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An die Pillen und Mixturen des Apothekers dachte nie mand mehr. Es herrschte Schweigen. Nur das Schmatzen Les alten Horn und seiner Kathrine war zu hören. Letztere verschlang ein Stück Kuchen nach dem andern. Gulich, der längst satt war, und nur noch „zur Gesellschaft" mit aß, ging zu ihr und sagte: „Dir schmcckt's, Kathrine. Was?" „Hm, hm, laß mich, ich hab jetzt keine Zeit," gab sie zurück. Dabei verschluckte sie sich und mußte derb husten. Die ganze Runde begann zu lachen. Kathrine krächzte fort und fort und schien ersticken zu wollen, so daß alle auf sprangen und sich um sie bemühten. Gulich klopfte den mageren Rücken der Alten, es wurde aber nicht besser. Ihr Mann und Lotte kümmerten sich nicht im geringsten um die Frau, die ganz erschöpft war. Kaum hatte sie sich etwas erholt, wollte sie wieder nach dem Kuchen greifen, doch Resel wehrte ihr und sagte: „Nich doch! Erst nehm' se mal en Schnaps. Hier." Sie hielt die Flasche hin. Die Alte nahm sie hastig aus der Hand und setzte sie an ihren Mund. Rasch sprang Lotte herbei und rief mit fröhlicher Stimme: „Sauf doch nicht so, alte Kathrine." Die Alte ließ sich aber nicht stören. Da riß ihr Lotte die Flasche aus der Hand. Worte fielen hin und her und fast wäre es zur Schlägerei gekommen. Nur der alte Horn ließ sich nicht im geringsten stören und biß kräftig in den Kuchen. Resel hatte erstaunt auf das Mädchen gesehen, das gar so erbost sein konnte und ihre Mutter mit schlimmen Wor ten anfuhr. Nun war wieder Ruhe. Die Alte hielt sich an den Kuchen, schielte aber ständig nach der Flasche, die auf dem Fenster stand. Endlich waren alle satt. Der alte Horn hatte sich in seinen Schemel zurückgelegt und schlief. Resel holte die Flasche vom Fenster, die nun die Runde um den Tisch machte. Alle lachten und schwatzten und freuten sich, daß der alte Pflastermann den Schnaps verpaßte. Nun aber er innerte Kalich daran, daß Resel etwas für ihre Beine haben wollte. Gulich wollte eben den Apotheker wecken, als es wieder an die Tür pochte. Es war schon düster geworden. „Wer kann's sein?" rief Male. „Sieh nach, Kalich," forderte Resel den Nachbar auf. Es war auf einmal still geworden. Nur das Schnarchen des alten Horn war zu hören. „Gib 'n en Schubs, Kathrine," wandte sich Gulich an die Alte. Es kam aber nicht dazu. Ein kräftiger Mann mit starkem Schnurrbart erschien in der Tür und rief lustig: „Na, Ihr feiert wohl schon Kirmst?" „Ach, Du bist's, Löhr," begrüßte ihn Gulich. „Komm ran, Löhr. Hier gibt's zu schnurpsen! Feste! 's is schon Kirmst." Löhr, ein Spießgeselle des Hauptmanns, war mit Resel wohlbekannt. Er ging auf sie zu und klopfte ihr vertrau lich auf die Schulter, indem er sprach: „Na, wie geht's? Wie steht's? Keine Nachricht?" „Nee," gab Resel zurück. „Ich hab nu gebacken, weil er es doch so haben wollte. Und nun is er nich da." „Hm," meinte Löhr, „das konntst Du Dir doch denken. Ich komm von Budissin." „Von Bautzen?" riefen die Männer und auch Resel nebst Male. „Hast'n gesehn," fragte Resel. Löhr schüttelte langsam den Kopf. „Sie haben ihn zu feste eingerammelt. Da is kein Raüskommen. Ich weiß nicht, was da wird." Alle schwiegen. Resel fuhr mit der Schürze über die Augen und sagte: „Und er wollte ganz bestimmt kommen." „Ja, ja," nickte Löhr. „Er wollte. Aber — 's geht wohl dasmal nich." Es entstand eine peinliche Pause. Kalich ging, die Laden zuzumachen, denn es dunkelte schon, und man konnte die einzelnen Personen in der Stube nicht mehr erkennen. „Ich hol de Lampe," sagte Male. Als das Licht auf dem Tische stand, sah Löhr die frem den Leute. „Hast wohl Kirmstleute," wandte er sich zu Resel. „Das nu gerade nich," sagte Resel und schneuzte sich in die Schürze, „'s is en Aptheker, der mir was für's Bein geben wollte." „Wohl der, der da schläft?" „Ja. Er is müde," sagte Kalich. „Hat zu viel gefressen!" Alle lachten. „Wir wollen ihn jetzt wecken," warf Gulich ein. „Zum Schnarchen is er nich dou." Dabei gab er dem alten Manne einen Stoß, daß er bald vom Stuhle siel. Die Männer lachten und Kathrine sagte: „So is recht. Sagt nur, 's is Schnaps da. Da wird er glei munter." „Er is doch alle," rief Gulich und hob die leere Flasche empor. Unterdessen war Horn munter geworden. Mit einer Raschheit, die man dem Alten nicht zugetraut hätte, sprang der Pflastermann auf und rief, lebhaft mit den Händen herumfuchtelnd: „Ihr habt wohl alles weggegessen?" Er griff rasch nach einem Kuchenstück, das noch übrig war und stopfte es in den Mund. Darob gab es großes Hallo. Nur Lotte blieb still in ihrer Ecke. Als Löhr sie sah, fragte er: „He! Wer is denn die?" „De Lotte, de Lotte," rief Kathrine. „Een schönes Mäd chen. Lotte heißt se. Komm her, Lotte, gib de Hand dem Herren hier." Lotte kam aber nicht, sondern blieb trotzig in ihrem Winkel. „'s is de Tochter von den Leuten," sagte Male. „Se is nich so, wie die zweie." „Schon gut," sprach Löhr. „Bleib nur dort, Jungfer." Dann wandte er sich zu Resel: „Du hast de Stube voll, Resel. Laß Dir nu was von dem Pflasterkasten geben, 's wird finster heute. Wir kriegen schlechtes Wetter. Ich muß noch bis zur Kleebuschschänke. Wenn ich nur erst dort wäre." „Du kannst doch hier bleiben, Löhr," gab Resel zurück. „Nee, Resel. 's lauern paar auf mich. Mir wissen doch auch, was mir machen sollen, wenn der Hauptmann nicht mehr wiederkommt." Der alte Horn kramte in seinem Kasten und rief Resel zu, sie solle einmal Herkommen. Dann sagte er zu Resel: „Also, wo fehlt's denn, Frau. Is sie nich gut, was? Nich gut, was?" „Nee, nee," wehrte Resel. „Gut is mir. Bloß de Ader- beene, da hätt'ch gerne was." „Ach, wenn's weiter nischt is," sagte Horn. Er rückte sich die Brille zurecht und suchte eine Salbe, die er in einem Topfe verwahrte. Mit einem kleinen hölzernen Löffel hob er einen Teil heraus und sprach: „Se wollen gefälligst mal da dran schnuppern. Se riecht wie Nuß und Balsam. Se is zubereitet mit Öl aus dem Lande Palästina und mit echtem Fett von Löwe und Schlange aus dem Lande Afrika. Se hilft vor alles, auch vor Reißen und de Sucht und auch vor Aderbeine. Se wer den nehmen gefälligst eine Büchse voll von dem vorzüglichen Medikament, welches ich habe beschafft mit großen Unkosten und is zubereitet worden mit Sprucheln aus dem sieben ten Buche Mosis. Ich geb nich en jeden von die teier Medi zin, nich vor vieles Geld, ich geb nur sie, weil sie haben gespeist den berühmten Doktor Horn aus Königsberg und se werden bezahlen sehr billig nur 3 gute Groschen, weil se sin de Frau Hauptmann. Se werden schmieren das