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Eine Parabel. Sonntagsgedanken. Wenn ter Mensch noch unter dem Herten seiner Mutter schlummert, hat die Natur ihn be reits mit Augen und Ohren begabt. Aber diese so kunstvoll eingerichteten Organe erlangen erst Sinn und Bedeutung in einer höheren Sinnen welt. So findet sich auch in unserm Seelenleben so mancher geistige Sinn vorgebildet, der erst auf einer höhem Stufe des Daseins zur vollen Geltung kommen kann. Ein menschliches Wesen, wir wollen ihm den Namen Embryo geben, da es noch keinen andern hatte, lebte einst in einer engen düsteren Höhle. Neunmal hatte der Mond bereits die Erde umkreist, seitdem es diesen Ort bewohnte, und Embryo konnte sich nicht entsinnen, vorher wo anders gelebt zu haben, und diese neun Mondesjahre kamen ihm in seinen einfachen Verhältnissen eben so lang vor, wie uns neun Sonnen jahrzehnte. Noch nie hatte er diese seine Höhle verlassen, in welche kein Schimmer des Tageslichtes eindringen konnte ; er hatte auch kein Bedürfniß dazu, denn es war ja dasür ge sorgt, daß ihm Speise und Trank soviel er nur brauchte, fortwährend durch einen elastischen Schlauch zugeführt wurde, und er fühlte sich ganz wohl dabei. Sein Leben war auf diese Weise ein sehr einförmiges und er wußte nichts Besseres zu thun, als die Augen zu schließen und zu schlafen. In der Zeit, wo wir ihn jetzt finden, dämmerten manchmal Traumbilder in seiner Seele auf, gleichsam wie dunkle Ah nungen einer ganz anderen Welt, als diejenige, in der er eben entschlafen war. Einmal träumte er auch wieder. Und er sah im Traume eins hehre Gestalt vor sich stehen, ähnlich der seinigen, nur größer; und die Gestalt war von einem wunderbaren Lichtglanze umflossen, wie er einen solchen noch nie in seiner dunklen Höle wahrgenommen hatte, und Embryo fing an, sich zu fürchten. Da öffnete die Gestalt ihren Mund und es drangen Töne zu Embryo's Ohr, wie er sie noch nie vernommen. Er verstand zwar die Worte nicht, aber es war ihm, als wenn er wenigstens zum Theil den Sinn derselben unmittelbar in der Seele der Lichterscheinung läse. Und die Gestalt sagte mit holdseligem Lächeln: „Fürchte dich nicht vor mir, lieber Kleiner, ich bin dein Bruder; auch ich bewohnte einst die enge Höle, in der du dich jetzt befindest, als aber der Mond zehnmal seinen Lauf vollendet, da wurde ich unter großen Schmerzen zu der Höhle hinausgestoßen, daß WM ' ... „ ' 's- - . - - - . - : "s ! ' ' r . . . - - Aus dem Lebe» eines Predigers. Nach Urkunden erzählt von I. s. Dentrich. > ' > ' Fortsetzung. - >"< ,,'/ü r- . . , . ! ' > ' Im stillen, frpmmen Einsiedlerleben schwand der Sommer^ beS JahreSj565. Zwei Jahre schon trug er das Brandmal eiaeS Mörders aus seiner Stirn ; zwei lange Jahre duldete er bereit- die Qualen eines fluchbeladenen Gewissens. Und wann sollte dieser Zustand end»«? Wollte er fort und fort bis an sein, vielleicht noch fernes Ende darin verharren? War wirflich keine Hoffnung vorhanden, eine Wendung des Geschicke- herbeisühren zu können? — Sein Älter zählte nur erst zweiuvddreißig Jahre; wie nun, wenn er eS auf sechzig, oder wohl gar noch höher bringen sollte? Welcher Zeitraum lag dann noch vor ihm? — Er schauerte bei diesem Gedanken. DaS wäre ja eine Ewigkeit für ihn gewesen ! Wahrlich, bei allem Muthe ich glaubte, ich müßte sterben und es wäre nun ganz aüs mit mir. Aber auf einmal wurde mir's ganz licht, und ich schlug meine Augen auf und rings um mich hemm war's hell und ich erblickte andere, mir ähnliche Wesen um mich, die mich aufnahmen und mir halfen und mich liebevoll pflegten; denn ich konnte mir damals noch nicht selber helfen in der neuen Welt, die mich umgab. Aber nach und nach wurde ich größer und stärker und konnte hierhin und dahin gehen, wohin ich wollte und sah nun erst recht, wie schön die Welt ist, in der ich jetzt lebe." Und nun erzählte er dem Embryo von Berg und Thal, von schönen grünen Wiesen, von Blumen und Bäumen, von lebendigen Wasserbächen, von allerlei Thieren auf der Erde und in der Lust und von dem weiten weiten blauen Gewölbe darüber und von dem glän zenden Feuerballe, der bei Tage an demselben hinzöge und Alles hell mache, und wie es hernach eine Zeitlang finster werde und nur aus großer großer Ferne unzählige kleine Lichtpünktchen herableuchleten und wie da Alles schlief und mhte, bis der Feuerball von der andern Seite wieder empor stiege. So erzählte er eine Zeitlang fort; aber jemehr er er zählte, desto wirrer wurde es dem Embryo in seinem kleinen Köpfchen und er konnte sich nicht vorstellen, daß es eine solche Welt geben könnte; ging ihm doch nichts über seine eigne kleine Welt, in der er sich ja, wenn sie auch ein bis chen eng und beschränkt war, so behaglich fühlte und un unterbrochen schlafen konnte. Als nun vollends der Bruder noch hinzufügte: du wirst nun auch bald deinen jetzigen Wohnplatz verlassen müssen, dann werden wir beisammen sein und du wirst mit deinen eigenen Augen sehen, was ich dir jetzt nur erzählen konnte, — da wendete sich Embryo unwillig um und mochte nichts weiter hören. Und das Traumbild war verschwunden. Dem Embryo gleicht der Mensch. Sein Leben auf der Erde ist nur ein Embryonenzustand zweiten Grades. Die Ahnung eines höheren Lebens dämmert ihm wie ein Traum bild in dieses Crdenleben herüber. Er vermag sich keine Vorstellung von demselben zu machen, und käme ihm auch eine directe Kunde aus jenem Leben, er würde sie nicht ver stehen, und sich mit seinen Gedanken nur um so fester an sein gegenwärtiges Sinnenleben anklammern, das nur zu ost einem geistigen Schlafe gleicht. Aber mit jedem Tage, mit jeder Stunde rückt der Zeitpunkt näher, wo er von diesem Leben scheiden muß; — wohl ihm, wenn dann die dunkeln Ahnungen seines Eintritts in eine dvitte höhere Lebensstusr für ihn bereits zur glaubensvollen Ueberzeugung geworden sind! L. > , —e. zu dulden, ssthlte er sich doch zu schrvach, den Kampf so lange bestehen zu könne«. Allein, «S bot sich dann kein anderer Weg dar, als sich dem Gerichte frMillig zu überliefern und sein Haupt dem Scharfrichter preis zu geben. Galgen oder Schwert mußt« er erwarten; denn das Wort: Gnade! sprach man sicher über ihn nicht auS. — . - Lange rang er bei solchen Betrachtungen mit sich selber, ohne zu einem festem Entschlüsse zu gelangen. Bald wollte er der Qual ein rasches Ende machen und stracks der Heimath zu eilen , um die verdiente Strafe an sich vollziehen zu lassen; aber eben so schnell gewann die Liebe zum Leben und dje Vorstellung deS ihm bevorstehenden Henkertodes die Oberherrschaft und er hielt an, seinen Vorsatz auSzuäben. Mit dem Ruf«: „Wie der Herr will und eS fügen wird, so geschehe eS!" — suchte er wieder neuen Muth und neue Kraft sich zu verschaffen, und er blieb, um länger zu dulden, länger zu bereuen , waS er ver-