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Mauern und Türme Ein Roman aus Bischofswerdas Vergangenheit Von Marie Hildegard Müller, Bischofswerda (Fortsetzung» Es war empfindlich kalt, und ein feiner bläulicher Nebel versprach Rauhfrost für den kommenden Morgen. Wie alle Frauen der Bürger, wollte auch Donate ihrem Gatten nahe sein. Sie brachte ihren Knaben zu guter Ruhe ins Bett, hieß der jungen Magd, den Schlaf des Kindes zu hüten und begab sich mit Agnes gleichfalls nach dem Bautz- ner Tor. In dem Getümmel wurden die beiden Frauen immer weiter nach vorn geschoben, dann aber von einander gedrängt. Agnes war noch heiß, und während ihre Augen bange ins Dunkel starrten, flogen ihre Gedanken rückwärts. „Ich muh nun eilends wieder an meinen Platz, es ist höchste Zeit," hatte Hans Krähe am Nachmittag zu ihr ge sagt. Dann mochte er wohl den jähen Verdacht in ihren Augen haben aufglimmen sehen, denn seine Lippen kräusel ten sich zu gutmütig beruhigendem Lächeln. „Nein, nein, du kannst sicher sein, ich werde deine Stadt nicht verraten. Mein Verweilen hier galt nur der Liebe zu dir. Jetzt aber gilt es den Krieg. Lebe wohl, Schatz, be halte mich lieb, allerschönste Feindin, wenn du mich auch nicht wieder siehst!" Agnes weinte nach diesem Abschied bitterlich. Aber wem ihre Tränen flössen und warum, darüber konnte sie sich keine klare Rechenschaft geben. Ermüdet und voll unbestimmter Angst starrte Agnes immer noch nach dem Tor hinüber. Würde nun Hans Krähe als Feind da oben auf der Zinne auftauchen? Ach, über ihre unselige Zwiespältigkeit! Agnes war müde zum Umsinken von allem, was über sie htngegangen war. Die Augen versagten schmerzend den Dienst. Nur undeutlich noch sah sie die Mauerumrisse unter dem rötlichen Fackel licht aufglänzen. Immer mehr verwirrte sich ihr der Sinn. Da — stand nicht auf der Mauer hoch oben über dem Wehrgang im blähenden schwarzen Mantel, die Feuerkugel in der Rechten, eine gebieterische Gestalt, die nur aus Luft gebildet schien? War sie denn wahnsinnig? Das war doch — das war doch Flyns, der schreckliche Gott des Bösen und alles Unheils, so wie ihn der alte Schäfer in Putzkau immer beschrieben hatte. Was stierte der starre Götze sie nur so unverwandt an? O, ja, sie war ihm verfallen ganz und gar, und weggelöscht war aus ihrem Leben alles Gute und alles Licht. Swantewit ist fern ge rückt, ganz fern. Aber was ist das? Jetzt wendet der Flyns sein fahles erdfarbenes Antlitz gegen die Menge, als ob er jemand suche. Hoch hebt er den Arm mit dem Feuer. Was will er? Ist es ihm nicht genug an mir, daß er noch andere Opfer heischt? Von ganz hinten her gellte eine Kinderstimme jammer voll auf. Im selben Augenblick hörte Agnes auch schon aus entgegengesetzter Richtung Donatens Schrei: „Mein Kind!" Agnes drückte die Hände gegen die Schläfen. Der Spuk auf der Mauer war zergangen. Und das andere, das Ent setzliche, das hatte sie doch auch nur geträumt? Donatens Knabe schlief doch zu Hause wohlverwahrt? Da kreischten Frauenstimmen durcheinander die Bautz- ner Gasse entlang: Birckners Söhnchen verbrüht, des Käm merers Kind tot! Das Herzblut gefror Agnes. Sie sah, wie alles zurück wich vor Donate, die schneeblaß auf ein kleines wimmern des Etwas zuflog. Schwindelnd schloß Agnes die Augen. Als sie die Lider wieder hob, traf ihr Blick das Stadtwappen mit den ge kreuzten Bischofsstäben oben im Torquerbalken. Da schwamm es ihr vor den Augen, und sie sah ein anderes Bild vor sich: Das holde Kind, wie es damals im Mauer garten das Lärchenreis pflanzte und sie sah sich selber im Freundeskreis mit Johannes von Haugwitz zusammen stehen, fühlte wieder, wie seine Hand sich um die ihre schloß Es war zuviel. Agnes sank in sich zusammen, gemar tert und hin- und hergerissen von uneingestandener Reue und totgeglaubter Liebe. Ein paar Minuten lehnte Agnes so. Niemand achtete in dem Tumult auf sie. Dann aber richtete sie sich auf, zwang ihre wankenden Knie und schritt Birckners Hause zu, das Leid zu teilen, das dort einge zogen war. Der Weg nach Marien st ern Das herzzerreißende Jammergeschrei erstarb in einem erlösten Seufzer. Donate fing den brechenden gequälten Blick ihres Kindes auf. Ohne einen Laut von sich zu geben, halb irre, versteinert vor Schmerz, warf sie sich über den kleinen, furchtbar zugerichteten Leichnam. Mit zärtlichen, schmerzgekrümmten Händen umfing und hegte sie immer wieder den toten Liebling. Jakob Birckner kniete an dem Bettchen und versuchte zu beten, aber seine Stimme zer brach in erschüttertem Schluchzen. Zu entsetzlich, unfaßbar war dieses härteste Leid über die armen Eltern herein gebrochen. Tanner und Agnes, die mit in dem kleinen, ach, sonst so heimeligen Gemach standen, konnten nichts als stumm mit weinen. Klagen und Trost, beides Worte, was sollten die hier, wo ihnen allen eine ganze Nacht lang die Seele verbrannte in hilflosem Mitleid über die schier über menschliche Pein, die der unschuldige, jedem ans Herz ge wachsene Knabe erlitt? Das gräßliche Unglück, das ein glückhelles Haus für immer verdunkelte, war durch die Pflichtvergessenheit eines verliebten Mädchens herbeigeführt worden. Die junge Magd, Wiesenmüller Joh. Seifferts Tochter, die auf Do- nates Geheiß an jenem Abend bei dem Kinde im Hause bleiben sollte, hatte wenigstens von weitem schnell einmal nach ihrem Schatz sehen wollen, der auch mit unter den Verteidigern am Bautzner Tore war. Sie traute sich aber nicht, den Kleinen unbewacht allein zu lassen, und in un bedachtem Leichtsinn erfand sie den Ausweg, den Kleinen einfach mitzunehmen. Ihr Gewissen beschwichtigte sie, indem sie sich vornahm, nur ein ganz kurzes Weilchen auszubleiben und sich ganz hinten außerhalb des Gedränges aufzuhalten. So konnte nach ihrer Meinung nichts Schlimmes weiter geschehen, außer, daß sie entdeckt wurde und das zu ver meiden, wollte sie schon Schlauheit genug aufwenden. Das Mädchen wurde für seinen Ungehorsam grausig gestraft. Kaum, daß sie in die Bautzner Gasse einbog, er kannte eine Frau den Jungen und stellte das Mädchen zur Rede. Während dieser Augenblicke, da sie verlegen nach Aus flüchten suchte, ließ der Kleine unbemerkt ihre Hand los und rannte neugierig zu einem der mit kochendheißem Wasser gefüllten Bottiche, die zahlreich vor den Häusern bereitstanden für den eindringenden Feind. Noch ehe je mand das Kind zurückreißen konnte, war es schon so un glücklich in das Siedewasser gestürzt, daß keine Hilfe gegen die schweren Brandwunden möglich war. Nachdem die erste Benommenheit des fürchterlichen Er lebens wich, suchte Tanner selbst die Schuldige und ließ sie ins Stockhaus bringen. Das Mädchen, vollkommen gebro chen und verstört, versprach sich von der Strenge des Bürgermeisters nichts Gutes, zumal sie wußte, wie auch sein Herz um das kleine Leben blutete, das sie achtlos zu Tode gebracht hatte. — Der Überfall des Carlowitz war inzwischen, wie alle in der Stadt nicht anders erwartet hatten, glatt abgeschla gen worden. Viel Tapferkeit und noch mehr Geschrei hatten die Bürger dabei aufgewendet. Das Ende vom Liede war, daß die Carlowitzischen nach wenigen Stunden mit langer Nase abziehen mußten. Damit war wohl dem Carlowitz für immer die Lust vereitelt, das wehrfeste Bischofswerda oder