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Todesursachen in aller Zeit Woran starb man in der Lausitz vor hundert Jahren? Es ist sicher nicht uninteressant, sich einmal zu ver gegenwärtigen, welche Ursachen es waren, die beispiels weise vor 100 Jahren im Bezirke unserer engeren Lausitzer Heimat gemeinhin zum Tode führten. Es sei dabei keines wegs an die schlimmen Gäste, wie Pest, Typhus und Cholera gedacht, die vornehmlich die Geiseln der mittel alterlichen Stadt waren, sondern es sei lediglich einmal den allgemeinen Todesursachen nachgegangen, die kurz nach den Befreiungskämpfen von 1813, also unter ähnlichen Verhältnissen und Nachwirkungen kaum überstandener schwerer Kriegsjahre wie den jetzigen, von den Küstern der Kirchgemeinden verzeichnet wurden. Dabei mag mancher Fehler und manche Ungenauigkeit unterlaufen sein, denn mit der heutigen Sterblichkeitsstatisttk der Medizinal behörden und Standesämter werden die alten Kirchen bücher und Kirchennachrichten nicht konkurrieren können, zumal auch in Betracht kommt, daß die Beurteilung der verschiedenen Krankheiten und ihre Klassifizierung seitdem eine grundlegende Veränderung erfahren hat. Aber im großen und ganzen wird doch ein derartiger Rückblick immerhin interessante und wertvolle Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand der Bevölkerung und die hygienischen Verhältnisse der damaligen Zeit zulassen und daneben nicht minder interessante Vergleiche mit heute und insbesondere Betrachtungen über die Einwirkung der modernen Lebens verhältnisse auf Körper und Gesundheit des Menschen von heute ermöglichen. Diese Lebensverhältnisse haben ja seitdem eine grund legende Umgestaltung, ja nachgerade eine grandiose Um wälzung erfahren. In die Periode der letzten 100 Jahre fällt die Geburt und gleichzeitig eine sich überstürzende Entwicklung der Technik. Eisenbahn, Fahrrad, Automobil, Luftschiff und Flugzeug kamen auf; die Bevölkerungszahl erfuhr eine rapide Steigerung. Es kam zu ungeheuren Menschenzusammenballungen, und mit der zunehmenden Bevölkerungsdichte verschärfte sich der allgemeine Wett bewerb. Der Lebenskampf steigerte sich ins ungemessene. Körper und Geist, insbesondere Herz und Nerven, werden heute vor weit höhere Anforderungen gestellt als ehedem in der gemütvollen und gemütlichen, der „guten alten Zeit". Auf der einen Seite schaffen eine erweiterte und vertiefte Gesundheitspflege, Ausbau der privaten und öffentlichen Hygiene, Fortschritte der medizinischen Wissenschaft und Vermehrung der biologischen Kenntnisse gegenüber diesen Strapazen einen gewissen Ausgleich. Es ist eine bekannte Tatsache, daß die Sterblichkeit im allgemeinen abnimmt und die durchschnittliche Lebensdauer des Individuums iich erhöht, sodaß vielfach sogar schon von einer „Überalterung" unseres Volkes gesprochen wird. Trotzdem ist der Unter schied zwischen damals und heute tnbezug auf die Volks gesundheit und insbesondere auch zwischen der Art der Er krankungen und Todesursachen keineswegs so groß, als man nach der eben skizzierten Umwälzung unserer äußeren und inneren Lebensverhältnisse etwa annehmen könnte. Im Gegenteil, die Zeit vor hundert Jahren hatte mit der heutigen gar vieles gemein, und in mancher Beziehung wird man sein Urteil über die verderbliche Einwirkung der modernen Zivilisation auf den sich als außerordentlich anpassungs- und umstellungsfähig erweisenden menschlichen Organismus völlig revidieren müssen. Heute sind es Tuberkulose, Herz- und Stoffwechsel krankheiten wie Krebs, Gicht und Zuckerharnruhr, die in der Reihe der Erkrankungen und Todesursachen an erster Stelle stehen, die Tuberkulose als Nachwirkung der Ent behrungen und Unterernährung weiter Schichten des deut schen Volkes in der Kriegs- und Nachkriegszeit, die Herz krankheiten als Folge der übermäßigen Belastung, welche die moderne Lebensführung und der ganze neuzeitliche Lebenskampf für das menschliche Herz mit sich gebracht hat, sodaß ärztliche Sachverständige heute geradezu vom „Hun ger- und Kummerherzen" reden; die Stoffwechselkrank heiten als Folgen einseitiger und unzweckmäßiger Ernäh rung. Bautzen hatte 1S26 allein 4S Todesfälle an Tuber kulose und 54 an Herzkrankheiten, ferner nicht weniger als 37 Krebssterbefälle s1927 36) und 34 tödlich verlaufene Lungenentzündungen. Auch die Zeit vor hundert Jahren stand unter ähn lichen Auswirkungen kaum überstandener Kriegs- und Notzeiten. Die napoleonischen Kriege waren erst ein reich liches Jahrzehnt vorüber, und besonders die Bautzener Gegend hatte unter der Einwirkung der Ereignisse von 1813 zu leiden gehabt. Kein Wunder daher, wenn unter den Erkrankungen und Todesursachen der damaligen Zeit die konstitutionellen Erkrankungen, wie Entkräftung, Aus zehrung und Tuberkulose und bei den Kindern Lebens schwäche und Krämpfe im Vordergründe stehen. Die Lau sitzer Städte hatten damals allgemein eine hohe Sterblich keit, und von den Todesfällen entfielen die meisten auf Entkräftung, von der Leute in den besten Jahren betrof fen wurden, auf Auszehrung, Brustleiden bezw. Schwind sucht und Typhus (Nervenfieber und Darmentzündung). Auf der anderen Seite ist die große Zahl der Schlaganfälle bemerkenswert, welche die Annahme widerlegt, als ob der Schlagfluß etwa erst eine Erscheinung der neueren Zeit sei. Sehr viele Personen verstorben an Schlag- und Stickfluß bezw. Nervenschlag, worunter der heutige Gehirnschlag zu verstehen ist. Die Arterienverkalkung scheint also schon da mals eine Rolle gespielt zu haben. Wetter werden häufig genannt Geschwulst, Gehirnwassersucht, Katarrhal- und Gallenfieber, Wassersucht, Schleimfteber, womit fieberhafter Magenkatarrh gemeint ist usw. Außerordentlich ungünstig scheint vor allem der Ge sundheitszustand der Kinder gewesen zu sein. Viele gingen an Krämpfen ein, selbst schon im vorgeschrittenen Alter, auffallend viele verstorben auch am Zahnen. An Kinder krankheiten werden weiter erwähnt Scharlach, Keuchhusten und „Staupe". Erschreckend groß ist die Säuglingssterblich keit. Etwa 20 Prozent der Sterhefälle betrafen Kinder unter einem Jahre. Die Sterblichkeit der Kinder und Jugendlichen stellt sich auf etwa 35 Prozent. Unglücksfälle der damaligen Zeit sind vorwiegend auf Sturz von der Treppe zurückzuführen, was des öfteren angegeben wird. Im allgemeinen ist es also kein günstiges Bild, das die Krankheits- und Sterbestattstik der Zeit vor 100 Jahren aufrollt. Krieg und Entbehrungen wirken nach. Es herrschen die Krankheiten vor, die durch Unterernährung, Mangel an Licht und Luft und hygienischer Fürsorge ausgelöst werden. Die häufigen Schlaganfälle deuten ferner auf un zweckmäßige Ernährung, vielleicht auch auf Alkoholmiß brauch hin, da die Fälle von Trunksucht und Tod durch Trunksucht ziemlich häufig sind. Die Sterblichkeit ist groß, sowohl im Hinblick auf die Bevölkerungszahl als auch auf die Geburtenziffer. Der Geburtenüberschuß ist ganz gering. Erst der modernen Hygiene, den Fortschritten der ärzt lichen Wissenschaft, dem Erwachen des sozialen Gedankens und dem Ausbau unserer neuzeitlichen Wohlfahrtspflege sollte es vorbehalten bleiben, hierin Wandel zu schaffen. «rite Du, laß mich nicht allein — -er Abend spinnt Schon leise seine grauen Schleier nieder — Und durch das offne Fenster weht der Wind So sehnsuchtssüße, lenzbeladene Lieder . . . Halt mich in deinen Armen, daß ich still Und sacht versinne in die dunkeln Weiten, Und wenn die tiefe Nacht mich nehmen will, Laß mich an deiner Hand hinüberschreiten . . Margarete Koch.