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Heiter und fast ausgelassen legten die beiden den Rest der Fahrt zurück, Doch seltsam, je mehr sie sich dem Reiseziel näherten, desto unruhiger begann Christas Herz zu klopfen. Nun gelang eS selbst Frau Ilona nicht mehr, Ihr die trüben Gedanlen zu vertreiben. Eine eigentümliche Ahnung von irgendeinem nahen Unheil hatte sich Christa Walds bemächtigt. Umsonst ver suchte sie, rllhig zu werden und das lähmende Gefühl ab zuschütteln; aber es gelang ihr nicht. Ilona TakLtS schwieg jetzt ebenfalls, und starrte ge dankenverloren aus dem Fenster. In Christa Wald aber wuchs die Angst von Minute zu Minute, stieg ins Riesenhafte empor. MS der Zug dann langsam in die Bahnhofshalle von Triest einfuhr, umkrampfte sie so fest die Hand der neuen Freimdin, daß diese erschrocken aufschaute, und ries: »Sind, ja was ist denn, ich glaube gar, Sie weinen!" Und Wirklich funkelten in Christas Augen große Tränen. .Wozu nur die Angst, ich bringe Sie ins Hotel, mich erwartet ja niemand", tröstete die Ungarin. Christa schämte sich jetzt beinahe, und es gelang ihr auch endlich, ruhiger zu werden. Der Zug hielt mit kurzem Ruck. Sofort ergoß sich ein Schwarm schreiender, gestikulieren der Gepäckträger in das Zuginnere. .Zum Auto!" kommandierte Ilona Takats einem braunen, muskulösen Burschen, der sich ihres Gepäcks be mächtigt hatte. In Angst um ihr Gepäck und sonst auf nichts weiter achtend, stürmten sie beide nun hinter dem allzu flinken Gepäckträger her. Deshalb sah Christa Wald in dem wirren Durcheinander des Bahnsteiges auch nicht, daß ein Ehepaar, ein Herr in mittleren Jahren und seine reizende, junge Frau, unablässig nach jemand Ausschau hielten. Im Palasthotel, einem keineswegs erstklassigen Aufent halt, nahm dann Frau Ilona von Christa Wald Abschied. .Ich werde heute nochmals nach Ihnen schauen, Kleine", tröstete sie Christa, die dem Weinen nahe war. In dem einfachen, etwas schmutzigen Hotelzimmer be freite sich Christa vorerst einmal von dem Reisestaub. Kaum war sie damit fertig, als es an die Zimmertür klopfte, und der schmierige, schielende Kellner ihr den Be such Doktor Staudingers und Frau meldete. .Und Frau", dachte Christa erstaunt. .Also war die Unpäßlichkeit der Dame nicht so schlimm gewesen. Selt sam, weshalb war dann niemand zum Bahnhof gekommen oder hatte sie wenigstens hier im Hotel begrüßt?" Wohnten die Staudingers denn überhaupt hier? Sie sah dem gerade eintretenden Ehepaar mit sehr ge mischten Gefühlen entgegen. In diesem Moment stürzte eine üppige, rotblonde, mit auffallender Eleganz gekleidete Dame mit überlautem Aus ruf auf sie zu und preßte sie zärtlich an sich. «Liebes, armes Kleinchen!" rief sie dabei überschweng lich. .Was müssen Sie nur von uns gedacht haben. Oh, mein Gott, ich hatte ja einen so schweren Migräneanfall, daß ich zu sterben glaubte. Fritz mußte zum Arzt, zur Apotheke; es war furchtbar. Dazu kam, daß das Zimmer, das wir für Sie bestellt hatten, irrtümlicherweise vergeben worden war, weshalb wir Sie einstweilen hier unter- bringen mußten. Nun, nicht wahr, mein Herzchen, sttr eine Nacht wird es schon angehen?" Christa hatte sich befremdet von der Frau losgemacht und war unwillkürlich einige Schritte zurückgewichen. Da fühlte sie schon ihre Hand ersaßt, und ein bärtiger Männermund preßte etwas allzulange seine Lippen darauf. Angewidert und entsetzt prallte Christa zurück. Vor ihr stand Doktor Staudinger, der gleich seiner Gattin den denkbar ungünstigsten Eindruck auf sie machte. Staudinger war ganz der Typ eines heruntergekommenen Lebemanns, und aus seinem kahlen Schädel funkelten die schwarzen stechenden Augen unangenehm süßlich über ihre Gestalt hin. Christas Befremden wuchs. Blitzartig durchjagten die Gedanken ihr Hirn. Dies also waren die Menschen, denen sie sich den Rest der Reise anzuvertrauen hatte! Wie kam Matthias Brecht zu einer solch seltsamen Freundschaft? Am liebsten wäre sie jetzt auf der Stelle davongclaufen. Dazu kam, daß das eigentümlich ängstliche Gefühl, das sie schon im Zuge beschlichen hatte, jetzt noch viel stärker über sie herfiel. Doch sie nahm sich zusammen und stammelte ein paar freundliche Begrüßungsworte. „Setzen wir uns ein wenig, man unterhält sich dabei gemütlicher und wird eher miteinander vertraut", schlug Frau Staudinger vor, und ließ sich in einem Sessel nieder. Staudinger nickte ihr verliebt zu und setzte sich eben falls, und Christa folgte gezwungen ihrem Beispiel. „Tja", nahm jetzt Staudingen im breitesten österreichi schen Dialekt das Gespräch aus. „Ihr Verlobter läßt Sie natürlich grüßen, mein gnädiges Fräulein." „Ich glaubte, Sie wären ein Freund von Matthias, Herr Doktor", warf Christa ein, erstaunt über diese förm lichen Worte. „Freund ist etwas zuviel gesagt, meine Gnädigste, dazu kennen wir uns noch zu flüchtig, wenngleich ich Ihren Verlobten als Kollegen bereits hochschätzen muß", näselte Staudinger, nachlässig sein Monokel einklemmend. „Also, was ich sagen wollte, wir reisen morgen bereits ab. An Triest liegt Ihnen doch nichts, ich hoffe, daß Sie einver standen sind." „Die schnelle Abreise ist mir nur erwünscht, Herr Doktor, ich freue mich, so bald wie möglich mit Matthias zusammenzutrefsen." „Ah, die Hochzeit, ich verstehe", erwiderte dieser, ver stohlen blinzelnd. Christa antwortete nicht. Das Ebepaar Staudinger mißfiel ihr von Minute zu Minute mehr. „Sind Sie hier fremd, das heißt, haben Sie hier in Triest keinerlei Bekannte?" forschte Frau Staudinger jetzt, leise gähnend. „In Triest selbst kenne ich niemanden, gnädige Fran, doch machte ich auf meiner Reise eine nette Bekanntschaft." „Eine Bekanntschaft!" unterbrach sie Frau Staudinger, unwillkürlich emporfahrend. „Gewiß, gnädige Frau. Eine junge Ungarin, Frau Ilona Takats, nahm sich unterwegs in rührender Weise meiner an; wir befreundeten uns sehr rasch und sie brachte mich auch ins Hotel", entgegnete Christa Wald arglos. „Und wo befindet sich die Dame augenblicklich, ist sie ebenfalls hier abgestiegen?" fragte das Ehepaar wie aus einem Munde. „Sie wohnt bei Verwandten, wird mich aber heute nochmals besuchen", erklärte Christa, aufs höchste erstaunt über den Eindruck, den die Erwähnung Ilona TakLts auf die beiden gemacht hatte. War es ein Irrtum oder wechselte das Ehepaar jetzt eben einen raschen Blick des Einverständnisses? Christa Walds Verwirrung wuchs, und sie fragte sicht lich betroffen: »Ist Ihnen meine Bekanntschaft mit Ilona TakLts nicht angenehm? Kennen Sie die junge Dame vielleicht?" „Nein, nein, keineswegs, liebes Kind", wehrte Frau Staudinger hastig ab. „Wir waren nur über Ihre so genannte Reisebekanntschaft etwas erschrocken, und mach ten uns wohl beide im stillen Vorwürfe, Sie nicht doch am Bahnhof erwartet zu haben. Wie leicht konnte sich hinter der Ungarin auch etwas Schlimmes verbergen! Junge, hübsche, unerfahrene Mädchen, wie Sie, mein Kind, sollten lieber vorsichtig sein und unterwegs keine Neise- bekanntschasten anknüpfen."