Volltext Seite (XML)
Mauern und Türme Ein Roman aus Bischosswerdas Vergangenheit Von Marie Hildegard Müller, Bischofswerda (Schluß) In der Schlieffermühle Spät an einem Juniabend des Jahres 1559 wanderte Jakob Birckner, der Kämmerer und stellvertretende Bür germeister der Stadt Bischofswerda, mit rüstigem Schritt die vielfach jäh steigende und fallende Bautzener Straße entlang. Das Lichtgeriesel des Sommertages war verglommen. Dämmerverschleiert wachten die Berge der Lausitz über das ruhende Land. Von links herüber grüßte aus freundlicher Nähe der behäbige Waldrücken des Butterberges. Der Wind säuselte träge im Gezweig, denn seine Schwingen waren beladen mit Düften der blühenden Wiesen. Die ersten glitzergrünen Sternchen der Leuchtkäfer tanzten irrlichternd zwischen den Hecken und Gräsern am Rain. Die Straße lenkte in den dichten, beinahe schon nächt lich dunkeln Wald ein, wo es jetzt, da die Tageswärme noch zwischen den moosigen Stämmen gefangen gehalten wurde, dunstig schwül und vollkommen still war. Zu späterer Stunde erst würde hier das Nachtgetier sein Wesen treiben und der schwefeläugige Uhu als König geistern. Mit weit ausholenden, unbeirrten Schritten zog Birck ner fürbaß, wie ein Mann, der entschlossen und gern einem festbestimmten Ziele zustrebt. Schon kamen auf der Waldblöße die wenigen Häuser von Kynitzsch in Sicht. Birckner beschleunigte seinen Gang und erreichte in wenigen Minuten die versteckt liegende Schlieffermühle. Wütendes Hundegebell kläffte auf, wurde aber schnell durch Zuruf einer Frauenstimme beschwichtigt. Dieselbe angenehme Stimme, anscheinend die der Müllerin, wies auch ihn selbst zurecht. Ohne anzuklopfen betrat er eine höchst einfache Kam mer. Darin traf er Tanner an einem rohen Holztische, wie er den Schreibkiel eigenwillig über bas Pergament haken ließ. Der Schreibende saß mit dem Rücken gegen den Ein getretenen. „Gott zum Gruße, Bürgermeister Tanner", sprach eine frische, wohlbekannte, ach oft vermißte Männer stimme. Ihr Klang ließ Tanner aufschnellen und seine Augen in fröhlicher Überraschung blitzen. „Jakob, du? Sei mir willkommen, mein guter Freund, was du auch immer bringst." Sie schüttelten sich die Hände, und die ehrliche Wiedersehensfreude ließ beide vergessen, daß sie sich monatelang in Groll gemieden hatten. „Nun aber erkläre, was dich zu mir führt. Du siehst nicht aus, als seist du der Träger schlechter Posten." „Ich hoffe von Herzen, Bernhard, daß du als gute Nachricht aufnimmst, was ich dir mitzuteilen habe." „Rede," drängte Tanner ungeduldig. Birckner räusperte sich erst, seiner Stimme gewichtigen Klang zu verleihen und sprach ohne Umschweife: „Die Stadt Bischofswerda hat mich beauftragt, ihren Bürger meister zurückzuholen aus seinem selbstgewählten Gefäng nis." Er beobachtete, daß Tanner sogleich einen Schein ern ster wurde. „Das sind abgetane Dinge für mich, Jakob, wozu mich wiederum damit belästigen?" sagte er halb ärgerlich, halb traurig. Birckner warf einen Blick auf den tintenfeuchten Bogen, der auf dem Tische lag und lachte in sich hinein. „Wenn die Stadt und ihre Angelegenheiten abgetan sind für dich und dein Interesse, was veranlaßt dich bann, Bischofswerdaer Chronik zu schreiben?" Tanner war um die Antwort verlegen und Birckner ersah seinen Vorteil. „Die Stadt braucht dich, Bernhard, und du bist doch ein viel zu treuer Sohn der Heimat, als daß du ihrer Bitte ein taubes Ohr entgegenhieltest." Tanner machte eine wegwerfende Handbewegung. „Wo zu braucht man mich? Findet sich etwa niemand, der an meiner Statt am Sankt Martinstag die Röcke an die Spi talsinsassen und Hausarmen austeilen wird?" Der scherzende Ton gelang ihm nicht recht, aber Birck ner lachte unbekümmert. Dann unternahm er es geduldig nochmals, den Abtrünnigen zu versöhnen. „Bürgermeister, deine führende Hand fehlt überall. Die Unruhe ist längst verebbt. Der Regimentswechsel ist ohne alle Umwälzung in der Stadt vor sich gegangen. Von Dres den aus vermied man es feinfühlig, irgendwie störend in unser Räderwerk einzugreisen. So leben wir in betrieb samer Zufriedenheit gerade wie zu bischöflichen Zeiten. Nur dich vermißt man. Nicht mehr ist die Rede von irgendwelchen Mißgriffen deinerseits. Man weiß nur, was du allenthal ben gewesen bist und möchte dich gern wieder im Ratssessel sitzen haben. Ehrt dich das nicht, Bernhard, und vermag dich zur Rückkehr zu bewegen?" In Tanner arbeitete es. Rauh stieß er hervor: „Und wenn auch! Zu sehr verändert sich das Jetzt gegen das Einst." „Man kann auch in der Treue zuviel des Guten tun, zumal deine starrköpfige Unversöhnlichkeit dem Bischof gar nichts mehr nützen kann." Nun brachen sich Tanners düstere Gedanken vollends Bahn. „Armer Bischof," rief er aus, „auf dem Stolpen, in der Hochburg Meißens, braut nun Mutter Anna Leibwehr tränklein, und demnächst wird gar der Kapitelsturm zur allerhöchstfürstlichen Wochenstube eingerichtet werden! Wie mag es aber Johannes von Haugwitz zumute sein, wenn er erfährt, daß der Turm, den er mit stolzen Vorsätzen zu bauen begonnen, von Kursürst August jüngst vollendet wurde mit allem zur Verfügung stehenden Prunk?" Birckner lächelte. „Wer weiß, ob ihn aller solcher Wan del jetzt noch so hart trifft wie dich. Er und Agnes bestell ten mir neulich an dich viele Grüße. Sein junges Weib im Schlosse Ruhetal wird, denke ich, Sorge tragen, daß ihn nichts Vergangenes mehr kränkt." Finster entgegnete Tanner: „Mir aber hilft kein junges, holdes Weib, mich schicken in ungewohnte Verhältnisse." „Mir auch nicht, Bernhard." — Mit schmerzvoll ge dämpfter Stimme sprach es Birckner. Tanner sah ihn mitleidig an. „Verzeih, daß ich unge wollt an deine Wunde rührte. Aber, Jakob, du stehst nicht, wie ich, schon im Abendschatten des Lebens, da kein neues Glück recht mehr gedeiht. Deine Mannesjahre liegen noch unverwelkt vor dir. Du wirst die Kraft finden, deinem Leben wieder einen Inhalt zu schaffen." Tief atmete Jakob Birckner: „Das werde ich, so Gott mir dazu hilft. Bis zu meiner Sterbestunde jedoch wird mir in der Seele ein liebend leidvolles Gedenken lebendig bleiben an meine arme Frau Donate und unser» innigst- geliebten Sohn. — Sieh, Bernhard, ich muß auch über Trümmern wieder aufbauen, und mich dünkt, solange die Welt steht, wird das unser aller Schicksal sein. Warum willst du allein im Schutt des Unwiederbringlichen wühlen und so bei Lebzeiten schon ein toter Mann sein?" Tanner sah ihn ungläubig an. Des Freundes Worte weckten Widerhall in seinem Herzen. Sprach Birckner nicht die Wahrheit? Schlug nicht sein Herz freudig den Ge danken entgegen, wieder gegenwartsfroh für die Zukunst zu schaffen? Birckner bemerkte die Veränderung in Tanners Zügen. Lebhaft erfaßte er ihn bei der Hand. „Komm mit mir, Bürgermeister Bernhard Tanner, ich will dir zeigen, was dein altes Herz aus krankem Brüten emporreißt zu fri schem, manneswürbigem Wirken."