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Deuttcher Reichstag. 43. Sitzung. SttmmungsbUü. Berlin, L4. Februar. (Priv.-Tel.) Meder ist über Nacht ein Reislein mehr an den schon stattlichen Resolutionsstrauß zum Reichsamt des Innern geflochten worden, und es erscheint säst un möglich, sich durch den gewaltigen Wust hindurchzu finden. Daher kommt es wohl auch, das; sich die Red ner des heutigen Tages des öfteren mit ziemlich neben sächlichen Dingen aufhalten. So hat es Werner (Refpt.) arg verschnupft, daß das Warenhaus Wertheim kürzlich den Besuch der Kaiserin empfangen durfte. Das gibt ihm Gelegenheit, ein ernstes Wort gegen die Warenhäuser im allgemeinen zu sprechen mit dem Hintergründe de» Schutzes unseres Handwerkerstandes. Weniger verärgert, sachlicher stimmt Göring (Ztr.) in denselben Ton ein. Taten will er sehen, keine „papierne Sozialpolitik". Als Zentrumsmann kann er es aber nicht unterlassen, ein Loblied auf die katho lischen Eesellenvereine ^u singen, die er als Muster genossenschaft preist. Aus der Fülle der Erfahrung und dem Gefühl für die Zurücksetzung des Mittel standes spricht F t n d e l sNatl.). Beide, gewerb licher und kaufmännischer Mittelstand, seien zu lange schon das Aschenbrödel unter den Erwerbsständen ge wesen nud warum? Weil sich der Staat nicht um sie gekümmert habe. In Kleinigkeiten — das verkennt er gewiß nicht —, sei ja manches Gute geschehen, aber das sind eben Kleinigkeiten. In der Hauptsache ist alles beim alten geblreben. Me wenig sich die Re gierung die Sorgen des Mittelstandes angelegen sein lasse, zeige wieder die »famose" preussische Wahlrechts vorlage. Das mutz anders werden! Der Weg, den er zur Besserung empfiehlt, ist zunächst eine strenge Abgrenzung von Fabrik und Handwerker. Weiter möchte er die Konkurrenz der Gefängnisarbeit be schnitten wissen. Eine Gesundung verspricht er sich namentlich von einer besseren Borvildung durch Mit telschulen, Belohnung tüchtiger Leistungen und an deres mehr. Alle dte Wünsche, die der National liberale vorträgt, find nicht neu. Er sagt selbst, schon seit 1875 hörte man immer dieselben Klagen, um so mehr Grund für die Regierung, endlich tatkräftig einzuschreiten. Die einzige Möglichkeit, die Lage der Handwerker zu bessern, sieht Carstens (Frs. Dpt.) in einer gesunden Steuer- und Wahlrechtspolitik. Etwas unvermittelt setzt er Herrn Delbrück die Pistole auf die Brust, indem er eine Antwort heischt auf die Frage, wie sich der Staatssekretär zu den Schiffahrts abgaben stelle. Dringend notwendig erscheint ihm der Ausbau der Reichsversicherungsordnnng, während er es nicht verstehen kann, wie die Sozialdemokraten für achtstündige Arbeitszeit plädieren können. Auf diese Anzapfung reagiert jedoch der Genosse Hoch nicht. Dafür schreibt er der Regierung und den Parteien, die für den Mittelstand eingetreten sind, ein dickes Minus in das Zensurenbuch. Versprechungen seien genug ge macht, erreicht nichts. Der Staatssekretär Delbrück hat erst die An regung aus dem Hause abgewartet, ehe er sich selbst zu den Vorschlägen äußert. Er erkennt an, dass es noch eine ganze Reihe ungelöster Aufgaben gebe. Diesen gerecht zu werden, verspricht er. Doch was ihm hindernd in den Weg stünde, sei der Zwiespalt zwischen dem Parlament und der Regierung. Dieses wolle mit jähem Sprung in neue Verhältnisse ein dringen, die Regierung dagegen müsse es sich zur Pflicht machen, in ruhiger Entwicklung und allmählich die vorgetragenen Wünsche in die Wirklichkeit umzu setzen. Nach diesen einlertenden Worten geht er die Einzelheiten durch und widmet jedem ihm bedeutend erscheinenden Entwurf und Vorschlag einige aner kennende oder ablehnende Worte. Als er die Rostra verläßt, entspinnt sich eine kurze Eeschüftsordnungs debatte, bis sich das Haus auf morgen 12 Uhr vertagt. Sitzungsbericht. Am Bundesratstische: Staatssekretär Delbrück. Erster Vizepräsident Dr. Spahn eröffnet die Sitzung um 1^ Uhr. Das Haus setzt die Spezialberatung des Etats des Reichsamts des Innern fort und nimmt die allgemeine Besprechung bei dem ersten Ausgabentitel: Gehalt des Staatssekretärs 50 006 wieder auf. Abg. Werner (D. Refpt.): Der Handwerkerstand ist endlich aufgrwacht und für seine Interessen mit wachsendem Nachdruck eingetreten. Die Gewerbe freiheit ist ein zweischneidiges Schwert, auch ihre unbedingten Anhänger sind von ihrer Schwärmerei für das freie Spiel der Kräfte zurückgekommen. Es ist ja erfreulich, daß auch unter der Gewcrbefreiheit das deutsche Handwerk sich lei stungsfähig erhalten hat: aber vorwärts kommt es unter ihr nicht. Als Abschlagszahlung ist der kleine Befähigungsnachweis zugestanden worden: aber in allen Handwerkerkreisen, mit denen ich Fühlung habe, wird der Ruf nach einem großen Befähi gungsnachweis erhoben. Die Ausbildung der Handwerker durch Fachlehrer ist immer gebieterischer und eine aufdrängende Notwendigkeit: in den Fort bildungs- und Fachschulen wird vielfach keine gründ liche gewerbliche Unterweisung erteilt, sondern über etwas abgelegene Themata wie über die Pflicht des Ehemanns u. dgl. gehandelt. (Heiterkeit.) Auch die Wohltaten der Alters- und Invalidenversicherung müssen den Handwerkern end lich zuteil werden. Die Zustände in der Heim arbeit sind zum Teil geradezu trostlos. Für das Nähen eines Hemdes werden 17 Pf. gezahlt, wo bei die Näherin noch das Garn liefern muß. Sie werden nur mit 1 .<( täglich bezahlt. Ungelernte Leute machen durch Rasieren, Haarschneidcn usw. den Innungsmeistern dieser Branche schwere Konkurrenz. Hier muß die Gesetzgebung eingreifen, dann wird uns eine wirkliche Gewerbeordnung erblühen, um die uns die ganze Welt beneiden wird. Abg. Eoering (Ztr): Handwerk und Mittelstand sind davon überzeugt, daß das Zentrum von allen Reichstagsparteien am nachhaltigsten und erfolgreichsten für ihre Forderungen einge treten ist. Wenn nicht mehr für das Handwerk bis her erreicht worden ist, liegt das an anderen Fak toren. Papierne Sozialpolitik hat das Zentrum doch nie getrieben. Die Handwerkskammer sekretäre entfalten ja eine sehr anerkennens werte Tätigkeit: aber sie sind zu sehr Theoreti ker und zu wenig mit den Verhältnissen des Hand werks vertraut, als daß wir sie als Vertreter dieser Interessen ins Parlament bringen können. Man hält den Handwerkern immer die Vertreter der Ar beiter und ihre soziale Schulung entgegen. Wir er kennen cs gern und neidlos an. daß die Arbeiter hier viel weiter sind als die Handwer ker: aber die letzteren tragen zu diesem Ergebnis ein gut Teil bei. so auch durch die Fach- und Fort bildungsschulen, die das Handwerk eingerichtet hat und deren Kosten es mit trägt. Die Handwerker haben aber einen großen Fehler gemacht, nicht ihre Gegenforderung eines Ncguivalents geltend zu machen: sie müssen jetzt diese Forderung in zahllosen Petitionen wiederholen. Man hält den Hand werkern vor, sie hätten den modernen Zeitgeist nicht verstanden. Ich muß diesen Vorwurf in seiner All gemeinheit zurückweijen. Die Tätigekit, die die Hand werkskorporationen seit 1897 entfaltet haben, beweist das Gegenteil. Verdienstlich ist auch die Wirksam keit der katholischen Gesellenvereine, wie diejenige unserer Jugendorganisationen, die die Aufgabe haben, die künftigen Staatsbürger sitt lich und religiös zu festigen. Dem Handwerk muß auch ein billiger Kredit gewährt werden, mit bloßen guten Ratschlägen ist da nichts getan. Wir fordern die Regierung aus, einen Gesetzentwurf vor zulegen, durch den die Bestimmungen zur Begren zung der Begriffe von Fabrik und Handwerk festgesetzt und unter Zuziehung der be teiligten Kreise Instanzen zur Entscheidung der be züglichen Streitigkeiten geschaffen werden. Ferner wünschen wir, daß auch juristische Personen in Zwangsinnuixcil einbezogen werden und zu deren Kosten beitragen. Zu empfehlen ist, daß die Arbeiten nicht zu billig an die Zuchthäuser und Strafanstalten vergeben werden. Für ein Handwerkerblatt will der Antrag Basscrmann 10 000 eingesetzt sehen. Damit kann das deutsche Handwerk zufrieden sein. Ich bitte, dieser Resolution beizutreten. Ueber den Schaden, den die Wanderlager stiften, brauche ich lein LVort zu verlieren. Beim Hausreihandel wäre eine schärfere Ueberwachung der Personen und Waren notwendig. Eine Unterdrückung des Hausierhandels wünschen wir nicht. Für die Warenhäuser fordern wir die Ein führung der Umsatzsteuer. Die Sonntagsruhe auf dem Lande und in kleinen und Mittelstädten darf nicht so geregelt werden wie in großen Städten. Man muß da die Verhältnisse der Bauern und kleinen Händler berücksichtigen. Was den Hansabnnd betrifft, so ist das erwähnte Flugblatt kein Entwurf, son dern bei sämtlichen Mitgliedern der Handelskammer in Koblenz verbreitet worden, und auch zwei Mit glieder unserer Fraktion haben Eremplare erhallen. (Hört, hört! beim Zentrum.) Der gcschüftsführende Ausschuß des Deutschen Handwerker- und Gewerbe- knmmertages hat in Wiesbaden gegen den Hansabund Stellung genommen, ebenso der bayrische Handwerler bund und der sächsische M i t t e l st a n d s b u n t. Danach kann davon keine Rede sein, daß das deutsche Handwerk dem Hansabund beigetreten ist. Noch eine andere Frage: Es ist der k l e i n e V e f ü h i g u n g s- nachweis ohne Einschränkung auf Frauen übertragen worden. Das führt insofern zu Härten, als z. V. eine Schneiderin nach dem Tode ihres Mannes das Handwerk nicht sortsetzen kann, weil sie nicht die Gesellen- und Meisterprüfung gemacht hat. Hier wären Ausnahmen am Platze. Ich hoffe, daß der Staatssekretär die vorgetragencn bescheidenen Wünsche des Handwerks im Bundesrat baldigst zur Erledigung bringt. (Beifall.) Abg. Findel (Natl.): Während sich Handel und Industrie in ungeahnter Weise gehoben haben, hören die Klagen aus den Kreisen des gewerblichen Mittel standes auf, die Beschwerden über seine ungünstige Lage aber nicht, sie o e r s ch ärfensrchvielmehr noch von Jahr zu Jahr. Der Staat hat sein Interesse viel zu lange der Industrie zugewandt, an statt energisch, zielbewußt und opferwillig auch jür den Mittelstand einzutreten. Mit homöopathischen Dosen, mit einigen Gesetzesparagraphen kann man das Uebel, das sich so eingewurzelt hat, nicht aus der Welt schaffen. Es scheint, daß an maßgebender Stelle oie Bedeutungdes Mittelstandesverkannt wird. Eine Regelung des Submissions wesens sollte nach der Richtung erfolgen, daß über die Vergebung von einer kollegialen Behörde em- schieden wird. Der Lehrlingsausbildung und Vor bildung muß besondere Aufmerksamkeit zugewednrt werden. Jedenfalls muß der Mittelstand mehr als bisher berucküchtigt und gegen die Schmutzkonkurren! geschützt werden. Es ist auffällig, daß der Mittel stand kaum noch in der Thronrede Er wähnung findet. Hatte er ein richtiges Bewußt sein seiner Stellung, so müßte er gegen die Behaup tungen Front machen, daß das preussische Wablrechl ihm zum Vorteil gereicht. (Zustimmung bei den Nationalliberalen.j Das Hauptgewicht muß aus di.' Förderung des Mittelstandskredits gelegt werden. Der Mittelstand läuft immer mehr Gefah:, zum Hörigen des Großkapitals zu werden. Deutsch land verdankt, was es heute ist, vor allen, der rastlosen Arbeit seines Bürgertums, unter dem wieder das Handwerk hervorragt: wir müssen alles aufwenden, uns einen soliden, leistungsfähigen und gesunden Mittelstand zu erhalten. (Beifall.) Abg. Carstens (Frs. Vpt.): Auch wir wünschen, daß der Handwerkerstand leicht Kreditgewährung findet, daß er bei den Staats- und Reichsarbeiten ausgiebiger berücksichtigt wird: auch wir erkennen an. daß ihm durch eine gesunde Wahlrechtskonstruk tion viel genützt werden kann. Eine klare, präzise Stellungnahme zu den meisten Fragen habe ich beim Staatssekretär vermißt. Beantwortet hat er ledig lich die Frage der Abkehr von unserer Schutzzoll- und Handelspolitik, und zwar negativ. Zu einem plötz lichen Abbruch dieser Politik raten auch wir nicht: aber zwischen starrem Festhalten und plötzlicher Um kehr liegt doch ein weites Gebiet. Der Staatssekretär hat sich weitläufig über die Staffelsteuer des Umsatzes der Mühlen ausgesprochen; aber nicht über die viel wichtigere Frage der S ch i s s a h r t s a b g a b e n. Ist der Staatssekretär bereit, nicht nur den berech tigten Wünschen des Mittelstandes, sondern auch denen der Arbeiter nachzukommen? Wie denkt er über die Sicherheitsmänner im Bergbau? Wie über die Baukontrolle durch die Arbeiter? Wie über die Frage, ob das Reich weiter eine Steuerpolitik treiben soll, die aller Gerechtigkeit ins Gesicht schlägt? Und wie stellt er sich zu der Reform des preußischen Wahl rechts? Es wäre sehr verdienstlich, wenn wir hier auf eingehende Auskunft erhielten. Seine Betrach tung über die Trusts und Syndikate hat uns auch nicht befriedigen können. Wir wollen dieArbeits- zeit systematisch verkürzen, am liebsten in Uebereinstimmung mit oen betreffenden ausländi schen Industrien. Abg. Hoch (Soz.): Die diesjährige Diskussion unterscheidet sich insofern von den früheren, als die Handelspolitik breiteren Raum einnimmt. Bezeich nenderweise sind es jetzt dieselben Herren, welche über die Folgen dieser Politik klagen, die für diese Politik in erster Linie mit die Verantwortung tragen. Durch diese Politik ist eine Vereinbarung von Handelsver trägen erschwert worden. Gegen die Trusts und Syn dikate erklärt der Staatssekretär, kein Mittel zu wissen. In Amerika besteht das Antitrustgesetz, und das Bundesaericht, das voriges Jahr das Gebaren der Standard Otl Company für ungesetzlich erklärt hat. Aber diese Entscheidung wird von den Beteilig ten nicht tragisch genommen, die Trustgewalligen lächeln darüber. Bei uns dürfte man in dielen Kreisen genau so denken. Das einzige Mittel zur Ab Hilfe ist, daß die A r b e i ts m i t t e l, die in den Hän den weniger liegen, der Gesamtheit zuge führt werden. Die Zahl der Lohnarbeiter ist auf 16,8 Millionen gewachsen. Diese Lohnarbeiter haben das Recht, zu verlangen, daß auf sie Rücksicht gc nommen rmrd. Wo bleibt die Arbeitslose n- W Um die deukscdie^ppicblmüpferei IN werken Kreisen bekannt ru mscKen.werden Qb ^onksL.Uen 28. dielen kdonoke? von der?irm3 polieb.in Verbündung mik den V^ur^enerUeppicbfnbnken. ^nüpNükle im öeftiebe suVeftelft. üleicb^eikiL mik dieser kecbinisckenVorsübruns iindck ein TpeTisIverksuf vonsseppicften- Nöbe! stollen un6 liall, der eine gonr besondere günliise Kouhelegenbeik bilden wird. ^läbere^ in der ^onnkog^n^eige.