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Seite 2. Nr. l28. Moryen-nusgavr. Leipziger Tageblatt. Donnerstag, l2. ülärz 1914. Austritt. Die Angelegenheit, die auf das gesellschaftliche Leben von Pest von größtem Einfluß sein dürfte, hat eine politische Vor geschichte. Bekanntlich begegnete die Einrich tung der Parlament-wache, die durch den Grafen Tisza zur gewaltsamen Bewältigung der widerbaarigen Opposition eingeführt wurde, vielfach heftigem Widerspruch, und die oppositio nellen Abgeordneten ließen sich zu Beschimp fungen und Beleidigungen der Parlamcnlswache und auch der sie befehligenden Offiziere hin reißen. Ms nun irn vorigen Jahre der Hauptmann Gerö von der Parlamentswache von den« Stadt verordneten Hedcrvary in offener Sitzung schwer beschimpft wurde und Gerö daraufhin den Ab geordneten mit dem Säbel attackierte, griff der Abgeordnete SzmrecsnnN den Offizier auf das heftigste an. Hauptmann Gerö sandte dem Abge ordneten Szmreesanh seine Mengen, und dieser machte die Abgeordneten Ilinsky und Benizkh als seine .Vertreter namhaft. Diese erklärten jetzt, das; eine Gcnngtnnng mit den Waffen nicht zulässig sei, da Szmreesami bloß in seiner Eigen- schäft als Abgeordneter an dem Vorfall berech tigte Kritik geübt habe. Szmrcesann, der Reierve- offizier Ivar, mußte daraufhin seinen Abschied nehmen. Vor einigen Tagen nun hatte das Äagnaten- hausmitglied Graf Van in einem offenen Briefe wieder die Offiziere der Parlamentswache schwer beleidigt. Der Kommandant der Wache forderte daraufhin den Grasen Bah, und dieser machte wiederum Ilinsty und Benizkn als Sekundanten namhaft. Diese wurden abgclehnt, was abermals zu neuen Beleidigungen fuhrie. Als Grund für die Ablehnung wurde geltend gemacht, die ge nannten Offiziere und Abgeordneten gehörten dem National-Kasiuo au. Als nun die Offiziere die Forderung ausstellten, daß Ftinskn und Benizky aus dem Klub austrcten sollten und diese sich weigerten, erklärten sämtliche dem Klub an gehörige Offiziere den Austritt aus dem Kasino. Heute hat der ungarische LandesberteidiaungS- minister sich nach Wien begeben, um mit dem Aricgsminißer über den Fall zu konferieren. Frankreichs auswärtige Politik in -er Kammer. In der französische tt K a IN IN e r sprach her Ministerpräsident D o u mcrg u c , wie aus Paris gemeldet wird, über die auswärti gen Angelegenheiten der Republik: Die Regierung hat nicht aufgehört, in allen Fragen mit ihren Freunden und Verbün deten in vollem Einvernehmen vorzugchen. Befprechunj-scn, die stattfandcn, um friedlich Lö sungen für die Schwierigkeiten zu finden, haben dieses Einvernehmen Frankreichs mit dem ver bündeten Rußland und dem gelieb ten England noch verstärkt. Frankreich hat daran gearbeitet, die Spuren des Balkan konfliktes zu beseitigen und den Groll zwilchen d e n F raukr« ich ü e f r e n n d-e - ten Nationen zu besänftigen. Die Botschafter in Loudon mußten mit Klugheit vor gehen, um nicht den A n s b rn ch> e i » e s!a l t^» gemeinen Krieges zu riskieren, den zu vermeiden das- Bestreben aller Regierungen sein muß. Zn dem B e suche de s F ü r st en vo n Albanien in den Hauptstädten bemerkte der Ministerpräsident: „Diese Besuche beweisen sei nen Willen, Albanien unabhängig zu erhalten. Tie Mitwirkung Frankreichs ist allen denjenigen sicher, die in diesem Lande ohne Gcumttsamteit die Ruhe wiedcrherstellen." Weiter zollte der Ministerpräsident der Haltung Rumäniens seine Anerkennung. Doumergue er klärte, daß Frankreich sich in friedlichem Sinuc betätige, besonders auch in der Türkei. Diese würde nicht aus die finanzielle Unterstützung Frankreichs rechnen löuucu, wenn sie den Fric den stören wolle, Zum Schluß seiner Rede wies der Ministerpräsident darauf hin, daß Frank reich den festen Willen zum Frieden habe, cs sei aber auch ebenso fest entschlossen, von seinen materiellen und moralischen In teressen auf der Welt nichts zu opfern. Er betonte die Festigkeit des Bünd nisses mit Rußland und der Freundschaft mit England, die durch die einstige Gegnerschaft nur verstärkt werde. In vollem Einvernehmen mit seinen Verbündeten und Freunden verfolge Frankreich in loyaler Weise seine Politik offen und ehrlich. Es sei entschlossen, in der Welt den Platz zu behaupten, der seiner ruhmreichen Vergangenheit und seiner Arbeit gebühre, gestützt auf sein .Heer und seine Seemacht, die stark seien, nicht um zu drohen, sondern um die Ideale der Freiheit und Gerechtigkeit zu ver teidigen. Rach Ausführungen Deloncles, der hauptsächlich Frankreichs Beziehungen zum Va tikan erörterte, beschäftigte sich der konservative Deputierte Denhs Eoch in mit den deutsch- rus fisch en Beziehungen und in erster Linie mit der jetzt entstandenen Prcßfchde. Die Ursache bilde offenbar die zunehmende Macht Rußlands. Die Beunruhigung der Deutschen sei vielleicht darauf znrüctzuführen, daß sie Zweifel über die Erneuerung des Han delsvertrages mit Rußland hegten, der in zwei Jahren ablause. Am Mittwoch vormittag wurde die Be ratung des Etats des Ministeriums des Aeußcru fortgesetzt. Auf den Hinweis deS Abg. Leygues, daß der Einfluß Frankreichs im Orient ausrcchtcrhaltcn werden müsse, ertlürte Ministerpräsident Dou mergue: Die Negierung will diesen Einfluß aufrecht erhalten und entwickele durch Berufung auf die Rechte Frankreichs und durch die Macht, welche diese Rechte Frankreich verleihen, durch die Unterweisung und die ausgedehntere Kennt nis der französischen Kultur. Tie Negierung macht keinen Unterschied zwischen den einzelnen Missionen, welche der französischen Kultur die nen. Ministerpräsident Doumergue wies auf die bisherigen Anstrengungen hin, um den Unterricht in der Levante zu fördern, besonders den technischen Unterricht in Sy rien, um die Auswanderung der Bevölkerung aus diesem Lande aufzuhalten, in welchem diese immer unter dem Schutz Frankreichs gestanden habe und auch künftig stehen werde. Dou- mcrgne sprach die Ansicht aus, das; keinerlei Ursache voclicge, um die konsularische Vertretung Frankreichs in der Le vante zu vermindern. Deutsches Reich. * Jungnationalliberaler Verein zu Leipzig. Am nächsten Freitag, den 13. März, abends Uhr, findet im Passagezimmer von Kitzing L Hclbig eine Vcreinsversammlung statt, in der die Besprechung des Buchs „Regierung und Bolkswillc" von Hans Delbrück fortgesetzt werden wird. Herr Rechtsanwalt Dr. jur. Hammel hat das Referat übernommen. * * Die Novelle zum Kaligeseße wird dem Reichs tage voraussichtlich vor der Lommerpauie nicht in e kr Zustichem ' Dis Novelle ist feit Wochen im Neichsamt Les Innern fertiggeftellt, erst kürzlich hat ten mit Vertretern der Kalundustric über die Ge stältuiig der Rooelle noch VerhandlnnpcN'Üattqefun^ den. Es hat den Anschein, als ob das Reichsamt des Innern auf Grund dieser Verhandlungen dahinneigt, die Kalinovelle vorläufig dem Bundesrat noch nicht '.ugehen zu lassen, da Anzeichen dafür vorhanden sind, -aß im Bundesrate die Novelle nicht ohne Schwierig keiten im jetzigen Zeitpunkt verabschiedet werden könnte. Wie es heißt, soll auch der preußische Han- -elsministcr verschiedene Einwendunoen gegen die Fassung der Novelle erhoben haben, die l)<mpt sächlich finanzieller Natur find. In verschiedenen Kreisen der .Kaliindustrie ist man der Meinung, daß eine Kali novelle zurzeit nicht notwendig ist, da eine Verständi gung über den Bau neuer Schächte demnächst zu er warten sein wird. * Anträge des Zentrums. Die Abgg. Dr. H eß und Bartscher (Ztr.) beantragen im Abgeordneten haus.', die Staatsregierung zu ersuchen, unbeschadet einer demnächstigen grundsätzlichen Neuregelung -es Beamte ndlszipllnarwcseus, schleu nigst bei Len einzelnen Berwaltungsabteilungen eine Acnderung der bisherigen Ucbung bei der Behand lung vmc Beamtenbeschwerden und bei der Führung der Personalakten zu veranlassen. — Ferner haben di« Zentrumsabg^ Dr. Faßbender, Irl, Dr. Jae ger und Wallenborn im Reichstage Len Antrag gestellt, den Reichskanzler -u ersuchen, dem Reichstag möglichst bald eine Gesetzesvorlage zu machen, durch welche eine Abänderung des Reichs gesetzes über die Erwerbs- undWlrtschafts- ge n o s s e n sch a f t e n herbeiaeführt wird. Wegen des Revisionswesens, der Haftpflicht und der Bilanz macht der Antrag ausführliche Vorschläge, die bei Bearbei tung der Materie in Erwägung gezogen werden sollen. * Zum Studium der deutsch«« Posteinrichtunge« ist, nachdem erst vor einigen Tagen der englische Gcneralpostmeister in der Reichshauptstadt anwesend war, nunmehr der Generaldirektor des holländischen Postwesens in Berlin eingetroffen. * Protestkundgebung der selbständigen Kaufmann schaft »egen die Sonntagsruhe-Regelung. Eine An zahl führender Verbände der selbständigen Kauf mannschaft, u. a. der „Verband deutscher Detailge- schäftc der Textilbranche" (Sitz Hamburg), „Detail- lfitenverband von Rheinland und Westfalen", „Zen- tralausichuß der vereinigten Putzdetaillisten-Verdände Deulschlan-s", .Verband deutscher Waren- und Kauf häuser", sind ü-ereingekommen, in Verbindung mit anderen kaufmännischen Zcntralverbänden aus Ende d. Atz eine große Protestkundgebung der selbständigen Kaufmannschaft zu berufen, um gegen die Beschlüsse der Reichstagskommifsion in Sachen des Sonntags ruhcgesetzcs Verwahrung einzulegen. * Nochmals die Irreführung der Arbeiter durch Len „Vorwärts". Wir l>atten vor einigen Tagen aus geführt, daß der „Vorwärts" in bezug auf die Frage der Lohnzahlung in Reichskassenfcheinen sich eine grobe Irreführung den Arbeitnehmern gegenüber zu schulden kommen ließ, indem er ihnen den Rat er teilte, einen in Neichskassenschcinen empfangenen Lohn nochmals zu fordern uns im Falle der Verweige rung vor dem Gcwerbegericht Klage zu erheben. Die sen Feststellungen gegenüber versucht der „Vorwärts", unter Berufung auf Kommentatoren der Gewerbe ordnung, seinen Standpunkt aufrechtzuerhalten, daß 115 der Gewerbeordnung die Verwendung von Neichskassenscheinen zur Lohnzahlung ausdrücklich verbietet. Er empfiehlt Len Arbeitern in seinen neuen Ausführungen aber nicht mehr die Klage erhebung, sondern die Verweigerung der Annahme von Kassenscheinen, weil ihre Verwendung bei Lohn zahlungen ungesetzlich und strafbar sei. Der „Vor wärts" wäre zweifellos in der Lage, sich über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit seiner Auffassung zu überzeugen. Die Gewerbeordnung bestimmt nämlich in H I l6, daß ein Verstoß gegen K 115, der die Bar zahlung für Lohnzahlungen vorschrcibt, mit Geld strafe bis zu 2600 .tt und im Unoermögensfalle mit Gefängnis bis zu 6 Monaten bestraft wird. Es dürste nun dem „Vorwärts" nicht schwer fallen, in einer ganzen Reihe von Fällen, wo Lohnzahlungen durch Reichskastenscheine erfolgt sind, Strafanzeigen erstat ten zu lasten. Der Erfolg dieser Anzeigen würde ja dann wohl feststellen, welche Auffassung über die Aus legung des § 115 zutreffend ist. * Dem braunschweigischen Landtage ist eine Vor ¬ lage wegen Wiedererrichtung der braunschweigischen Gesandtschaft am preußischen Hofe in Berlin ->ugügangen. 4-.-. - . * Die reichsländische Zweite Kammer setzte am Mittwoch vormittag diedritte Beratung des Etats fort. An dis RogirbMä würde Unstimmig düs Er suchen gerichtet, eine Denkschrift vo-rzulegen zur Klarstellung des in Elsaß-Lothringen geltenden Nechtszustandes wegen Les Eingreifens militärischer Befehlshaber als Polizeigowalt ohne vorherige Re- guisition durch di« Zivilbehörden. Zn einer persön lichen Auseinandersetzung mit dem Abg. Peirotcs (Soz.) rechnete es sich Dr. Pfleger (Ztr.) zur Ehre, zu der Gruppe zu gehören, die man die Nationalisten nennt. Als solcher trete er für die Würde und Frei heit des Landes ein. * Dem Grasen und der Gräfin Wedel in Straß burg soll bei ihrem Scheiden der Dank der elsaß-loth ringischen Bevölkerung durch einen großen Fackel zug und Ueberreichung einer Dankadresse zum Ausdruck gebracht werden. Nach Meldungen aus Straßburg haben bis jetzt 100 dortige Vereine mit rund 12Ö00 Mitgliedern ihre Beteiligung zugesagt. Auch aus dem Lande beteiligen sich zahlreiche Vereine — man spricht von insgesamt 3000 — an dieser Hul digung. * Die vierte öffentliche Hauptversammlnng der Zentralstelle zur Bekämpfung der Schundliteratur findet am Montag, den 23. März 191«, abends 7 Uhr im Architektenhauje, Berlin Vs'. 66, Wilhelmstr. 92/93, statt. Auf der Tagesordnung steht u. a. ein Vortrag von Justizrat Magnus- Berlin über „Rechtsfragen auf dem Gebiete der Bekämpfung der Schundlitera tur". Einladungen werden auf Wunsch durch die Geschäftsstelle Berlin IV. 50, Augsburger Straße 61, versandt. Aurlcrnd. Serbien. * Die französische und englische Gesandtschaft über reichten, wie aus Belgrad gemeldet wird, der serbischen Regierung eine Note, in der die Rückgabe von bei der Eroberung von Monastir durch die serbischen Truppen in der dortigen Filiale der Ottomanban? beschlagnahmten 680 000 Franken gefordert wird. Von dieser Summe sollen übrigens nur 223 888 Franken an das serbische Armeckommando gelangt sein. Albanien. * Die Räumung von Epirus wird, wie aus Athen, ll. März, berichtet wird, fortgesetzt. Der Bezirk Kolonia wurde am Dienstag der albanischen Gendarmerie ohne Zwischenfall über geben. * Der Fürst von Albanien hat, einem Telegramm aus Valona zufolge, den holländischen Maior Thomson zum Generalbevoll mächtigten für die beiden Distrikte Koritza und Argyrokastro ernannt, indem er ihm gleichzeitig alle Machtbefugnisse zur Durchsetzung der ihm über tragenen Vertrauensmission bezüglich der Aufrecht erhaltung der Ruhe sowie der Organisation der ver schiedenen Verwaltungszweiae erteilte. Thomson begab sich mit mehreren holländischen Offizieren nach Santi Ouaranta, um von dort an seinen Be stimmungsort zu gelangen. Mexiko. * Die Lage in Mexiko. Aus Mexiko wird ge meldet: Bundestrupven haben dem im Besitz der Rebellen befindlichen Kanonenboot ..Tam pico" die Ausfahrt aus dem Hafen von Topolo- bampo abgeschnitten, indem sie das alte Kanonenboot „Demokrata" gucr über dem Hafeneingnng zum Sinken brachten. Der „Dailn Ehroniclc" meldet aus New Bork vom 10. März: Nach einem Bericht der ..New Pork World" aus El Paso hat eine Schlacht bei Torreon stattgcsundcn. Die Rebellen, die angegriffen hatten, wurden geschlagen. Die Gesamtzahl der Getöteten soll tausend Mann betragen. Die Truppen des Generals Huerta be wegen sich in vier getrennten Abteilungen vorwärts. Daneben besteht noch eine Kolonne von fünf tausend Mann. In Bolen haben sich n e u n h u n d c r t Mann, die in das Gefängnis geworfen worden waren, frei willig in die Arme« einreihcn lasten. Der gute Name. 20) Roman von Georg Engel. (clopvri^ln UM! bv ei. m. N II. l.eipri.-.i Httcn begann sich der Baron geringschätzig zu räuspern und murmelte etwas von einer großen „Handlung", die ein paar hundert Mark kaunr in Verlegenheit bringen konnten, und da er nebenbei noch etwas wie „bedeutendes Kauf- l-aus" verlauten ließ, so war endlich der Schlus sel zu dem verrosteten Gemüt des Herrn Pilz gefunden, und der alte Geldschrank erschloß sich jchwer und widerwillig. „Wie viel?" knurrte Heer Pitz. „Nkon dien! Geben Sic lachend Mark." „Tausend Mark?" rief Here Pilz entrüstet und verschwand mit seinem Oberkörper einen Augenblick gänzlich in der schwarzen .Höhlung des Eisernen. .vielleicht tun es auch fünfhundert," ver besserte der Baron und fuhr sich ängstlich in das graumelierte Haar. ,^Hier," sagte Herr Pilz mit souveräner Gleichgültigkeit und zählte das Geld auf den Tisch. Aber während der herabgekommcnc Aristo krat mit zierlicher Federhaltung die Schuldver schreibung aufscdte, packte den Großkaufmann ein solches Unbehagen, daß er froh war, als er das neugierige Gesicht des Sozius entdeckte, der lauschend seine spitze Nase durch den grünen Vorhang der Kontortür schob. Gegen eigene Unsicherheit ist die Fremder ein dreifach lieblicher Balsam. Mit wuchtigem Stoß riß der Inhaber die Tür ans und stand vor dein zurückplatzendcn Sozius, wie Salomo in seiner ganzen Richter herrlichkeit. Ein unbeschreibliches Lächeln zuckle nm sei nen herben TLrannenmund, als der schlottrige Sozius sein Dasein nttt kläglicher Aufregung zu bemänteln suchte. „Wollte eben — verzeihen — aber gerade al« — ich völlig „Schimmel," «einte Efe» Mtz ßuift, wäh rend seine kleinen Aeuglein hinter den Brillen gläsern mordgierig funkelten, „Fran Luchter- Hand steht unten und wünscht Schmierseife — die Frau erwartet Sic —" Darauf legte sich die Tür wieder entschieden ins Schloß, und zu derselben Zeit, da Herr Pilz noch mit träumerischem Behagen einen lan gen Seufzer des Teilnehmers ansfing, schlüpfte der Aristokrat fast unhörbar durch das Hinter pförtchen ans dem kleinen Kabinett. „Fort?" brummte, der Gewaltige und schtng mit der flachen Hand erzürnt in die Lust — „fünfhundert Mark — große Summe — sehr große Summe — unsicher — hm, natürlich gleich verklagen!" Dein Baron flimmerte cs vor tun Augen, als er auf die Straße hinanstrat. Jedes Goldstück, das er in der Tasche barg, verwandelte sich für ihn in einen rotglühenden Tropfen und versprülne vor ilnn in unaufhör lichem Zerfließen. Ihm war es, als ob hartes Geld über sein zitterndes Haupt lierabregne, als ob er die blanken Stücke mit unheimlicher Deutlichkeit über die Fliesen springen höre. 'Wie wahnsinnig fuhr er sich in die Taschen und brach dann in ein entzücktes Lachen ans. „Geld, Gold, he, he." Er^hatte gänzlich den Begriff für die Höhe einer Summe verloren, nur eins zuckte deutlich durch die schimmernden Nebel hindurch, daß er Geld besitze, heimliches, verborgenes Geld, von welchem seine wachsame Gattin nichts ahnte, und das ihm alles bisher Entbehrte verschaffen mußte. Seine Knie zitterten, als er daran dachte, welche Genüsse, welche »affinierten Vergnügun gen ihn erwarteten, uiist gleich jetzt — « Wie ein Trunkener zog er durch die Straßen, blieb vor jedem Schaufenster stehen und be rauschte sich bei der Ueberleaung, wozu er die ses und jenes — das tollste Zeug — gebrauchen könnte. Die Hände brannten ihm, noch war kein Goldstück ans seiner, Tasckw entwichen. Lechzend eilte er weiter. Da blitzten die Schaufenster der vornehm sten Juwelenhandlung vor ihm auf, und im Augenblick stutzte er und fuhr gierig unter sein Geld. Gold, Silber, Geschmeide, Edelsteine und Brillanten, alles schoß seine Strahlen auf ihn ab, rote, funkelnde Strahlen, die zu einem feu rigen Rade Zusammenstössen, und in weiten, rasenden Schwingungen nm ihn herumwirbclten. Tausend bunte Lichter zuckten vor ihm auf, und da — mit einem Sprung stand er mitten im Laden und blickte sich begierig uni. Tie Ver- länferinncn drängten sich ängstlich zusammen, als der sonderbar erregte Herr vor ihnen stand, er Liber achtete nicht auf sic, sondern wühlte mit zitternder, lechzender Hand in den großen Schmnckkästen herum, als ob das aufgehänftc Gold seinen Durst stillen, dls ob cs ihn sättigen, erlaben könnte. Nein, das nicht — jenes auch nicht, immer mehr — in immer größeren .Haufen wühlen, bis die jungen Tarnen sicb geheimnisvolle Blicke zuwarfen und der Besitzer mißtrauiscb erschien und den Aristokraten in unverblümten Worten zur Wahl auffordcrte. „Hier das —" ein kostbares, sclnnnlcs Arm band, mit kleinen Brillanten und einer matten Perle in der Mitte Aufatmcnd schloß der Baron die Augen, als es eingepackt wurde. Seine Lebensgeister waren erschöpft, wie wenn er ein berauschendes, auf- reibendes Vergnügen bis zur Neige durchkostet hätte. „Dreihundert Mark, bitte," notierte der Be sitzer etwas spöttisch, und der Standcsherr schreckte nicht zusammen, keine Beunruhigung hemmte das wallende Blut, halb im Traum öffnete er sein altes, abgetragenes Portefeuille und ließ die Goldstücke heransrollcn. Tann den Schmuck eingesteckt, den Mädchen einen gecken haft verliebten Blick zngeworfen und, während der Besitzer nnßlrauiscb den Kopf schüttelte, mit einem unsicheren Schritt auf die Straße hinaus. Nun klebte ihm die Zunge am Gaumen, dem u»heiligen Hunger nach Gold folgte der körperliche, der wirkliche, nagende Hunger, und während der Baron seinen vornehmen, gebückten Gang annahm, beschloß er mit triumphierendem Lächeln, diesen! Gelüst auf das fürstlichste zu fröhnen. Wohin? Die vornehmste Weinhandlung der alten Hansestadt hieß das „Gelbe Faß". Hier hatten schon die bezopften, scbwediscben Ratsherren langwierige Weinproben gehalten, hier verkün deten alte Sprüche, das; schmucke Wirtinnen dem durchreitenden Feldoberstcn den Pokal aufs Roß hinanfgercicht, und daß der feste Haudegen ihren Kopf in beide Hände genommen und sie gröblich auf die schwellenden Lippen geküßt habe. Tas waren alte Erinnerungen; jetzt hielten die reisigen Herren auf —itz und —witz und —ow im „Gelben Faß" ihre Sitzungen, und die blon den Wirtinnen, jetzt distinguierte Damen, zeig ten nicht mehr solch ausgesprochene Neigung, sich von fremden Reitersmän iiern küssen zu lassen. Ja, dorthin, dorthin wollte der Genußsüch tige eilen, bevor er sich anderen, he, he, ganz anderen Vergnügungen hingab. Tenn hier, wo nur seine ehemaligen Standesgenossen verkehr ten, war er sicher, das; seine Gattin nichts von seinen kleinen Ausflügen erfahren konnte. Und nun en avant, nur keinen Gedanken nachhängen, nur hincilen mit möglichst vorneh men, sicheren Allüren und dann trinken den sprühenden, gischtigen Ehampagner, und wie in kräftigen Lebenswassern gebadet werden, und dann sich langsam darin berauschen, ja berau- scl;en — gleichviel, ob auch die blasse Fran in seinem Hanse darüber erstaunte, denn seine Krankheit schützt ihn ja vor ihr, alles macht sie ja glaublich, dieser beste Einfalt seines Lebens — die Krankheit. Und nun war er da, nun sprang er mit fliegendem Atem die tiefansgetrctcnen Stcin- stnfen hinauf — noch ein Augenblick feigen Zau- derns, und die gebräunte Eichentür ächzte knar rend in ilrren Angeln. Feiner, duftiger Zigarrenrauch, Weimvoltcn, Lachen und Gtcherklang schlugen ihm entgegen. Der Atem ging dem Eindringling aus, mit un sicheren Bewegungen schlüpfte er durch die kleine Stube bis an den nächsten einsamen Tisch und ließ betäubt das Haupt sinken. (Fortsetzung in der Abendausgabe.)