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Nr. 1. 104. Jahrg. Leipziger Tageblatt. ricrstoffes berbcizufübren, 21 in Erwägung über eine A b - Minderung der Zahl der Religionsstunden in den evangelischen Volksschulen einzutrcien und 3) den Entwurf eines neuen Volkssch ulgesetzes vor der Vorlegung an die Stände kammern auch der Stadt, und der Schulgemeinde Dresden zur Be gutachtung vorziilcgen, sowie II. den Rat um Beitritt zu diesem Be- schlutse zu ersuchen, III. damit auch die Beschlüsse der Stadtver- ordneten vom 6. Februar 1908 für erledigt zu erklären." Nach dem Sitzungsbericht der „Tresdn. Nachr." erklärte Ober bürgermeister Beutler, das Kultusministerium babc die Bczirks- schullusp'klivn, der der Rar als Mitglied angcbört, beauftragt, sich bis zum I. April 1910 gutachtlich über das gegenwärtige Volksschulgesetz zu äußern und alle Abänderungswünsche zur Gcltrrng zu bringen. Er lmlte es sür untunlich, jetzt zu einem Wunsche nach Abänderung Stellung zu ncbmen und verspreche, das; dieses Gutachten vorher dem Stadtverordnetcnkollegium vorgclegt werde. Darauf wurde bean tragt, von einer Beratung zurzeit abzuseben und diese erst nach der Vorlegung des Gutachtens vvrzunebmcn. Dieser Antrag wurde jedoch abgelehnt. Man trar nunmehr in die Debatte ein, in der der Vertreter der Sozialdemokraten unter teilweise recht heftigen Ausfällen gegen die christliche Religion und gegen ein Gutachten des Superintendenten I>. Tibelius für völlige Beseitigung des Religionsunterrichts in der Volksschule plädierte. Stadtverordnc.r Beck sFreis.) sprach sür An nahme deS Gutachtens, das er als einen Fortschritt bezeichnete. Stadt verordneter und ReichStaasabgeordneter Dr. Stresemann erklärte sich ebenfalls für das Gutachten, obwohl es zu milde Forderungen stelle. Schließlich wurde das Gutachten gegen 91 Stimmen angenommen. * Polizeiliche Fürsorge. Von einem »ehr interessanten Vorfall, ter hoffen«lieb auch noch im Landtage gebührend erörtert wird, berichtet tie „Sachs. Nail. Korr": „Nach dem neu n Bereinsgesetz kann die Polizeibehörde „Beauftragte" in eine öffentliche Versammlung ent- senden. Sie ist dazu besugt, nicht verpflichtet. Währenv nach dem srü cren >ächsischen Verciusgesetz pie Polizei mehrere Beauftragte ich cken tonnte, ist eie Zabl jetzt auf zwei beschränkt. In Landgemeinden übernimmt das Amt des „Beauftragten" in der Reael der Grmeinde- vor and. Aueviücklick sagt rer tz 5 rcr sächsi chen AuSsührungSve>ord- nung. ras; „in rer Re»el polireil che Erekunobeamte <Genraime, Schutz leute) nickt zu verwenden sind." Es fiel nun während der letzten Lanttagswahlb wegung an manchen Orten auf, daß in den öffentlichen Wäolerv r ammlum,en au er dem Beauflagten ein oder zwei Gen- daim ui c schienen. In Falkenau tührte dieses Aufgebot zu einer Aus inanter etzuna, die em gerichtliches Nachspiel batte. Herr Land- ta>samcordnuer (5 lauf;, rer zu rcn Falkenauer Wählern sprach, hielt sich, als ein zwciier Gendarm wäarend seiner Rede erschien, berechtigt, ihn ;n f>ag n, ob er einen Auftrag habe. Als er von einer Antwort nichts veinahm, forderte er rcn Gendarmen, der, mit rer Mütze auf dem Kopse, bin- rind berging, auf, sich zu setzen oder die Versammlung zu verlassen. Er föz«e noch hinzu, er weide sich bei rem Gendarmerie« maior beickwercn. Die Folge — eine Klage wegen Beamtenbeleidigung und 200 <c Geldstrafe! Als merkwürdige Einzelheit sei hier nur an geführt, das; »ine Beleidigung auch darin gesunden wurde, das; H rr Elans den Tuet „Herr" bei den Anreden deS Gendarmen weggelassen haben 'ol! Gegen das Urteil ist Beruiung e »gelegt und wir verzichten deshalb auf e ne Besprechung d-s eigentlichen VoigangS. Im öffent lichen Interesse liegt aber die Beantwortung der Frage, was denn nun eigen! ich mit der Entsendung des zweiten Gendarmen bezweckt wurde. Dm nab dl» VereinSgeictz „Beauftragte" war anwesend, nämlich der G em -i u dcvo; üand; e > war weiter anwesend ein Obergendarm, dec in " -Iler Uniform im Saale Platz genommen batte. Wie fesi- gcstell' war der Ipäier erschienene zweite Gendarm von der Aiül-.ho» plmannichafr Flöha „aus jicherheitSpolizeilichen !. rüno n" adgwrdnct worden. Worin bestanden diese sicherheitS- tvl 'il'chen Gründe? Es handelte sich um eine Bersammliing in en.in ländlichen Orte von 1700 Einwohnern; eine „Ge fahr" / lag da wabihaflig nicht vor. Dieses Uebermaß an Fü ^orge, w e cö im selben Wahlkreise und auch anderwärts zu be- oba ui m wir, befriedigt vielleicht zaghafte Seelen, die immer erfreut find, wenn tie die Staatsautorität durch eine Uniform ver treten toben; ab,w uolw-ndig und zweckmäßig ist ^dieser sicherbeitS- rolizeil che Eifer kaum. Wozu v.e Gendarmerie mit einem Dienst oelauen, wenn er überflüssig ist? Bedenklicher wird noch die Sache, wenn man sich fragt, wie dieses Uevermaß von Sicherheitspolizei tat sächlich wirkt. Dec Eindruck m jener Versammlung war doch der, daß cs sich hier nicht nm eine weise Siche»heitsmaßregol, sondern um eine poli:cillche Uebenvacbung bandelte. Daraus erklärt sich der ganze Vorfall. Dieses Uebermas; an Fürsorge kann erst recht „Mißver standen" werd n, wenn nicht die Versammlungen aller Parteien gleichmäßig damit bedacht werden und infolgedessen „gewisse" Parteien den Eindruck baden, daß sie ein größeres Maß von Aufmerlsamkeit gen eßen als andere. Wie sebr muß den Bebörden daran liegen, tolche Gldau'en zu verbüten. Bei der Beratung deS VeremSgesetzes empfahl der damalige Staatssekretär rcS Innern Dr. v. Belhmann Hollweg ras Gesetz nnl dcu Worien: „Der Entwurf sei durchaus vom Ber- 'raucir gegenüber der Bevölkerung getragen, enthalte leine Hintcriüren «:no sei nach der Ueberzeugung der verbündeten Regierungen geeignet, alle bereck't gien Autorderungen zu erfüllen, sowohl >n der Richtung einer vernünft gen Freiheit als auch in der Richtung der Aufrecht- erhaUuag der Oidnung IM Staatswesen. „Vertrauen zur Bevölkerung — teure Hmtertü en! Nun gut, dann zeige man auch dieses Ver- nauou und vermeide eS, durch überflirisige polizeiliche Fürtorge den Anschein :u erwecken, als sei — doch allcs beim Alten geblieben." Ter „Verband Trnlkchcr Burcaubcamtcn" (Leipzig) hat an Reichstag und Bundesrat im Dezember zwei Eingaben um Einführung der für Handlungsgehilfen gellenden Kündigungsfristen für die Bureaubeamten, um Forlzcrvlung des Gehaltes in Krankheitsfällen auf die Dauer von sechs '.öocuen sowie Unzulässigkeit von Gehaltsabzügen gemacht. Der Wortlaut der Petitionen, denen ausführliche Begründungen beigegeben sind, ist der folgende: 1) Einem hohen Reichstag erlaubt sich der unterzeichnete „Ver band Deutscher Bureaubeamten" zu Leipzig die ergebene Bitte zu unter teilen. die Bestimmungen deö H 621 BGB. in Analogie zu tzlj 66, 67 HGB. und 168a G.-O. für alle Bnrcaubeamten dahin abzuändern, daß geeigneten Orst" festgesetzt wird: Tas Ticnitvcrhältnis kann, wenn eS für unbestimmte Zeck cingegangen ist. von jedem Teile für den Schluß eines Kalenderviertel' jahres nnlcr Einhaltung einer Kündigungsfrist von 6 Wochen gekündigt werden. Wird durch Vertrag eine längere oder kürzere Kündigungsfrist be dungen. so muß sie für beide Teile gleich sein; sie darf nicht weniger als einen Monat betragen. Die Kündigung kann nur für den Schluß eines Kalendcrmonats zugclassen werden 2) Einem hohen Reichstage erlaubt sich der unterzeichnete „Verband Deutscher Bureaubeamten" zu Leipzig die ergebene Bitte zu unterbreiten, die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetz buches über die Gehaltszahlung im Krankheitsfalle analog Z 68 HGB. für alle Bnrcaubeamten dahin abzuändern, daß geeigneten Orteö festgesetzt wird: Wird der Bureaubeamte dura; unverschuldetes Unglück an der Leistung der Dienste verhindert, io behält er seinen Anspruch auf Gewalt und Unter- bckt. icdech nicht über die Tauer von 6 Wochen hinaus. Der Bureaubeamte ist nicht verpflichtet, sich den Betrag anrechnen zu lassen, der ihm für die Zeit der Verhinderung aus einer Kranken- oder Unfallversicherung zu- lrmmt. Eine Vereinbarung, welche dieser Vorschrift zuwiderläuft, ist nichtig. * Besuch des Grafen Arhrentbal in Berlin. Wie die „Inf." auf eine Anfrage erfährt, ist seht über die Reise des österreichisch-ungarischen Mini sters des Auswäriigen, Grafen Aehrenthal, nach Berlin als Gegenbesuch iiir den Aufenrtcilt des Reichskanzlers von Betbmann Hollweg nunmehr vereinbart worden daß Graf Aehrentbal im Laufe des Februar in der RcichShauptstadt eintrifft. Das nähere Datum steht noch nicht fest. * phi'icstschcr Besuch. Am 7. Januar trifft der chinesische Prinz Tsai Ksinn, ein Bruder des Prinzregentcn und Oukel deS jungen Kaisers, in Berlin ein. Sein Gefolge bildet die zum Studium der europäischen Marineeinncktungen ent anvte Kommission, mit der sich auch der Prinz nach kurzem Ausenthalt nach Kiel begibt. * Aon einer Diplomatenleistnng erzählt die „Tägl. Rundsch". Sie bespricht auf Grund genauer Kenntnisse der Akten den Fall des Pslan- zcrs Rudolf' Haß in Venezuela, der in der schmählichsten Weise verge. walimi worden ist, ohne daß ihm vom Auswärtigen Amt der Schutz des RcickeS zutril wurde, auf den nach dem Kaiserwort „Oirrio Oei-mnnus, surr," jeder Reichsangehörige ohne Unterschied Anspruch hat. In der „Ncrdd. Allg. Ztg.' spielt natürlich sogleich der offiziöse Dementier- avparat. In einem wirklich glänzende» Stil schreibt daS halbamtliche Ornan: Die „Tägliche Rundschau" veröffentlicht unter der Ueberschrift: ,.Oiv> «"Ist?" eine Darstellung des Falles des Pflanzers Rudolf Hak aus Venezuela, die beweisen soll, daß daS AuSwärtisw Amt deutsche Rechtsansprüche im Äuslande schutzlos lasse. Dr Artrkel be ginnt mit der Behauptung, die Firma Renschhausen in Tanger habe ihre Geschäfte an Franzoien veräußert, „weil es sich sür Deutsche nicht mehr lohnt, in Vertrauen aus den Schutz des Reiches zu arbeiten". Ferner wird gesagt, der Gesandte von Pilgrim sei auf einen toten Winkel abgeschoben worden und habe Caracas mit Cetinjc vertauschen müssen, weil er sich in der Verteidigung deutscher Interessen zu straff gezeigt habe. In Wirklichkeit hat v. Pilgrim, der damals interimistischer Ge- schäftsträger in Venezuela war, Caracas zugleich mit dem englischen Vertreter infolge der vorübergehendcn Abbrüche l!!s der diplomatischen Beziehungen verlassen und sodann unter einem erheblichen Avancement den neu errichteten Posten des Ministerresidenten in Crtinje erhal ten. Was den Fall Has; anbelangt, so trifft es zu, daß dieser unglück liche Mann auf Grund ärztlicher Gutachten vor kurzem zur Beobach tung seines Geisteszustandes in eine Irrenanstalt iibcrgefübrt worden ist. Tie ärztlichen Gutachten kommcn zu dem Ergebnis, das; Haß an typischem Querulanten Wahnsinn leidet. Damit stimmt die An- sicht der ihm zunächst s!)' stehenden Personen überein, die ihn nach seinem ganzen Verhalten bei der Verfolgung seiner Rechtsansprüche vor den venezolanischen wie vor den deutschen Behörden sür geisteskrank halten." Nun bat die „Tägliche Rund'cbau" wieder das Wort. * Zehn Jahre deutsches Recht. Nm 1. Januar 1900, dem Tage des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuches, hatte einer der besten Kenner des deutschen Rechts, Geheimrat Zitclmann in Bonn, in der Fest nummer der „Deutschen Juristen-Zeitung" jenen Tag mil den Worten ge feiert: „Der Gesetzgeber hat gesprochen, die Wissenschaft hat das neue Recht zuzubereiten gesucht, zunächst gebührt jetzt der Praxis die führende Stimme. Es ist ein großer Moment, den wir durchleben — wir hoffen und dürfen vertrauen: er findet kein schlechtes Geschlecht." Diese begeisterten und be geisternden Worte leben am heutigen Tage nach Vollendung des ersten Dezenniums des einheitlichen deut scheu Rechts wieder auf. Um des großen Momentes auch beute uns zu erinnern hat die „Deutsche Juristen-Zeitung" einem unserer besten Kenner des heimischen Rechts, Geheimrat Ende rn a n n in Heidelberg, das Wort gegeben, Rückblick und Ausblick zu hallen, zugleich auch zwei außerdeutschcn Gelehrten, um den Einfluß unseres BGB. auf daS Ausland zu fchildern. Ein formvollendetes Gedicht Ernst von Wil- denbrnchs, abgefaßt zu jenem Tage, das jenes führende juristische Organ aus diesem Anlaß neuerdings ins Gedächtnis zurückruft, mahnt uns an die große gesetzgeberische Tat vor zehn Jahren, an die großen Verdienste der Schöpfer, vcn denen der greise Gelehrte Exzellenz Planck rn Göttingen trotz seines hohen Alters fortgesetzt noch an der Auslegung deS Gesetzbuches mitarbcitct, während der Staatssekretär Nr. Nicberding, der sich durch diese Schöpfung ein bleibendes Denkmal gesetzt bat, bekanntlich leider vor kurzem vom Amt zurückgetreten ist. Jedenfalls dürfen »vir uns freuen, das Urteil eines schweizerischen Juristen, deS Professors Rabe! in Basel, zu hören, der der in letzter Zeit aufgctauchtcn Meinung, daß das inzwischen verabfchicdete schweizerische Zibilgcfetzbuch ein noch vollendeteres Gesetz als das deutsche BGB. fei, mit zwingenden Gründen entgegentritt. Und daß nun auch zugleich ein Kenner deS französischen Rechts das Wort ergreift, um den Einfluß unseres BGB. auf die französischen Juristen zu schildern, darf politisch ebenso wie juristisch als besonders bedeutsam angesehen werden. Professor Pcritsch, der der Kommission zur Aufstellung eines neuen ser bischen Zivilgesetzbuches angehört, zollt in einer den fremdländischen Schrift steller verratenden begeisterten Abhandlung unserer großen Kodifikation volles Lob. Mit Fug mahnt daher die „Deutsche Juristen-Zeitung", daß jeder deutsche Jurist, und wir können wohl auch lfinzufügen, jeder Deutsche sich am heutigen zehnjährigen Geburtstage unseres alle deutschen Stämm» umfassenden bürgerlichen Rechts der Errungenschaft bewußt bleiben möge: ein Volk, ein Reich, ein Recht. * Das erste Prlilionsverzeichnis der neuen Session ist im Reichstage ausgegeben worden. Trotz der erst im Sommer erfolgten Gehaltsregulierung liegen wieder Zahlreiche Wünsche aus Beamten kreisen betreffs Gehaltserhöhung vor. Zum portugiesischen Handels verträge bittet die Vereinigung Kameruner Pflanzungen in Berlin, den Vertrag dabin )u ändern, daß die über Lissabon eingehenden Erzeugnisse der portugiesischen Kolonien nickt ungünstiger behandelt werden als die aus anderen, nicht deutschen Kolonien eingehenden Erzeugnisse. Zum ReichSbeamtenha'tpflichtgesetz bittet der Verband deutscher Impfgegner vereine in Dortmund, in daS Gesetz Bestimmungen auf,unehmen, wo durch den durch Impiung Geschädigten oder rhren Eltern ein Recht aus Entschädigung zustcht. Bitien um Ablehnung der Fernsprech- gebührenerböhung sind zahlreich, der neue Hansabund bittet um Förderung des Ferinprcchiveiens därch Einführung einer überaus billigen Gruridtaxe und einer sehr mäßigen, nach staffefförmigen Pauschal'ätzen sestzusetzendeu Gesprächsgebühr. Sebr groß ist die Zahl der sozial- politi'chen Anregungen und Wünsche, die zum Teil sich mit den im Reichstage vorliegenden Initiativanträgen der Fraktionen decken. Der Verband rheinisch-weslsälischer Brotsabrilen in Essen will die Gültigkeits dauer der Getreideeinfukrlcheiue aus 3 Monate herabsetzen, die An rechnungsfähigkeit aus Brotgetreide beschränken und die Frachtver günstigungen sür auszusührendeS Getreide arrsbeben. Der deutsche tzsiädtetag in Berlin bittet dre Talonstener sür Renten und Schuld verschreibungen der öffentlich-rechtlichen Verbände zu beseitigen. Der Zehlendorfer Bürgerverein „Süden" bittet um Einbeziehung von Zehlen dorf in den postalischen Nachbarortsverkehr mit Berlin. * Zur Beschlagnahme der russischen Staatspapiere beim Bank hause Mendelssohn L Co. durch das Amtsgericht Berlin-Mitte im Auftrage des Hauptmannes a. D. v. Hellfeldt wird von unterrichteter Seite mitgeteilt, daß eine Entscheidung unmittelbar zu erwarten sei. Die russische Regierung hat ihren Zwischenhändler, dem Unterstaats sekretär v. Dynowski, weitestgehende Vollmachten erteilt. Herr von Dynowski soll sicherem Vernehmen nach ermächtigt sein, einen an nehmbaren Vergleich anzubieten. Es ist deshalb wahrscheinlich, daß Hauptmann v. Hellfeldt den jetzigen russischen Vorschlag annehmen wird. * Für die Nachprüfung des vorläufigen Entwurfes einer Reichs- Versicherungsordnung, mit der sich der Bundesrat gleich nach Neujahr beschäftigen wird, sind dem Vernehmen nach eine große Anzahl Abän derungsanträge eingelaufen. Unter diesen befinden sich auch solche, die zu Grundsätzen des vorläufigen Entwurfes des Reichsamtes des Innern in mehr oder weniger scharfen Gegensatz treten. Doch scheint jm all gemeinen auch bei denjenigen Einzelregierungen, die in bezug auf grundlegende Fragen ter Reichsvcrsichernngsvrdnung einen anderen Standpunkt einnehmen. als der vorläufige Entwurf es tut, das Be streben vorzuwalten, mit dem Widerspruch tunlichst zurückzuhalten. Die Absicht der Neichsverwaltnng geht nach wie vor dahin, die Rcichsver- sicherungsordnung möglichst bald an das Reichsvarlament zu bringen. * Zur ReichstagSersatzwahl in Eisenach. Die Nationalliberalen behalten die Reichstagskandidatur Krug trotz der Ablehnung der Frei- sinnigen bei. Diese beschlossen die Aufstellung einer eigenen freisinni- gen Kandidatur. — So bedauerlich diese Spaltung des Liberalismus auch ist, so ungeschickt war cs von den Nationallibcralen aus taktischen Gründen, einen Mann aufzustcllen, der noch zum Bund der Landwirte gehört. * Der neunte Zionistenkongrcß ist nach einer erregten Sitzung, die sich bis 4 Uhr morgens auSdehnte, am Donnerstag in Hamburg geschlossen worden. Tie Anträge des PermanenzmiSschusses auf eine Aenderung des Präsidiums usw. fanden keine Annahme. Das bisherige Präiidium behielt die provisorische Weiterführung der Geschäfte. Weiter werden wir gebeten, mitzuteilen, daß die russische Landsmannschaft, oder vielmehr ein ver- schwindend kleiner Teil derselben, nicht gegen die Absendung des Huldi- gungStelegrammeS an unseren Kaiser, sondern aegen das Vertrauens votum für den Präsidenten der zionistischen Organisation gestimmt hatte. Ausland. Oefterreich'Nngarn. * Zur ungarischen Situation. Nachdem die Verhandlungen des designierten Ministerpräsidenten Lucacs mit Justb gescheitert sind, kündigt das Organ der Iusth-Partei einen r ü cki i ch t s! o s e n Kampf an gegen jedes Bestreben, die Rechte der ungarischen Nation zu entkräften. Die Partei werde k e i n c Steuern, kein Budget und leine Soldaten bewilligen. Frankreich. * Sin Sieg PichonS in der Dcpntiertenkammer. Die letzte Sitzung der Teputiertenkammer am Donnerstag gestaltete sich noch siegreich sür die Regierung, die wegen ihrer Haltung in der abessinischen Eisenbahn frage sowohl von konservativer wie auch sozialistischer Seite heftig an gegriffen wurde. Der Abg. Aaurä- brachte gegen den Minister des Auswärtigen Pichon ein Tadelsvotum ein, daS aber mit 435 gegen 81 Stimmen abgclehnt wurde. Die Erklärungen der Regierung wurden darauf mit 435 gegen 54 Stimmen gebilligt. * Zu» AnStritt Cle»eueea«s aus der radikal-sozialiftilchen Portei schreibt uns unser Pariser I-.-Korrespondent: Georges Clemenccau hat Sonnabend, 1. Januar 1010. der radikal-sozialistischen Parteileitung seine Mitgliedschaft aufgekün- digt. Gewissermaßen als NeujahrSgratulation bat der alte Recke der Demokratie seinen Parieifreunden die Mitteilung zukommcn lassen, daß er nichts mehr mit ihnen zu tun haben will. Er versetzt dem Radika lismus einen Eselstritt, der vor den Wahlen schmerzlich empfunden wird. Warum? Der siebzigjährige, immergrüne Politiker scheint eS nicht verwunden zu haben, daß ibn seine Parteigenossen wegen Del- casse-s gestürzt batten: die Art und Weise, wie er jetzt die Tür hinter sich zuwirft, sieht sehr danach aus, als beabsichtige er einen Rache- a k t. Auch in der Republik, wo der Parteiwechicl nicht zu den Selten heiten gehört !dcr Sozialist Aaures war früher Mitglied de« Zen trums), steht doch der Fall einzigartig da. daß der Mitbegründer und langjährige intellektuelle Führer einer Partei sich so plötzlich, io orob und so gehässia von ihr lossagt. Tic Uebcrraschnng ist denn auch groß. Aber Clemcnceau liebte stets die llcberrasch ringen, auch wenn sie nicht sehr geschmackvoll waren. Sah man ihn nickt der einst mit Boulanger liebäugeln? Gesellte er sich nichi zu den Feinden Cvmbcs', als der antiklerikale Necke gerade im Zuge war, die höchsten antiklerikalen Wünsche des früheren Clcmenceau zu erfüllen? Hat er dann nicht als Minister sofort den Mann der Faust gegen die ausstän digen Arbeiter gespielt, sür deren Airsstandsrccht er ajz Polemist eifrig eingetreten war? Und bekämpfte er nickt mit äußerster Energie die Sozialisten, die in der Dreyfnszeil seine intimsten Freunde waren? Heute wirst er seiner Partei vor. daß sie den Bund mir der äußersten Linken sortsctzt! Ehemals verdammte er jedes Zusammengehen der Radikalen mit den Gruppen der Rechten. Heine ist ro ein Verbrechen, einen Sozialisten einem Klerikalen vorzu.ficden, weil Iaures daS Ministerium Clemcnceau nicht unterstützt hatte! Tas »roße Talent dieses Mannes setzt sich ans einer Mcngc Widersprüche zusammen. Als Gründe für seinen Austritt aus der Parte, gibt er in seinem Schreiben an den Präsidenten des Cxekntii'"mite s der radikalen imd radikal-sozialistischen Partei, Senator Vcckck-, an er könne nicht die Handlungsweise des Komitees billigen, das be« den Gcmeinderats- wahlen in Toulon in der Stichwahl die s v z i a l i st i s ch e Liste Ferrero unterstützte, die freilich doch geschlagen wurde. Die Hanptstelle de? Vrieses soll lauten: „Wenn Ahnen schon Vie Organe der sozialistischen Partei nicht die Ebre erwiesen. Ihre Emvieklung zu veröffentlichen, und wenn auch die Wähler vernünftig genug waren, ncht ans Sie zu hören, wird es Sie doch nicht erstaunen, wenn ich unter solchen Umständen hitte, meinen Austritt aus einer sogenannter, radikal-sozialistischen Organisation anzunehmen, die sich in den Tfi-'nst ihrer erklärtesten Feinde gestellt hat." Wie es heißt, soll das Exekutivkomitee in seiner Mehrheit über den Brief so aufgebracht gewesen sein, daß es nichts van irgendwelchem Versöhnnngsversuch wissen wollte. Aber Senator Valis setzte es schließlich durch, daß er zu einer Antwort beauftragt wurde, in der er sich über den verletzenden Ton des Dewiffionsschreibers bc- klagte und Herrn Cscmeneeau die Akten über die GemeinderatSwablen in Toulon zur Verfügung stellte. Das Exekutivkomitee befindet sich in vollkommener Meinungsverschiedenheit mit dem Erminister, der übri gens Senator des Var-Departements ist. An Toulon standen sich in der Stichwahl zwei Listen gegenüber, die sozialistische und eine „pro- gressistische", verkappt klerikale, die offen von den katholischen Organen patroniert wurde. Nach den ausdrücklichen Weisungen der letzten radikalen Parteikonarcsse mußte daS Komitoe die sozialistischen Kandi daten unterstützen gegen die reaktionären. Es ist wenig Aussicht vor handen, daß Georges Cscmenccau seine Demission zurückzieht. Und da im Grunde sein Austreten doch nur einen weiteren Schritt nach rechts bedeutet, erfüllt sich die alte pessimistische Prophezeiung: Der Demokrat Clemenceau wird als Reaktionär enden. * Bestrafter katholischer Pfarrer. Der Pfarrer Tixier wurde vom Zuchtpolizeigcrrcht in Ambcrt (Tetz. Pro., de DOme) zu 200 Franker, Geldstrafe verurteilt, weil er von der Kanzel herunter erklär: lxrtte, daß er diejenigen Schulkinder, die ein von den Bischöfen verbotenes Lehr buch benutzen würden, nicht zur Firmung zulassen werde. England. * Dir Flottenfragc im Wahlkampf. Earl Eawdor, der unter der unronistischen Regierung Erster Lord der Admiralität war, wiederholte am Donnerstag die Erklärung, daß es unter der Homerule, die der Premier minister ASguith befürwortete, nichts geben würde, lvas Belfast davor schützen konnte, eine OpcrntionSbasis für Deutschland zu werden. Der Erstc Lord der Admiralität Mac Kcrrna sagre dagegen in einer Rede, die er in Nord-Monnouthshirc hielt: „Ich weiß nicht, welche Wirkung die von Blatckford veröffentlichten Artikel auf die große ruw befreundete auswärtige Macht Haven, oeren Absichten er phantasie re ich Vvrjiellt. Jedoch bin ich sicher, daß sie auf die Denkung art der Bevölkerung Englands sehr wenig Eindruck gemacht haben. Eö ist mir mchr zweifelhaft, daß sic keinen Einfluß auf die Stimme eines einzigen Wählers hätten. Weshalb sollten sie ihn auch haben! Wenn all dieses drohende Unheil in Wirklichkeit bestände, was durchaus nickt derFail ist, würden sich die Leute vor Augen halten, daß die der Krone zu Wasser und zu Lande zur Verfügung stehenden Defcasivstrcitkräfte, nach meinen, Urteck wenigstens, heutzutage mächtiger und wirksamer sind, als jemals im Laufe der Geschichte. Belgien. * Der Streit um den Nachlaß König Leopolds. Aus Brüssel meldek uns ein Privattelcgramm: Fürst Philipp von Kobura, der ehemalige Gatte der Prinzessin Luise von Belgien, hat an zuständi ger Stelle seine Ansprüche vn den Nachlaß des Königs Leopold geltend gemacht. Der Prinz hat den ehemaligen Anwalt und Berater des Königs, den Senator Bien er, mit seiner Vertretung betraut. Rußland. * Das Zarenpaar ist am Freitag, nachdem das Geschwader mit der Leiche deö Großfürsten Michael Nikolajewitsch in Sebastopol ein getroffen ist, mit den Kindern nach Zarökoje Sselo abgereist. * Die RcichSduma wurde anläßlich des Weihnachtsfestes durch Erlaß des Kaisers bis zum 2. Februar 1910 vertagt. * Azcwö Frau, die unter dem Namen Nirkin in Paris lebte, hat sich, wie uns ein Privattelegramm aus Paris meldet, dort vergiftet. Sic war eine Revolutionärin und batte keine Ahnung von der Doppelrolle ihres Mannes, der seine häufigen Reifen mu Aufträgen der Kampforganisation erklärte. Eine Nervenkrankheit, die in folge der Entlarvung ihres Mannes bei ihr ausgebrochen war, sühne setzt zum Selbstmord. Türkei. * Hakki Bey, der neue Groftwekir. Aus Konstantinopel wird depeschiert: Von Hakki Bey ist ein Tewgramm erngctrofsen, worin er sich gründ- sätzlich mit der Antwort der jungtürkischen Partei auf die von ihm gestellten Bedingungen einverstanden erklärt. Seine Abreise nach Rom für den 4. Januar angekündigt. L ic jungtürkrschc Partei verlangte, wie bereits kurz im Depcschenteii der vorigen Nummer mitgeteilt, daß dir Mitglieder des Kabinetts ihrer Partei entnommen werden. Nach der von den Jnngtürken beschlossenen Miniäerliste sollen die Minister -es Innern, des Aeußern, der Finanzen und der Justiz ihre Portefeuilles behalten; zum KrregSminister ist der Wali von Smyrna Mabmut Murtar Bey, zum Marineministcr der Artillerieg« neral Riza, zum Bantcnmiaister der Deputierte für Saloniki Rabinr auöersehen. Ter Leiter der Fcftwi- sektion Essad ist zum Scheich ül Islam ernannt worden. — Jnm Sturze Hilmi Paschas wird noch aus Wien gemeldet: Hierher gelausten Nachrickten zufolge babe Hilmi Pascha dem Sultan die Auslosung der Kammer vorgeschl.igen. Durch Vertraute im Palais erfuhr da^ jungtürkische Komitee davon und erzwang den Rücktritt des GrcßwesrrS, den der Sultan bei der Demission nicht mehr empfangen durfte. — stebcr oie weitere Tätigkeit Hilmi Pci,chaS wird genreldet: Wie „S)cni Gazclta" meldet, ist Hilmi Pasck-a zum türkischen Botschafter in Paris au!» erwählt. Aegypten. Bo» der Kapstadt Aairo-t-isenbah«» wird am 1. Januar 1910 eine neue Teilstrecke dem Verkehr übergeben werden, nämlich jene Strecke, welche von Khartum sich südwärts erstreckt, am westlichen Ufer deS Blauen Nils entlang läuft und das 120 englische Meilen südlich von Kbartum gelegene Wad Medoni bereit» erreicht hat. Der letztgenannte Ort ist rin bedeutender Stapelplatz am Blauen Nil und ist da» Hauptquartier deS Gouverneurs der Blau «Nit-Provinz owi« Garnison eine» der ludanesiicken Regimenter. Man beabsichtigt, einer Tag um den anderen je einen Zug nack jeder Rich tung abzulassen und zwar von bezw. nach einer provisorischen Station an der Südseite der über oen Nil bei Kdartum führenden neuen Brücke. Dabei macht dre Fertiostellung der Bahn über Wad Medani nach Süden rasche Fortschritte, sie läuft etwa bO englische Meilen am Ufer deö Blauen Nil« entlang und wendet sich dann wrftwärl» über Shezireh nach Koni am Weißen Nil, wo »ine neue Brücke bereit« balbfertiggestellt ist, die die Bahn nack El Obei-- t» Kordofan führen soll Der Teil der Bahn von Kosti noch El Obeid gehört jedock nickt zur Transitroate Kav—Kairo, so daß Durchreisende di« Balm tei Kostr verlassen müssen, m» südwärts per Schiff de» Weiße» Nil anfwärt» befördert zn werden.