Volltext Seite (XML)
Nachdruck verboten. »Ist Luzie bei euch?" fragte er dagegen. „Dein Mann sagt nein. Aber er hat dabei ein Lächeln in den Augen winkeln. Und er steckt vielleicht mit dem Irrwisch durch Du aber wirst mich nicht belügen!" „Da soll man nicht lächeln, wenn ein gesetzter Herr Professor — noch dazu ein Archäologe — ganz unsach gemäß einem solchen frischgebackenen Deubelchcn wie unserer Luzie auf den Spuren folgt!" entschuldigte sich der Baron und zwinkerte seiner Frau aus den Augen winkeln zu. „Erlaube", erwiderte oie lächelnd. „Luzie ist oreiund- zwanzig Jahre alt, grade in den Jahren, wo gesetzte Herren einer jungen Dame nachzureiscn die besten Aus sichten haben. Aber ich muh dich enttäuschen, Herbert. Wir haben seit Wochen von Luzie nichts gehört. Sie ist ja so schreibfaul. Ach, weißt du, und sie hat auch ein bißchen z u wenig Familiensinn. Ich weiß nur, daß sie nach Rostock wollte. Davon, daß sie schon da ist, weiß ich nichts!" „Luzie ist ein kleines Ekel", sagte überzeugt der Baron, „aber ein elterlichstes kleines Ekel. Man muß ihr gut sein!" „Kommt denn Tante Luzie?" fragte Ingeborg da zwischen. „Tante Luzie ist s o nett!" „Hoffentlich kommt sie", sagte liebenswürdig die Baronin, obwohl sie sich eines leisen Gefühls der Eifer sucht nicht erwehren konnte, „und du, Herbert, bist nur ihr willkommener Vorbote! Sag einmal ehrlich: seid ihr schon verlobt — oder hat es noch nicht geklappt?" „Ach du liebe Zeit! Luzie und sich verloben! Und noch dazu mit mir! Will ich mal ein bißchen Flirt mit ihr machen — nur zum Training — was tut sie? Onkel sagt sie zu mir. Ausgerechnet Onkel.. Bloß, weil ich eine Zeitlang ihr Vormund gewesen bin ... Wahrhaftig doch nur pro lorma. Denn sie ließ sich mit siebzehn Jahren ja schon in nichts hereinreden!" „Eigentlich triffst du es nicht gut, Herbert", fuhr die Baronin fort, das Thema Luzie vorderhand fallen lassend. „Gustav hat dir vielleicht schon erzählt... Wir sind recht aufgeregt... Es ist heule nacht bei uns eingebrochen worden, und viel Silberzeug und auch Schmucksachen sind abhanden gekommen. Wer weiß, was noch alles fort geschleppt worden wäre, aber der Gärtner sah Licht im Eßzimmer und schlug Lärm... Leider ein wenig un geschickt. Die Menschen sind entkommen!" Giseler schüttelte den Kopf. „Das sind Zeiten!" sagte er etwas konventionell. „Eine allgemeine Verderbnis greift immer mehr um sich!" Hertha lachte hellauf. „Wieso?" fragte Herbert etwas verletzt. „Bist du anderer Meinung?" „Es klingt so seltsam", machte beschämt die Baronin, „wenn du das so sagst! Man hört, daß du an ganz etwas anderes denkst. An das Schwesterchen! Also lassen wir alles sonst. Erzähl lieber, wie du auf den Gedanken kommst, Luzie sei bei uns!" „Ach, was soll ihr schon passiert sein?" meinte ge mütlich der Baron, als Giseler seine Erzählung beendet hatte. Man hatte sich auf die wcißgcstrichcnen Stühle um einen weißen Tisch gesetzt, der unter einer großen Linde dicht vor der Veranda im Garten stand. Schcttelcr hatte einen Wink gegeben. Ein Hausmädchen brachte Wein und ein paar Er frischungen. „Ich vermute nach allem, was du sagst, Herbert", schloß sich Hertha der Meinung ihres Mannes an, „daß sie, sozusagen ohne ihr eigenes Vorwissen, einen größeren Ausflug zu Wasser oder zu Lande macht. Es ist sehr mög lich, daß sie hierherkommt. Es wäre für uns eine große Freude, wenn du ein paar Tage bei uns bleiben würdest!" „Das tut er selbstredend", fiel Schetteler ein. „Hier herrscht Terror. Niemand kommt ohne Lösegeld von uns fort. Das Lösegeld, das wir von Ihnen fordern werden, Professor, ist noch zu bestimmen!" „Ich muß Mama telephonieren", sagte Giseler — und es klang ein klein bißchen zu artig und naiv für einen Mann in seinen Jahren und seiner Stellung. „Doch! Ich bleibe schrecklich gern. Es ist ja herrlich hier. Hertha, du bist ja die geborene Gutsfrau. Du paßt hierher! Besser als nach Rostock!" „Du meinst, ich hätte etwas Rustikales und Derbes — eine rechte Landpomeranze wäre ich — nicht wahr?" „Aber Hertha..wehrte Giseler ehrlich entsetzt. Doch ehe er mehr sagen konnte, tam das Mädchen zurück und «sagte mit gedämpfter Stimme ein paar Worte zu dem «Äaron. „Aha!" machte der befriedigt. „Er ist da, Hertha. Ich -will mich erst mal unter vier Augen mit ihm besprechen! lKann ich ihn zum Abendbrot einladen?" „Wenn er die Manieren danach hat, gewiß!" Der Baron ging ein bißchen schwerfällig, wie er nun Mmal war, dem Hause zu. Hertha sah ihm nach. Ein Meiner Schleier lag über dem Glanz ihrer schönen Augen. WU Giselers Rankheit verglichen, wirkte Schetteler wenig Vorteilhaft, nicht einmal vornehm. Land Wirt mehr als Mmd>jf«ipker. ? Augeborg splelte^mit*zwei Teckeln auf.dem Nasen — MDrAtzrweite.^ " Hertha schlug das Herz. Was sie sich seit Jahren gewünscht hatte, das war jetzt eingctreten. E r war da — und sie war allein mit ihm. Es legte sich ihr aufs Herz wie ein Alp. Nichts tut so weh, als wenn Wünsche, die sich erfüllen, uns in der Erfüllung enttäuschen. Sie empfand, daß er nichts als Konventionelles ihr gegenüber fühlte. Eine wohlwollende Brüderlichkeit, höch stens. Ach — und darum Jahre der Sehnsucht, der Träumerei, des Heimwehs selbst! „Hertha", sagteFliseler mit guter Stimme, weil er das seltsame Spiel des Empfindungen auf ihrem Antlitz sah, „du bist doch glücklich?" Sie lächelte melancholisch. „Was heißt schon glücklich, Herbert? Ich habe einen lieben Mann. Inge gedeiht zu unserer Hcrzfreude! Wir sind gesund! Es fehlt uns an nichts! Und doch: glücklich? Das ist ein Wort, das Illusionen in sich schließt, für die ich mit meinen fast vierzig Jahren — bedenke, ich bin drei Jahre älter als du! — keine Verwendung habe." Das klang einfach und unsentimental. „Du hast ja recht", gab er zögernd zu. Schetteler kam schon zurück. Mit ihm näherte sich ein eleganter, überschlanker junger Herr der Hausfrau und begann schon von weitem höflich zu dienern und zu grüßen. „Also, Hertha — Hcrr Bredena! Herr Bredena, meine Frau! Professor Giseler. Sie müssen nämlich wissen, Professor, ich liebe saubere und exakte Arbeit. Unsere Polizei ist mir viel zu konventionell. Dies hier stellt einen Detektiv dar. Dieser Detektiv ist per Telegramm heute morgen aus Lübeck verschrieben und in vorschriftsmäßiger Verpackung soeben eingetroffen. Herr Bredena hat schon so seine Vermutungen. Hast vu von den Einbrüchen in Binz gelesen, Hertha? Tolle Sache! Nichtig, wir sprachen ja schon mal darüber. Herr Bredena meint, daß es sich um dieselben Leute handele!" Bredena hatte inzwischen Platz genommen und rieb den Fuß des Glases, das ihm der Baron mit Wein gefüllt hatte, zwischen seinen Fingern. Da er dazu ein nach denkliches Gesicht machte, und da dies Gesicht das eines gescheiten und liebenswürdigen jungen Mannes zu sein schien, wirkte diese Beschäftigung indessen weniger un gewandt als zerstreut. „Es kann fast nicht anders sein", sagte er langsam. „Ich habe mich mit der ganzen Angelegenheit bereits ein mal, allerdings erfolglos, aber doch nicht fruchtlos, be schäftigt. Es handelt sich um eine wohlorganisierte Bande. Sie scheinen eine weibliche Kraft von außerordentlicher Begabung zur Verfügung zu haben, die immer als Kur gast das tut, was man ausbaldowern nennt. Sie gibt dann Winke und Anweisungen. Verrät sich aber nie — bis jetzt nie. Weder durch eine rasche Abreise, noch durch Nervosität, noch durch irgend etwas anderes, wodurch sich Verbrecherinnen erfahrungsgemäß eines Tages selbst ihr Grab graben -- sozusagen. Ich war in einem Hotel, in dem ein solcher Einbruch stattgefunden hatte. Es war noch keiner der Gäste seit dem Ereignis fortgereist. Ich habe jede einzelne Person bis aufs genaueste beobachtet, ihr Vorleben erforscht — keine schien verdächtig; eine muß es, meiner Meinung nach, gewesen sein. Eine ganz geschickte, raffinierte, aber auch kluge und gewanvte Person muß es sein — und ich bin gespannt, wie und wo sie eines Tages ins Netz geht. Meistens plaudern sie in einer schwachen Stunde irgendeinem Vertrauten gegen über doch einmal... Und dieser Vertraute braucht gar kein Verräter zu sein oder zu werden. Bewahre. Aber ein Geheimnis, das zwei kennen, i st kein Geheimnis mehr. Und eines Tages findet sich eine Lücke, durch die es in die Oeffentlichkeit sickert — und die Sache wird perfekt. Per fekt — von unserem Standpunkt aus. Wir können den Zugriff vollziehen. VerbrecheMuen sollte man zum Schweigen gradezu eidlich verpflichten!" „Ach!" sagte verwundert die Baronin. „Ich hätte ge dacht, sie würden ganz von selbst so klug sein!" „Das sind sie auch", erläuterte Bredena, mit Interesse -er Frage nachgehend. „Aber — es liegt wohl im Wesen des außergesetzlichen Handelns — eines Tages wird ihnen die Last zu schwer. Sie versuchen, sie abzuwälzen, zu teilen — sie suchen einen Trost, eine Zuflucht." „Das kann man verstehen!" meinte Giseler. „So ein armes Wesen kann einem richtig leid tun. Not macht mehr Verbrecher als Schlechtigkeit, nicht wahr?" Bredena wiegte nachdenklich den Kopf. „Ungesetzliche Handlungen, die aus Not begangen werden, kann man nicht ohne weiteres Verbrechen nennen, selbst wenn sie einem Verbrechen aufs Haar gleichen. Wirkliche Verbrecher handeln aus Neigung, wenn das Wort erlaubt ist, aus.innerem Verus' — mau kann schon sagen, daß von den wirklich berühmten Größen der Kriminalgcschichte wenige aus eigentlicher Not zu ihrer Laufbahn gekommen sind." „Schrecklich traurig", seufzte die Baronin. „Ich glaube, diese Menschen", fuhr unerbittlich der Detektiv in dem ihn interessierenden Thema fort, „fühlen sich in ihrer Haut sehr wohl. Sie empfinden ihr Tun als eine Art gefahrvollen, doch höchst ehrenhaften Sportes. Sie lieben die Gefahr und spielen mit ihr. Es sind oft MM, unternehMende Menschen. Mr kUminellMhuM Leute seyen h'eute im gewohnheitsmäßigen Verbreche^ einen Kranken, einen anormal veranlagten mehr, als einen schlechten Menschen. Aber freilich muß man sie doch be kämpfen. Nur, vielleicht, bekämpft man sie mit dieser Ein sicht wirkungsvoller und gründlicher!" „Hoffentlich gelingt cs, ihrer habhaft zu werden!" warf gemächlich der Baron dazwischen. „Wenn es mir ast meinen Besitz geht, werde ich ungemütlich!" Ingeborg lief herbei. „Redet ihr noch von Tante Luzie?" fragte sie naiv. „Lange schon nicht mehr, mein Kind", sagte die Baronin, unangenehm berührt durch die harmlose Frage. „Sag dem Besuch guten Tag, Inge!" Giseler war ein wenig unruhig. Das Gespräch ließ ihn uninteressiert, weil er ja nicht beteiligt war an dem Geschick, von dem Schettelers betroffen worden. Seit der Zeit, da er seinen Karl May gegen andere Lektüre ein getauscht, machte er sich gar nichts mehr aus Verbrechern und Verbrechen. „Kann ich vielleicht eben an Mama telephonieren", fragte er bescheiden in die Unterhaltung hinein. „Es dauert immer eine Weile, ehe man Verbindung bekommt. Und sic wird wissen wollen, was ich ausgerichtet habe!" „Ich gehe mit Ihnen hinein, Professor", sagte Schct- tcler. „Bredena wollte an meine Frau noch ein paar Fragen stellen!" „Und was gedenken Sie zu tun?" fragte die Baronin, nachdem sie dem Detektiv eine Weile alle gewünschten Aus künfte gegeben hatte. „Das kann ich erst sagen, wenn ich genauer orientiert bin!" Ein Windstoß ließ die Baronin zusammenfahren. „Du liebe Zeit", sagte sic, „ein Gewitter! Wie schnell sich der Himmel bezogen hat. Ucber unserer Unterhaltung habe ich es gar nicht bemerkt!" „Es zog schon herauf, als ich von der Bahn kam", sagte Bredena. „Hier im Park, unter den schönen Bäumen, war es freilich noch nicht zu bemerken!" «Ein erster Donner grollte. Flüchtig huschte ein blasser Blitz über den Nasen. Schon fielen ein paar erste schwere Tropfen. Ein Mädchen kam vom Haus her. Sie alle drei rafften Gläser, Teller und Flaschen zusammen, um sie hereinzutragen. Kaum hatte man die Verandatür geschlossen, als ein regelrechter Sturm einsetzte, der das Land peitschte und den Staub aus- wirbclte. 6. Luzie schob ihren Arm in ven Pers. Der Wind zerrte an ihnen beiden. Es war so dunkel um sie herum, daß sie kaum die Hand vor den Augen sehen konnten. Der Sand trieb ihnen in die Augen. Nur das lange, leckende Streichen des Lichtes vom Lcuchtturm, das wie mit haschenden Händen übers Land glitt, gab ihnen die Richtung an. Doch zugleich blendete es und machte, verbunden mit den zuckenden, grellen Blitzen und den ihnen folgenden knallenden und knatternden Donner, die Lage, in der sie sich befanden, noch unheimlicher und ungewisser. Der Regen setzte eben in diesem Augenblick ein Ein paar große, harte Tropfen zuerst Dann begann er zu strömen. Luzie schauderte. Sie war in wenigen Augenblicken bis auf die Haut naß. Mit meinem Mantel vor dem Sturm beschützt' ich dich, dachte Per poetisch. Hat sich was mit Mantel, fügte er höchst realistisch hinzu. Die Ludersch, die unser Boot gestohlen haben — möchten sie bei diesem Sturm in der Ostsee ersaufen wie Ratten. Das war nicht menschenfreundlich, nein. Aber das vor Kälte zitternde junge Wesen an seiner Seite tat ihm gar zu leid. Wie gerne hätte er ihr einen Mantel um die schmalen Schultern gelegt. Hett 'n Uhl seien! Der war ja eben im Boot geblieben. Als sie sich vom ersten Schreck über den Diebstahl erholt, halte Per, ein guter Pädagoge, zu Luzie gesagt: „Da erfährst du mal am eigenen Leibe, was es bedeutet, uin sein Eigentum gebracht zu werden!" Aber sie hatte, von keiner Reue beschwert, erwidert: „Quatsch nicht und verschone mich mit Moralpredigten. Deshalb habe ich dir nicht eine so schöne Geschichte erzählt. Wir berauben nur Dickbäuche — keine armen Schlucker. Wir sind eine höchst romantische und sehr gerechte Bande, so L la Schillers' Räuber. Und jetzt wollen wir sehen, was zu machen ist!" „Mein Boot will ich wiederhaben!" „Und ich will etwas zu essen und ein Nachtquartier haben. Komm!" Sie kletterten die Steilküste hinauf und fanden sich auf weitem kahlen Land. Per ging nach rechts, Luzie nach links. So kam es, daß sie das verlassene Auto entdeckte. Ihr Pfiff rief Per heran. „Es hat kein Benzin. Sonst könnten wir es schon ge brauchen!" „Gebrauchen? Wir wissen nicht, wem es gehört!" „Nee! Um so besser! Wollen ein bißchen warten. Viel leicht holen sie nur Benzin und nehmen uns mit — bis wo, von wo wir besser handeln können als aus dieser ausgeklügelten Einsamkeit!" „Wir können selbst gehen und Benzin kaufen und den Besitzer fragen, ob er es uns leihen will!" machte über legen, mit der sittlichen Hoheit des ehrlichen Menschen, Per Mackeprang. „Du bist doof! Womit willst du denn kaufen? Hast ja nichts!" ärgerte sich Luzie über seine Unfähigkeit, die Lage zu übersehen. „Wenn sie nicht kommen — die, denen das Auto gehört? Schäbig klein, diese Mäxchen — aber dies Exemplar ist neu und ganz brav... Wenn sie nicht kommen, haben sie sich die Folgen selbst zuzuschreiben!" (Forts, folgt.)