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(Nachdruck verboten.) ie im Fluge schwanden die wenigen für den Aufenthalt in der Isarstadt bestimmten Tage. Die Hochzeit war vorüber, und morgen wollte Jakobsen Weiterreisen, ob gleich Holm mit herzlichen Bitten zu län gerem Bleiben einlud. Er gab es endlich auf, in den Freund zu dringen, da er einsah, daß dieser zur Verlängerung seines Aufenthaltes nicht zu bewegen war. „Ich habe mir meine Reiseroute für die mir noch zur Verfügung stehende Zeit schon so genau zurechtgelegt, daß ich schlechterdings keinen Tag zugeben kann, lieber Holm." Dabei blieb er. Aber er sagte damit nicht die Wahrheit. Denn in Wirklichkeit war es das junge Eheglück Holms, das ihn forttrieb. Für den Abend vor seiner Abreise hatten die Freunde einen gemeinsamen Spaziergang auf den Promenaüen- wegen an der grünen Isar geplant. Aber in letzter Stunde, als sie sich schon zum Gehen rüsteten, trat für Holm eine unaufschiebbare Abhaltung ein. Er wurde an ein Sterbebett gerufen. Jakobsen beschloß im ersten Augenblick, nun auch zu bleiben und den Spaziergang aufzugeben. Nach einigem Ueberlegen aber ging er doch. Es war ihm, als wenn ihn eine mahnende Stimme in seinem Innern förmlich dazu zwang. — Und als er dann erst das hastende Treiben der Groß, stadt hinter sich hatte und schon auf Wegen, die menschen leer waren, dahinschritt, bereute er den abendlichen Gang nicht. Es war köstlich in dieser Stille. . . . Immer weiter hinaus lockten ihn der weiche, sachte in den Schoß der Nacht hinabträumende Iuniabend und die leise von dem letzten Wehen des Tages bewegten grünen Wellen der Isar. . . . Er lag ganz im Bann Lieser Abendstunde, die wie die süße Melodie eines träumerischen Liedes auf ihn wirkte und seine Seele in einen wohltuenden, wonnig empfundenen Frieden lullte. . . . Der weit ausgedehnte Gang machte ihn endlich müde und ließ den Wunsch nach einem kurzen Ausruhen in ihm lebendig werden. Er beschloß, auf einer hinter dichtem Gebüsch versteckt stehenden, lauschigen Bank, an der er gerade vorüberging, Rast zu halten, ehe er nach der Stadt zurückwanderte. Er führte seinen Vorsatz aus und sah sinnend in den Abend. Am Horizont standen purpurn umsäumte Wölk chen wie prangende Rosenblüten, und die Welt war wie ein weiter, stiller Dom, durch den der Herrgott schreitet. Verschwommen tönte das Geräusch der Stadt zu ihm her» über. Es klang, als ob ein fernes Meer seine branden den Wogen an den Strand würfe. Und dazu sang der müde, gemach zur Ruhe gehende West in den Baumkronen sein Abendlied. . . . Rauschendleise war sein Klingen, be ruhigend und tröstend. Wie eine alte, liebe Weise aus Kindertagen deuchte Jakobsen das Raunen in den som merlichen Wipfeln, und unwillkürlich fand er einen Text dazu. Gleich einem Gebet zog es durch seinen Sinn: „Es ist so still geworden, Verrauscht des Tage» Wehn^ Run hört man allerorten Der Engel Füße gehn. Rings in die Tale senket Sich Finsternis mit Macht: Wirf ab, Herz, was dich kränket Und was dir bange macht!* Und mit dem Schluß der Kinkelschen Strophe war er wieder bei dem, was auch einst sein Herz krank ge macht hatte. Dieses schmerzliche Erinnern kam immer in solchen einsamen Stunden zu ihm und fraß in seiner Seele mit doppelter Härte und Schärfe. Zu dem stillen Freilinghausen zogen seine Gedanken, zu St. Gertraudten, zu dem Bilde, das Mariannens Züge trug. . . . Marianne Gesenius. — Mit ihrem Ramen stand er mitten im alten Grübeln. Zwei lange Jahre schon hatten ihre Wege zwischen Mariannens Scheiden aus Freilinghausen und das Jetzt gelegt.... Zwei lange Jahre und noch einige Monde darüber. Würde sie das Glück gefunden Habens Und wo mochte sie sein? ... Fragend ging Martin Jakobsens Blick in di« Weiten. Und als er so weltverloren starrt« und sann, sah er plötz lich etwas, da» ihn aus seinem Grübeln mit einem Ruck auffahren ließ. Nervös glitt seine Hand über Stirn und Augen.... Wie denn? ... Umspann ihn ein Traum?... Gaukelte ihm die Torheit seines Sinnens Trugbilder vor? ... War dort auf dem Wege nicht eben... Marianne Gesenius an ihm vorübergegangenF ? ... Er glaubte sie so gewiß gesehen zu haben, daß er ihren Namen rufen wollte. Aber eine ungeheuere Er regung ließ keinen Laut über seine Lippen und schloß sich wie eine würgende Hand um seine Kehle.... Und dann wurde er plötzlich ganz ruhig und war geneigt, über stch zu lächeln. „Tori* murmelte er. Marianne Novelle von Fritz Gantzer. (IS. Fortsetzung.)