erhabenen Kaiser Wilhelm II. den klarsten und kräftigsten Vertreter dieser modernen Ideen besitzen, wofür uns seine schönen Worte: „Wir stehen im Zeichen des Verkehrs“ und „Unsere Zukunft liegt auf dem Wasser“ frohe Bürgschaft geben, so müssen gerade wir Deutschen es auch mit Schmerz empfinden, dafs sich der Schaffung und Ausbildung unserer Binnenwasserstrafsen noch so grofse innere Widerstände entgegenstellen, und müssen es fast mit Neid ansehen, wie unsere Nachbar-Nationen uns dabei zu überflügeln drohen. Um so erfreulicher ist es aber wieder für uns Deutsche, dafs trotz alledem und schon bald, bei dem ersten Hervortreten in das öffentliche Leben von Eurer Kaiserlichen und Königlichen Hoheit auch das Protectorat des Schiffahrts-Congresses über nommen worden ist, denn wir dürfen daraus die freudige XIV.22 4