Volltext Seite (XML)
* ue 8. Nr. S. Morgen-Ausgabe Leipziger Tageblatt Freitag, 7. Januar 1V16 Theater and Konzert Leipzig, 7. Januar. X. Gewandhauskonzerl. Lin romantischer Zug kennzeichnete oen Abend, dessen Hauptwerk Robert Schumanns C-Dur-Einsonie bildete. Sie gehört zu des Meisters reissten Werken und ist mit ihren Schmerzensklängen, ihrem ties melancholischen Adagio und dem schließlichen Hinausstreben in weite Formen ein rechtes Spiegelbild seines eigensten Wesens. Halb krank begann Schumann diese Komposition, als Gesundender vollendete er sie und ward nach seinem Ausspruch ihrer gedenkend immer au .eine dunkele .'seit ' erinnert. Herrn Professor Arthur Nikischs Aus legung der Sinfonie betonte und veranschaulichte den wechselnden Gemütszustand, der in den ersten beiden Säßen verhältnismäßig gedrückt und niedergeschlagen scheint, und in den folgenden, dein Adagio und Finale, sich in stets aussteigender Linie erhebt zu seelischer Befreiung und endlicher Wiedererlangung alter Lebens kraft. Mit fast raffinierter Feinheit ward Reineckes Ouvertüre zu Calderons ..Dame Kobold' gespielt, ein Erstlingswerk unter den selbständigen Instrumcnkalstückcn des einstigen Gcwandhauskapell- melsters, das sich in erster Linie durcb graziöse Anmut und liebens würdigen Humor auszcichnet und von ausgesucht seiner motivischer Durchgestallung ist. Das zehnte Gewandhausprogramm bildete ein Stück in Stücken; gewiß Werke trefflicher Meister, denen gegenüber aber doch der Wunsch nicht unterdrückt ward, daß auch der jüngsten Vergangenheit und Jetztzeit in erhöhtem Maße ge dacht werde. Rheinbergers Einleitung und Passacaglia aus der achten Orgclsonate leitete mit ihrem gewichtigen Gedankcninhalt den Abend ein und gab Herrn Professor Karl Straube Gelegen heit, sich wieder als einen der hervorragendsten Meister aus diesem musikalischen Sondergebictc zu erweisen. Als anderer Solist er schien Herr Professor Will» Burmester mit RassS A-Moll-Violin- konzerk. Das Urteil über Rasss kompositorische Tätigkeit hat sich allmählich geändert. Gleich Anton Rubinstein galt er eine Zeitlang als Pscudozukunstsinusikcr. Vielleicht war er gar zu schreibsreudia und verössnungsiüchtig, zu wenig wählerisch in der Gedankenwahl und unmlünglich selbstkritisch. Mit mehrenden wahren schlug er sich in das Lager der Vielschreiber und versuchte sich auf allen Gebieten seiner Kunst. DaS Violinkonzert in A-Moll ist von epigonenhafter Art, mochte laut beigegebenen Versen Pro- grammusik sein, läßt aber den gedankenarmen Inhalt durch Senti mentalität und Redseligkeit noch kärglicher erscheinen, als ec ohnehin schon ist. Die Wiedergabe ossenbarte Willy BurmestcrS vielgerühmte Kunst höchster Entfaltung des musikalischen Ge schmacks und vollendeter Ausarbeitung des Filigrans. Schade, daß der Geiger aber nie Gelegenheit zu wirklich großer Ton entwickelung sand. Die Summe der Vorzüge seines Spiels ließ sich nochmals ziehen aus dem Vortrag von sechs kleinen Salon stücken der Meister Haydn, Schubert, Hummel, Field und Schumann in eigner freier Bearbeitung, die stets und überall zu spielen Herrn Burmester zur lieben Gewohnheit geworden ist. .'ihrer wirklich reizenden Feinheit gemäß, ist gegen sie an sich nichts clnzuwenden. Wohl aber ist zu betonen, daß diese winzigen Nipp sachen sich nicht für den Gcwandhausabend eignen, daß in den großen Nahmen des Ganzen auch große Kunst gehört, und man sich von einem so gefeierten Künstler wie Willy Burmester ge wichtigere Gaben erhoffen darf. Die folgende Schumannfche Sin fonie in Arthur Nikischs herrlicher Auslegung gab uns schließlich die erhoffte Kunst. trugen 8exnitr. Musikalische Veranstaltung in Villa Dodel zum Besten der Verwundeten. Wieder schritten Hand in Hand die beiden hohen Frauen durch den schwarzen Park in das weiße HauS. Frau Musika mit dem Feuerblick und die andre Stille mit dem milden Auge. Mit vollen Händen zieht sie nun wieder hinaus, die so oft schon angerufen ward .Caritas ora pro nobis". In ihre Gefolg schaft stellten sich willig unsere reifsten Künstler, Kundry gleich zu sagen: Dienen, diene». Machtvolle Klänge brausten heran; von Herrn Operndirektor Otto Lohse und einein Partner gespielt, das Deutscheste vom Deutschen, in die Saiten und an die Herzen greifend, was noch nicht Überboten werden konnte trotz mancherlei neuen Feldgeschreis, allen Apostaten zum Troß nicht aus den Fugen zu bringen: das Meistersinger - Vorspiel. Sodann ein interessantes Triumseminat. die Damen Frl. Bartsch. Frl. Nigrini und Frau Langfelder. Erstgenannte vermittelte seine Kompo sitionen von Otto Lohse, darunter das schaukelnde, Wcgende, be törende Lied .Seliges Vergessen" sehr gefiel und auch die schöne Tiefe der Sängerin zu überraschender Geltung brachte. Frau Langsclder ist eines aufrichtigen Freundeskreises stets sicher, weiß sie doch mit unnachahmlicher Natürlichkeit und Schlichtheit, allem rein deklamatorisch entrückt, zu erzählen; sei eS nun Walter von der Vogelweidcs Lobgesang aus Deutschland, oder ieinhumorvolle Sächelchen eines Bierbaum, Delnnel und anderes. Schalkhaft und innig, beides liegt ihr gleichermaßen. — Einen Kontrast erbrachte die elegisch überhauchte Wiedergabe einiger Franz-Lieder. Der >o ausnehmend warm timbriertc Mez.zo des Frl. Nigrini, ver bunden mit ihrer vorbildlichen Tertbehandlung und Gcsühlsdurch- dringunq verfehlte seine Wirkuna nickt und wurde von O. Lohses vollkünstlerischer Begleitung unterstützt. Das Instrumentale sand einen exzellenten Vertreter durch Max Wünsche, der dem schweren Cello alle Leichte ablockke in einem technisch schwierigen Scherzo und weiche Kantilene klingen ließ voll Süße. Daß auch der Bühnensänger gleicherweise befähigt sein kann, fick intimer Raum- grenzung an,zupasse» und das Fresko der Kulissenwirkung vorzu behalten, beweist schlagend, oder vielmehr singend, Ernst Possony. Wer ein früher so vielverkrauchkcs Lied wie „Die Vhr" von Löwe neu umzudichteu weiß, so daß die schon einmal Angcrostete wieder klopfender Herzensschlag durchpulst, wer in dies alte Sinnbild solch neuen Geist mit der Wärme des Künstlerodcms zaubert, der ge hört zu den Anwärtern echtesten Künstlertums. War hier tief- schöpseiide Auslegung am Werk, so »ahm die sollende Ballade vom streithaften Ehepaar die knorrigen Konturen eines- be häbige» Holländerbildchens an, und Schelmussk» gab seinen Segen dazu. Wir danken dem Künstler Possi.ny für diese Gaben. — Nack geselligem Zusammensein mit den verdienstvollen Gastgebern sprach Frau Sanden das Geleitwort auf den Weg durch Strauß' Töne. Und heiße Leidenschaft lockte in der „Heimlichen Anf- sordcrung". k. * Städtische Theater. Jarnos erfolgreiche Operette „D as F a rin er müd chcn" wird im Neuen Operclken-Theater kommenden Sonnabend bereits zum 77». Male gegeben. Die Aolle des Jefferson spielt Ludwig Habit. ZK Kleine Mitteilungen Der Festungskommandank von M ainz hat, wie das „Berl. Tageblatt" erfährt, dem Mainzer Stadtlheater die Ausführung von Sudermanns Schauspiel „Die Ehre" verboten. Johannes Tralow wurde vom Intendanten Artur von Verlach cingeladen, sein Drama einer Liebe, „Inge", am Elberfelder Stadt- lheäter selbst zu inszenieren. Die Ausführung findet Ende Januar statt. Die Leitung des Stadttheakers Bremen hat den türkischen Schau spieler Bur Han-Ed bin Bei mit seiner Truppe für ein Gastspiel am 17. Februar verpflichtet. Mit dieser ausgezeichneten türkischen Gesell schaft stehen einige andere deutsche Bühnen wegen Gastspielen in Unterhandlung. Hermann Bahr hat, wie aus Salzburg, dem derzeitigen Wohnort des Dichters, gemeldet wird, soeben ein katholisiorendes Mysterium beendet, das auf einer altspanischen Borlage fußt. Der Grohherzog von Baden Hal Professor Georg Anschütz von der Berliner Universität zum ordentlichen Professor des öffent lichen Aechts an der Heidelberger Universität ernannt. Sächsische Nachrichten Dresden, 6. Januar. * Der Verein der Württemberger veranstaltete am 20. Dezember eine wohlgclungene Weihnachtsfeier. Bei Kaffee und Kuchen begrüßte dcr Vorsitzende die Erschienenen und hieß vor allem die zurzeit in den Dresdner Lazaretten liegenden feldgrauen Landsleute, die den Mittelpunkt der Feier bildeten, von Herzen willkommen. Nach der Vorführung zahlreicher Lichtbilder aus dcr würltembergischen Ge schichte und der schwäbischen Heimat erschien der Knecht Ruprecht mit dem großen Sack und teilte mit launigen Bcgleitworten die vom Verein und dem württembergjschen Konsul gestifteten Gaben für die Verwundeten aus. Während der Verein sich mit seinen Gästen um den Wcihnachtsbaum versammelte, brachten GcsangSvorträge und ge meinschaftlich gesungene Volkslieder die Liebe und Anhänglichkeit an die alte schwäbische Heimat zum Ausdruck. Ein einfaches Abendessen bildete den Schluß dcS anregenden Abends. * * Oschatz, 5. Januar. Ein Gerücht von einem Morde und Selbst mord schwirrte heute durch die Stadt. Das „Tageblatt" erfährt hierzu, der Einjährige Unteroffizier Frey vom hiesigen Ulanen-Regiment halte mit einem hiesigen Mädchen ein Liebesverhältnis. Da einer Heirat un überwindliche Hindernisse im Wege lagen, sollen die beiden Liebenden beschlossen haben, ihrem Leben ein Ende zu machen. Gestern nacht gingen sie in den Sladtwald, um ihren Vorsatz auszuführen. Hier will sich Frey zuerst versuch! haben zu tölen. Er brachte sich zwei Schüsse bei und wurde bewußtlos. Als er wieder zu sich kam, kehrte er heute in seine Wohnung zurück, lieber den Verbleib des Mädchens ist Näheres noch nicht bekannt. * Wilkau, 5. Januar. Ilm über !Z OO.lt betrogen wurde ein kiesiger Schuhwarenfabrikant von einem 20jükrigen Handlungsgehilfen aus Niederplanitz, der im Laufe der letzten Wochen auf den Namen eines Kunden deS Fabrikanten nach und nach Schuhwaren im Werte von über 300 Mark auf Kredit entnahm. Jetzt hat sich herausgestellt, daß der junge Mann gar keinen Auftrag zur Entnahme der Waren hatte und lediglich in betrügerischer Weise handelte. Die erschwindelten Waren hat er in Zwickau weit unter dem Werte verkauft. Schwarzenberg, 3. Januar. Der Rat hat dem Kirchenvorstande zur Anlegung eines neuen Friedhofes ein schöngelegenes, 8000 Ouädratmeter großes Grundstück zur Verfügung gestellt. Die Planung des Gottesackers wird vom Landschastsgärtner Hofsmann, hier, ausgeführt. ne. Zittau, 4. Januar. Dcr Krieg hat unserer Stadtverwaltung bisher Kosten in Höhe von nicht weniger als 1685132 verursacht. Von dieser Summe wurden 364 958 zurückerstattek, so daß noch 1 220 174 zu decken sind. Für militärische Massen- und Bürger quartiere wurden allein 122 218 ausgegeben, für Versorgung der Kriegerfamtlien 157108 , für Unterstützung von Angehörigen im Felde stehender Beamten und Arbeiter 60 000 für Liebesgaben 50 000 und für Stellvertretungskosten 59 298 Für den An kauf von Nahrungsmitteln hat die Stadl die große Summe von 608 000 ->^ angelegt. Durch Verkauf sind bisher nur 424189 »st wieder zurückgefloslen. Ein ziemlicher Verlust ist unausbleiblich. Er ist zum Teil mit durch den Verderb von der Stadt angekaufter Kar toffeln entstanden. Da zu den gewaltigen Kriegslasten in diesem Jahre noch verminderte Einnahmen aus städtischen Unternehmungen (so von Gas- und Elektrizitätswerk allein 79 000 treten, so ist eine Er- Höhung der städtischen Steuern für dieses Jahr unausbleiblich. Es werden wahrscheinlich an Zuschlägen zur Staatssteuer 130,6 Prozent gegenüber 105 Prozent im Jahre 1915 zur Erhebung gelangen. Reichenbach i. V., 6. Januar. Selbst gerichtet hat sich der 47 jährige Geschirrführer Beruh. D. von hier, der vor einigen Tagen wegen Sittlichkeitsverbrechens festaenommen worden war. Als seine Ablieferung an das Landgericht Plauen erfolgen sollte, fand man den Mann in seiner Zelle erhängt. * Plauen i. V., 6. Januar. Aus einem Fenster im zweiten Stock des von ihm bewohnten Hauses stürzte sich der 53 jährige Invalide Ebert in den Hof hinab und blieb mit zerschmettertem Schädel tot liegen. Der Mann war leidend; er hatte sich tags zuvor bei einem in der Nachbarschaft wohnenden Tischler einen Sarg bestellt, die Be stellung war aber nicht ernst genommen worden. Um ganz sicher zu gehen, hatte sich Ebert auch noch einen Gummischlauch um den Hals ge. Kunden. Aus der Schachwelt 5cl>. Schach-Simultanspiel des Leipziger Meisters I. Mieses. Vor vielen eifrigen Schachinteressenten sand gestern nachmittag im Saale des „Kaufmännischen Vereins" ein Masscnspiel unseres Leipziger Meisters I. Mieses statt. 20 Gegner, darunter einige Spieler von recht beträcht licher Stärke, hakten sich ihm als Gegner gestellt. Nach etwa vier stündigem lebhaften Kampf mußten 16 die Waffen strecken. Nur die Herren E. Grumbach und Dr. E. Delpy konnten gegen den Meister den Sieg erringen, zwei andere Herren, Zorn und Canal, ein Remis ver zeichnen. Die wohlgelungene, von der Schachgesellfchast „Augustes" veranstaltete Vorstellung, an der sich selbstredend auch eine Reihe Feld- grauer beteiligten, zeigte, wieviel lebhaftes Interesse dem königlichen Spiel aus allen Kreisen unserer Stadt entgegengebracht wird. Mittelgambit. ^16868 Orumduek dll6868 Orumdsck 1. 62—64 67—65 14. K2-K3 I-8sXe2l- 2. 62-64 65X64 15. I,63X<-2 8l4X«2 3. e2—o3 64—63 16. L61Xe2 1.67—16 4. 1.11X63 8b8—c6 17. I)c3—63 0—0 5. I.ol—e3 8x8—16 18. INI-xl 118-68 6. 8b1—62 67—66 19. Prrl—11 1)68—67 7. 12—k4 1.18—67 20. P11—14 c-7—c-5 8. 1)61—c2 816—x4 21. 862—13 ? c5X<14 9. I,e3—ct4 ? 8c6X64 22. 813X64 1)67—65 t 10. c3X64 8x4—63 23. 114—xt 1)65X64 11. I)c2—c3 8e3Xa2s 24. 1x4X871- I<x8—K8 12. Kol-61 8x2X11 25. 1)63X64 1.16X64 13. 8x1—e2 1.c8-x4 Aufgegeden. Vereinsnachrichten * Die aus Rußland ausgewiesenen und geflüchteten Reichsdeutschen versammeln sich jeden Sonnabend, abends 8 Uhr im Lehrcrvereinshaus, Kramerstrahe 4, wo auch die Probebilder von der Weiknachtsfeier aus liegen werden. Briefe und Anfragen empfängt der Vorsitzende Adolf Böhme, Floßplatz 131. Kunstkalender Theater Städtisch« Th«ak«r. -««>« Freitag: Neu«« Theater: „Lori kao tuttv." - Alte« Theater: „Die selige Erzellenz." — Op eret te n-The a ter: „Der Nogel. Händler", volkstümliche Preise. Schauspielhaus. Heule Freitag nachmittag Uhr und folgende Tage „Schnee, willchen" (kleine Preise). Abends 8 Uhr: „gettchen Gebert", Sonnabend, abend« 8 Ukr: „Henriette Zacoby". Sonntag, abends 7»!, Uhr: „Die Diener lassen bitten". Montag: „Henriette Jacoby". Dienstag: SchönherrS „Weidsteufel". Dutzend, und Zahreskarter, haben zu allen genannten Abendvorstellungen Gültigkeit. Battenberg-Thealer. „Gestern noch auf stolzen Nossen". Konzerte Marie Lydia Günther gibt heute abend 7'^ Uhr Im Saale des städtischen staushause» einen Liederabend. Gesänge von Mendelssohn. Pensen, Tbuille und Hugo Wolf bilden das Programm. Prof, ^osef Pembaur wird di« Begleitung am Klavier übernehmen. (Siehe Anzeige.) Vergnügungen Variete Battenberg. Datro Patnl, dessen Kartenkunststücke ans fabelhaft« grenzen, ist «ine Zugnummer im diesmaligen Ianuar-Spielplan, die allein schon den Besuch lohnend erscheinen läßt. Bei Rheuma, Gicht und Nervenleiden haben Togal - Tabletten gute Dienste geleistet. Aerztlich glänzend begutachtet. In allen Apotkeken erhältlich. Grenzer Noma» von Wilhelm Poeck I »i (Nachdruck verbo Irn.) Bei Schotts aber begann ein lustiges Leben. Es hagelte nur so von Krankenbesuchen, nicht etwa weil man die drei verschie denen Leiden des Obergrenzkonlrollcurs für besonders gefährlich hielt, sondern weil man die Herrschaften vom anderen Flur ärgern wollte. Die Mekuweitschc Denunziation hatte die jungen Leute des Haiiptzoliamts zu sehr verdrossen, denn Schott war sehr be liebt. Der Herr Hauptamtskontrollellr hatte jetzt mehrfach das Vergnüge», de» Drücker seiner Wohnimgslür mit ranzigem Ham meltalg eingerieben zu finde», sei»e Gänse betrunken auf dem Hose spazieren zu sehen, nachts unter seinen Fenstern wurde gc- psisseii, und das bewußte Mittel gegen weiße Nasenspitzen halte sich einmal in russisches Leinöl, ein anderes Mal in denaturierten Spiritus verwandelt. Mochte der Leusel wissen, wie das zuging, dcr Schrank war doch fest verschlossen. (Die Supernumerare wußten es ganz genau.) Bei Schotts aber war zum großen Aerger der Fra» Mekuweit fast jeden Abend Gesang und Becherklang. Sie sagte zu ihrem Mann: .Hörst du, wie cs bei dcm kranken Obcrkonlrolleur hergeht? Wer singen und Punsch trinken kann — denn Schotts Stimme kann man hier hören, und daß er von der Bowle, die sic jeden Abend brauen, den meisten Punsch selbst trinkt, fiat Marionka dcr Nepomucena erzählt —, der kann auch Dienst machen. Sie trinken Punsch, weil sie glauben, sie werden nun versetzt, aber Mekuweit, wenn d u das nicht verhinderst, dann verhindere ich cs. Ich gehe persönlich zum Oberinspektor und mache Anzeige. Wer Punschorgien feiern kann, kann auch Dienst tun. Und mit den jungen Leuten von unten und den jungen Damen von drüben, das ist einfach ein Skandal. Daß die Schotts ihre Wohnung zu derartigen Zusammenkünften hcrgeben, braucht sich eine anständige Familie aus demselben Flur nicht ge fallen zu lassen. Manieren hat diese Gret — und Ansichten. Paff' auf, Mekuweit, die läuft noch einmal gründlich an. Wenn sie mir mit dem Kopf zunickk. das ist ja, als wenn eine Prinzessin ihre Hofdame verabschiedet. So eine, die sich nach Ausfahrten in Markus Schellacks Hinterstube küssen läßt. Ich werde mich dar über bei der Frau Assessor beschweren, die mag die Westhuscns auch nicht. Und den Hammeltalg hat der lange Wocnig an die Tür geschmiert, Prilczki hak gesehen, wie er in dcr Halle aus einem Faß, worin natürlich Talg gewesen ist, etwas herauSgcnommen hat; den mußt wieder d u anzeigen, damit die Herrschaften endlich einmal Respekt vor uns bekommen." Mekuweit war allerdings auch der Meinung, daß bei Schott ein Fall gröblicher Simulation vorliege. Aber eine zweite Anzeige zu machen, lehnte er ent schieden ab. Er hatte das Gefühl, daß sie ihm schlechter be kommen würde, als anderen Leuten. Durch die Dienstbotenpost bekamen Schotts natürlich alles, was auf dem gegenüberliegenden Flur geplant und getrascht wurde, brühwarm zu wissen. Frau Mekuweit hatte vor ihrer Nepomucena keinerlei Geheimnisse, das litt schon ihr Mitteilungs bedürfnis nicht. Aber das kümmerte Schott durchaus nicht, ebenso daß Assessors von den fidelen Abenden Wind bekommen, und daß auch Frau Irmgard sich sehr mißbilligend darüber ge äußert hatte. Seine Frau war ängstlich und meinte, es könne ihm in der Beförderung schaden. Aber er lachte sie aus. „Iuste, Iuste, du willst Oberinspektor werden. Kann ich dir nicht ver denken. Aber ich nicht. Ick jloobe nicht, daß ich mit Generals achselstücken in Abrahams Schoß fahre. Dazu bin ich schon zu lange bei der Partie. Ich hab die Hudelei satt. Ich habe die Irenzjeschichte hier neu und vernünftig aufjezogen — das weiß man in Posen janz gut — jenau so wie der Rendant den Kassen- und den ganzen Hauptamtsbetrieb. Aber ich habe keine sechs Kinder wie der, und wenn man mich allzu seyr ärgert, dann nimmt mein rheumatisches Leiden einen solchen Umfang an, daß ich mit Pension in die Iesilde der Seligen — sagen wir mal der Weinreisenden oder Veisichrungsajenten abschwimme. Scherz na türlich. Aber ich habe mir unter der Hand als Assistent früher i» Harburg und Lüneburg und so weiter bei meinen kaufmänni schen Ieschäftsfrennden einen warmen Fuß gemacht. Du jlaubst lar nicht, Iuste, wie das Rumkriechen in den ollen Wein- und Kaffeeteilungslagcrn kaufmännisch bildet, du jlaubst nicht, was man damit für Ield verdienen kann. Jetzt sitz ich mit meinen drei tausend Em, freier Wohnung und den Pferdejeldern, wobei man vielleicht noch zuseht, an der russischen Irenze, zwei Jahre lang mindestens — na, wat haste denn davon, wenn ich mit nem saf tigen Ielenkrheumatismus von dannen ziehe, falls mir nicht so- jar einer von meinen polnischen oder russischen Ieschäftsfreundcn 'ne blaue Bohne durch die Rippen pustet. Ieladen sind die Kerls aus mich! No, weine nicht. Erstmal sitz ich ja sechs Wochen bei dir im Fettöppchen, meine rindvichchernen und schweinernen Lor- beerkränzr haben Zeit zum Trocknen, und Nordmann kann sich für mich mit Ruhm bekleckern." 6. .Pst, Fräulein Gret!" „Herr Nordmann?' ,Kommen Sie mol Ker." Neugierig kam Gret angelaufen: „Nun?" „Ich übernehme heute Schotts Dienst." .Und?" „Sie kommen mit." .Zu Pferde? Das erlaubt Mama nicht.' „Bewahre. Zu Wagen." .Aber das ist ja verboten." .Glauben Sie, ich werde mich darum kümmern? Wir fah ren dreist und gottesfürchtig der ble—Lernen Ante und ihrer Frau an der Nase vorüber." „Und wenn sie Sie anzeigt?' „Das riskiert sie nicht. Ich bin ja nicht Schott. Es sind noch viele Abschlüsse zu machen." „Famos'? rief Gret. .Geht es gleich los? Ich muß erst meine Gänse füttern." „Warten Sie, ich helfe Ihnen." Nun öffnete man den Gänseskall. Gret schüttete der weißen, schnatternden Gesellschaft den Hafer vor, und Nordmann bekam große Versuchung, sie hinters Ohr auf den Hals zu Küsten. So wunderhübsch sah sie aus. .Sagen Sie, Herr Nordmann,' sagte Gret, als sie fertig war, „kalten Sie mich selbst für eine Gans?" .Aber mein gnädiges Fräulein. Für einen Paradiesvogel? „Quatsch! — Nach unseren letzten Abenden bei Schotts glaub ich cs. Denn mit mir sprechen Sie nicht anders als mit Nelly. Und das ist wirklich noch ein Gänschen. Dann sprechen Sie ge nau so wie Hildebrandt, der gute Junge. Tanzstundenredens arten. Es klappert die Mühle am rauschenden Bach? „Sehr liebenswürdig. — Uebrigens ist das Mühlenklappern doch ein sehr poetisches Geräusch? .Seh n Sie, das ist schon wieder Tusch. Mit Lucie sprechen Sie ganz anders. Allerdings, die Ist ja auch ein ganzes eindrei viertel Jahr älter als ich." .Die reine alte Jungfer? .Warten Sie, das petz ich ihr. Aber glauben Sie wirklich, man könnte mit mir nichts Ernstliches reden. Zum Beispiel über — über Euklid?' .Ueber —Nordmann fing an zu lachen. „O!" Gret wurde kratzbürstig. „Sie brauchen mich nicht auszulachen. Sie wissen nicht, wer ich bin? „Sie find die reizendste junge Dame, die ich kenne? „Nein? erwiderte Gret herausfordernd, .ich bin keine rei zende junge Dame. So was Altmodisches und Albernes. Ich bin ein Großhirnmcnsch? (Fortsetzung in dcr Abendausgabe.)