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14 ferner hatte Dreist alle Glieder der Anstalt im Schlosse und dem Töchter institut, die sich dazu eigneten, zum Chorgesange vereinigt, und veranstal tete zeitweilig größere Aufführungen, bei denen die Kasthofer, Blochmann, Griepenkerl vom Fellenbergschen Institut in Hofivyl u. a. die Soli sangen, i) An den Sonntagen wurden gewöhnlich größere Spaziergänge, zur Zeit der Weinlese re. auch harmlose Vergnügungen veranstaltet, an See-, Eis- und Schlittenfahrten fehlte es nicht, die Vorstellungen wandernder Schauspieler truppen wurden besucht rc. An den Sonntagabenden hatten abwechselnd zwei Mädchen zu ihrer Übung die Wirtinnen zu machen gegenüber den von der Kast hofer geladenen Gästen, zu denen immer einzelne Lehrer aus dem Lrchlosse gehörten. Man unterhielt sich mit Gesellschaftsspielen, Klavierspiel, Gesang, zu Zeiten gab es eine kleine Mummerei, auch ein Tänzchen, und an den großen Festtagen des Jahres, insbesondere an Pestalozzis Geburtstage, aß man nach dem Festaktus gemeinschaftlich, und ein Kinderball und ein besonderer für die Erwachsenen schloß die Feier. Ferien kannten die Anstalten nicht, die Zög linge waren zum Teil weit hergekommen, aus Frankfurt a./M., Lindau, aus Frankreich rc., und bei den damaligen mangelhaften und kostspieligen Verkehrs verhältnisfen begnügte man sich, zeitweilig mit einer kleinen Anzahl einen größeren Ausflug zu machen, einzelne Töchter und Lehrer bezogen wohl auch zu ihrer Erholung auf etliche Wochen eine Sommerfrische in Bulet auf der Höhe des Jura, zu der man von Jferten in 3 bis 4 Stunden aufstieg. Die Lehrer machten mitunter auch größere Reisen durch die Schweiz, nach Italien sogar, inzwischen wurden sie, wie immer, wenn sie auch nur auf kurze Zeit sich entfernten, vertreten, denn der Unterricht ging ununterbrochen weiter, und auch an Sonn- und Feiertagen war ja immer die Aufsicht über die Kinder und die größeren Schüler und Schülerinnen zu führen. An Berührungs punkten zwischen den Insassen des Schlosses und denen des Töchterinstituts fehlte es also nicht. Das ununterbrochene Zusammenleben aber, das gemein schaftliche Streben so vieler begabter und großenteils mit Begeisterung nach dem idealen Ziele, das Pestalozzi verwirklichen wollte, strebender junger Männer und Mädchen nicht gewöhnlichen Schlages (die vorhandenen Briefe der Renate und der Emilie Stephanie, der späteren Gattin Theodor Schachts, bezeugen dies) erzeugte ein starkes Gemeingefühl, und es knüpften sich so enge Bande der Zusammengehörigkeit, daß sie durch das ganze Leben hindurch stand hielten, wie namentlich Blochmanns Briefwechsel aus den spätern Jahren be weist. Die weit in der Welt Zerstreuten sprechen ihre Sehnsucht nach den Zeiten des Jfertener Zusammenlebens aus, und wenn es ihnen vergönnt ist, die Stätten, wo sie einst gemeinsam Freud und Leid getragen, wiederzusehen, Theodor Schacht schreibt darüber aus Jferten am 3. Februar 1812 an seine frühere Schülerin: „Wir singen hier immer noch eifrig auch in Concerten, aber nicht wie in großen Städten, wo man gurgelt und trillert, sondern ganz unschuldig, sehr einfach — fast immer ist das Orchester aus Mitgliedern des Instituts zusammengesetzt. Neulich sangen wir:' ,Nasch tritt der Tod den Menschen an rc.', blos für 2 Lenore und 2 Bässe. Eine mächtige Musik. Es geschah zur Todtenfeier eines verstorbenen Arztes und wurde mitten in der Predigt angestimmt, die Herr Niederer hielt. Bald darauf folgte, wieder in die Predigt verwebt, eine Trauerklage von Kunzen, dem Verfasser des Hallelujah der Schöpfung. Beide Stücke sind ziemlich schwer, wurden aber doch recht geschickt vor getragen. Unsere Gesangübungen ziehen mich sehr an, meist Chöre, die unser Meister sorgfältig aussucht, die Mädchen des Instituts treffen ziemlich genau und so kann sich ein billiger Zu hörer schon erfreuen. Jetzt habe» wir einen herrlichen Chor von Schulze einstndirt: ,Bor Dir, Du Ewiger', ferner den fugirten Chor: die Himmel erzählen, (Schöpfung) n. s. w." Ein Jünger Pestalozzis. Von G. Schulz. Erfurt 1890. S. 50.