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4. Beilage Sonnabend, 11, September IVOS. Leipziger Tageblatt. Nr. 252. 103. Jahrqanq. Mutze st linden. ,, Vlauer Flieder. Roman von Brenda von Eichen. (Nachdruck verboten.) L. Kapitel. Langsam schritt indessen Hauptmann v. Gerlach seiner Wohnung zu. Sie lag weit draußen, zwischen den Scheunen und Gärten der Vorstadt, in dem Hause eines Ackerbürgers. Auf der halbdunllcn, gepflasterten Hausdiele, die zugleich die Durchfahrt nach dem dahinter liegenden Hofraum bildete, stand das Wirtstöchterlein, um ihm einen guten Tag zu bieten. Er bemerkte es nicht. — In Gedanken versunken, stieg er die Treppe zum oberen Stock empor und betrat sein Zimmer. Es war groß und niedrig, mit einfachen Eschenmöbeln darin, die Dielen weißgeschcuert und ausgetreten, an den klaugestrichenen Wänden ein paar anspruchslose Stiche in schwarzen Holzrahmen. Der einzige Luxus, den der Raum aufzuweisen hatte, war ein breiter, schöngearbeiteter Eichcnschrank, welcher auf der einen Seite eine wohlgeordnete kleine Bibliothek, auf der andern eine Gewehrsamm lung enthielt. Die- nüchterne Umgebung stimmte schlecht zu der ausgesprochen vor nehmen Erscheinung des Hauptmanns. Anderseits würde man ihn sich nicht in einem jener mit luxuriösen Nichtigkeiten überladenen Salons denken können; dazu war er zu wenig geschmeidig, seine Art, sich zu geben, bei aller Form oft eckig und abweisend. In dem Zimmer herrschte dumpfe Luft. Er öffnete das Fenster. Ermüdet ließ er sich in einen Lehnstuhl daneben nieder, schlug die Beine übereinander und verfiel in Sinnen. Draußen, in dem Hausgärtchen, duftet berauschend der Jasmin. Aus der Ferne trägt der Windhauch ein schwaches Läuten herüber, das Ende der Marktzeit verkündend, und dann und wann einen verlorenen Ton wie von Menschenstimmen. Sonst herrscht unbewegliche Mittags stille. Die Luft ist so ruhig und blau, der alte Fliederbaum mit seinem blütenschweren Wipfel rührt keinen Zweig. Aber beim Oesfnen des Fensters hat sich eine große, blaue Blüte in das Zimmer geschoben, die duftet so stark und süß Träumerisch ruhen seine Augen auf ihr. Es muß ein seltsamer Zauber von ihr ausgehen, denn sein ernstes Gesicht verklärt sich zu einem Lächeln. Plötzlich streckt er die Hand nach der Blüte aus und flüstert: „Isabella " Weit, weit sieht er in die Vergangenheit. Was sieht er? Zwei junge, selige Menschenkinder unter einem alten Flicderbaum. — Danach einen armen Offizier vor 'dem Hause der Jugendfreundin stehen, um sie mit der Einfalt der Liebe für das Leben zu begehren. Wie hämmert ihm das Herz unter dem Waffenrock und zittert die Hand, welche dem Diener die Karte reicht. Und dann im hohen, dämmerigen Gemach eine verführerisch schöne Frau, ihm beide weiße, beringte Hände entgegen streckend. Was sagte ihre schmeichlerische Stimme? „Mein lieber Gerlach, ich weiß weshalb Sie kommen, denn das nm das Wohl ihres Kindes besorgte Mutteraugc sicht scharf, es hat Ihren ehrenhaften Charakter erkannt und vertraut ihm ohne Bedenken ihr Kleinod an. Sie werden mein Kind glücklich machen. Nicht wahr, mein Freund?".. Ja, so hatte sie gesprochen, er wußte noch jedes Wort genau. Dem Einsamen, Freudlosen tat sich dabei ein ganzer Himmel auf. Dies war weit mehr als er zu erwarten gelvagt. Nur allmählich hatte er die Ein willigung der stolzen Mutter zu erringen gehofft. Er besaß ja nichts als seinen Degen. — Wie falsch war doch diese Frau, die so gar nicht auf den äußeren, sondern nur den inneren Wert sah, von ihm beurteilt worden. So dachte er einst; "denn was wußte er von der Verstellungsknnst einer Weltdame, die für jede Stimmung, jede Situation die richtige Farbe auf der Palette hat — der raffinierten Schlauheit einer gewissen losen Mutter, der die erwachsene Tochter im Wege stand. Berauschend schön war die Stunde, die er mit Isabella nach ihrem Verlöbnis verträumte, dann . . . Ja, dann war diesem Traum ein Er wachen gefolgt — ein so unsäglich nüchtern-alltägliches Erwachen, wie der graue Ton des ersten Tageslichtes, das einer mondbeglänzten schönen Nacht folgt. „Vorbei, vorbei!" sagte er laut und hart, „nicht wert der Erinne rung eines Mannes. Liebe, Treue? — Schimäre! Das Phantasiebild eines ehrlichen Jungen, der mit der ganzen Tiefe und Hingabe seines redlichen Herzens daran glaubte, dessen geradem Sinn auch jede Heim lichkeit, wie Isabella sie wünschte, widerstrebte. Machen wir ein Ende." Er trat an den Schreibtisch, öffnete ein Fach und entnahm ihm ein Päckchen zusammengebundener Briefe. Eine Minute danach waren sie ein Ascheikhäufchen. Nur ein abgegriffenes Notizbuch, das 'die kunstlose Stickerei einer Kinderhand zeigte, war der Vernichtung entgangen. Er blätterte darin. Mit der ihm von Jugend an eigenen, peinlichen Genauigkeit waren hier seine Ausgaben verzeichnet, oft lächerlich winzige Posten. Dazwischen befanden sich, wie von der zwingenden Macht des augenblicklichen Gedankenganges hineingcweht, kurze Aufzeichnungen, schlicht und einfach. „Welcher Tag! .... Er Hal mir das höchste Glück, aber auch bitteres Leid gebracht. Die Tante ist außer sich, sie kannte sich selbst nicht mehr. Ich soll Isabella aufgebcn, oder sie will für immer ihre Hand von mir abziehen; im höchsten Zorn warf sie mir meine Ab hängigkeit von ihr, meine Armut vor. Das tat weh, sehr weh, aber es ift die Wahrheit — ich bin ihr zu großem Dank verpflichtet und werke dies nie vergessen, mnß mich von jetzt an aber auf meine eigene Kraft stellen. Teure Isabella, dich aufgeben, hieße vom Leben scheiden." Und weiterhin wieder: „Ein schwerer Abschied liegt hinter mir. Nur mit Mühe habe ich Isabella zu überzeugen vermocht, daß meine Ehre es nicht gestattet, nach diesen Auseinandersetzungen noch länger unter dem Dache der Tante zu weilen. Armes Herz! Sie wurde sehr bleich und weinte laut. Ihre Mutter äußerte, sie habe mich stets für den Erben der wunderlichen, reichen Dame gehalten und hoffe, 'daß sich das Zerwürfnis ausgleichen, d. h. nach ruhiger Ueberlegung die Tante sich mit unserem Verlöbnis einverstanden erklären würde. Ich mußte ihr diese Hoffnung nehmen; sie erschien mir danach kühler; vielleicht lag dies auch nur in meinem eigenen überreizten Gefühl. Nie ist mir der Gedanke gekommen, der Erbe der Tante zu sein. Gern wäre ich in Frieden von ihr geschieden, aber sie wollte mich nicht sehen . . . ." Dem folgte eine lange Reihe leerer Blätter; das Buch war nicht mehr benutzt worden. Nur auf der letzten Seite standen noch einige mit unsicherer Hand niekergeschriebene Zeilen. „Alles, olles ist zu Ende! . . . Und ich lebe noch? . . . Das Herz schlägt weiter — eS ist nicht erstarrt unter dem eisigen Hauche, der mein ganzes Sein vernichtend getroffen? — Gewaltsam ist mir die Binde von den Augen gerissen, — zertrümmert das Heiligenbild, vergiftet die Er innerung, zerstört die Zukunft. Dem brennenden Auge entpuillt keine erlösende Zähre.... ich muß lachen, lachen über den leichtgläubigen Toren, der sein Herz fortgab, obgleich niemand es begehrte — der an Frauenliebe glaubte, die nur dem Erben galt. Heule vor wenigen Wochen wurde das Mädchen, an dem jede Faser meines Herzens hing, für das ich mein Blut tropfenweise dahingegebcn hätte, meine Braut, und heute — ist es die eines andern. Sie wagt cs, mich zu bitten, ihr Freund zu bleiben, da die Verhältnisse nicht gestatteten, ihr mehr zu fern. Ist das grausamer Hohn öder erbärmliche Gefühllosigkeit?" Er las die letzten Worte laut vor sich hin, klappte das Buch zu und sagte kalt: „Wohl das letztere, die Folgen der Erziehung einer gewissen losen Mutter. Was fragt die danach, ob die Seele ihres Kindes ver krüppelt, wenn nur der äußere Firnis da ist. Wer sucht überhaupt jetzt noch nach dem Kern, wenn nur die Hülle schön ist? Was nicht an der Oberfläche liegt, wird nicht gefunden." Seine Stimmung wurde milder bei dieser Betrachtung. Um seine Seele zitterte ein Wehgefühl. „Arme Isabella", dachte er, „die eigene Mutter trieb dich einem reichen Mann in die Arme — sie wartete un geduldig auf deine Vermählung, um eine zweite Ehe cinzugehen. Und was ich bei dir für Liebe nahm, starke, opferwillige Liebe — war nur eine momentane Wallung deines erregten Gefühls, und meine Schuld ist es, wenn ich es für mehr hielt." Mit großen Schritten durchmaß er das Zimmer. „Man wird ruhiger mit den Jahren und lernt milder urteilen . . . wenn ich es recht bedenke, kann ich ihr keinen großen Vorwurf aus ihrer Handlungsweise machen. Jung, verwöhnt, genußsüchtig, nur von einer oberflächlichen Mutter beraten, hat sie den Teil erwählt, der ihr am be gehrenswertesten erschien, und vom praktischen Standpunkt ist er auch der richtige. Ueber zehn Jahre sind nun vergangen, und erst heute wäre ich in der Lage ihr ein Heim zu bieten, wie es ihren Ansprüchen genügen würde. Ich habe die schwere Kunst gelernt, mit geringen Mitteln an ständig auszukommen" — und ein schwermütiges Lächeln flog bei diesem Gedanken über sein Gesicht — „sie würde cs nie vermocht haben und sich bei ihrer nur aus das Aeußere gerichteten Erziehung stets unglück lich gefühlt haben." Er blieb plötzlich stehen. „Ob sie jetzt wohl glücklich ist?" „Unmöglich", antwortete ihm eine innere Stimme, „an der Seite Kieses unbedeutenden Mannes." Dieser Gedanke erschütterte ihn mehr als er sich einzngestehcn wagte. Eine Unruhe überkam ihn. War es recht, daß er ihr gänzlich fern blieb? . . . überhaupt, würde er auf die Dauer ihr auszuweichcn vermögen . . . Daß ihm dies bis jetzt gelungen, verdankte er nur seinem gänzlichen Zurückzichen von aller Geselligkeit, war aber in einer kleinen Stadt, wo alles sich kennt und beobachtet, wo jede Abweichung von der Regel dem Klatsch Tür und Tor öffnet, nicht durchzuführen. O, über den schadenfrohen, allen menschlichen Berechnungen spotten den Kobold Zufall, der mit leichter Hank zertrümmert, was wir müh selig aufgcbaut. Und da sagt man noch, der Mensch sei ein selbständiges Geschöpf. (Fortsetzung folgt.)