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fenstern. Keine kann dem unsichtbaren Frager auf feine fremden Laut« antworten. Wir hocken und schweigen — wir sind ja Ariegagefangene. Aber da und dort, da glimmt es teil» vorlaut, teils schüchtern aus dem Dunkel auf, die «irnt- gen Lichtfünkchen in der sorgsam gehüteten Finsternis. Zi garetten! .... Wer sind die Glücklichen, die sich in dieser müden Nacht sorglosem Genuß hingeben? Wo mögen die Beneidenswerten die geschätzten Stäbchen erhascht haben? Neben mir steht einer «Nd hört mein« Eelbftfrage. Stumm weist er nach rückwärts: „Geh zu Benno, er hat wohl noch einige!" .... Bennok? Also auch hier wieder. Uno ganz wie damals fühl« ich es, er ist der Reiche, der glücklich Be säende, von dem ein sicheres Gefühl -er Selbstg«oißheit und Ruhe ausgeht. In warmen Wellen schwebt es zu mir, gibt mir Freude und Hoffnung. Tastend im Finstern suche ich die ruhenden Le8»er zü durchforschen: jetzt will ich ihn herausfin den aus der schweigenden Schar, mir ist, als müsse etwas Leuchtendes, geheimnisvoll Anziehendes um ihn sein. — „Kennst Du Benno?" — „Ja!" — „Wo liegt er?" — .», Die Antwort geht unter in einem wüsten Schwall von Schimpstvorten, die mir der Posten entgegenschleudert. Ich schwindle an meinen Platz zurück. Um diesen Preis eines Kolbenstoßes mag ich in der Dunkelheit nicht noch einmal nach Benno suchen. Doch morgen weide ich ihn sehen. — Dumpfdröhnende Güterwagen öffnen ihre Lewer gäh nend vor uns. Sie verschlucken im Augenblick die frösteln den Menschen. Dann rollt ein Zug hinein in die Nacht; ruhelos . . . ruhelos. Vogesenberge, rieselnder Regen und nebeldüsteres Land! Bon den kahlen Höhen braust unfreundlicher Wind über das einförmige Flugptatzfeld. Über Nacht ist der Herbst glom men. Wir stehen im Geviert, frierend und ahnungsvoll am Morgen im Stracheldrahtpfenh und hören auf di« schnarren de Stimme des französischen Dolmetschers. Verhaltungs maßregeln! Wer nicht.... der wird erschossen! Wohl über 20 mal. Dann flattert eine weiße Liste in keiner Hand, und tonlos holpern d,e deutschen Namen aus seinem Mund. Jetzt werde ich Benno herausfinden. Gesehen habe ich ihn noch nicht, nur gehört, — gefühlt, habe seine Nähe geahnt... „Benno Leitner?" NÄen mir poltert eine Stimm«. End lich! — Und doch?! So hatte ich ihn mir nicht voryeftellt. Ganz gewiß nicht. Wo blieben die feinen, durchgeistigten Züge, wo der selbstbewußte Blick eines Weltmannes und wo war Nicht zuletzt der verächtliche Zug um die Mundwinkel? Verschwuren war mit einem Schlage di« Fülle der Bilder, mit denen meine voreilige Phantasie dem Namen Benno Le ben und Wirklichkeit gegeben hatte. Rote, gesunde Wangen und ein harmonisches Paar frischer Augen voll Jugend und Lebensfreude lachten mir entgegen. Dazu lag ein Schimmer von Zufriedenheit und Übermut zugleich um die schön geschwungenen Lippen. Nicht, daß ich enttäuscht gewesen wäre! Gleich gewann ich den sauberen Bengel lieb; ich fühlte, einen Menschen unter Lar ven gefunden zu haben. — Unsere Freundschaft war eng und fest geworden. Hin ter unseren Hirnschalen dämmerten die gleichen Ideen. Rur in einem unterschied sich Benno von mir, ja von allen siche ren. Im Gegensatz zu den übrigen Gefangenen mit ihren stumpfsinnigen, unschönen Feldkäppchen, trug er immer eine tadellos steife Heimatsmütze und ohne Unterlaß sorgfältig gereinigte, mattglänzende Artilleriestiefel; ein Umstand, der ihm viele Neider schaffte und selbst die Bewunderung der Franzosen erregte. Diese Eleganz verzieh man ihm jedoch zum Teil, eins aber erhitzte die Gemüter der Kameraden. In jener Nacht, da man den überraschten Artillerieunteroffi zier Benno aus seinem Unterstand herausholte, hatte sich der Ahnungslose soeben in seine Eigentumsumform gehüllt, und so war denn dieser Unglücksrock mit herüber in die Gefan genschaft gewandert. An dem schneidigen Stehkragen aber, der gleichsam wie zum bitteren Spott auf unser erbärmliches Los frech und herausfordernd über der blitzenden Knopf reihe saß, sollte Benno zu Grunde gehen. Dazu kam noch ein größeres Unglück. Benno liebte die Reinlichkeit. Wenn nach schwerem Tagewerk die erschöpften Leiber teilnahmslos auf die harten Holzpritschen sanken, dann stand Benno split ternackt in irgend einer düsteren Ecke der Baracke und be arbeitete seinen jugendfrischen Körper mit Wogen eiskalten Wassers. Es war ihm ein angeborenes Bedürfnis, seinen äußeren Menschen auch unter oen widrigsten Verhältnissen nicht im Geringsten zu vernachlässigen. Zahnbürste und Seif« waren seine ersten Erwerbungen mit sau« verdientem Selbe. Eines Tages erhielt er ein Paket — „Zigaretten" — rieten die meisten — emen Rasierapparat — riet ich. Ich behielt recht. Ich bewunderte ihn Aon lange, meinen treuen Freund und Leidensgefährten. Während andere in dumpfer Zer knirschung über ihr Schicksal hirchrüteten, trug Benno sein Los mit der Würde eine» Mannes, der sich mit einem LS- cheln über die kleinkich«n Schikanen unserer Peiniger hin- wegzusetzen wußte. Ja, ich hätte es fast Heiterkeit nennen mögen, seine sonnigen Heimatweisen vertrieben mühetzw auch in meiner Seele aufdämmernde Schatten. Einmal je doch hätte unsere Freundschaft beinahe einen derben Knacks bekommen; das war an jenem Abend, als ich ihm riet, mit kühnem Scherenschnitt seinen Unheilskragen vom Rocke zu trennen, und damit den ewigen Spötteleien und häßlichen Bemerkungen gewisser Kameraden «in Ziel zu festen. Lu sah er mich mit seinen großen Augen traurig an und fragt« leise, ob ich ihm seine einzige Freude in dieser fremden, selbst gierigen Welt nehmen wolle. Das schnitt mir ins Herz; und . so blieb er denn „Benno Stchkragen". Wer ihm diesen Namen gegeben hatte, wußte keiner. Eines Tages war er da, unvermutet und selbstverständlich und wurde sofort in den Sprachschatz der Kompagnie ausge nommen. Bennos wahren Namen kannten nur wenige, leider, leider auch sein wahre» Wesen, Benno hatte «in Herz, und in diesem Herz da flammte sonnige Warme, tt- bendiges Licht. Falschheit war ilun ein fremder Begriff, weit oben unter der markigen Jugend Norddeutschlands war er zum Manne gereist und kannte nur Ehrlichkeit und ein offenes Wort. Unrecht duldete er nicht, wo es auch im mer sein mochte. Ja selbst gegen die Franzosen tief er Sturm. In seiner Eigenschaft als UntenMstor fühlte er die verdammte Pflicht in sich, bei den aeringMk Unzuträgljch- keiten Mit Wort und Tat für die Kameraden einzutreten. Täglich 10—I8mal durste ich ihn dann als Dolmetscher züm Leutnant begleiten, um seine unermüdlichen Vorstellungen und Beschwerden den Franzosen verstäiwlich zu machen; bis wir gemeinsam an die Luft flogen. Hatte er bei dem kleinen Alpenjägerleutnant seinen Willen durchgesHt, dann lachte Helle Siegerfreude aus seinen Schelmenaugen. Und trotz allem . . „es liebt die Welt, da» strahleiche zu schwärzen" — Was er auch immer tat, der Stehkragen bildete gleichsam das stets hemmende Gegenaewicht dazu. So sind die Menschen; alle wüßten Benno in seinem Werte wohl zu schätzen, aber in ihren harten Gefangenenschädel wollte und wollte es nicht hineingehen, daß man auch als Ge angener bei mühseligem Dasein äußerlich ein Mensch ble ben konnte. Gefangenschaft und peinliche Sauberkeit waren ihnen zwei widerstrebende Begriffe, die bei gewalt samer Vereinigung Unbehagen, Mißgunst und Neid au»- lösten. Dieser Haß «per richtete sich dann naturgemäß argen die Person, die jene Gegensätze mit fröhlicher Selbstverstmid- lichkeit harmonisch in sich vereinigte. Man suchte nach Grün den, forschte nach Mitteln, um Benno und seinen Stchkragen unschädlich zu machen, vergeblich! Ich ahnte da» nahende Gewitter, noch einmal warnte ich Benno kameradschaftlich, liebevoll. . . Und wieder der schuldlose, vorwurfsvolle Blick, die erstaunte Frage „Warum? ... So ließ ich denn die Dinge treiben. Der Keim der Mißgunst war unheimlich drohend Heraw gewachsen. Ich bangte mehr denn je um Benno. Da ge schah die Tat. Hallend warf sich der starke Sturm nächtens gegen die ächzenden Leiber unserer Hütten. Bergwinter. — Ettdlos« Nächte mit Kälte und Regeifftrömen vettößhstn in unserer Brust die letzten Funken von Zufriedenheit, Verträglichkeit und Willenskraft. Und als an einem jenarttrüben Morgen Benno wie gewöhnlich nach seinem sorgfältig gereiniaten Rock griff, hing da nur ein krüppelhastes Sebllde von Stoff und Schmutz. Bubenhände hatten seinen sorgsam gehüteten Schatz über Nacht entweiht; an Stelle des stolzen Krauens wehten nur noch melancholisch einzelne Fäden in der Zug luft. Als ich bestürzt zu meinem Freunde aufblickte, da sah ich weißes Wasser in seinen Augen glänzen. Bon Stunde an wurde Benno ein anderer. Er sprach außer mir mit niemandem; aß kaum und wich scheu den Menschen aus. Ich fühlte, man hatte einem freudigen Son nenkinde seine Sonne genommen. Dann aber sah ich zugleich, wie rauhe Gesellen die Köpfe zusammenfteckten und sich «q