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95. Jahrgang Dienstag, am 25. Juni 1929 Nr. 115 Chronik des Tages. — Reichsaußenminister Dr. Stresemann lehnte im Reichstag nachdrücklichst die Einsetzung einer ständigen Kon trollkommission für das Rheinland ab. — Die Generalshnode der evangelischen Kirche hält am heutigen Dienstag ihre entscheidende Sitzung ab. — Etlson, der Pilot Wilkins auf dessen Antarktisflug, will von Chicago nach Devlin fliegen. — In Berlin haben am Sonntag vier Personen Selbst mord begangen. — Die Nachricht von der Landung der spanischen Oze anflieger auf den Azoren scheint sich nicht zu bestätigen. Die widersprechendsten Gerüchte sind im Umlauf. — Das Wrack des seit Monaten vermißten dänischen Schulschiffes „Kopenhagen" soll bei der Insel Christian d'Acunha (?) gesichtet worden sein. PoincarHs Verantwortung Das Ergebnis ver außenpolitischen Debatte im Reichstag. — Berlin, den 25. Juni. Im Reichstag sah man gestern dem Beginn der außenpolitischen Debatte mit großer Spannung ent gegen. Schon lange vor der Eröffnung der Plenar sitzung warteten am Spreeufer dichte Menschenreiheri aus die Ausgabe der Tribünenkarten. An der Tier gartenseite des Reichstagsgebäudes versammelten sich Neugierige und Pressephotographen, die dann ein Kreuzfeuer auf die ankommenden „Prominenten" und auf die Diplomaten eröffneten. Zunächst wußte man freilich noch nicht, ob es diesmal zu einer ernsten Auseinandersetzung über di« Außenpolitik oder zu einer neuen Vertagung der De batte kommen würde. Die letzten Zweifel schwanden erst, als Reichsaußenminister Dr. Stresemann Punkt 10 Uhr den Saal betrat und sich vor der Mauer der Geheimräte auf der Regierungsbank neben den Ministern Curtius, Wirth und Hilferding niederließ. Eine Enttäuschung gab es aber trotzdem: Die Uebertragung der Reden durch dtzn Rundfunk wurde abgesagt, obwohl zwei Mikrophone im Saal aufgebaut waren. Der Grund für diese Ueberraschung ist darin zu erblicken, daß sich die Fraktionen nicht einig wer den konnten, welche Reden übertragen werden sollten. Als erster kam der Führer der Opposition zu Worte, Graf Westarp. Er kritisierte die Haltung der Neichsregierung, betonte, daß die nach dem Young- Plan zu leistenden Zahlungen weit über die wirt schaftliche Leistungsfähigkeit Deutschlands hinausgehen und erklärte dann, er halte es für selbstverständlich, daß selbst diejenigen, die den Young-Plan an sich für möglich hielten, ihn nicht annehmen könnten, wenn nicht gleichzeitig die Räumung von Rhein und Saar binnen kürzester Frist zugesichört werde. Die Red« des Führers der Opposition klang aus in der Ab lehnung des Young-Planes und der Aufforderung, an die Neichsregierung, den amtlichen Kamps gegen die Kriegsschuldliige zu eröffnen. Dann begab sich Reichsaußenminister Dr. Strese mann an das Rednerpult, von den Kommunisten und den Nationalsozialisten mit dem Zuruf empfangen, „Fort mit Stresemann". Als es im Saal wieder ruhig geworden war, nahm Dr. Stresemann unter größter Aufmerksamkeit des Hauses und der Diplo maten das Wort. Der Minister sprach stehend, aber hinter seinem Rücken stellten hilfsbereite Hände einen Stuhl als Stütze auf. Eine Maßnahme, die ebenso, wie das blasse Aussehen des Ministers anreiate. dav es mit dem Gesundheitszustand des 'Leiters ber derE scheu Außenpolitik immer noch nicht am besten bestellt Der erste Teil der Ministerrede war den MuS» führungen der Opposition gewidmet. Stresemann fühlte sich der Opposition gegenüber benachteiligt. Wenn man auf der Mensur gegeneknanderstehe, st meinte er, dann müßten die Waffen gut und gleich sein. Hier aber seien die Waffen nicht gleich. Die Opposition habe Bewegungsfreiheit, die Regierung dagegen könn« nicht frei sprechen, sondern müsse daraus bedacht sein, ! die schwebenden Verhandlungen nicht zu stören. Nach dieser Einleitung wußte man bereits, daß Erklärun gen über die Räumungsfrage in dieser Sitzung vom Minister nicht zu erwarten waren. Eine Klarheit hat die Rede des Reichsaußen- ministers aber doch gebracht. Mit allem Nachdruck betonte Dr. Stresemann, daß der Plan einer Aest- stellungs- oder „Versöhnungskommission" für die Reichsregierung bei den Verhandlungen über di« i Räumung des Rheinlandes außerhalb jeder Erwägung s steht und daß Deutschland gewillt ist, die ganzen Ver- j Handlungen scheitern zu lassen, wenn man versucht, ! eine ständige Kontroll-Kömmission für das Rhein- - land einzusetzen! Die Erklärung des Neichsaußenministers wird ohne Frage von dem gesamten deutschen Volke ge billigt. Man mag über den Young-Plan verschieden denken; darüber, daß der Young-Plan das äußerste darstellt, was Deutschland aus sich nehmen kann, und , daß dieses Aeußerste auch nur dann übernommen j werden kann, wenn damit zugleich alle anderen Ueber- bleibsel des Krieges verschwinden, gibt es keine Mei nungsverschiedenheiten. Die Räumung des Rheinlandes — und nicht minder die Rückgabe : des Saargebietes — ist nach sittlichem und ju ridischem Recht längst fällig! Sie muß durchgeführt werden, ohne neue deutsche Opfer und ohne neue Gegenleistungen! - Ueber diese Notwendigkeit sollte nach der außen- . politischen Debatte im Reichstag nirgendwo in der Welt mehr Zweifel bestehen! Auch die Sprecher der ! Koalitionsparteien, die nach dem Außenminister zu ! Worte kamen, wandten sich klar und entschieden gegen ! eine Vorausleistung unserer Unterschrift unter den ! Young-Plan und forderten die Räumung „gra- - tis und franko und nicht erst gegen Nachnahme". > Da den Franzosen zunächst aber nur an der Unter zeichnung des Young-Planes gelegen zu sein scheint, bestehen hier noch Differenzen, die — wenn die po litische Konferenz Erfolg haben soll — noch vor dem Zusammentritt der Staatsmänner beseitigt werden müssen! Es liegt jetzt an Frankreich, die notwendige Klarheit zu schaffen. Deutschland jedenfalls kann nicht davon abgehen, daß die Bestätigung des Young-Plans die sofortige und bedingungslose Räumung der besetz ten Gebiete zur Voraussetzung hat! NheinLand-KontroAe untragbar: Strcsemann-NcVe im Reichstag. — Graf Westarp lehnt den Young-Plan ab. — Das Kabinett gegen jede Kontrolle im Rheinland. Nach Eröffnung der heutigen Reichstagssitzung, ; aus deren Tagesordnung die Beratung des Etats des i Auswärtigen Amtes steht und zu der die Kommu- i nisten einen Mißtrauensantrag gegen den Reichsaußen- minister Dr. Stresemann einaebracht haben, nimmt als erster Graf WeMrp (Dntl.) das Mort: Arnold Meeten's Modell Roman von Anna Fink LopxnglU bx läau Lana Unk, 0rosäen-1.Lube8L^t, Lr-ünerslr. LI (18. Fortsetzung) Graf Heilmannsdorf kümmerte sich nicht weiter um sie. Nachdem er fertig mit Essen war, erhob er sich und ging -us dem Saal. Eigentlich hatte er ihr eine leichte Ver beugung machen wollen, da er sie ja schon mal gesehen hatte, aber Yvonne war so vertieft in ihren Mokka, daß sie ihn gar nicht zu bemerken schien. „Hast Du bemerkt, mein Kind, daß der deutsche Graf nicht mehr sehr jung ist?" fragte Madame Noland ihre Tochter. „Freilich", gab sic zurück, „Du mußt nicht denken, daß ich blind bin. Aber er interessiert mich nun mal eben und damit fertig!" Madame seufzte ein wenig. Manchmal war sie mit ihrer Tochter nicht so ganz einverstanden. Da war z. B. ei» indischer Prinz in Kairo gewesen, der ihrer Tochter deutlich genug den Hof gemacht hatte. Sie hielten sich damals In Sem wunderbaren, eleganten Hotel „Mena-Haus" auf, das am Rande der Wüste liegt und von dem man den unver gleichlichen Blick auf die Pyramiden hat. Aber unbegreif- licherweise war Yvonne ganz ungerührt geblieben. Er ist mir zu langweilig, Mama! Temperament mag er schon haben, aber keine Intelligenz, keinen Esprit!" Und das war der schlimmste Vorwurf, den Yvonne einem Manne machen konnte. Sie hatte sehr ihren eigenen Kopf, die kleine Yvonne! Etwas satt und müde stand Madame auf, um ihrer Tochter zu folgen, die sich bereits erhoben hatte. „Komm, Mama", sagte Yvonne zur Mutter, auf die sic vor dem Speisesaal gewartet hatte, „laß uns noch einen kleinen Spaziergang auf dem Deck machen." Die Mutter erklärte jedoch, zu müde zu sein. Die Reise von Kairo nach Port Said habe sie etwas angegriffen. Yvonne möge allein htnaufgchen, sie könne ja, wenn sie davon genug habe, sich zurückztehen. Fräulein Yvonne stieg langsam die Treppe hinauf, die zum Deck führte. Es war schon längst dunkel geworden. Die Luft war, durch eine leichte Brise, beinahe etwas kühl, und Yvonne zog fröstelnd ihren Schal um die Schultern. Schön war es doch hier oben! Auch andere Passagiere ergingen sich noch. Yvonne wanderte ein paarmal ziellos auf und ab. Dann schaute sie eine Weile in den samtschwarzen Himmel. Wie Edelsteine funkelten die Sterne da droben! Doch Yvonne war nicht lange für Naturbetrachtungen zu haben, wenn sie keine Gesellschaft dabei hatte. Sie ging wieder hinunter, suchte aber noch nicht ihre Kabine auf, sondern begab sich nach dem Musiksalon. Er war ganz leer. Das war ihr gerade recht. Sie setzte sich an das Klavier, ließ etwas verträumt die Hände über die Tasten gehen, in leisen, melancholischen Akkorden. Es fiel ihr ein altes, französisches Lied ein, es war ein Volkslied. Sie sang dazu mit einer wohlklingenden, nicht sehr lauten Stimme. Der Text handelte von Liebe und Treue und der Klage nm einen verlorenen Liebsten. ES war, wie diese Lieder zuweilen sind, etwas sentimen tal. Aber Yvonne brachte es trotzdem mit einer sozusagen eleganten Sentimentalität heraus. Als sie geendet hatte, hörte sie einen leisen Seufzer aus der eine» Ecke des Musikzimmers. Leicht erschrocken, drehte sie sich herum. Da saß jemand im Dämmerlicht einer verhängten Lampe. Sie sah etwas genauer hin: es war Graf Hetlmannsdorf. Er hielt eine Hand vor die Ange» und schien nicht zu sehen, was um ihn herum vorging. sunächst die Haltung der Regierung gegenüber den Veranstaltungen aus Anlaß des 10. Jahr«- Unterzeichnung des Versailler Vertrages mit» «ei, daß sich das Kabinett von allen! nE? fernhalte und die Beteilioung amt- Stellen verbieten wolll. Seine Partei erhebe gagou heuten Gewissenszwarm feierlichen Transferkrffe wäre der günstigere Zstt- sttr ^rhandvrngen iw« die Aenderung des Daw«- AEs Evesen Die Lr YmrnMan vorgesehenen Letstun- die vertEmäßigen Verpflichtungen hErA-Schon b<A werde DoutMmw wr der Notwendig- Kit stehen, die Abänderung auch diefes Abkommens zu fordern. Eine neue AufbrtngUmck- und Transferkrise müßte dann zur vollen Katastrophe Wren. Die Spekulation aus die vorübergehende der Jahresleistungen höbe nur parteipolitischen Char Die Äefahr, daß Frankreich die Räumung von dem Zugeständnis der Dauerkontrolle ad» hängig mache, «0-kb- «n «s für sE- verftSÄMch, so erklärt ß diejenigen, di« de« Pariser Pban an ( . , „ . hatte«, ihn ««ter gar ke^« Umständen amtehmett kS««en, we«« «icht gbeich. ^«tig die Räumung vo« «Hein und Saar di«««« kürzeste, Fr,st «uv bedingungslos dLdend zugesichert ist." Redner begründet zum Schlich die Forderung auf amtlichen Kamps gegen die Kriegsschulblüge. Neichsaußenminister Dr. Stresemarm rechtfertigt in Erwiderung auf die Westarprede die Haltung der Regierung, der es bisher nicht möglich gewesen fei, in ein« außenpolitische Aussprach« einzutreten. Das Parlament Habs die Entscheidung in der Hand. Je nachdem ob es Ja oder Nein sage, würden die Pariser Vereinbarungen in Kraft tteten oder nicht. Dr. Stresemann fährt fort: Von de, Rechten wird besonders der Zeitpunkt des Beginns der Pari ser Verhandlungen kritisiert. Im letzten September trat di« andere Seite an den Reichskanzler mit dem Vorschlag einer Revision der Dawesgesetze heran. Herr Graf Westarp glauben Sie, daß irgendeine deutsche Reichsregierung sich auf den Standpunkt stellen konnte gegenüber dem deut schen Volke und der Welt, daß wir eine solche Revision ablehnen. Glauben Sie übrigens, daß wir durch die Dawes- krise zu besseren Beziehungen gekommen wären, als si« uns der Youngplan bietet? Wenn wir über die Krisis hinwegkämen, konnten wir den Dawesplan vielleicht durch- fuhren, aber nur unter Aufopferung des gesamten indu striellen Mittelstandes. Der Minister geht dann auf die Fühlungnahme zwi schen Sachverständigen und Regierung während der Pariser Verhandlungen ein u«d erklärt, es gäbe selbstver ständlich nicht nur einen, sondern sogar viele Briefe des Reichskanzlers an di« Sachverständigen, denn diese hätte, der Regierung Gelegenheit geben wollen, ihnen ihre Auf fassung mitzuteilen, und das habe die Regierung dann auck getan, die Entscheidung aber den Sachverständigen anheim- gestellt. Einer Veröffeutttchung des gesamte» Materials so erklärt der Minister, werde ich mich aufs entschiedenste widersetzen, da es unmöglich wäre, da«» i« die politische Konferenz zu gehen. Es ist sehr leicht, auch gegen den Youngplan die schärfste Rede zu halten. Besteht aber eine Möglichkeit zu besseren Ergebnissen? Glauben Sie, daß irgendein Mitglied der Regierung den Youngplan für etwas Ideales hält und die Garantie für die Ausführung über nehmen würde? Wer kann denn in der ganzen Welt über haupt eine solche Garantie übernehmen? Man kann nur für das nächste Jahrzehnt ein Urteil abgeben, und auch das ist schon ein Wagnis. Zur Räumungsfrage erklärte der Minister: Ich bin nicht in der Lage, über die Besprechungen tu Madrid etwas mitzuteilen. Das würde das Ende die ser Besprechungen sein. Es besteht aber Einmütig keit im Kabinett, daß für alle Besprechungen übe, die Nheinlandräumung für die Reichsregierung Ber« Handlungen über eine BersShnungskommission außer- halb jeder Diskussion stehen. (Beifall.) Die not wendigen Sicherheiten Luv im Locarno-Bertrag ge- Yvonne war etwas unschlüssig und wußte nicht recht, was sie beginnen sollte. „Offenbar hat der Arme einen großen Kummer", -achte sie mitleidig, denn im Grunde hatte die kleine, leichtsinnige Yvonne ein sehr mitfühlendes Herz. Sie wollte aufstchen, um hinauszugehen. Da gab es einen leichten Krach: der kleine Klaviersessel war umgefallen. Yvonne ärgerte sich sehr über ihre Ungeschicklichkeit. Sonst pflegten ihr solche Dinge nicht zu passieren! Der Graf war bei den: Lärm zusammengefahren un- aufgesprungen, um Yvonne behilflich zu sein. „Verzeihung, ich habe Sie gewiß sehr erschreckt", sagte sie. „Gestatten Sie, Saß ich mich vorstcllc?", fragte er höflich und nannte seinen Namen. Sie nickte erfreut mit dem Kopfe. „Ich wußte nicht, daß ich einen Zuhörer hatte." Er lächelte. „Sie haben eine schöne Stimme", sagte er, aber trotz -es Lächelns sahen seine Augen traurig aus. „Gefiel ihnen das Liedchen?" fragte Yvonne dagegen. Sie beherrschte die Situation schon wieder ganz, die sie äußerst interessant fand. „Das Lied hat alte, längst vergessene Erinnerungen in mir wachgerufen", sagte Hetlmannsdorf schwer, „aber das konnten Sie natürlich nicht wissen." - Er betrachtete bas junge Geschöpf vor sich. Seltsam, daß gerade sie ihnr dieses Lied Vorsingen mußte! „Sie scheinen etwas betrübt zu sein, Herr Gras", sagtet Yvonne, „soll ich Ihnen etwas zur Erheiterung vorspielen?" „Nein, bitte nicht. Ich muß jetzt mtt meinen Erinnerun gen fertig werden", erwiderte er, „vielleicht morgen." „Schön", sagte Yvonne, „aber wissen Sie, man soll sich nicht zu sehr seinen traurigen Gedanken hingeven. Wollen wir »ns etwas unterhalten?" Und schelmisch lächelnd fügte sic hinzu: „Vielleicht erheitert sie meine Gesellschaft ein wenig?" — (Fortsetzung folgt)