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64 L. Tierkunde. daß die Alten ihnen das Futter (zuerst Kaulquappen, Fröschchen, Regenwürmer, Egel, Käfer und andere Kerbtiere) auf den Nestrand würgen, von wo sie dasselbe dann selbst aufnehmen müssen. Wenn die Jungen größer werden und derbere Nahrung verlangen, so wird den Alten das Herauswürgen derselben beschwerlicher. Lenz erzählt einen Fall, daß in einem Dorfe bei Schnepfenthal ein Storch seinen Jungen in der Speiseröhre fünf Maulwürfe zutrug, von denen zwei beim Herauswürgen sich so nebeneinander schoben, daß er daran er stickte. Auch Wasser tragen die Alten in der Speiseröhre herbei und tränken ihre Jungen damit. In den ersten Wochen können die Jungen nur sitzen; dann be ginnen sie auch abwechselnd zu stehen. Die ersten Ortsbewegungen sind rückschreitende, indem sie sich mit dem Hintern dem Nestrande nähern, um sich des Unrats zu entledigen, der in einem kräftigen Bogenstrahl hinausgeschleudert wird. Der Reinhaltung des Nestes wird überhaupt große Sorgfalt gewidmet. Anfangs, wenn sich die Jungen noch nicht selbst zum Nestrande bewegen können, wird das Nest von den Alten bei dem jedesmaligen Erscheinen peinlich gesäubert, indem sie mit dem Schnabel allen Unrat über den Nestrand hinüber schnellen. Sind zwei Monate verflossen, so sind die Jungen fast so groß wie die Alten, empfangen diese dann, wenn sie mit Futter kommen, klappernd und beginnen sich gegen den Luftzug zu stellen und die Flügel zu bewegen, also Vorübungen zum Fluge anzustellen. Man hat gesagt, die Alten unterrichten sie hierbei, das ist falsch; denn diese haben mit dem Herbeischaffen des Futters so vollauf zu thun, daß ihnen dazu keine Zeit bleibt. Die jungen Störche umschreiten bald flügelschlagend das Nest, ohne sich von demselben zu erheben. Alsdann wiederholen sie dasselbe hüpfend, erheben sich allmählich höher, halten sich dann einige Sekunden schwebend über dem Neste und bringen das nun stufenweise immer weiter, bis sie endlich sich meterhoch eine halbe Minute lang und länger über dem Neste zu erhalten vermögen. Haben sie das etlichemal wiederholt, so schweben sie zuletzt weiter hinaus und beschreiben einen großen Kreis um das Nest. Die nächsten Tage werden dann die Kreise immer größer, und sie fliegen dann mit den Alten hinaus auf die Wiesen und Felder, immer von ihnen mit Nahrung versorgt. Des Abends kehren sie dann noch eine Zeitlang zur Nachtruhe auf das Nest zurück. Der Storch erreicht ein hohes Alter; denn es giebt Horste, welche Jahr zehnte hindurch von einem und demselben Paare bewohnt wurden. Ende Juli scharen sich die Storchfamilien der verschiedenen Gegenden auf ausgedehnten Wiesenflächen, gewöhnlich auf weichen sumpfigen Plätzen, zusammen. Vor dem Wegzuge im August sammeln sie sich mitunter zu Scharen von vielen Tausenden an bestimmten, in dieser Hinsicht zu einer gewissen Berühmtheit gelangten Orten an, um dann gemeinschaftlich ihre Wanderung nach Süden zu unternehmen.