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Weißerrh-Ieitung Verantwortlicher Redakteur: Carl Jehne di Dippoldiswalde. Freitag. Erscheint Dienstags und Freitags. Zu beziehen durch alle Post anstalten. Amts- und Meige-Klatt der Königlichen Gerichts-Ämter und Staöträthe M Dippoldiswalde. Mnenflein und Ittenberg. 27 März 1863. Preis pro Quartal 1V Ngr. Inserate die Spaltm-Zeile 8 Pfg. Wochen-Rundschau. In Berlin ist am 17. März das 50jährige Jubelfest der Erhebung Preußens gegen die Uebermacht Napoleons gefeiert worden. Es war aber kein National fest, sondern eine befohlene Parade, nirgends Be geisterung unter der trüben Gegenwart. Dem Feste lachte keine heitre Sonne, weder im Himmel noch in dem Herzen des Volkes. Es ging ein schmerzlicher Ton durch das Fest, der vom militärischen Waffenge klirr und den schmetternden Fanfaren und Märschen der Regimentsmusiken nicht weggebracht worden konnte. Der Zug der Veteranen von der Kaserne in der Carls- straße nach dem Lustgarten hatte etwas tief Ergreifendes. Die Jünglinge, die vor einem halben Jahrhundert die Schlachten des Vaterlandes geschlagen, kampfbegeistert, todesmuthig — sie zogen als hinfällige Greise vor den Zuschauern vorüber, die letzten Schatten aus einer großen Zeit. Und was ist in diesen 50 Jahren aus ihrem Vaterlande geworden, für das sie gekämpft und geblutet, für das Tausende und Abertausende ihrer Kameraden den Ehrentodt auf dem Schlachtfelde gestorben ? Konnten die Söhne, die Enkel den Veteranen freudig zujauchzen: „Euch danken wir ein freies Vaterland, zu dem die Regierung in Eintracht steht?" Der „Moniteur" in Paris veröffentlicht die nach Berlin gesendete französische Note vom 17. Februar, welche keinen Zweifel mehr übrig läßt über den ur sprünglichen Inhalt der preußisch-russiscken Convention, mag v. Bismark sagen, was er will. Bemerkenswerth ist, daß die Kammern in Berlin diese Wahrheit erst über Paris erfahren. Es heißt in der französischen Depesche: „Die Regierung Sr. Maj. des Kaisers der Franzosen hat nicht ohne Besorgniß vernommen, daß das Cabinet von Berlin mit dem von Petersburg eine Convention gezeichnet hat, durch welche der Hof Preußens das Eindringen russischer Truppen auf preußisches Ge biet behufs Verfolgung flüchtig übergetretener bewaff neter Banden gestattet, und sich selbst anheischig macht, die Aufständischen, welche preußischen Truppen gegen über zu stehen kämen, auf russisches Gebiet soweit zu rückzutreiben, bis eine hinreichende starke Abtheilung Landestruppen zur Hand ist. Dies überschreitet die durch das öffentliche Recht vorgezeichneten Verpflich tungen." — Der preußische Ministerpräsident kann sich daher nicht wundem, daß der Handelsstand in Ost preußen sich mit einer Eingabe an den Minister ge wendet hat, worin sie die Nachtheile hervorheben, welche der Güterverkehr durch jene Convention erleidet. Ans Polen lauten die Nachrichten für die Auf ständischen höchst ungünstig, klois polouiuv! heißt es jetzt. Wir berichten über die neuesten Vorgänge unter „Tagesgeschichte." Die Träume der Polen für eine Wiedergeburt sind vorbei; alle die zahlreichen Opfer an Menschen, Hab und Gut sind umsonst gebracht; das Land ist verwüstet und unglücklich. Wenn auch die polnische Frage mit Niederwerfung des Aufstandes factisch aufhört, so wird doch die aus wärtige Diplomatie, getragen von der Bildung und Gesittung der Zeit, für Polen eine solche Verfassung begehren, wie sie den Verträgen von 1815 entspricht. SuHen wir uns die Stellung der Großmächte zur politischen Frage klar zu machen. Napoleon läßt sich von der öffentlichen Meinung treiben. Sein Ziel ist nicht die Wiederherstellung Polens, sondem die De- müthigung Preußens; Englands Regierung fällt eS nicht ein, sich für Polen in einen Krieg einzulassen. Lord Palmerston gilt als der unversöhnliche Feind Rußlands. Aber sein Haß gilt nur der russischen Politik in der Türkei. Rußlands Eroberungssucht und sein revolutionäres Wühlen in den türkischen Ländem ist ihm sehr unbequem. Schließlich ist England mehr damit gedient, daß Rußland in Polen eine nie ver narbende Eiterbeule behält, damit es sich nicht mit voller Kraft auf den Orient werfen kann. Oesterreich ist durch die russische Politik in seinen Grundfesten bedroht. Es ist daher für Oesterreich Grund vorhanden, das Feuer gegen Rußland nicht zu löschen. Aber da Oesterreich auch polnisches Gebiet in Galizien hat, so kann es eine Ausdehnung des polnischen Aufstandes nicht wünschen. In England sitzt Palmerston auf seinem Minister posten fester denn je. Die parlamentarische Opposition opponirt nur in untergeordneten Fragen, läßt aber vollkommen freie Hand in der auswärtigen Politik, wo er stets den Vortheil Englands mit großer Ge wandtheit wahrzunehmen versteht. Aus Amerika nichts Neues von wesentlichem Belang. Das Geld zum Kriegführen scheint zu fehlen. Das Papiergeld ist bereits auf °/,» seines Werthes gefallen unv wird noch werthloser werden. Einem Privatbriefe entnehmen wir folgende Stelle: „Es scheint, daß in diesem Augenblicke (Mitte Februar) eine sehr be deutende Expedition nach Charleston zur See abgeht; auch in Virämien ist vor Eintritt des Frühjahres auf keine Entscheidung zu hoffen. Es scheint sich immer mehr die Wahrscheinlichkeit herauszustellen, daß die südliche Conföderation anerkannt werden muß, wenn die nächsten 2 oder 3 Monate uns nicht entscheidende Erfolge bringen. Vom praktischen Gesichtspunkte läßt sich nicht leugnen, daß die deutsche Einwanderung Vortheile von einer Tren nung zu erwarten hat, und daß ein Friede, wie auch im mer seine Bedingungen sein Mögen, für die Handelsstadt New-Jork sehr blühende Zeiten bringen muß." .