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»Mso von Matthias Brecht soll ich Ihnen berichten", nahm Staudinger nun wieder das Wort. .Es gibt da nicht viel zu sagen, meine kleine Gnädige. Er ist ein stiller Mensch, der sich nur ganz seinen Arbeiten widmet." Christa hatte sich in ihrem Sessel zurückgelehnt und hörte ihm zu. Aber seltsam, die Worte Staudingers drangen plötzlich wie aus weiter, unendlicher Ferne an ihr Ohr; sie hatte Mühe, sie zu verstehen und ihren Sinn zu begreifen. Dabei fühlte sie plötzlich eine eigentümliche, lähmende Mattigkeit, die von ihrem ganzen Körper Be- sitz genommen hatte. Vor ihren Augen verschwamm alles, sie sah die Gestalt Staudingers nur noch schemenhaft, ver nahm seine Stimme nur noch abgerissen, bruchteilweise. Umsonst versuchte sie gegen das Fürchterliche anzu- kämpfen. Sie wollte sprechen, wollte um HUfe bitten, und be- bemerkte mit grausigem Entsetzen, daß ihr die Zunge den Dienst versagte. Da, was war das? Staudinger sprach nicht mehr. Sie fühlte ihn näher und näher kommen. Mit aller Gewalt riß sie noch einmal die Augen auf und starrte mit Schaudern in das jetzt zu höhnischer Maske verzerrte Gesicht des Mannes, der sich mit scheußlichem Grinsen über sie beugte. Und wieder vermeinte sie ganz aus der Ferne ein lautes Auslachen der rotblonden Frau zu hören, ein Lachen, das ihr in grauenvoller Angst wie mit Eiseskälte ans Herz griff. Dann wußte sie nichts mehr von sich. * - * In einem der Hotelzimmer im ersten Stockwerk des großen, vornehmen Triester Bahnhofshotels saß um diese Zeit Maria Staudinger lies in einen Sessel gelehnt, und sah von Zeit zu Zeit in nervöser Unruhe auf ihre kleine, goldene Armbanduhr. Dann lauschte sie wieder an- gespannt auf die gedämpften Schritte, die draußen ab und zu aus dem teppichbelegten Korridor hörbar wurden. Sie hielt den reizvollen Blondkopf jetzt tief geneigt, und ihre kleinen weißen Zähne gruben sich tief in die Unterlippe ein. Bei jedem Geräusch schreckte sie empor. .Wenn sie nun wieder nicht mitgekommen wäre", stieß Ye seufzend hervor, und hob, abermals lauschend, den Kops, da sich jetzt unverkennbar schnelle Schritte der Tür näherten. Sie wurde geöffnet, und Fritz Staudinger trat inS Zimmer. »Ich habe wiederum vergebens gewartet, sie ist nicht gekommen", sagte er sorgenvoll, die Hand seiner Frau an die Lippen ziehend. .Wieder nicht? Mein Gott, Fritz, es wird ihr doch nichts passiert sein!" rief die junge Frau erschrocken. Doktor Fritz Staudinger ließ sich schweratmend in einen Sessel fallen, und antwortete: .Wir dürfen nicht gleich das Schlimmste annehmen, mein liebes Kind. Freilich, die letzte Hoffnung, daß sie nur den Zug verpaßt haben könne, ist nun auch dahin, denn sie hätte dann mit dem jetzigen Zuge unbedingt cintreffen müssen." .Ob sie unterwegs erkrankt ist?" forschte die junge Frau ängstlich Weiler .Kind, we.ich das zu sagen wüßte, heilfroh wäre ich, das kannst du m r glauben. Eine verteufelt unan genehme Geschichte! Herr Gott, wenn nun doch etwas nicht stimmt? Der Matthias würde es kaum überleben." .Du solltest dem Professor sogleich telegraphieren, Fritz." .Das habe ich auch schon gedacht, habe aber dann be schlossen, doch noch etwas zu warten. Bedenke, wenn Matthias Brecht die Nachricht erhielte: Christa Wald spur- los verschwunden; was tun? — Nein, Maria, ich will ihm dies so lange als möglich ersparen." . „Ja, aber was willst du dann tun; wir können -och hier nicht einfach tatenlos sitzen?" „Augenblicklich weiß ich es selbst noch nicht, laß mich nur erst einmal zu ruhiger Ueberlegung kommen. Tie Situation ist die unangenehmste, in der ich je gesteckt habe. Brecht wird glauben, daß wir nur nicht genügend auf- gepaßt haben, und doch gingen wir als letzte vom Bahn steig. Christa Wald kann einsach nicht in Triest ein- getrofsen sein." „Und wenn wir sie in dem unheimlich wirren Durch einander des Bahnhofverkehrs am ersten Zuge doch ver paßt hätten? Möglich wäre es schon! Vielleicht Hai ne ein Hotel ausgesucht. Wir sollten einfach telephonisch in den in Frage kommenden Hotels nachsorschen. Meinst du nicht auch, Fritz? Oder am Ende ist es das Richtigste, du benachrichtigst sofort die Polizei." Der kleine, etwas untersetzte Doktor Staudinger war jetzt von seinem Sitz aufgesprungen und lief mit krebs rotem Gesicht erregt im Zirmner auf und ab. „Eine dumme Geschichte, eine fatale Geschichte", mur melte er ein über das andere Mal vor sich hin, und wischte sich wieder und wieder den Schweiß ab, der ihm in dicken Tropfen auf der Stirn stand. „Du hast'recht, Maria, ich werde doch einmal die Hotels der Reihe nach anklingeln, vielleicht ängstigen wir uns wirklich ganz unnütz", sagte er dann, plötzlich stehen bleibend. .Ja, Fritz, bitte tue es sofort, mir ist so eigentümlich ängstlich zumute, wir dürfen keine Minute unnütz ver streichen lassen." Doktor Staudinger nickte nur kurz, strich dann schnell über das etwas wirre Haar seiner kleinen Frau und eilte aus dem Zimmer. Maria Staudinger erhob sich leise seufzend, und trat zum Fenster. Wie hatte sie sich auf Christa Wald, die Braut des besten Freundes ihres Mannes, gefreut, und auf die ge meinsame Weiterreise mit dem schönen jungen Mädchen, das sie allerdings nur vom Bild her kannte, deren Liebreiz es ihr aber bereits angetan hatte. Gott im Himmel, sie war so jung, so schön, so unerfahren; wie, wenn sie nun schlechten Menschen in die Hände geraten wäre? — — Maria Staudinger preßte den vor Erregung schmerzen den Kopf fest gegen die kühle Fensterscheibe, und sah hinab auf die wie in ein Lichtermeer getauchte, bunt belebte Straße. Das laute, wiederholte Klopfen an ihrer Zimmertür hatte sie dabei gänzlich überhört. Erst als sie leise angerufen wurde, schrak sie zusammen, und wandte sich rasch um. Vor ihr stand eine schöne, elegante, dunkelhaarige junge Dame, die sich ob ihres Eindringens tausendmal entschul digte, indem sie sagte: „Verzeihen Sie mir, gnädige Frau, ich klopfte mehrere Male vergeblich; da ich aber keine Antwort erhielt und der Kellner mir sagte, daß Sie bestimmt auf Ihrem Zimmer wären, so wagte ich, einzutreten. Hoffentlich habe ich Sie nicht zu sehr erschreckt?" ? Maria Staudinger machte eine erstaunte, etwas be fremdete Bewegung. „Mein Name ist Ilona TakLts", fügte die Fremde jetzt hinzu. „Ilona TakLts?" entgegnete Maria Staudinger er staunt. „Verzeihen Sie, gnädige Frau, aber hier muß un bedingt ein Irrtum Ihrerseits vorliegen, denn ich kenne Sie nicht." Ueber Frau Ilonas Gesicht glitt jetzt ein fragendes Lächeln. „So hat Christa Wald, meine neue kleine Freundin, Ihnen gar nichts von ihrer Reisebekanntschaft berichtet?" fragte sie dann hastig. cNortietzuna kolal.t