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4010 Der Scipionenproceß. Bekanntlich herrschen über das Leben des Litern Scipio AsricanuS mancherlei Dunkelheiten und Zweisel, welche schon die alten Schriftsteller beschästigt haben. Diese betressen theilS einzelne Punkte seines srühcrn Lebens, theilS, und vorzüglich den Proceß wegen der Verwendung eines Theiles der von dem König Antiochus gezahlten Kriegssteuer, welcher die freiwillige Verbannung des großen Scipio zur Folge hatte. In Zukunft werden die Verhandlungen über diese» Gegenstand aus den Acten fallen, seitdem H. Prof. Theod. Mommsen eine besondere Abhandlung, „die Scipionenprocesse" bekannt gemacht hat, im Hermes, Zeitschrift für clasfische Philologie unter Mitwirkung der HH. N. Hercher, A. Kirchhofs und Th. Mommsen, herausgegeben von Theodor Hübner. Berlin lSSS. 1,2. S. ISl—21S. Da sich nun schwerlich viele Leser dieser eben so weitschichtigen als gespreizten Un tersuchung finden werden, so wollen wir die Quintessenz der neuen Entdeckungen dem Publicum nicht vorenthalten, welche nichts anderes ist als Folgendes: „LiviuS hat in der Hauptsache die Scipionenprocesse nach zwei Quellen geschildert, von de nen man die eine den letzten Tagen von Pompeji, die andere den Gesprächen des LabienuS an die Seite stellen darf". Recht zum Beweis, daß wenn die Alten Manchem als Vorbilder der Geschichtschreibung erschienen, sie nicht minder für alle möglichen Verfälschungen die würdigen Vorgänger gewesen sind. „Wenn daher die Geschichte aus dem Inhalt dieser Schriften (welche den Gegenstand behandeln) für die Scipionenprocesse nur geringe» Nutzen ziehen kann, so gewinnen wir dafür eine neue Ergänzung zu dem Bilde der großen Katastrophe, in der der römisch- Frei- staat zu Grunde ging, sowie beachtenSwerthe, wenn auch wenig crsreulichs Einblick« in das Wesen der römischen Geschichte." Diejenigen, die da fragen, was den» dies für eins große Katastrophe gewesen sei, die werden erfahren, daß dies „die politische, militärische, geistige und sittliche Wiedergeburt der tiefgesunkenen eigenen, und der noch tiefer gesunkenen, mit der seinigen innig verschwisterten hellenischen Nation war." Mommsen, röm. Gesch. Th. 3. 3. Ausl. S. 448. „I,g Eouronnowsut Lo i'oäiüeo", welches hier nun freilich nicht in so rosigem Licht« betrachtet wird. Nämlich die Rede, durch welche nach LiviuS der Tribun Gracchus den großen Scipio zurechtwies, ist „ein Pamphlet von einem ausrichtigcn Republikaner, einem Ver treter des besonnene» und gemäßigten Liberalismus, welcher in die Verhältnisse vom Jahr 70L vollständig hineinpaßt." „ES war gar kein übler Gedanke, diese Vor gänge, d. h. CäsarS Gewaltthätigkeiten und außerordentliche Huldigungen, in der Form einer Reoe des TiberiuS Gracchus in der berühmten JntercesstonSangelegcnheit zu dcbattiren." Also wirklich! LiviuS hat ein Pamphlet, das in den Jahren seiner Kindheit, doch wohl zu Rom erschienen war, in seiner Einfalt für eine den Scipio- nen gleichzeitige Urkunde gehalten? Oder noch ärger, er hat den Betrug wohl er kannt, hat sich aber nicht gescheut, denselben für die Ausschmückung zu benutzen und hat sich nicht um das Urtheil der Zeitgenossen bekümmert, welche, mit dem Ursprung des Pamphlets genau bekannt, wenigstens nach EäsarS Tode keinen Grund mehr