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an. Weinend, -an- verschüchtert flüchtete sich das Lind zur Mutter, um ihr sein Leid zu klagen. Frau Lisette schüttelt« schweigend den Kopf und fuhr ihrem Linde tröstend über den Flachskopf. Such sie litt io unter der schlechten Launen ihres Mannes; aber sie ertrug sie ohne Klage. Konnte er denn froh und bei guter Stimmung sein, wenn die Sorgen von allen Seiten auf ihneindrängten? Um vier Uhr passierte noch ein Güterzug die Wärter» bude; dann trat eine längere Pause ein, da der Hofzug erst kurz nach fünf Uhr folgte. Sowie der letzte Wagen de» Güterzuges um die Wald ecke verschwunden war, machte Heinrich Wenkstern sich da ran, die Strecke abzugehen. Mit jedem Schritt, der ihn der Kurve am Waldrand näher brachte, schwand seine Unruhe mehr und mehr. In seine Augen trat wieder das Feuer düsterer Entschlossenheit, und um seinen Mund zogen sich zwei tiefe Falten, die von starker Willenskraft zeugten. In ungefähr drei Minuten hatte er sein Ziel erreicht. Erft als Wenkstern die eine Hälfte der Kurve abgefchritten hatte, vermochte er wieder die Gleisstrecke zu übersähen. Wie zwei blinkende Linien zogen sich die Schienenstränge am Wald hin. Tanz hinten, in der dämmerhasten Ferne, wo die Gleise ineinanderzulaufen schienen, sich man noch wie einen kleinen schwarzen Punkt den enteilenden GLterzug. Spähend uick» lauschend blieb der Bahnwärter am Ende der Kurve stehen. Keines Menschen Stimme störte den Feierfrieden der Natur. Nur vom Waldinnern her scholl das Hämmern eines Spechtes und hoch aus den Lüsten tönte ein heiserer Habichtsruf. Ein paar Schwellen und rostige Schienenstücke lagen neben der Strecke aufgestapelt. Sie führten hier schon fett Jahren ein unbeachtetes Dasein, und wo sich eine Lücke in dem Stapel zeigte, wucherten Grasbüschel hervor und klei deten Eisen wie Holz in ein freundlich-grünes Gewand. Wohl Minuten starrte Wenkstern wie in einem inneren Kampf auf den Stapel nieder; aber dann riß er sich zusam men und biß die Zähne aufeinander. Mit den Händen ritz er den Stapel auseinander, daß die Grasbüschel umher flogen und all das kleine Getter, welches sich zwischen den Schwellen eingenistet hatte, in erschreckter Hast die Flucht ergriff. Noch einmal suchte der Wärter mit seinen Augen di« Strecke ab. Bon seinem Häuschen konnte er der Kurve we gen nichts sehen; ebensowenig etwas von der Gleisstrecke, auf der der Hofzug herankommen mutzte. Jener war erst in einer Stunde fällig; fremde Menschen verirrten sich nur fetten in diese weltverlassene Einsamkeit, und Frau und Tochter konnten ihn nicht bemerken, well ihnen ja auch die Kurve den Ausblick versperrte. — Nachdem sich Wenkstern genügend vor einer Über raschung gesichert glaubte, ging er nm Vifer ans Werk^ Zn« Hetmatfprachk Bon Wilhelm Müller-Rüdersdorf. Heimatsprache, Born aus tiefstem Grunde, Strom der herzentquellenden Gefühle Und des Sinnes, der den Geist durchglüht, Künderin mit teurem Muttermunde Bist du mir im Weltensttmmgewühle, Das aus tausendfachem Sprachquell sprüht. Deine Worte tragen Kindheitsgrütze. Künden schollenwürz'ge Heimatgüte, Sind voll Kernkrast und voll Balsam, mild. Alles Tönens wundersamste Süße, Alles Hochtriebs reichste Frucht und Blüte Wirkst du, Macht, die ewigem Schoß entquillt. Die Kurve am Waldrand. Erzählung von Verner Granville-Schmidt. (Rachdruckverboten.) Mitternacht war längst vorüber; Heinrich Wenkstern sah noch immer in der Sofaecke und sann. Er hatte den ab genutzten Uniformrock aufgeknöpft, als wäre es ihm zu heiß geworden in dem kleinen Stübchen. Endlich erhob er sich schwerfällig. Seine Bewegungen hatten etwas apathisches; aber in seinen Schläfen arbeitete es seltsam, und aus seinen Augen leuchtete ein finsterer Entschluß. Behutsam betrat er das Schlafzimmer und trat mit der Lampe leise an das Bett seiner Frau. Stumm betrachtete er einige Sekunden die Schlafende. — Wie fahlgrau ihre Wangen aussahen und wie die Backenknochen scharf her vortraten. — Und zu all ihrem körperlichen Leiden sollte nun noch das letzte kommen? — Die Vertreibung aus dem ihr so liebgewordenen Heim? — Neinl — Niel — Heinrich Wenkstern knirschte mit den Zähnen; dann löschte er schnell die Lampe aus und begab sich zur Ruhe. Den nächsten Morgen war der Bahnwärter schon früh auf den Beinen. Die innere Unruhe, die ihn in der Nacht mit schweren Träumen gequält hatte, trieb ihn bald hierhin, bald dahin. Sein ganzes Wesen erfüllte eine nervöse Ge reiztheit, die sich bei der geringsten Veranlassung Lust ma chen mußte. Einmal, wie er nach dem Schauer ging, das hinter dem Häuschen angebaut war, schweifte sein Blick wie zufällig nach dem Flusse hin, der seine trägen Wasser nahe dem Wärierhäuschen vorüberwälzte. Da sah er, daß sein Töchterchen, seine kleine Elfriede, auf dem Steg kniete, den die Frauen beim Wäschespülen benutzten, und selbstangefer- ttgte Papierschiffchen schwimmen ließ. Jäh brauste die Ge reiztheit wieder in ihm empor. — Hatte er ihr nicht ost genug verboten, am Flusse zu spielen? „Elfriede!" — er war schon bei ihr, riß sie vom Steg herunter und fuhr sie gegen seine sonstige Gewohnheit schaff