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Leben gründlich verändern sollte. Durch die Verwendung von unterschiedlichen Stil mitteln, eben auch experimentell neuen, zu einer sehr gemischten - man möchte sagen pluralistischen - Tonsprache, geriet er auf den Weg, der ihn von der stalinistischen Doktrin eines „sozialistischen Realismus“ weit entfernte. Wenn auch heute diese Oper durchaus als ein musiktheatralisches Schlüsselwerk des 20. Jahrhunderts ange sehen werden kann, reagierte seinerzeit die Partei prompt. In einem Prawda-Artikel (1936) - vermutlich sogar von Stalin selbst in Auftrag gegeben - wurde ihm „Chaos statt Musik“ vorgeworfen. Es sollte ein Ex empel statuiert werden, um auch anderen Künstlern den „rechten Weg“ in Richtung einer sozialistisch-realistischen Kunstauf fassung zu weisen. Aus ähnlichen Schmäh schriften - der offiziellen Meinung der Machthaber - waren sehr rasch Verfolgun gen, sogar Verhaftungen und gelegentlich Todesurteile erwachsen. Wirkliche Begrün dungen für „staatsfeindliche“ Haltungen waren schnell zu finden. Unter derartigem Druck wurde „Lady Macbeth“ abgesetzt und erst 1963 in einer überarbeiteten Fas sung unter anderem Titel („Katerina Ismai lowa“) erneut inszeniert. Schostakowitsch mußte seither in ständiger Angst leben, der „Säuberung“ Stalins zum Opfer zu fallen. Er zog weitere Werke zurück und begann, in neueren Kompositionen seine ästhetischen Ansichten zu verdecken und kompositions technische Mittel zu verändern. Die radi kalen Positionen der zwanziger Jahre schienen für ihn urplötzlich keine Zukunft mehr zu haben. Er konzentrierte sich jetzt mehr auf die Ausarbeitung eines klareren, ansprechenderen Stils mit Rückwendung auf klassische, auch russische Vorbilder. Im Prawda-Artikel heißt es: „Das Publi kum wird von Anfang an mit ab sichtlich disharmoni schen, chaotischen Tönen überschüttet. Melodiefetzen und Ansätze von Musik phrasen erscheinen nur, um sogleich wie der unter Krachen, Knirschen und Ge kreisch zu verschwin den ... Alles ist grob, primitiv und trivial. ... Der Komponist... chiffrierte seine Musik durch Zusam menklänge, die nur Formalisten und Ästheten interessie ren können, deren Geschmack sich schon längst verformt hat. Er kümmert sich nicht um du Erwar tungen der sowjeti schen Kultur, die jede Form von Grobheit aus der Kunst und jede Form von Wild heit aus den letzten Winkeln unseres Leben verbannen möchte. ... Dieses Spiel kann böse enden. “