Volltext Seite (XML)
über, durch Minimal- und Maximaltarife eine Situation zu schaffen, die in ihrer consequenten Anwendung zu einer vollständigen Absperrung aller Staaten gegen einander geführt hätte. Die ganze Handelspolitik drohte auf einen todten Strang zu gelangen, wenn es nicht anging, in dieser Zeit eine Verständigung unter einzelnen grofsen Nationen zu schaffen, — und das war nur möglich durch Tarifverträge. Deshalb glaube ich — man mag über die technische Durch führung der damals abgeschlossenen Handelsverträge noch so scharf Urtheilen, man mag an den Einzel heiten derselben noch so viel, und Vieles mit vollem Recht, aussetzen — so war es dennoch nicht blofs eine politische That, es war vielmehr für unser deutsches Vaterland, das mit einem grofsen Theile seiner Fabricate auf die Ausfuhr angewiesen ist, geradezu eine zwingende Nothwendigkeit, Halt zu gebieten gegenüber diesen ewigen und sich steigernden Zollerhöhungen, und die Möglichkeit eines inter nationalen Güteraustausches wiederzuschaffen. So viel man über jene Handelsverträge räsonniren mag, so wenig sie im einzelnen befriedigen, die Folgen, die sie im grofsen Ganzen für uns gehabt haben, sind trotz aller Fehler für uns durchaus zu friedenstellend gewesen. Selbst an dem vielgeschmähten und mit Recht angegriffenen Handelsvertrag mit Oester reich haben wir Deutschen den bei weitem gröfsten Vortheil gehabt. (Reifall und theilweise lebhafter Widerspruch.) Lesen Sie die Statistik, m. H., und Sie werden das finden! (Zuruf des Herrn Kollmann.) Ja, Herr Director Kollmann, Sie mögen das bestreiten, aber mit Zahlen werden Sie es nicht widerlegen können! (Zuruf: Selbst mit Zahlen beweisen! Glocke des Präsidenten.) Ich bin nachher bereit, Ihnen mit den Zahlen zu dienen. Gerade auf österreichischer Seite werden Beschwerden darüber laut, dafs die österreichische Industrie unter dem Vertrage gelitten hat. Lesen Sie einmal die Broschüre von Gustav Raunig. Nun, m. H., es sind mir in den letzten Monaten nicht Hunderte, sondern mehr als tausend Gutachten (Zuruf!) von Exportfirmen der verschiedensten Zweige zugegangen, und ich kann Sie versichern, dafs die grofse Mehrzahl derselben von den 92er Handels- j vertragen sagt: wenn uns dieselben auch für den Ex port vieler Artikel nichts genützt haben, so haben sie uns doch nach einer anderen Richtung hin Nutzen gebracht — vor allen Dingen haben wir jetzt wieder das erreicht, was ein so industrielles Land, wie Deutschland braucht: Sicherung in unseren Handels beziehungen zum Auslande. Der Herr Referent, mit dem ich, wie gesagt, im i wesentlichen übereinstimme, hat für die in Zukunft abzuschliefsenden Verträge ausgeführt: man könne | einstweilen nicht sagen, ob es ein besonders grofser Vortheil sei, langsichtige Verträge abzuschliefsen. — : Nun, m. H., wir sind in Oberschlesien; Sie wissen | am allerbesten, worunter gerade unsere oberschlesische [ Eisenindustrie in dem Absatz nach ihrem natürlichen ' Absatzgebiet, nach Rufsland, am meisten gelitten hat ; vor Abschlufs des russischen Handelsvertrages. (Sehr richtig!) Ich glaube, keinen Widerspruch von irgend einer Seite zu finden (Zuruf Kollmann: Doch, doch!) — Sie wissen ja noch gar nicht, was ich sagen will. Sind Sie Gedankenleser? — (Lebhafte, langandauernde Heiterkeit, Glocke des Präsidenten) — dafs nichts ; unsere oberschlesische Eisenindustrie in ihrem Absatz I nach Rufsland so geschädigt hat, als der Umstand, dafs wir keine gebundenen Zollsätze für unsere Aus- | fuhr hatten. (Sehr richtig, Beifall.) Das, was uns i nicht blofs in der Eisenindustrie, sondern in allen anderen Industrien am meisten schädigte, waren die steigenden und unberechenbaren Zollerhöhungen. Dies gilt nicht nur von der Eisenindustrie, der ich ja jetzt nicht mehr so nahe stehe, — es ist in den meisten anderen Industrien ebenso gewesen. Nach dem Abschlufs des russischen Handels vertrages habe ich mit Herren aus einer gewissen Branche der Textilindustrie gesprochen, die ja im ganzen wenig Vortheile von diesem Vertrage genossen hat. Da sagten mir verschiedene der Herren: „Ja, diese Zollermäfsigung ist gänzlich unnütz; wir sind nicht im entferntesten imstande, nach Rufsland bei diesem Zollsatz zu exportiren!“ — Jetzt, wenn ich dieselben Herren treffe, sagen sie: „Es ist merkwürdig; es hat sich ein Geschäft nach Rufsland entwickelt, und zwar in einem Umfange, den wir früher nie für möglich gehalten hätten, natürlich nur in Speciali- täten, nicht in Stapelartikeln.“ Bei der Ausfuhr nach einem gröfseren Gebiete, das vorher nicht so genau beackert werden konnte, ändert sich die Auffassung von der Exportmöglich keit oft bedeutend, wenn man es bereist, wenn man die Absatzverhältnisse studirt; das ist bei Stapel-, bei Massenartikeln vielleicht nicht in dem Mafse noth wendig, wie bei Specialartikeln. Aber die grofsen Kosten, welche das Anknüpfen solcher Verbindungen erfordert, die Verluste, die mit letzterem unumgäng lich immer verbunden sind, zwingen den Industriellen oder auch den Kaufmann, welcher den Absatz dahin vermittelt, diese grofsen Kosten blofs dann zu wagen, wenn er Sicherheit hat, für einen längeren Zeitraum dort Absatz zu finden. — Wie war es vielen Zweigen unserer Industrie möglich, Rufsland in der Weise bearbeiten zu lassen, wie dies heute geschieht, wenn sie sich sagen mufsten: nach Monatsfrist kann der Zollsatz gänzlich geändert werden!? Wir sind viel leicht nicht einmal mehr in der Lage, das abge schlossene Geschäft zu effectuiren! Man macht heute so gern einen Unterschied zwischen Handel und Industrie, aber, m. H., die In dustrie bedarf des Handels gerade für den Export in höchstem Mafse. Und der Handel ist vollständig einig darüber, vor allen Dingen diejenigen, die mit Export zu thun haben: es ist unbedingt nothwendig, dafs wir solche Verträge nicht auf kurze, sondern auf lange Dauer abschliefsen, damit wir uns mit unseren Productionsverhältnissen, mit der Bearbeitung des Absatzgebietes darauf einrichten können. Jedes Volk mufs die Handelspolitik treiben, die seinen wirthschaftlichen Interessen entspricht (Sehr richtig!), und die wirthschaftlichen Interessen werden ja zum grofsen Theile bedingt durch die gewerbliche Zusammensetzung der Nation. Der Herr Referent hat bereits ausgeführt, wie sich heutzutage das Ver- hältnifs zwischen den einzelnen Erwerbsklassen stellt. Er hat angeführt, dafs nach der Zählung von 1895 351/2 % unseres Volkes von der Landwirthschaft leben. — Ja, m. H., wenn Sie dies auf die wichtigsten erwerbsthätigen Glieder des Volkes, auf die männ lichen, beschränken, so kommen Sie schon zu einem ganz anderen Resultat; dann sind es nicht mehr 33%, die in der Landwirthschaft 1895 thätig waren. Wir müssen bedenken, — wie ja auch vom Herrn Referenten erwähnt —, dafs unsere Bevölkerung in starker Zunahme begriffen ist, und zwar nicht mehr, wie in früheren Jahren, um 1/2 Million; nein, im letzten Jahre sind es über 800000 Menschen, um welche sich die Bevölkerung Deutschlands vermehrt hat. Das kommt im wesentlichen daher, weil sich die Erwerbsverhältnisse so günstig gestalteten und die Auswanderung so erheblich nachgelassen hat, eben weil die Leute im Inlande genügende Beschäf tigung finden. — Und Sie alle, m. H., wissen, dafs an Beschäftigung kein Mangel herrscht, wohl aber an Arbeitern, — das danken wir grofsentheils unserm Export, aber entweder müssen wir Menschen expor- tiren, oder Waaren — und da werden wir wohl alle vorziehen, Waaren zu exportiren. Die Steuerverhältnisse sind von dem Herrn Vor redner bereits 'gestreift worden. Dais heutzutage die