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Geschichte eines Bauern Bon Theodor Schütze, Hainitz Ein wendischer Bauer, der einmal spät abends über die Heide ging, empfing da von finsterem Schicksal einen Schlag, der ihn aus seinem geraden und in Mühsal ehr lichen Leben herausriß. Es war eine milde, stille und wehmütige Nacht zu Beginn des Oktobers. Der späte Mond hatte sich noch nicht erhoben,' doch die Kiefernwälder im Osten zeichneten sich schon in ungeheurer Schwärze gegen die lichte Klar heit ab, die er seiner Ankunft vorausschickte. Auf den mageren und kahlen Heidefeldern trieben letzte Grillen eine müde Musik, vereinzelt und altersschwach. Von Zeit zu Zeit ertönten dünne Pfiffe und Rufe, die einer unent rätselbar dunklen Welt zu entstammen schienen. Der Bauer ging etwas gebückt, mit langen, schweren Schritten den sandigen Weg. Die Eisenspitze seines dicken Stockes schlug dann und wann mit Hellem Klang an die runden, schimmernden Kieselsteine. Der Mann roch nach Vier und Branntwein,' er kam aus dem Gasthaus eines nahen Dorfes, wo er mit seinesgleichen gezecht,' auf dem Heimweg hatte er sich eine Zigarre angezündet. Er war vergnügt. Manchmal summte er unvermittelt ein paar Töne vor sich hin) manchmal spuckte er geräuschvoll aus und räusperte sich. Woran dachte er? Vielleicht an die Witze, die am Biertisch erzählt worden waren,' vielleicht an Ernteertrag und Geldgewinst, an Haus und Hof, Weib und Kind. Jedenfalls hatte er kein Auge für die feierliche Schönheit der Nacht. Rüstig schritt er heimwärts; kleine weißliche Rauchwölkchen schwebten hinter ihm davon und starben schnell im Nachthauch dahin. Bleich reckte jetzt der Mond ein Silberhorn über die fernen Kiefernwipfel em por. Der Bauer wandte sein Antlitz einen Augenblick lang gen Osten, nickte über das weite Feld hinweg gleichmäßig dem vertrauten Ankömmling zu. In der gleichen Sekunde ward in dem Birkengebüsch zur Linken ein plötzliches Rascheln vernehmbar und ein Bewegen der Zweige, und ehe der überraschte Bauer seine Augen dahin gekehrt hatte, sprang ein Mensch hervor und schlug wie rasend mit einem Knüppel nach seinem Kopf. Der Mordgesell traf nicht so wie er gewollt. Der Bauer, schnell ernüchtert und gelenkig geworden, riß im letzten Bruchteil der Sekunde sein Haupt beiseite; der Knüttel schleuderte seinen Hut zu Boden und streifte im übrigen nur Haare und Ohr. Und ehe der Fremdling einen zweiten Schlag führen tonnte, hatte er die Hände des Bauers an der Kehle. „Hund, verdammter, wart, ich werd Dich lehren!" brüllte der Bauer und würgte den anderen so erbarmungs los, daß dieser seine Waffe fallen ließ und mit beiden Händen die eisernen Pranken des Bauers von seinem Halse megzukrallen suchte. Als ihm das gelungen war, warf er sich aber mit voller Wucht und Wut auf den Geg ner, nnd es ward ein furchtbarer Riugkampf begonnen mtt allen Kräften und Listen, mit Hieb, Stoß und Biß, mit heiseren, grimmigen Lauten, wie sie Tiere haben, die auf Leben nnd Tod miteinander kämpfen. Sie zerstampften das Gras nnd das Heidekraut, das unter ihren Füßen war; der Hut des Bauers und die glimmende Zigarre wurden tief in den Sand getreten, und ein gewaltiger Griff des überfallenen zerfetzte dem Fremden die Jacke. Doch leicht zn besiegen war er nicht, obwohl er schmächtiger schien als der Bauer. Was dieser an körperlicher Stärke vielleicht voraus hatte, das machte jener durch Schnelle wieder wett und durch eine tobende Wildheit, die von dem Mißlingen seines Anschlags hervvrgerufen, von der Be fürchtung der Niederlage und Strafe angefenert war. Niemaud vernahm in der einsamen Ode das Keuchen und verbissene Knurren der Männer. Die Mondsichel hing klar »nd still am östlichen Himmel. Endlich wollte es das Geschick, daß Ser Fremde über seinen Knüttel, der tückisch am Boden geblieben war, ins Straucheln geriet. Sofort packte der Bauer zu, und einen Augenblick später kniete er auf der Brust des Liegenden, und seine Hände umschlossen wieder dessen Hals. Diesmal ließ er nicht gleich los, wie sehr auch der Fremde noch um sich schlug. Er hatte jetzt nur den einen großen Gedanken seines Sieges; sein Herz hämmerte in gewaltigen Schlä gen, die Blutwogen stiegen ihm rauschend zu Kopfe, und sein Gesicht verzerrte sich. Das wilde Verlangen nach Rache wuchs ungeheuer in ihm auf. Eine tierische Lust war plötz lich da, eine Lust, die das Opfer forderte. Seine Hände waren eiserne Klammern; vor seinen weitgeöffueten Augen tanzten blutige Nebel. Als der fremde Mensch sich gar nicht mehr regte, über kam den Bauern plötzlich eine kalte Welle der Ernüchte rung. Eine unbekannte Schwäche kroch ihm durch Kopf und Glieder, löste und erfaßte jeden Muskel, der sich vor her in fast schmerzhafter Spannung gestrafft hatte. Seine Finger glitten zitternd von der Kehle des Unterlegenen ab, sie waren jetzt feucht und kühl. Schweratmend erhob sich der Bauer, stand taumelnd eine Weile wie ein Trun kener, starrte den fremden Körper im Heidekraut an, sank dann wiederum neben ihm nieder. Mit bebenden Händen betastete er ihn; doch waren weder Atemhauch noch Herz schlag mehr spürbar; keine leise Regung, keine Zuckung verriet mehr einen noch so kleinen Rest von Leben in die sem Leibe. Der Fremde war tot. Da rüttelte der Bauer den stummen Leichnam, wie man einen Schläfer rüttelt, dessen Schlummer sehr schwer ist. Es überfiel ihn eine entsetzliche Furcht vor diesem Menschen, der doch gewiß nun unschädlich war, noch mehr aber vor sich selber, der er diesem Unbekannten das Leben genommen hatte. Er kam sich plötzlich selbst ganz fremd vor, nun, da ihm die volle Besinnung zurückgekehrt war und ihm erschrockene Fragen glühendheiß aus dem Herzen emporguollen. Ängstlich blickte er sich um, als glaubte er, Rächer müßten ihn nun umringen, ihn fesseln oder auch erwürgen. Doch da war nichts Lebendiges außer ihm. Weiße Wolkensegel trieben über die Mondsichel hinweg; die Landschaft ruhte in einem stillen Schlummer. Bon irgendwoher kam der langgezogene dünne Pfiff einer . Lokomotive; doch klang er schier wie der klagende Rus I einer lebenden Kreatur, die sich nicht nach Hause findet. Der Bauer nagte au seinen Lippen. Mein Gott, was war denn da geschehen, gerade ihm, gerade heute? Hundert mal geht man denselben Weg ungefährdet, und kommt man zum hundertundersteu Male, da lauert einer, nnd plötzlich hat mau Blut in den Händen und hat sein eigen Leben mit knapper Not noch bewahrt! Wer war der Fremde? Was brachte ihn gerade au diese einsame Stelle, an diesen unbegaugenen Heideweg? Doch der Bauer war keiner von denen, die lange stehen und ihren Gedanken nachhüngen. Er begann des Fremden Kleider zu untersuchen und entnahm den Taschen außer einigen schmutzstarrenden Tüchern, Bindfäden nnd Brot rinden, ein Messer, ein Geldtäschchen ohne jeden Inhalt und eine schäbige schmale Brieftasche. Ein Rucksack oder Ranzen oder Packen war nicht vorhanden. Soviel auch der Bauer sich Mühe gab, etwas zu entdecken, so fand er doch nur noch eine alte Mütze in dem Gesträuch. Da begnügte er sich und wühlte aus der Brieftasche einige Papiere her aus. Er brannte ein Streichholz an, um sie zu lesen. Doch besann er sich und beleuchtete erst das Antlitz des Toten. Er gewahrte weiße, wüste, verzerrte Züge; sie gehörten einem wildfremden Menschen au, der ihm wirklich noch nie und nirgends begegnet war. In den Papieren entzifferte er unter großer Mühe im flackrigen Lichte mehrerer Zünd hölzer den Namen Amand Aßmann und die Angaben, daß der Vorgenannte ein Schreinergeselte und zu Unterschlur- bach im Amt Böblingen geboren sei. Da wußte er denn