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73 Lmilie geschrieben und Dich gebeten, Samstags den M und Sonntags d. 20* Sptbr. Abends zwischen 9 und 9? in den herrlichen Vollmond zu schauen, wo ich Dich dann sehen würde; nun stand ich bis heute Abend in dem Wahne, die Lmilie habe am Dienstag diesen Brief auf die Post gegeben, wo er dann Freitags in Lindau sein und Du meinen Wunsch wissen konntest. In dieser Meinung habe ich denn gestern Abends von 9—9^ selige, wonnevolle Augenblicke, bald im Garten wandernd, bald in der Akazienlaube sitzend, zugebracht. Mein ganzes Wesen war bei Dir; ich erblickte Dich im Monde und war vor Wonne fast außer mir; ich war aufs innigste überzeugt, Du sähest in denselben Augenblicken auch in den Mond; unaussprechlich süß war mir das Gefühl Deiner Nähe; ich ruhte an Deinem Herzen, drückte Dich an das meine, ach und war so selig. Heute Abend freute ich mich auch schon wieder im Geiste auf diese schönen Augenblicke, als mich auf einmal die Worte der Lmilie, sie habe meinen Brief nebst dem ihrigen dem H. Rawerau mitgegeben, aus meinem Himmel stürzen. So konntest Du also gestern und heute diesen Brief noch nicht haben, da Rawerau höchstens erst in Zürich ist, konntest also auch zur fest gesetzten Stunde nicht in den Mond schauen. 6) laß es uns doch, mein Lngel, für den nächsten Vollmond ja nicht vergessen. Ls ist ein gar zu seliges Gefühl, zu wissen, in diesem Augenblick sieht das theure Wesen auch hinein und denkt und fühlt nur dich. Jetzt zur Geschichte des heutigen Tages. Heute Morgen, liebe Re nate, habe ich in der Stadtkirche gepredigt. Der Herr Pfarrer Herr mann war verreist und hatte mich darum ersucht. Im Schlosse predigte zu gleicher Zeit der Herr Pfarrer SchultheßH, der mit Weib und Tochter (welche letztere Du ja kennst) seit 8 Tagen sich hier aufhält. Natürlich war deshalb niemand aus dem Schlosse in der Stadtkirche und ich hatte ein sehr kleines Auditorium, wie Du weißt, daß es die deutsche Gemeinde hier immer ist. Ich predigte heute, wie ich hier noch nie gepredigt habe, d. h. ich hatte keinen Buchstaben von der predigt aufgesetzt, auch kein Wort auswendig gelernt, sondern bloß im Geiste überlegt, was ich sagen wollte, und überließ mich ganz dem Drange der Empfindungen und der Wirkung der Gegenwart. Ich predigte über den Spruch: „unser Wandel aber sei im Himmel!", und ich bin überzeugt, daß ich in der Rirche noch nie so gut gepredigt habe, als heute; ich kam allmählich so in die Wärme und innere Begeisterung, daß mir die Worte von selbst flössen, ich sprach so passend und eindringend für meine Zuhörer, daß ich zwei von ihnen weinen sah, was ich noch nie in einer Rirche bewirkt zu haben mich er innere. Auch waren Stunden verflossen, ich wußte gar nicht wie, und hätte ich nicht zufällig an die große Wanduhr in der Rirche geschaut, ich glaube ich hätte noch s/4 Stunden fortgepredigt; denn in mir war noch Alles voll. Nach der Rirche hatten auch ein paar Berner Bauern zu H. Rrüsi gesagt: Der junge H. Pfarrer habe sehr erbaulich gepredigt. — Mittags aß ich bei Pestalozzi; es waren mehrere Fremde da. Nach Tische ging ich mit der l. Lmilie im Garten auf und ab und wir sprachen unterrichtet, nachdem er sein Mineli (Wichelmine Schultheß, die 1812—1814 Schülerin des Jfertener Döchlerinstituts gewesen war) heimgeführt hatte. Als er seine Verlobung Bloch mann meldete, dessen Schülerin seine Braut war und der sie auf der Rückreise nach Deutsch land besucht hatte, setzt Ramsauer hinzu: „Potztausend, wirst Du sagen, das giebt ein kleines Pärchen." 9 Freund Pestalozzis und spater Schwiegervater Ramsauers (s. 0.).