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brochrn und mehr der Gnade des ewigen Richters sich würdig zu machen, in seiner Einsiedelei, bis ihn der Winter wieder daraus vertrieb. > Dießmal fand er eS bei seiner Rückkehr im Hause der Wittwe ganz anders. Sie hatte sich während seiner Abwesenheit mit einem jungen Manne verehe licht und trieb den starrsinnigen, unfügsamen Uhle scheltend zum Stübchen hinaus, noch ausdrücklich da bei bemerkend, sich ja nicht vor dem Gatten sehen zu lasten, wenn er nicht noch Schlimmeres erfahren wolle. Da stand er nun, der arme, heimaihSlose, ab gezehrte und jetzt wirklich gänzlich verlassene Mann; seine Augen richteten sich thränenvoll empor zum Him mel, an dem düstere Schneewolken, vom Winde ge- peitscht, dahinflogen. Wohin sollte er sich nun wen den, zumal die Nacht hereinbrach und die Füße ohne- dieß ihm wie Blei am Körper hingen? War das ost sehnlich gewünschte Ende des Lebens etwa nahe? — ES mußte indeß doch ein Entschluß gefaßt werden; so lange er zu kämpfen vermochte, wollte er kämpfen. Seufzend schritt er darum weiter, dem Innern deS Dorfes, das er eigentlich noch nicht kannte, zu. Viel leicht sand sich ein theilnehmendes, menschenfreundli ches Herz, da- wenigstens Obdach für diese Nacht gewährte. — Da er hoffen konnte, nicht erkannt zu werden, fragte er iu der, fast am Ende de- Dorfes gelegenen Mühle, sich für einen wandernden Mühl knappen auSgebend, an, und ohne Weiteres erfüllte ihm der Müller die Bitte. Da ihm dieser Versuch, ein Unterkommen zu finden, so glücklich gelungen war, blieb er auch ferner dabei und wanderte nun, vornehmlich in den Mühlen einsprechend, als Mühlknappe. Auf diese Weise fehlte eS ihm niemals an Nahrung und Herberge; und war das Wetter ungünstig, so blieb er wohl auch mehrere Tage an demselben Orte und machte sich dem Meister durch seine Dienste nützlich. Dabei weihete er sich in die gebräuchlichen Manieren der wandernden Knappen mehr und mehr ein, lernte etwas von der Mühlenbaukunst kennen und wußte besonders durch feine UnterhaltungSgabe und das gewandtere Benetz- men sich in wenig Minuten auch die Zuneigung des Fremdesten zu gewinnen. Ohne also gewissermaßen Roth leiden zu müssen, wanderte er von Mühle zu Mühle, nahm Aufenthalt für einige Zeit, wo es ihm bester gefiel, und trieb sein Wesen längs der Grenze Böhmens hin, bis zum Jahre 1568, wo er in die Gegend AnnabergS gelangte. Zu Ende deS MonatS Juli diese» JahreS brach daselbst die Pest in so furchtbarem Grade aus, daß man fürchtete, daS Ungeheuer werde alle Bewohner dahinraffen. Kein HauS, keine Familie blieb von ihr verschont, ja viele der Letzteren starben gänzlich auS. Was heute noch gesund sich begrüßte, war morgen schon als Beute de- Würgengels gefallen. Hunderte «nh wieder Hunderte sanken dahin. — Die Ererbenden verlangten sehnlich nach der Erquickung deS heiligem Nachtmahles, nach diesem Troße zur Reise durch die schauerlichen Pforten des Todes. Aber umsonst fleheten fit, ihr Sehnen konnte nicht gestillt- dieser Trost ihnen nicht gereicht werden, denn die dafigen Geistlichen dursten sich bei schwerer Strafe einem Verpesteten, mochte er sein, wer er wollte, nicht nahen. ES wurde darum äußerst nöthig, einen Pestgeißtichen anzustellen, und der Rath zu Anna- brrg forderte, unter den Versicherungen ansehnlicher Geldsummen, in allen Gegenden des Landes Prediger ober Canbivaten des Predigiämtö auf, das gefährliche Amt zu übernehmen.! L Wer sollte eS jedoch bei so sichtbarer Todesge fahr wagen, diesem Aufrufe zu folgen, sein Leben, auch wenn es dem Heiligsten galt, freiwillig zum Opfer zu bringen? Der Tod nur stand zu erwarten; weshalb denn Niemand, selbst nach wiederholtem dringenden Aufrufe nicht, sich zur Uebernahme deS Amtes meldete. Von dieser Noch des Raches der Stadt Anna- berg und von dem Elende der an der Pest erkrankten Bewohner derselben vernahm der jetzige Mühlknappe Uhle. Sein Herz zitterte bei dieser Nachricht; denn in feigem Geiste tauchte sogleich ein Hochherziger Ge danke auf, der rasch zu einem festen Entschlüsse gedieh und zur That reifte. ' ,-Sei hochgelobt und gepriesen, Du getreuer, barm herziger Gott, für diese, mir gewordene Kunde," — rief er begeistert aus und schauere, die Hände zum Gebete gefaltet, zum Himmel empor. — „Du zeigst mir jetzt den Weg, den ich wandeln soll, um Mit in it der Welt und mit Dir zu versöhnen. Ja, ich will den Sterbenden ein Tröster werden auf ihrem letzten Gange, will sie stärken und erquicken durch Deine- TohneS heiliges Mahl, auch wenn mein elen des Leben dabei endet. Stürbe ich dann in Deinem Dienste und könnte meinen Milbrüdern, Deinen so schwer heimgesuchlen Kindern, rvohlchuru Mache mich würdig, Vater, dieser Gnade, damit ich wieder Dir und deinem Sohne angehöre. Gieb Leben oder Tod, Herr, ich folge Dir getreu, und will nicht ermüden, nicht ermatten, bis Du mich von dannen rufst. Laß mich sühnen den begangenen Mord durch die Hin gabe meines Lebens für daS ewige Heil ; das ihnen quellen soll auS dem Genüsse deS von mir gereichten MahleS Deines lieben Sohne-!" < Und eiligst verschaffte er sich Papier und Feder und Tinte, schrieb aus dasselbe wer er sei, was er verbrochen, wie schmerzliche Reue er darüber em pfunden, wie schwer dafür er bereit- gebüßt, und daß er nun fest entschlossen sei, fall- er begnadigt und für würdig gehalten würde, da- Amt eine- Pestgeistlichen zu Ännaberg übernehmen, wie auch getreulich, so lange eS Gott gefallen, verwalten zu wollen. — Durch einen besonderen Boten ließ er dann daS Schreiben dem Rache zu Ännaberg über geben und noch mündlich hinzufügen, wo er sich auf halten wolle, um die Antwort in Empfang zu nehmen. Der Rath erstaunte nicht wenig über daS An erbieten Uhlen S, des seit fünf Jahren flüchtigen und zum Tode veruriheillen Mörder«. Der Inhalt seines zwar kurz, doch mit kräftigen und von frommem Ernste zeugenden Worten abgefaßten Schreibens machte einen tiefen Eindruck, und «ach kurzer Ve- rathung schon war man einstimmig berrit, ihin das Amt anzuvertrauen, wenn sonst der Ehurfürst die Begnadigung auSsprrche. Allerdings ein sonderbarer, während der Zeit der Resorination noch nicht vorge kommener Fall; allein die Roch gebot, von allen Re ben umständen abzusehen und alle Bedenken zu besei tigen. Rur ein Mann, der ohuedieß dem Tode schon verfallen war, konnte zu solchem schreckhaften Dienste sich hergeben und genommen werden. Der Rath stellte darum unverweilt dem Ehut- fürsten August die Noch der Stadt ausführlich dar, bat um Begnadigung deS Mörder» Uhle, dessen