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Ja, war denn das wirklich wirklich . . Pastor Martin Jakobsen, der sie in seinen Armen hielt? ,». O nein, das konnte ja nicht möglich sein! Wie kam . . . wie fand . . . wie war . . .? Ein Heer unausgedachter Fragen kam über sie wie wilde Wellen. . . . Lie lieh es willenlos mit sich ge- schehen, daß sie von ihrem Retter vorsichtig das steile Ufer hinaufgeführt und »ach der Lank, auf der Jakobsen vorhin gesonnen hatte, geleitet wurde. Mit einer schwerfälligen Bewegung nahm sie Platz und starrte den neben ihr stehenden Mann scheu und angstvoll an wie eine Vision. „Pastor Jakobsen?" murmelte sie endlich. „Nein, nicht doch — nicht — . . ." Sie sprang auf, trat einen Schritt zurück und schrie: „Ja, doch doch!" Taumelnd, schluchzend sank sie in die Knie, barg den Kopf in die auf der Bank verschränkt ruhenden Arme und stöhnte, stammelnd und kaum vernehmlich: „O, Herr Pastor, warum kamen Sie!" Jakobsen setzte sich dicht neben sie und legte seine Hand auf ihren Scheitel. Der Ausdruck des Erbarmens und des Milleids, der seit der Minute der Errettung in seinen Augen stand, vertiefte sich noch und drängte den Glanz der Liebe beiseite. Diese Stunde gehörte einzig und allein der Verzweifelten und Zerschlagenen, aber nicht dem Sehnen des eigenen Herzens. Jetzt galt nur Lie Pflicht des helfenden Emporziehens aus dunklen Wassern und das liebreiche Hinanführeick zu den Quellen des Trostes. Und Jakobsen gab sich dieser Pflicht ganz hin. „Marianne, beruhigen Sie sich, fassen Sie sich!" sagte er. „Danken Sie — . . . Gott, daß ich kam!" Der ernst vermahnende, aber doch auch liebreich tröstende Ton in seiner Stimme blieb auf Marianne nicht ohne Wirkung. Das tränenlose, wilde schluchzen verstummte allmählich und machte einem heißen, ihren ganzen Körper erschüttern den Weinen Platz. Und Jakobsen tat nichts, um den er lösenden Quell, der aus ihren Augen strömte, vorzeitig zum Versiegen zu bringen: denn er wußte, daß dieses Weinen für die zerriisene Seele der Unglücklichen ein lindernder Balsam war. Er saß regungslos und sprach kein Wort. Aber seine Hand ruhte immer noch auf ihrem vollen, blonden Scheitel mit einem unbewußt leisezärtlichen, innigen Drucke. Minutenlang verharrten die beiden Menschen so nebeneinander. Die Dunkelheit des Abends hatte ihren Mantel um sie gehüllt, und eine tiefe, heilige Stille stand ihnen zur Seite. Selbst das letzte leise Rauschen in den sommerlichen Wipfeln war zur Ruhe gegangen. . . . Leiser und stiller wurde auch allmählich Mariannens Weinen und verrann in einem tiefen Aufseufzen schließ lich ganz. Jakobsen zog seine Hand sachte zurück. (Fortsetzung folgt.) Brust Jakobsens und schloß, einer Ohnmacht nahe, sekunden lang die Augen . . . Wer hielt sie, — wer sprach zu ihr und nannte sie „Du"? . . . Wer bewahrte sie vor dem Ende, das sie für die nächste Sekunde vor sich gesehen hatte? Sie rang die über sie gekommene Schwäche mit starker Kraft nieder und wandte das bleiche, gramvolle Gesicht ihrem Retter zu. Zwei dunkle Augen ruhten dicht über den ihren und saugten sich in ihnen test mit einem Ausdruck tiefen Mit leids und banger Sorge und daneben auch mit einem Glänzen, das sie in dieser Stunde, in der sie schon vor dem Tor des Todes gestanden, nicht zu deuten ver mochte . . Sie sah nur die Augen, die dunklen Augen. Und plötzlich wurde die Vergangenheit in ihr lebendig. Sie sah eine kleine, stille Stadt und ein Haus neben alten Linden und einen . . . einen . . . Ja, er war ein rechter Tor, einer, der Gespenster sah, und der nur noch entsetzt aufzuschreien brauchte, um nicht anders zu sein, wie ein furchtsames Kind oder ein aber gläubisches Weib. Es war ja eine lächerliche Unmöglichkeit, daß jene wankende, scheu um sich blickende Frauengestalt Marianne Gesenius gewesen fein konnte.... Ihn fröstelte. Er wollte sich von der Bank erheben und den Heimweg antreten. Aber wie gebannt blieb er und vermochte kein Glied seines Körpers zu rühren. Denn nun kam er zurück, dieser schleichende, müde, ungewisse Schritt. Wartend verharrte der Erregte in atemloser Spannung. Sein Herz pochte laut und rasend schnell. Aber der Mensch ging nicht wieder an ihm vor- ,über. Er war wohl stedengeblieben oder umgekehrt. Nun unterbrach die tiefe Stille ein Geräusch, das die Tritte eines Menschen zu erzeugen schienen, der tastend das steile Ufer der Isar Hinabstieg. . . . Ein Felsstück löste sich los, rollte polternd eine kurze Strecke und schlug klatschend ins Wasser. ... Jakobsen fuhr in di? Höhe. ... In seinem Innern schrie es : „Ged, gehl Geh schnell!" . . . Diesem zwingen- - Leu Foroern mußte er sich willenlos unterordnen. Er trat auf den Weg. Drunten flossen die dunklen Wasser des Stromes. ; Still, lautlos, geheimnisvoll war ihr Gleiten. Wie ein j unergründliches Rätsel schien das düstere, breite Band des Gewässers. Nur die ersten Sterne spiegelten ihr klares Gesicht in ihm, und ihr Bild leuchtete aus seinen Tiefen wie die güldnen Fenster eines versunkenen Märchen schlosses. . . . Suchend irrten Martin Jakobsens Augen durch die schnell hereinbrechende Dunkelheit. Da, hob sich nicht dort vom Ufer eine Frauengestalt ab, dicht, hart am Wasser, auf einem Felsvorsprung? — Das letzte verglimmende Licht des Tages zeichnete > ein silhouettenhaftes Bild dieses schlanken Weibes, das ! starr, regungslos in die dunklen Wasser sah. Was wollte die Unglückselige tun! Ein wildes Gedankenheer wälzte sich durch Jakobsens Hirn. Sollte er rufen? — Warnend schreien? . . . Nein, nein! Das nicht! — Um Gottes willen, das nicht l Aber näher gehen! Sofort!' Und leise, leise, vor- ! sichtig. Unhörbar. . . . Und dann — dann sie zurück- reißen, ehe etwas Schreckliches sich ereignete. . . . Nun stand er, nur noch eine Armeslänge entfernt, i - hinter ihr. Und nun hätte er aufschreien können; denn er erkannte jetzt in der langsam sich nach vorn Ueber- ! neigenden deutlich — Marianne. . . . Aber trotz der furchtbaren Erregung, die bei diesem gewissen Sehen seine Seele durchzuckte, machte er sich ! stark und unterdrückte den Schrei des Entsetzens und der " Erschütterung, der beim Anblick dieses Bildes des ge- ! liebten Weibes auf seinen Lippen schwebte. Um Gott, keinen Laut! Das konnte sie erschrecken ! und den letzten Halt auf dem schmalen Felsvorsprung/ verlieren lasten. — . Nein, erst sie ergreifen und zurückziehen! Und nun umspannte er sie mit beiden Armen und riß sie zu sich heran. „Mein Gott, Marianne- was wolltest Du tun?. . . ! Er nannte sie „Du", ohne daß er es wollte und ' wußte. Das Schreckliche, was er gesehen, das plötzliche Zu- sammsnsinken seiner Nervenanspannung und nicht zuletzt ! seine in dieser Stunde rücksichtslos aus verborgenen, ängstlich gehüteten Tiefen emporquellende Liebe legten ihm dieses „Du" auf die Lippen — Marianne schrie auf mit einem wilden, angstvollen Laut de» Entsetzens und der Furcht. Gellend, die Stille aufstörend, raun er durch die weiche Luft des Sommer abends und sand fernab «in mattes, ersterbendes Echo. Willenlos lehnte sich die Unglückliche fest gegen die