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Nr. 190. l0S. Jahrgang. Lelprlgrr Lagevlan. schwäaerung vor dem Prämienverfall an die Majoritätspartei schützen. Die sozialistische Partei kann der konservativen, falls diese mehr Stimmen erhalten sollte wie sie, ihre Ee- samtsttmmenmasse -utrapen oder umaekebrt. In unserem Fall würden dann bet der Restvcrtetlung den 17 000 sozialistischen Stimmen di« 9000 konservativen zugeteilt werden, wonach die sozialistische Partei mit 26 000 Stinnnen Anrecht aus 2 Deputiertensitzc erlangen würde. Danach bliebe immer noch ein Deputiertenfiß übrig, der ohne Widerspruch der radikalen Partei gehören mühte. Das Parlament weih Ovar, daß es noch keine ideale und gerechte Wahlordnung zu stande gebracht hat aber die Minorität ist mit den kleinen Zugeständnissen, die sic nach dem harten Kampf durchsetzte, zufrieden, die Negierung nicht minder, da für sie eine der gefährlichsten politischen Krisensragen in Wegfall kommt. Nach den letzten Verfügungen wurden die in Frankreich jo populären Initialen für das neue Gesetz abermals verwandelt in „kl. l'. l>pr>'-on'-ikmn l'r po > un.I o «I--- .Uinnnlt« 18. Jahresversammlung ües Sentcal- verdanües von Vrlskrnnkenknllen im veuttchkn Reichc. Dresden, 10. Juli. Im Grohen Saale des „Tivoli" trat heute vor mittag der Zentralverband von Ortskrankenkassen im Deutschen Reilly in Gegenwart "vn zahlreichen Ver tretern der Behörden und ea. 8<>o Delegierten aus ganz Deutschland zu seiner 18 Jahresversammlung zusammen Der Vorsitzende der Dresdner Orts krankenkasse, Landtagsabgeordneier F r u tz d o r s, be grüßte die Ehrengäste und die Delegierten, um sich dann in einer längeren Ansprache über die Lage der Krankenkassen und ihre Aussichten für di« Zukunft zu verbreiten. Tie Tätigkeit der Ortskrankenkassen sei eine eminent nationale Tal, denn sie trage zur sitt. lichen and wirtschaftlichen Hebung der breilen Polls massen bei. Tic neue Neichsversicherungsorbnung ge- jalle freilich vielen nicht, doch stehe cs der Verjamm. lung nicht zu. Kritik hieran zu üoen, sondern sie solle Mittel und Wege finden, um sich der Reichsversichc- rungsor'vnung anzupasscn. Die Kritik müsse hier schweigen und die Belehrung hierfür einsctzen. Die wichtigste Frage sei unzweifelhaft die Aerzte- srage, die auch im neuen Gesetze ungelöst bleibe. Die Krankenkassen seien hiermit nicht zufrieden und die Aerztc erst recht nicht. Der Leipziger Verband habe dies erst kürzlich in Stuttgart dculllch zum Aus druck gebracht. Namentlich die Erweiterung der Ver- ficherungspslicht auf die technischen Beamten behage den Aerzten nicht, obwohl dies als eine direkte Not wendigkeit bezeichnet werden müsse. Den Aerzten hätte man sicher auch nicht wehe getan, wenn die Grenze auf 3000 .« heraujgesetzt worden wäre. Es sei natürlich nicht die Aufgabe der Kassen, den Aerzten ihre Rechte zu nehmen, jcndern sie seien immer be strebt, mit ihnen in einem guten Verhältnis zu leben und dafür zu sorgen, dast sie gut bezahlt und behandelt würden. Selbstverständlich tonnten die Krankenkassen keine Massnahmen dulden, durch die sic an die Aerztc ausgeliefert würden. VK'NN jetzt di« Krankenver sicherung beseitigl werden sollte, dann werde sicherlich eine Misere für den Aerztestand cinlretcn. Die Kassen hoffen jedoch, datz sie im Streile mit den Aerzten von den Regierungen nicht im Stiche gelassen würden, da sie keine persönlichen Interessen, sondern diejenigen der Allgemeinheit vertreten, wahrend die Aerzte nur für ihre eigenen Interessen wirken Im Namen der Stadt Dresden begrüßte hier auf Stadtrat Rcichardt die Versammlung und wies u. a. darauf hin, datz die Dresdner Ortekranken kasse wohl eine der größten Deutschlands sei. Der gedruckt vorliegende Geschäftsbericht, der nunmehr zur Debatte gestellt wurde, gibt ein übersichtliches Bild über die Tätigkeit des Zen- nalverbandes rin Geschäftsjahre 1910/11. Dem Verbände gehören gegenwärtig litt Kassen mit t-">4 Millionen Mitgliedern an. Zlseitcr bespricht der Berichte die Tätigkeit und die Versammlungen der Un- tcrverbände, das Verhältnis der Krankenkassen zu den Aerzten, die Internationale Konferenz für Sozial versicherung und d-c Arbeiterversicherung in Deutsch lano und im Auslande. Besondere Kapitel sind den jozialhygieniichcn Aufgaben der Krankenkassen, den Wohnunasresormbcstrcbungen und der Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten und der Tuberkulose ge widmet. Auch der Mutterschutz und die Sänglings- iürsorge, die Arbeiterversicherung und der Alkoholrs- mus sowie die Arbcitsloienfürsorge sind in dem um fangreichen Berichte ausführlich behandelt, der mit einem Verzeichnis der Verbandskassen und Unterver bände sowie mit Schlußbemerkungen und mehreren Anfuzcn schliesst. Ein besonders wertvoller Beitrag ist noch der Abdruck eines Vortrages des Vertrauens arztes der gemeinsamen Ortskrankenkasse Straßburg Dr. med. Wilhelm N e m m e r über die Arznei versorgung in den Krankenkassen und Lmil Sött. Von Prof. Dr. Alfred Lies« (Neuwied). (Nachdriut vrrbvlcn.) Im April des Jahres 1908 ist am Futze des Zätzringer Schlotzberges bei Freiburg im Breisgau in einem grün umsponnenen Häuschen ein badischer Dichter und Denker gestorben, viel zu früh für sein Wollen und Wirken, im <1. Lebensjahre, ein Mann, von dem erst jetzt die große Welt Näheres erfährt. Roman Woerner, der bekannte Ibsen-Biograph und Literarhistoriker in Freiburg, hat die Frcundfckxiftv- pflicht erfüllt, Gedichte, Sprüche und Aphorismen und die dramatischen Werke Emil Götte („Die Schwarz künstler" und „Edelwild", „Mauserung" und . Fortunatas Biß") in drei schmucken Bänden zu sammeln (C H. Becksche Verlagsbuchhandlung in München, 1911, ged. je 1,50 .«). Emil Gött, war ein Eigener, ein Märtyrer de» Lebens, denn seine Eigenart bestand in einem Idealismus, der keine Selbstsucht kennt, der aus tiefstem Mitgefühl mit fremder Not zu jedem Opfer bereit ist, nur gibt, anstatt auch — mit berechtigtem Vorteil — zu nehmen, nur von dem reichen und welchen Herzen, nicht auch von dem klug überlegenden Kops sich leiten läßt: es war sein tragisches Geschick, dast er die Größe ethischer Ge danken auch wirklich ins Alltagsleben übertragen und in die Tat nmsetzen wollte, von den „Polypen armen de» Mitleids" gefaßt und gehalten Er rvar ein Eigener in einer «undersamen Mischung von Gegensätzen. Einerseits «ine weltverlorene, träum versonnene Natur: sein zarter Seelenorganismuv war schon aus der Schule von höckstter Reizbarkeit und sittlicher Empfindlichkeit, so daß der Knabe und ber Jüngling unter verständnislosen Lehrern schwer litt, wie sein Freund Emil Strauß ein ähnliches Schicksal so erschütternd in „Freund Hein" geschlldert hat; auf den Universitäten (Berlin und Freiburgs war er den höchsten Zielen, nicht her Fachwissenschaft. deren Kontrolle. Nach der Erledigung des Ge schäftsberichtes folgte der Hauptpunkt der Tagesord nung' Die Anpassung der Ortskrankenkassen an die vestim. muugrn der Reichsversicherungsordnung. Hierfür waren insgetamt 10 Vorträac angemeldet, und Zwar sprach zunächst Iustizrat Dr. Mayer- Frankenthal über „B e h ö r d e n o r g a n i s a 1» o n , Aufsicht, Rechtshilfe und Strafvor» schriften. Er wies auf die Schwierigkeiten Yin. die sich bei der Anpassung der Ortskrankenkassen an die neue Rcichsversicherungsordnung looausstellen und betonte lustonders, daß cs notwendig sei, daß die intelligentesten Mitglieder der Krankenkassen in die Oberversichcrungsämter gewählt würden, da dort die wichtigsten Entscheidungen gefällt würden. Es muß ten hier Männer gewählt werden, welche die großen Fragen dcr Krankenversicherung zu erfassen verstan den. Der Redner führte verschiedene Beispiele hierfür an und hob zum Schlüsse hervor, daß die Kranken- I Versicherung durch die Neichsversicherungsordnuno in I ein gewisses Neuland geraten sei, in das sie sich erst hinenrarbeiien müßte. Weiter reseriertcn noch die Zerren Bureauvorltand F r c n z e l Dresden über den Umfang dcr Versicherung und Kasicnvor- iißeuder Willi- München über den Gegenstand der Versicherung. Die Verhandlungen werden morgen fortgesetzt. Ivss Mil! üer Süchlilche Stsslsbeamten-öunü? Leipzig, 11. Juli. Diese Frage beantwortete Nau - Obersekreiär Tänzler - Dresden gestern abend in der Versamm lung der Ortsgruppe Leipzig des Sächsischen Staatsbeamten-Bundes, die im Großen Saale des „Rvsentalkasino" abgehalten wurde und sich eines sehr guten Besuches erfreute. Der Vorsitzende, Loko motivführer G. Backhaus, begrüßte die Er schienenen, besonders den Ländtagsabgeordneten Wappler, und erteilte dem Bundesvorsitzendcn Tänzler das Wort. Wie jede neue Idee, so führte dieser aus, ihre Gegner findet, so fand auch die Gründung des Bun des der Sächsischen Staatsbeamten ihre Widersacher. Die Regierung jedoch steht demselben nicht unfreund lich gegenüber, clxmsowcnig die wirtschaftlichen Par teien. Der Sächsische Staatsbeamten Bund will eine Vereinigung sein, in welcher alle Beamten einen Platz finden sollen. Die früheren Verbände genügten nicht, da sie hauptsächlich daran lrenktcn, daß ihre Haupt sorge den Wohlfahrts - lassen galt. Ein Programm hat dcr Staats- beamten-Bund nicht hcrausgcgcben, weil er der An sicht ist, daß ein solches eher hindernd als förderlich wirkt. Der Bund steht unter der Disziplinargewalt des Staates, womit sich wohl jeder vaterländisch Gesinnte einverstanden erklären kann. Was will dcr Sächsische Staatsbeamten Bund? Er will Mitwirken an allen kulturellen, rechtlichen und wirtsck>aftlichen Aufgaben des Staates. In kultureller Hinsicht ist cs zunächst die Be fassung mit der staatsbürgerlichen Er ziehung und Fortbildung des Beamten. Be sonders die letzte Frage ist außerordentlich wichtig. Denn es ist einer großen Anzahl intelligenter Leute unmöglich, sich in eine höhere Gruppe zu bringen, trotz aller Befähigung. Wenn aber dem Beamten heute die Gelegenheit zu reichlicher Fortbil dung geboten und cmvfohlen wird, so wird diese illusorisch, wenn der einzelne daraus keinen Nutzen ziehen tann. In rechtlicher Hinsicht befaßt sich der Bund mit der Frage der Beamtenausjchüsse, denn diese ist noch zu wenig geklärt, als daß sie heute schon bejaht oder verneint werden könnte. Ferner soll ein Verständnis für die Lage der Industrie und des Welthandels geschaffen werden. Besonders zu studieren ist das Kapitel: Dcr Beamte als Konsu ment. Wie wenig die Beamtenverhältnisse über haupt untersucht wordeu sind, erfuhr z. B. Pfarrer Naumann in Berlin auf dem Reichsamte des Innern, wo man ihm nicht Auskunft gevcn konnte, wieviclc Beamte in Deutschland überhaupt angc- stellt sind. Das Ziel des Sächsischen Staatsbeamten-Bundes ist nicht das, einen unsachgemäßen Druck zue Er reichung von Forderungen auszuiiben, sondern ber Bund steht auf vaterländischer Grund lage und erstrebt die Zusammenfassung aller sächsischen Staatsbeamten, einerseits zur Vertretung des Vcamtenstandcs in allgemeiner wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht, anderseits zur Mitwirkung an der gedeihlichen Weiterentwickelung der öffent lichen Verhältnisse. Der Staatsbcamten-Bund will dem gesunden Fortschritte der Sonder- vercintgungen tm Beamtcnstande nicht hinderlich sein. Am Schlüsse äußerte der Redner den Wunsch, daß es dein Bunde gelingen möge, recht bald in großer Zahl die führenden Männer zu gewinnen. In der Diskussion forderten einige Redner die strengste Markierung sondern der eigenen Charakterbildung zugewandt, nimmer durch sich selbst befriedigt. Anderseits war Gött eine Natur, die im Grunde ihres Herzens nur der Tat, nicht dem Gedanken einen vollen Lebens wert zuschreibt, allezeit auf technische Erfindungen bedacht, so daß eine Feuerleiter beim Patentamt an- zubringen ihm wichtiger ist als der Erstaufführung seines Dramas bcizuwohncn: den Leibesübungen, be sonders dem Turnen, auf Schule und Universität leidenschaftlich ergeben, ebenso der Land- und Gartenarbeit, so daß er sogleich die aus Tantiemen ihm zuflietzendcn Mittel in einem Gütchen anlegt. Aber diese Charaktermischung brachte er nicht zu einem beglückenden Gleichmaß: denn was hier Tat ist, ist doch nur Traum, und was Traum war, ward doch nicht Wirklichkeit. So blieb es nicht aus, daß ihn Schulden in schwere Not und Seelenbedrängnis brachten, und ein Herzleiden, zu dem er durch Ucber- anstrcngung bei einem Rcttungswerk den Grund gc legt hatte, raffte ihn vor der Zeit hinweg. Der schöne, ausdrucksvolle, locken- und bartumwallte Kopf zeigt Mild« und Kraft, Ernst und Anmut gepaart, und so atmen auch seine Sprüche und Gedichte den selben Charakter. Sic bohren tief, denn dieser Grübler nimmt alles sehr schwer, in höchster Ehrlich keit. in dem Streben, über sich selbst hinauszuwachsen, aus Krisen und Stürmen sich zur Höhe emporzuheben, ein „Stirb und Werde!" zur Tat werden zu lassen. Er war ein echter Rätselsteller und Gottsucher: wenn auch kein Zeiterlöser, so doch ein Sohn einer zwiespältigen Zeit, die sich Überwinden möchte. Man muß ibn lieb gewinnen und bewundern, diesen schwerblütigen, schwermütigen und dann wieder so lebenvheiteren und stegesgewissen Denker und den künstlerischen Gestalter de« Wortes, der in den Dramen und auch in den Sprüchen gar gern aleich- sam vom Wohllaut sich sorttragrn und fortreißen läßt; aber auch die Fülle der Gedanken in tnappe, schlagkräftige Form zu fassen vermag. Die Erkennt nis verwandter Geister wird ihm zum Ledensercig- nis. So die der „Malweide v. Mcysenburg". Witte- der Stellung der mittleren Beamten, da nur eine Verschärfung der Bedingungen Gewähr bietet, daß vorzüglich vorgebildete Kräfte ungestellt werden und dadurch die Arbeitsleistung gesteigert wird. Landtonsabgeordneter Wappler schlug vor, eine Zentralstelle zu gründen, die sich mit der Priifung der P e t i t i o n e n zu be fassen habe, damit dem Landtage nicht eine zu grötzc Anzahl solcher auf einmal vorgelegt werde. Was ihn als Abgeordneten anbetrifft, so meinte er, werde er stets mit Interesse den Wünschen der Beamten nachgeheu, und wo immer er kann und es mit seinem Gewissen sich vereinbart, ihnen ein warmer Für sprecher sein. Serlüttslssl. Gin neuer Kwüecki-Prozetz. Der Kampf um den kleinen Grafen Josef Kwi- lecki will nicht zur Ruhe kommen. Wir erhalten von unserem Breslauer Korrespondenten darüber folgendes Telegramm^ Breslau, 10. Juli Der Prozeß der Stations- aufsehcrseherfau Cäcilie Mayer wegen der Heraus gabe des kleinen Grafen Josef Kwilecki hat eine neue Meldung genommen. Der Posener Iustizrat Manheimer hat für Frau Mayer berm Landgericht Posen das Armenrccht erwirkt und eine neue Klage gegen den Grasen Zbigniew Kwilecki auf Wrovlcwo eingcreicht. Das Landgericht hatte auch einen neuen Termin auf den 25. September ange setzt. Die Klage konnte jcdoch nicht in Wroblewo zugcstellt werden, sondern kam mit dem Vermerk: „Adressat nach Breslau verzogen" zurück. Graf .owilccki hat tatsächlich seinen Wohnsitz nach Bres lau verlegt. Der neue Prozeß kann daher nicht mehr in Posen, sondern muß nunmehr in Breslau verhandelt werden. Bekanntlich hatte das Reichsgericht am 13. Mai dcr Revision stattgegeben, das Urteil des Ober landesgerichts Posen, das den kleinen Grafen der Frau Mayer zusprach, aufgehoben und die Klage als unzulässig abgewiesen. Reichsgericht. vri. Leipzig, 10. Juli. Wegen Mordes ist am 13. Mai vom Schwurgericht Augsburg der Dachdecker Jakob Kappels- berger zum Tode verurteilt worden. Er hat am 17. Juli v. I. im Walde zwischen zwei Ortschaften die Schreincrctochter Maria Irmler ermordet. Seine Revision, die heute vor dem Reichsgericht zur Verhandlung kam, enthielt nur prozessuale Rügen. Während dcr ganzen Verhandlung vor dem Schwur gericht war die Oesfentlichkeit ausgeschlossen. Im Laufe der Verhandlung erschien im Zuhörerraume mit dem Ersten Staatsanwalt der Leutnant Frei herr von Pcchmann. Er wurde vom Vorsitzeirden veranlaßt, ein Gesuch um Zulassung zur nichtöffent lichen Sitzung vorzutragen. Dann wurde ihm vom Gerichtshöfe gestattet, im Saale zu bleiben. Die Re vision meinte nun, durch die Anwesenheit des Leut nants vor Genehmigung seines Gesuches seien die Vorschriften über die Oesfentlichkeit des Verfahrens verletzt. Weiter wurde behauptet, die kommissarische Aussage des Zeugen S. sei zu Unrecht verlesen wor den. Der Gendarm W., der mit den Nachforschungen über den Aufenthalt dieses Zeugen betraut war, hat jedoch bekundet, daß cs ganz unmöglich gewesen sei, den Zeugen zu ermitteln, nur so viel sei bekannt, daß er nach der Schweiz verzogen sei. Endlich wurde ge rügt, daß dieser Zeuge W., als er später nochmals vorgerusen worden sei, die Richtigkeit seiner Aus sage nicht nochmals durch einen Eid bekräftigt oder sich auf den früher geleisteten Eid berufen habe. — Vas Reichsgericht erkannte dem Anträge des Reichs anwalts gemäß auf Verwerfung der Re vision. Eine Beschränkung dcr Oesfentlichkeit liegt niemals vor, wenn irgendeiner Person Zutritt zu einer nichtöffentlichen Verhandlung gestattet wor den ist. Die Verlesung dcr kommissarischen Aussage des Zeugen S. entspricht dem Gesetze, da der Aufenthalt desselben nicht zu ermitteln war. Eine nochmalige Vereidigung des Zeugen Gendarm W. war nicht erforderlich, da er vor seiner ersten Ver nehmung vereidigt und vor der zweiten nicht ent lassen mar. Wegen fahrlässiger Tötung ihres eigenen Kindes sind am 26. April vom Landgericht Altona a. E. der Bahnarbeiter Franz Basedow und dessen Ehe frau zu Gefängnis verurteilt worden. Die Frau ist härter bestraft worden als der Mann, weil ihr Vor- ballen hauptsächlich den traurigen Erfolg herbei- geführt bat. Die Angeklagten verzogen im Oktober 1910 naiv Pötrau . Sre hatten mehrere Kinder, dar unter den am 17. April 1901 geborenen Sohn Hein- rich. Dieser litt an Frostbeulen, die ihm namentlich im Winter große Beschwerden machten. Da er das Bett beschmutzte und nachts durch Wimmern störte, entfernte ihn die Angeklagte, die schwanger war und nachts nilftt gern ausstand, aus dem Schlafzimmer und ließ ihn in der Küche schlafen. Hier hatte der I ruiig Les Menschen ist doch das Berauschendste, was es gibt", sagt er. Vor allem kann man cs verstehen, daß Nietzsche für ihn eine Offenbarung, ja das tiefste Erlebnis war, aber er nimmt tapfer Stellung zu ihm und setzt seine Sätze denen des großen Gedanken- und Sprachkünstlcrs*) entgegen. Es gibt kaum ein be zeichnenderes Wort von Nietzsche als das Bekenntnis: „I-'c-c-e stoino": Ja, ich weiß, woher ich stamme! Un gesättigt gleich der Flamme glühe und verzehr' ich mich. Licht wird alles, was ich fasse, Kohle alles, was ich lasse: Flamme bin ich sicherlich!" —So be kennt auch Gött, „Der Mensch": ..Aus jähen Ab gründen rage ich himmelan, ein einsamer, kühn ge formter Gipfel. Es liegt etwas in meinem Bau, daß es keines starken Erlebens bedürfte, und ich stürzte in mich zusammen — meine Klüfte böten Raum genug, mein Grab zu w?'den. Aber kcin Sturz in Ver nichtung könnte mir eins rauben: die Wonne des Anstiegs und die Triumphe der bezwungenen Höhe, die Entzückungen der ungeheuren Weltschau und die Stunden seligen Seldstgcnusses in vereinsam unver- gleichlichenLandschaft. — Zertrümmern kannst du mich noch, o t,ein Leben, aber das Erlebte nicht rauben noch entwerten." — Außerordentlich viel Tiefgrün- digcs bergen auch sonst in sich die Aphorismen. Ich hebe nur denjenigen über das Tragische heraus: „Die tragische Dichtung entspringt dem durch das Problem des Lebens erschütterten Geist und Gemüt. Die Schuld ist nur eine später mißverstandene und schließ lich künstlich hineingemengte Form jenes Problems, nicht sein Wesen, ais das sich eigentlich die Schuld losigkeit darstcllt. Die erschütterndsten Tragödien sind daher noch nicht gedichtet worden, vielleicht La und dort versucht. D«r ..Oedipus" nähert sich, al« Schicksalstragödi«. dem Wesen der Tragik noch am meisten, oder doch sehr weit. Die ..Schuld" gehört Hch benutz» hier die GelegenbeN, «us dtc »o» rine>n lUustlerOlde» vkistt Nd»r einen NUnÖleeaetg in mrUierhaUcr gvsin «vd Nrsftem ÄachrmpIMdi:« kargeSl-ieu» Schrift welle«: „««»»sch» «1» «ans, 1er.* «'en D» Srtch vifertz Manchen, Beck, itzlt). Orensluv, N. JuU lSll. Kleine aber keinerlei Ruhestätte. Hau^enossen tzär- ten wiederholt Gewimmer und leuchteten dann mit einer elektrischen Taschenlampe durch das Küchea- fenster. Sle sahen, daß der nur dürftig bekleidete Knabe auf einem Schemel saß und den Kopf auf einen Stuhl gelegt hatte, wobei er fortgesetzt wimmerte. Es herrschte Frostwetter, und in der Küche war es verhältnismäßig kalt. Insbesondere fiel es auf, Laß das Kind mit nackten Fußen dasaß. Alle Leute, die hiervon erfuhren waren sehr empört. Der Kauf mann Lana« nahm aus Mitleid das Kind in sein Haus und ließ es baden und speisen. Der Kreisarzt, der das Kind am nächsten Tag« untersuchte, fand, daß es völlig verwahrlost war. Alle Zehen waren im Absterben, die Oberschenkel gerötet und geschwollen, auch an beiden Händen befanden sich Frostgeschwüre; das Kind war zum Skelett abgcmagert. Der Kreis arzt veranlaßte die Uebcrführuna des Knaben in das Kinderhojpital. Dcr linke Fuß war bis an den Knochen völlig brandig: eine Operation mußte unter bleiben. Fünf Tage nach der Einlieferung, am 19. Dezember, starb der Knabe am Wundstarrkrampf. Spuren von Mißhandlung wurden nicht vorgefun- den. Das Gericht nahm an, daß die Angeklagten durch die beispiellose Vernachlässigung des Knaben seinen Tod jahrlässigerweis« verursacht haben. — Die Re vision der beiden Angeklagten, welche die Fahr- lässigkeit bestritten, wurde heute vom Reichsgericht als unbegründet verworfen. Königliches Schwurgericht. —rva. Leipzig, den 10. Juli. Das Messer gegen den eigenen Later gezogen hat der 21jührige Martthelfer Karl August Lieote aus Leipzig, der in der ersten heutigen Sitzung wegen o e r such: en Totschlags zur Verantwortung ge zogen war. Die Verteidigung d«s Angeklagten führt« Rechtsanwalt Martin I. Die Anklagebehörde vertrat Staatsanwalt Dr. Heinz mann. Als Sachverständige fungierten (Heheimrcu Professor Dr. F l e ch s i g-Leipzig und dcr Anstaltsarzt Dr. Kutz. Der bisher noch nicht bestrafte Angeklagte wurde be schuldig,, am Abend des 30. August in üer elterlichen Wohnung gegen seinen Vater, mit dem er ins Hand gemenge gekommen war, das Messer gezogen und blindlings auf ihn losgestochen und ihm Verletzungen am Kopf und an dcr Schulter beigebracht zu haben, die aber sämtlich ohne bleibenden Folgen verheil: sind. Liedke führte als Grund für sein« Tat an, daß er sich Lurch das Verhalten seines Vaters in üer Erregung zu der Tat habe Hinreitzen lassen. Nach der Entlassung aus üer Schule hat der Angeklagte Buch biildcr werden wollen, doch har er diesen Beruf wegen seiner Nervosität angeblich nicht ausfüllen tonnen. Er wurde dann Lausbursche und Marlthelfcr, doch war er nirgends lang« in einer Stellung. Seit dem Jahre 1908 hat Liedke nur mehr vorübergehend Be schäftigung gehabt. Der Angeklagte erzählte, daß sein Vater infolge seines übermäßigen Alkoholge nusses bereits in der Heilanstalt war. Unter der Nervosität seines Vaters hätte die Familie viel zu leiden gehabt. Es sei wiederholt vorgekommen, daß sein Vater di« Mutter geschlagen habe. Durch der artige traurige Verhältnis hat dc^ Angeklagte sich so unglücklich gefühlt, datz er sich mit Selbstmorogedanken trug. Sein Vater soll sich sogar gefreut haben,, daß cs ihm (dem Sohnes nicht glückte, Beschäftigung zu erhalten. Liedke hatte am Tage der Tat bei dem Meister seines Vaters, der Erdarbeiter ist, mit Au-, schachtungsarbeiten ansangen sollen. Da er be fürchtet habe, mit seinem Vater nicht auszukommcn, sei er aber nicht zur Arbeit gegangen, obwohl ihm der Vater das Geld zum Kaufen von Handwerks zeug gegeben habe. Dies war die Ursache, daß Vater und Sohn abends aneinander gerieten. Der Ange klagte war an diesem Tage gar nicht nach Hause ge kommen. Als er abends die Zeitung las, schlug sein Vater ihm diese aus der Hand und setzte ih > wegen seines Verhaltens zur Rede. Es entstand ein Handgemenge zwischen Vater und Sohn, wobei die Lampe vom Tische fiel und auslöschte. Liedtc «ft dann, wie er behauptete, von seinem Vater an der Gurgel gefaßt worden, sodaß ihm fast die Luft aus ging. Um sich zu befreien hat der Angeklagte sein Taschenmesser gezogen und in der Dunkelheit losgestock-en, ohne zu sehen, wohin er treffe. Liedke ist dann aus dem Hause geflohen, um sich das Leben zu nehmen. Es hat ihm im letzten Augenblick aber der Mut dazu gefehlt. Er kehrte deshalb wieder nach Hause zurück und wurde feltqenommen. Nach der An gäbe seiner Mutter rst der Angeklagte Liedke schon ,en seiner Kindzeit nervös gewesen, nachdem er sich im Alter von drei Jahren durch die Schuld seines Vaters schwer verbrannt hatte. Wahrend der Untersuchungs haft ist Liedke sechs Wochen zum Zwecke der Beo bachtung seiner geistigen Beschaöenlieit in der Landes heilanstalt Hubertusburg gewesen. Außerdem ist -r in der Nervenheilanstalt des Geheimrats Professors Flechsig auf seinen Geisteszustand hin untersuch: worden. Zuletzt war der Angeklagte einige Zeit in der Heilanstalt Dösen. Von dort ist er eines Tages heimlich fortgegangen, weil er sich, wie er vor Gericht erklärte, gesundheitlich und geistig wohlgefühlt habe und er cs deshalb nicht in einer Irrenanstalt habe zur Sprache der Tragödie, nicht zu ihrem Wesen: sie macht dieses dem Ursachentier Mensch ver ständlich." Die Dramen Gotts haben nicht nur einen heißen Atem des Dramatischen und sind getragen von Ideen kraft, von Pathos und Etbos, sondern sie zeugen auch von klarer Erfassung bühnenwirksamer Bilder und Wandlungen: die Helden sind echte Tatenmenschen, aber auch zugleich tiefbohrende Gedankenmenschen. Die Dramen gipfeln in der Verherrlichung der Selbstüberwindung. In dem höchst wirkungsvollen, flott und keck sich ent- und abwickelnden „Schwarz künstler", der einem Lustspiel des Cervantes l..Die Höhle von Salamanka") nachgedichtet ist, wird der Gatte durch die List eines gewandten, alles wagen den und alles gewinnenden Schelmes von Eifersucht kuriert. Im „Edelwild" ist dcr Kampf noch weit bitterer: Harun al Raschid bezwingt sich selbst, gleich groß im Verstehen und Verzeihen, und bringt auch seinen schärfsten Gegner zur Selbstzucht und zur Freude am Leben, das er schon wegwerfen wollte, zu rück. „Mauserung" ist einem Lustspiel Loge» mit hohem Schwung, mit theatralischer und ethischer Kraft nachgebildet', starke Charaktere entfalten sich zur Reife und Größe und gewinnen einander. So jubelt auch in „Fortunatas Biß" die Feuer seele des Mädchens, das den tapferen Lebensstürmer bezwungen hat: „So lieb ich dich, nach ausgetrotztem Sturm, die Seele groß und still, ein deutsches Blut! So sah ich dich im Mädchentraum von dir. Ein sichres Land des Schweigens meiner Stürme Ein Berg, an dich zu lehnen! . . Und er, d«r also Be glückt«. frohlockt über die Lebenslust, deren Feuer atem von der Geliebten her ibn anglüht: ..Lnst ist Kraft, ist alles, Lust ist das Herz, Lust ist der Sinn der W«lt, Ist Licht und Feuer. Kraft un>» Leben selbst!" - So ist Gött ein narker L«ben»b«faher. Was die drei Lände bieten, läßt das verlangen nach weiteren Gaben aus dem reichen Nachlaß immer auis neue beim Lesen rege werden.