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der Ausfuhr von Industrie-Erzeugnissen ab. Die Ent wicklung des Aufsenhandels ist aber nicht so befrie digend, wie es den Anschein hat. Die Mehrausfuhr von Fabricaten hat von 1889 bis 1898 nur um 279 Mil lionen Mark, die Mehreinfuhr von Rohstoffen, Halb- fabricaten und Nahrungsmitteln aber um 774 Millionen Mark zugenommen. Dafs die Ausfuhr unserer Fabri- cate sich in Zukunft immer schwieriger gestalten wird, unterliegt nach der ganzen Weltlage keinem Zweifel. Die Vereinigten Staaten und Rufsland haben in sich selbst gewaltige Gebiete, die geeignet sind, einen Be- völkerungsüberschufs aufzunehmen und zu ernähren. Frankreich hat, abgesehen von seinen entfernteren grofsen Colonien, einen ähnlichen, für 20 bis 25 Mil lionen ausreichenden Besitz in dem nahegelegenen Algier, England, mit seinen über alle Zonen aus gedehnten Colonien und Kronländern, bildet ein sich in allen Beziehungen selbst ergänzendes Weltreich. Deutschland, dessen Colonien in dieser Beziehung kaum in Betracht kommen, hat mit seinen jetzt bereits 102 Einwohnern auf das Quadratkilometer nichts der gleichen. Es ist für seine riesig wachsende Bevölkerung und deren Ernährung auf sein eigenes Gebiet und in immer wachsendem Umfange auf die Einfuhr angewiesen. Denn den obengenannten Zahlen gegenüber ist es nur ein leeres Gerede, wenn die Agrarier behaupten, die deutsche Landwirthschaft würde in wenigen Jahren den Bedarf Deutschlands decken. Die Förderung der Ausfuhr deutscher Industrie-Erzeugnisse sollte deshalb das hauptsächlichste Bestreben der Regierung und aller Parteien sein. Trotzdem ist, abgesehen von der Versicherungs- Gesetzgebung, auch auf anderen Gebieten, namentlich auf dem der Gewerbeordnung, die Industrie wenig freundlich behandelt worden. Eine der traurigsten Erscheinungen auf dem Gebiete der socialpolitischen Gesetzgebung war nach Ansicht des Redners die Be handlung der Vorlage betreffend den Schutz des gewerblichen A rbcitsVerhältnisses, die unter Führung der Socialdemokratie begraben wurde. Redner kommt sodann zu einer anderen Gruppe von Gesetzen, die er als Gelegenheitsgesetze bezeichnen möchte. ' Obenan steht hier das Börsengesetz; es ging hervor aus der von Neid, Mifsgunst und Unverstand erzeugten agrarischen Strömung gegen die Börse. Die Wirkung bestand in der Concentrirung des Bank geschäfts in wenigen grofsen hauptstädtischen Insti- taten. Die kleinen Banken und Geldgeschäfte in der Provinz wurden geschwächt, oder es wurde ihnen der Lebensfaden ganz abgeschnitten. Darin liegt ein grofser Nachtheil, denn jedes dieser kleinen Geschäfte hatte seinen Kreis von Kunden, dem es in schlechten Zeiten um so mehr Hülfe gewährte und gewähren konnte, als sich, bei den engen Beziehungen, auch das persön liche Vertrauen Geltung verschaffte. Eine andere Folge war der Ruin des gröfsten continentalen Getreide- marktes in Berlin. Was das Verbot des Terminhandels auch in Industricpapieren zu bedeuten hat, das hat sich neuerdings gezeigt. Bei etwas abgeschwächtem, aber durchaus befriedigendem Gange der Industrie hat sich unter der Einwirkung verschiedenster Stimmungen und Strömungen mit furchtbaren Verlusten ein Sturz der Industriepapiere an der Börse vollzogen. Diesem ver nichtenden Vorgänge mufsten die grofsen Bankinstitute thatenlos zusehen, denn das Verbot des Terminhandels hinderte sie, helfend einzugreifen. Dies nur einige Züge des Börsengesetzes, des bisher gröfsten agrarischen Erfolges. Ein weiteres Gelegenheitsgesetz ist das Fleisch beschaugesetz. Soweit es hygienische Zwecke ver folgt. könnte es gebilligt werden, wenn dieser Zweck zur Durchführung gelangt wäre; merkwürdigerweise aber sind die Hausschlachtungen, also alle Schlachtungen in der Landwirthschaft, ausgeschlossen. Die Einfuhr erschwerungen und Einfuhrverbote aber sind unter falscher Flagge eingeführte Schutzmafsregeln für die Landwirthschaft, die dadurch hinreichend charakterisirt | werden, dafs das verbotene Büchsenfleisch für unsere nach China gehenden Truppen und unsere Seeleute gut ist. Das beweist genügend, dafs, wenn es unseren Arbeitern dauernd entzogen wird, diese Mafsregel nicht aus hygienischen Gründen erfolgt sein kann. Redner befürchtet sehr eine erhebliche Fleischtheuerung; jede Vertheuerung oder Verschlechterung der Lebenshaltung der Arbeiter ist aber eine Schädigung der Industrie. Das dritte Gelegenheitsgesetz, die Umsatz steuer für gewisse Waarenhäuser, ist nach seiner Entstehungsgeschichte und nach den Tendenzen, die für den Erlafs mafsgebend waren, wohl das am wenigsten erfreuliche. Zunächst ist das Princip dieser Steuer grundfalsch. Wird der Umsatz, aus dem der Ertrag eines Geschäfts hervorgeht, besteuert, zumal in der Absicht, ihn einzuschränken oder mindestens seiner Ausdehnung entgegenzuwirken, so wird in ganz sinn widriger Weise gegen die Vermehrung des Einkommens und die Kapitalbildung gearbeitet: von ihnen aber hängt die Befruchtung unseres Wirthschaftslebens in erster Reihe ab. In diesem Falle, wie in manchen anderen — Redner erinnert nur an die wiederholt mit grofsen Mehrheiten für die Doppelwährung gefafsten Beschlüsse —, sind die Mehrheitsbeschlüsse nur der Aus druck von agitatorisch hervorgerufenen Stimmungen und Strömungen in gewissen Volkskreisen, im vorliegenden Falle der sogenannten Mittelstandsbewegung. Es scheint aber in hohem Mafse bedenklich, wenn die Regierung sich, anstatt von grofsen, nach festen Zielen streben den Principien und Gesichtspunkten, von Augenblicks stimmungen einzelner Volkskreise leiten läfst. Eine Wirkung dieses verfehlten Gesetzes ist bereits ein getreten. Redner kann sich für einzelne Fälle durchaus verbürgen, in denen die neue Steuer von den Waaren- häusern kurzer Hand auf die für sie arbeitenden Fabri canten abgewälzt worden ist; also auch in diesem Falle eine Schädigung der Industrie. Einen Lichtblick bietet in der jüngsten Gesetz gebung das Flottengesetz; obgleich auch ver stümmelt, sichert es doch unserm Vaterlande zum mindesten den Stamm einer Kriegsflotte, die in ent sprechender Weiterentwicklung geeignet sein wird, unsere See-Interessen zu schützen. Die widerwärtigen I Vorgänge, die sich in der überlangen Zeit zwischen I Einbringung und Annahme der Vorlage im Reichstage abspielten, will Redner nicht eingehend erörtern. Es genügt, darauf hinzuweisen, dafs eine Partei, die es für nothwendig hielt, die Zustimmung zu der Ver stärkung unserer Seemacht ihren Wählern mundgerecht zu machen, der Regierung Steuern aufdrängte, die in der Hauptsache den Verkehr belasten. Bei diesen Steueranträgen stellte sich ein vollständiger Mangel an Verständnifs bezüglich der thatsächlichen Verhältnisse, mit denen sich diese Gesetzgeber beschäftigten, heraus. | Das mufs uns mit schwerster Sorge darüber erfüllen, I dafs die Entscheidungen über die grofsen bedeutungs vollen Fragen in unserm Wirthschaftsleben, die in den nächsten Jahren bevorstehen, in solchen Händen liegen werden. Das Bild, so schliefst Redner, das ich Ihnen bezüglich der hauptsächlichsten Gesetzgebung der jüngst vergangenen Zeit hier gezeichnet habe, ist nicht er freulich. Hoffen wir, dafs die Lebenskraft des deutschen Volkes grofs und stark genug ist, um sich auch unter solchen Gesetzen kräftig und befriedigend zu ent wickeln ! (Lebhafter Beifall.) Im technischen Theile der Verhandlungen sprach | Prof. Dr. Wü s t - Duisburg „über die Ursache der ’ Entstehung von Fehlgü s s en “. Der Vortrag wird . demnächst in unserer Zeitschrift erscheinen. Als Ort der nächsten Hauptversammlung wurde ! Dresden gewählt und darauf die Versammlung ge- | schlossen.