Volltext Seite (XML)
Erste Geilage M Leipziger Tageblatt «ab Anzeiger. 2KN Dienstag om 23. September 1884. 78. Jahrgang.- Generalversammlung des Deutschen Colonial-Vereins. Special-Bericht de« »Ltipziger-Tageblatte«". ll. * Eisenach, 21. September. Die heutige General- versammlung d«SDeutschen Colonialvereiu« gestaltete sich zu einer überau« imposanten, durch di« Einmüthigkeit der zu Tage tretende» Meinungen und gesagten Beschlüsse sich be sonder« auSzeichncnden Kundgebung weiter Preise de« deutschen Volke«. Je mehr man in den letzten Jahren sich daran hat gewöhnen müssen, daß in öffentlichen Versammlungen die Geister feindselig aufeinander platzen, um so wchlthuender berührte der Geist de« Frieden« und der Eintracht in der heutigen Versammlung. Patriotische Begeisterung und Hin gebung an die Interessen de« Vaterlandes erfüllte die sämmt» lichen Redner und waren überhaupt da« vornehme Merkmal der vierstündigen Verhandlungen; wir sind überzeugt, daß di« Resolutionen, welche al« Resultat derBersammIung hinaus in die deutschen Laude gehen, überall aus lebhafte Zustimmung stoßen werden. Die Gegner der deutschen ColonisationSbestrebuugeu werden schwerlich in diesen Resolutionen finden können, daß sie (mit welchem Borwurfe man ja von gewisser Seite so schnell bei der Hand gewesen ist) von chauvinistischen Neigungen erfüllt sind. Wohl aber werden sie daraus ersehen, daß die große Versammlung deutscher Bürger in Eisenach mit Ent schiedenheit ihren Wille» dahin erklärt hat. daß Deutschland aus dem nunmehr endlich mit Energie und Glück betretenen Wege, in fremden Ertthcilen eigenen Grund und Boden zu erwerben und seinen Autheil am Welthandel stetig zu ver größern, unentwegt sortsahren soll. Die Theilnahme an der Generalversammlung war eine so starke, daß der dazu erwählte Saal der Gesellschaft „Erholung sich als nnrureichcnd erwies. Man koinile unter der Masse der Anwesenden eine große Anzahl der hervorragendsten und geachletstcn Vertreter unserer Nation erblicken; außer den im vorige» Bericht Erwähnten bemerkten wir die Herren LaudeSdirector von Bennigsen, Ober bürgermeister Miguel, MissionSinspector vr. Fabri- Barinen, Generalconsul Au necke-Berlin, Pros. Nässe- Bonn, Contrc-Admiral a. D. Bätsch, Gras Frankeuberg, Eonsul Lahl-Sidny u. A. Die Stadt Leipzig war in mehrfacher Abordnung vertreten und zwar der Rath der Stadt durch Herrn Stadtrath vr. Wangemann. der Zwcigverein für HandelSgeographie durch die Herren Director Hasse, Director Sellin und Consul Glenk und die Colonisatiom'-Gesellschast durch die Herren vr. Gent sch und vr. Howard. Gegen l2 Nhr Mittag« eröffncte Graf Hohenlohe- Langen bürg die Versammlung, zunächst dem Vertreter der arcßherzogllchcu StaalSregierung das Wort crtheilend. Herr LandgerichtSpräsident Appeliüs verkündete, es sei ihm von Sr. königl. Hoheit dem Großherzog der gnädigste Auftrag zu Theil geworden, die Versammlung herzlich zu begrüßen und in seiner Stadt Eisenach willkommen zu heißen. Der Großherzog habe lcbhast bedauert, daß eS ihm uicht vergönnt sei, der Versammlung beiwohnen zu können, aber er werde auch in der Ferne mit Interesse ihren Ver handlungen folgen. Präsident Fürst Hohenlohe - Langenburg hieß in, Namen de« Vorstände« die Versammlung willkommen, deren große Theilnehmcrzahl beweise, welches großes Interesse Deutschland an de» Bestrebungen de« Colonialvereiu« nehme. Redner dankte hierauf für die Huld, welche Se. königliche Hoheit der Großherzog der Versammlung bewiesen und gab bekannt, daß Ihre königliche Hoheit die Großherzogin, sowie der Ekbaroßherzog und die Prinzessin Elisabeth ihr Erscheinen in der Versammlung angekündigt hätten. (Lebhafte« Bravo!) ES sei das ein neuer Beweis dafür, daß die deutschen Fürsten und inSbesoudereta« großhcrzogliche Fürstenhaus den nationalen Bestrebungen ihre lebhafte Theilnahme widmeten. Auch der Stadt Eisenach und ihrer gastfreundlichen Einwohnerschaft zollte Redner Worte herzlicher Dankbarkeit. Der Präsident waudte sich hierauf den Aufgaben des Verein« zu, der, wie er scharf betonte, über den Parteien stehe und allein dem Vaterland diene. Der Vorstand sei von der Ansicht ausgcgangen, daß angesichts der hoch- bedeutenden Ereignisse der letzten Monate eine außerordent liche Generalversammlung de« Vereins unbedingt zweckmäßig erscheine. Die Reich-regierung habe sich nunmehr den Be strebungen dcS ColonialvereinS gegenüber freundlich gestellt, früher sei das ander« gewesen. Als der Verein begründet worden, da habe cs geschienen, als ob die Erreichung der Ziele, die derselbe sich gesteckt, erst in einer längeren Reihe von Jahren möglich sei. Man habe vielfach die Bestrebungen deS Verein« als Phantasien bezeicbnct und dieser selbst gedachte nur Schritt für Schritt vorzugchcn. Ans einmal sei die Kunde von Angra Peguena erschollen, daS wir heute wohl getrost „LUderitzland" nenncn können. (Beifall.) Dann kamen die Freudenbotschaften von Kamerun-Land und anderen Puncten der Gvldküste, wo die Herren Wörmann. Jantzen und Thormälen mit ihren Besitzungen sich sestgefctzt hatten. Wie hat sich nun die Nation diesen Ereignissen gegenüber verhalten? Bangte e« ihr etwa vor Conflictcn mit anderen seefahrenden Nationen? Nein, sondern mit Jubel wurden von allen Seiten die Nachrichten über die deutschen Colonial- rnverbungen begrüßt. Es ist ein neuer Weg der Entwickelung geschossen worden, der hoffentlich unserer Nation zur Wohl fahrt gereicht. Dem Colonialvereiu aber gereicht es zu be- fonderer Freude, daß der Reichskanzler Vesten Programm janctionirt und zum Theil verwirklicht hat. Aber alle diese Ergebniste können, so bemerkte Redner weiter, nicht dazu dienen, daß der Verein nunniehr die Hände in de» Schooß legt, sondern eS ist feine Ausgabe, daß er nun erst recht arbeitet. (Lebhafte Zustimmung^ Seine Ausgabe ist, ausklärrnd z» wirken und gleichsam ein Institut zn werden, welches alle« aus die Colonisation Bezügliche sammelt, sichtet und denjenigen Landsleuten, welche in fernen Welttheilcn eine neue Heimath sich gründen wollen, mit Rath und That zur Hand geht. E« ist leider zu befürchten, daß specnlativc Köpfe mit den durch die Colonialbewegung erweckten Hossnungc» Mißbrauch treiben Werden; man wird leichtgläubigen Leuten in den Kops setzen, sie brauchten nur hinüber zu gehen, um ihr Glück zu machen. (In diesem Augenblick tritt die groß- herzogliche Familie in den Saal, die Versammlung erhebt sich von den Sitzen.) Da ist es gut, daß der Verein in seiner heutigen Versammlung Männer unter sich habe, wie die Herren Lüveritz re., welche mit ihren praktischen Erfahrungen dir AiiSwanderuiigSlustigeu vor unüberleate» bewahren können. Der Eolonigstzerein i» n!mt dazu da. selbst Län- lerrleü anzukauscn oder dazu ausznsordcrn. daß die Leute hier oder dort sich al» Colonisten niederlastcn sollen.. Da« kan» der Verein gar nicht, sondern eine solche Verantwortung zu übernehmen, ist nur Sache einer Privatgesellschaft, aber nicht unsere Sache, die wir einen moralischen Factor in der Nation Hilden wollen. (Zustimmung.) Am Schlüsse seiner Ansprache betonte der Präsident noch, in England und anderen auswärtigen Staaten werde die deutsche Colonialbewegung sehr gespannt versolgt, darum sei große Vorsicht in der AnSsprechung von Plänen geboten und er fordere die Versammlung dringend aus, in dieser Beziehung möglichste Zurückhaltung zn beobachten und dadurch di« Jnientionen der Reichsrrgierung zu unterstützen. Redner Verla« hieraus die Resolutionen, deren Genebmigung der Vorstand der Versammlung aaempfahl. Die Resolutionen lauten: ch. Die Generalversamluug de« Deutsche» Co» lonialveretn«, die früheren a» den Kanzler de« deutschen Reicher gerichteten Erklärungen de« Präsidium« billigend, de- grüßt mit großer Gcnugthunng die im Name» de« deutsche» Kaisers zum Schutz und zur Sicherung deutscher Nieder lassungen in Westafrika ergriffenen Maßregeln. Sie erkennt darin mit lebhafter Freud« da» Eintreten Deutschlands in die Reihe der kolonisatorische Ziel« verfolgende» Völker, «nd spricht die zuversichtliche Erwartung ans, daß die Reichsregierung bei ihrem weiteren thatkrästigrn Vorgehen ans die voll« Unter- pützung der Nation rechnen kann. 8. DieBeaeralversammlung derDentscheaEoloniak- vrreia- hält regelmäßige und schnelle Damvischiffsorrbindungen der deutschen Seehäfen mit überseeischen Ländern sür ein un erläßliches Mittel, den deutschen Ansftchrhandel zn fördern und den deutschen Anlherl am Welthandel zu mehren. Sie erwartet von denselben eine wesentliche Hebung des An sehens der deutschen Flagge und eine innigere Verbindung der Dentschen in überseeischen Länder» mit dem Mutterlande. In Fällen, wo solche Dampsschisf-Iinien ohne Sffent- kiche Unterstützung zur Zeit nicht in einem den deutschen Ju tereffen entsprechenden Maße eingerichtet werden können, hält dir Generalversammlung greignete Subventionen derselben aus Reichsmiltrln sür geboirn. Die General-Versammlung bedauert deshalb lebhaft, daß der Gesetzentwurf der verbündete» Regierungen, betreffend die Subvention einer Danipferlinie nach Ost-Asien und Australien, in der letzten Session des Reichstages nicht zur cndgiltigen Erledigung gekommen ist, gicbt sich aber der zuversichtlichen Hoffnung hin, daß eine eroeuete Vor- läge allseitige Zustimmung und Annahme finden wird. Ter Präsident schloß seine mit großem Beifall ausge nommen! Ansprache mit dem Ausdruck der Hoffnung, daß die heutige Versammlung die Bestrebungen des Verein« in hohem Grade fördern werke; derselbe möge allezeit eingedenk fein deS Grundsatzes „erst wägen, dann wagen." Die Debatte eröfsnete der rühmlichst bekannte ColonisationS- Sachvcrständige. Herr MissionSinspector vr. Fabri-Barmen, dem bei seinen Ausführungen eine glänzende Rednergabe zur Seite steht. Redner wirft die Frage aus: „Bedarf Deiitsch- land der überseeischen Ausbreitung?" und fährt fort: ES hat nickt au Solchen gefehlt, die achselzuckend und mit zweifelnder Miene dieser Frag: gegenüber stehen, aber die Frage ist nicht inehr von der Tagesordnung gekommen und die Forderung der Erwerbung von Coloinen ist nach und »ach immer populärer geworden. Die ganze Bewegung hat in ihren, Ursprung und in ihrer Tendenz keinen politischen Charakter, sondern ihre Ziele sind rein wirthschasllicher Art. Deutschland bedarf sür seine politische Machtstellung keiner überseeischen Ausbreitung. Der deutsche Colonialvereiu steht daher in keinerlei Weise inmitten der politischen Parteien. Offen gestanden, so rasch hatten mir nicht erwartet, Vaß die NeichSregierung zu unseren Bestrebungen Stellung nehmen werde. Nunmehr ist eine Art colonialer Hochfluth, eine immense coloniale Begeisterung hereingebroche», die dem Colonialvereiu zur Pflicht macht, eine verständige Kritik zu üben. Aus dys deutsche Volk, welche« von den überseeische« Verhältnissen noch wenig unterrichtet ist, muß von Seiten de« Vereins ausklärend eingewirkt werden. Der Redner giebt eine Darlegung der Ereignisse seit Februar d. I. in Bezug aus die Colomalcrwerbunge» an der afrikanischen Westküste und fährt dann fort: Es giebt zweierlei Möglichkeiten in Bezug aus diese Erwerbungen, entweder man stellt sie direct unter die Verwaltung deS Reiches und in diesem Falle werden sie anfangs viel Geld koste», oder es bilden sich große Plan tage,,- bez. Bergbaugescllschasten. welche die Verwaltung de« Landes selbst in die Hand nehinen und denen da« Reich Schutz gcgeu Bedrohung und Angriffe gewährt. Lchteres scheint für den Anfang unserer Colonialentwickclung das Richtigere zu sein und auch der Colouialverein hat sich die anfängliche Entwickelung so gedacht. Ist aber daS Be stehen deS ColonialvereinS nun noch nölhig? Gewiß, dennIwcnn auch ein Anfang aus dem Gebiete der Handclscolonicn gemacht ist. fo wollen wir nicht die weiteren Ausgaben vergessen, die dem Verein gestellt sind. Ich denke hierbei an die Auswanderung, bezüglich deren die Prüfung der Frage zu geschehen hat, ob ihr nicht eine bessere Gestalt zu geben ist, wobei ich nicht einen politischen Zufammenhang der Ausgewanderten mit Deutschland im Auge habe, wohl aber die Herstellung der Möglichkeit, daß ein wirthschastlichcr Rückfluß stattsindet. (Lebhafte Zustimmung.) Im Lause der Versammlung fxrachen weiter die Herren Würman» - Hamburg , Lüveritz - Bremen , Professor Nässe-Bonn, Consul Annecke, NeichstagSabgeordnetcr Meier-Breme», Professor Fischer-Marburg, Direktor Fest.-Brcslau und Miquel-Franksnrt; wir werden über kiese theilweisc hochinteressanten Reden in der nächsten Nummer rcscrircn und theilen heute nur mit, daß die beiden oben abgcdrucktcn Resolutionen ein stimmig angrnvmmcn wurden. Nach der Versammlung vereinigten sich die Theilnehmer z» einem solennen Festmahl, wobei die Herren Fürst Hohenlohe-Langenburg» Oberbürgermeister Miguel, !)r. Ham mach er, LaudeSdireclor von Bennigsen und Wörmann Trinksprnche auöbrachten. A» den Fürsten Bis marck wurde folgendes Telegramm abgesenket: Sr. Durchlaucht dem Fürsten Reichskanzler! Die zum Festmahle versammelten Mitglieder deS ColonialvereinS senden Ew. Durchlaucht dankcrsüllt sür das entschlossene und erfolg reiche Vorgehen aus dem Gebiete der Eolonialpolitck ihre ehrsnrchts- volle» Grüß«. Das Präsidium. Fürst Hohenlohe. Miguel. Große Freude erregte ein Telegramm der Frau Groß- herzogin von der Wartburg, worin dieselbe nochmal-, zugleich im Namen deS GrvßherzogS, dein Vereine Dank und Glück wünsche übersendete. In Len Reichstagswahle». * Man schreibt u»S an- Berlin: Die lange erwartete Bekanntmachung ist erschienen und der Wahltermi» aus den 28. October festgesetzt, einen Tag nach Ablaus des Mandate- deS gegenwärtigen Reichstags. Die Auslösung dcS letzteren ist somit umgangen, und zwei staatsrechtliche Streilsragen sind in praktischer Weise aus ein mal inlschiccat. Zunächst, daß der Termin sür die Wahlen zum neuen Reichstag sestgestcllt werden kann, während die Mandate der Mitglieder deS vorigen Parlaments noch nicht erloschen sind, und ferner, daß die Session nicht vom Datum deS Zusammentritts, sondern vom Wahltage an zu rechnen ist. Nicht volle sechs Wochen trennen nn» noch von dem be- denlsamen Tage, an welchem i» vieler Hinsicht für daS deutsche Volk eine entscheidende Stimmabgabe erfolgen soll. Wenn sür die gemäßigt liberale Sache ein besserer Ausfall erreicht werden soll, als daS vorige Mal, dann muß bis z»»i Wahltage von Allen, denen da« Wobt de« Vaterlandes am Herzen liegt, noch recht viel gethan werdet». Oh»' Fleiß kein Preis! Unsere An-sichten sind nach dem Urtbeil ersahrrner Par lamentarier durchaus günstig, und die« wird unS zuin Ucber- puß bestätigt durch die heftige» Lnssälle. welche von recht« und von link«, besonder« aber von den Ultramontauen, gegen un« gerichtet werden. Kür unsere Leser und sür unsere Parteigenoffen hoben wir nicht uvthig, unser Programm und unser« Ziele nochmal« darzulegen. Da» nationalliberale Programm, welchc« sich länger al» ein Jahrzehnt so wohl bewährt, besten Anerken nung ganz besonder« dem Fürste» Bismarck den Ausback de« Reiches und die Entwickelung seiner Verfassung ermöglicht hat, e« ist henke dasselbe wie im Jahre l86S. Aber so wie die nationalliberate Partei sich gleich geblieben ist seit dem Beginn der Wiedergeburt de« deutschen Reiche«, ebenso unverändert und ebenso gefährlich sind ev auch deren Gegner, die Extreme von recht- und von links und nickt minder daS Ccntrum. Bon Anfang an haben wir unS der gleichen un« ehrenden Gegnerschaft erkreut wie heute. Die Fortschrittler alten und neuen DatuniS vestrriten unS da« Recht, uns ..nationalliberal" zu nennen, weil wir nicht fortschrittlich sind. Die Hoch« konservativen bestreiten ebenso unsere Existenzberechtigung, weil wir unsere Selbstständigkeit und Mäßigung zu opfern keine Neigung zeigen. Nach wie vor werden wir von den Ultramontanen auss Heftigste gehaßt, ja der .^krieg bis ausS Messer" wird von Herrn Windthorst gegen unS proclamirt, weil wir al« die gefährlichsten Gegner von ihm erkannt sind. Wenn eS nothweudig wäre, die Nützlichkeit nnd Noth- wenkigkeit der nationalliberale» Partei besonder« zu beweisen, der soeben veröffentlichte Wahlaufruf des CentrumS würde allein genüge». Daß die Socialisten mit allen gesetzlichen Mitteln zu bekämpfen sind, daß sie, so sehr sie es auch leugnen, die Erzieher der Anarchisten sind, darin sind die konservativen Parteien mit u»S völlig derselben Ansicht. Auch die Ultra- montanen haben da» in authentischer Weise bisher niemals bestritten. Ja sogar die Neusortfchrittler. obgleich sie gegen das Sccialislengesctz (meist wohl zn demagogischen Zwecken) declamiren, haben doch da« letzte Mal noch zum Theil dafür gestimmt. n»d soweit man ihren Worten glauben darf, sind sie n»r bezüglich der Mittel zur Bekämpfung der Social demokraten, nicht aber in dem llrtheil über deren Gefähr lichkeit sür Staat und Gesellschaft anderer Ansicht. Die Socialdemckraten also dürsten bei den Wahlen von allen Parteien, welche den Boden der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung nicht verläugnen, gemeinsam bekämpft werden. (Möge sich diese Hoffnung bestätigen! Die Redaktion.) Die zu den Deutsch-Freisinnigen verstärkten Fortschrittler bestreiten die Berechtigung der jüngst durch die Allerhöchste Botschaft eingeleitctcn und durch die Annahme dcS Uiisall- versichernngsgesctzes in so erfreulicher Weise geförderten Bis- marck'scheu Svcialpolitik. Von einem Zusammengehen mit ihnen kann also weder sür un», die wir die Unterstützung der socialen Reforinen auf unsere Fahne geschrieben haben, selbst verständlich keine Rede sein, wenn auch nicht tausend andere Gründe Vorlage», wenn auch nicht zudci» bis zum llcberfluß durch die Tbalsachen erwiesen wäre, daß mit einer Partei, welche Eugen Richter'« Führung folgt, praktische Politik über haupt nicht zu treiben ist. Genau dieselbe Auffassung ver treten die Consrrvativen i» allen ihren Schallirungen. Ein Bündniß mit den „Freisinnigen" kann also weder vor noch »ach den Wahlen m Frage kommen. Nun baden wir in den letzten Jahren die konservativ» klerikale Gemeinschaft zu beklage» gehabt. Die Geschichte dieser Aera liegt so unmittelbar hinter uns — hoffentlich auf lange Zeit —, daß da« llrlhcil über deren Leistungen »cch frisch geschöpft werden kann. Hier gilt eS einer viel verbreitete» Unwahrheit entgegenzulreten. Man hört und liest öfter, daß die beginnende Anssührung der Socialrcsorm- gesetze nur durch das Bündniß der Conservativcn mit den Klerikalen ermöglicht worden ist. Doch dem ist mit nickten so. Ein Blick in die stenographischen Berichte der Ver handlungen de» deutschen Reichstags und des preußische» Abzcordnetenhuuse« genügt, um Icke» zu überzeugen, daß einmal bei de» positiv sörderlichen Gesetzen die Mehrheit stet» und nur durch daS Hinzutreten der Nationallibcralen zu erreichen war, sodann aber auch, daß die Ultramontane» in wichtigen Fällen stets gespalten gestimmt haben. Sie haben gelegentlich mit den Fortschrittler» nicht nur geliebäugclt. sondern sind auch mit ihnen zusammen gegangen in der offenkundigen Absicht, einen der Regierung erwünschten Ent wurf zu Falle zn bringen, und wenn sie daS nicht durch- gesctzt haben, so ist daS lediglich daS Verdienst der national- liberalen Abgeordneten. Aber in Amberg haben eS die Ultramontanen auch offen ausgesprochen und ihr fetziger Wahlaufruf benimmt fcden Zweifel daran, daß eS ihnen niemals Ernst gewesen ist mit der Unterstützung der BiSmarck'schen Resormptäne, geschweige denn, daß aus sie gar als eine zuverlässige Stütze zu rechnen wäre. Ihre Zustimmung galt niemals der Sache selbst, sonder» war immer nur daS Milte! zur Erreichung anderer Zwecke, womöglich zur Demüthigung des Reiches und Staates der Curie gegenüber. Und ohne daß die Hochconservaliven es immer merkten und so wenig sie es wahr haben wollen, sie sind in den meisten Fällen die Dnpirlcn getvesen. Es handelt sich in der bevorstehenden Legislaturperiode des Reichstages, wie Jedermann bekannt, um die einschnei dendsten Fragen, und man muß eS »»ler viefcn Verhältnissen geradezu als eine Gefahr sür daS Reich bezeichne», die Zahl der EcntrumSmilglieder zn vermehren. Es würde von einer unbegreiflichen Verblendung zeugen, wenn nach Veröffent lichung dcS ultramontanen WahlausrusS die Conservativcn mit den Klerikalen noch ein Wahlcartell eingehcn könnten. DaS Ccntrum spricht c« unverhohlen auS, daß der .Freisinn oder wenigstens der Schein desselben ibm höher steht als die Sicherheit des Reichs; daS Ccntrum würde, wenn die Frage zur Entscheidung vorliegt, nicht nur da» Septeunat verwerfen. sondern wc möglich daS Budget deS Heeres von jährlicher Bewilligung abhängig machen unv e« wird wahrscheinlich auch gegen die Verlängerung de« Socialistengesctze» votirea. DaS heißt in Kürze: da« Ccntrum ist bereit — Alke« ln mazorem eeclossiue glorium, im wahren Interesse der Kirche — da» Reich zum Spielball der inneren und äußeren Feilte zu machen und bei der Be- kälnpfung der Umsturzpartei durch positive Maßnahmen dem Reichskanzler die Beihilfe zu versagen. Wir möchten wissen, wie sich die Unterstützung dieser Partei noch irgend mit confer- vativen Grundsätzen vereinigen läßt und fordern die .Kreuz- zritung" zu einer offenen Beantwortung unserer Frage auf. Die Meßvorsteklungen bei Trietschler. Leipzig. 22. Sept. Dir elfte Vorstellung de« im Trietschler'- sche» Etablissement «ährend dieser Messe anslreteuden küuftler- persoaals, welche am Sonntag ftattsand, rechtserligte die Erwartungen, welch« man nach der hier üblichen sorglälligen Auswahl der sich vor- sührendea Kräfte wohl hege, durfte. Der stürmische Bestall des zahlreiche» PubücumS und die vielleicht manchmal ein wenig über de« Rücksicht aus die tbeilweise so austrengeuden Leistungen der Künstler hinansgehendeu Wiederkoluugsrnse legten sür da- Gebotene rühmlichste« Zengniß ab. Fräulein Mari« Zimmermann, eine stattlich« Erscheinuiyz »erstaad es, dnrch »reiflich« Stimmmittel und -ewtnnend« Mimet di« Sympathien der ZuhSrenchast alsbald zu «ewiuuc«, »in« Errnagenichaft. di« st« «ft ihrer gleich onimiihigen Genossin, Fräulein Hermine Kühle, theilte. Beide junge Damen sind tüchtig -«schulte Sängerinnen und von seltener Gewandt heit i« Vortrog, viel Heiterkeit erzielte dnrch sein« Vorträge der Saks»« Komiker Herr Schwinsitzky, der durch Maske und komische Staffage dieselbe» aus das Ergötzlichste z» unterstützen »erstand. Dann hsrten «tr die Xylophon- nnd Glocken-Lirtnofinnr» Geschwister Djelma, jung« hübsche Damen, die »r« »nsaad« mit anmnthegrr icklsthkrft löftea. Einzig 1» seiner Art erschien >»« der Pastest-Schnellmaler Herr Henry Whtarlt. Binnen trenige» «innten brachte er. mit Unbeschreiblicher Gewandtheit, fünf Lharakterköpse, Rentier, Jtzig, Rekrut. Zulu un» Bismarck, a»s de» Karton »nd fügte ihnen, ans snrlgrsetzte» Beisallsrnf, »och «ine Seelandschaft hinzu. Ferner zet-te sich der Original-Bauchredner Mr. Sperl» als tüchtiger Fachmann in seiner ebenso schwierigen als anstrengende» Knust. „Das Neueste der Illusion, da« Mysteriös« Labinei", führte «r. Sperlo »nd Mt» Belli» ans da« «ebiw des Spiritualismus, deffen Geheimnisse im Geisterst»!«» durch die junge Dame, welche al« Medium, somohk im männlichen Salonanzug wie im glänzende» Trikot, allerliebst anssah, gelöst worden. Sie that dies inindesteu- ebenso geschickt, wir der sogenannte Mr. Lumber- tand, früher anderen Namen« Fleischergesell« in L^sord, der sammt seinem Dolmetscher bei seinen Vorstellungen i« Kryftallpalafte sich durch eine absonderliche „Hahnebiegkaheit" bei der Zuschauerschaft im Andenken erhallen hat. Den Schluß der Abendvorträge im Trielichler'jchen Saale btldete da« Auftreten der Original - Laubeu- Königia Miß Lizzi. E« war reizend anznsehen, wie di« Prag«, in eng anliegende« schimmernde« Smozoueucoftüm gekleidete Dame elne ganze Schaar Dauben, einzeln und in Flügen, aus Eommondo zu allerhand Kunststücken bewegte und endlich die dnrch den Saal ge sendeten Lhierche« ans ihre» ansgestreckte» Armen »nd de» Kopse vereinigte. Soviel heute über die Abendvorstellungen t« Trietschler'schen Saale. Es kann hier Jedermann einige Stunden der a,»«bleichsten Unterhaltung versichert fein. Die Verpflegung im Trietschler'scheu Etablissement bedarf, als rühmlichst bekannt, keiner Empfehlung. 0. bl. Die Menagerie von Scholz L Lo." Diese schöne Menagerie, welche, obgleich schon seit vielen Jahren reisend, doch erst ein einziges Mal, zum letzten großen BundeS- schießeu, aus eiaige Tage nach Leipzig gekommen ist, dabei aber wegen ungünstigen Platzes und bei dem Festestrubel gar nicht zur rechten Gellnng kam, wurde, als zur diesmaligen Michaelis- messe hier auwcsend, am Sonntag zum ersten Male eröffnet, und bekundete dabei sofort aus diesem Gebiete der Schaustellungen einen solchen zeitgemäßen Fortschritt, daß diese« Hand in Hand gehen mit unserer jetzt so gewaltigen Lulturentwickelnng vor Allem einige Worte der Anerkennung erheischt. Die angehende» und vollendeten Leipziger Greise werden sich erinnern, daß zur Zeit der berühmte» van Aken'sche» Menagerie (vor nngejähr 50 Jahren) diese Institute znr Messe sehr anständig austratc»; eine becllcrgedcckle, mit hinreichende» Fenstern versehene Bude mit gedielte»! Fußboden gewährte dem Besucher einen „menschen würdigen" Aufenthalt, und dies wurde lange beibchallen, aber merk würdigerweise tras fast gleichzeitig mit der Maulcusfel'schcu Reaction auch im Mcnagcricwesen ei» Rückschritt ei». Graue Leimwand wnrde zum Dach verwendet, Fenster »nd brcttencr Fußboden wurden z»ni schnöden Luxus, Reinlichkeit desgleichen, da gegen der betaiiiile Menageriegeruch zur entschiedenen Thatsache, und von dieser Zeit datirt daher die bei vielen Gebildete» noch herr schende Abneigung gegen de» Menagcriebesuch. Der Verfasser hat. je mehr ihm dieses Treibe» zuwider wurde, um so mehr a» den be- trcsscudcn Stellen dagegen greiser», und seit mehreren Jahren ist auch endlich eine Wendung zu,» Besseren eingetrctcn, wie die oben genannte Menagerie von Neuem zeigt, denn obgleich noch daS Lcin- wandtuch bei der schönen Witterung bcibehaltcn wurde, so ist doch durch Feilster, Abends durch Gas, sür Licht, dnrch Diele» für an ständiges Wandeln gesorgt, und die Nase bleibt sich ihres Ausentkotl« beim Besuch voüständig „»bewußt. Nun soll e« aber nrit diejer Anerkennung des Fortschritts, welcher ja eigentlich blos in der Getteiidniachiiilg des Gebotene», eines heutzutage allerdings sehr wichtige» Faelors, besteht, durchaus nicht al>gclha>i sein, den» auch das Gebotene selbst tritt, „wie »och nie", un G.iste deS entschiedensten ForlichkittS aus. I» allem Ernst kann man sragc»: Hat inan je Löwen, d. h. gesunde, erwachsene Löwe» von solcher Zahmheit ge sehen, wie sie von Miß Cor», einer stattlich!» Dame von vollendeter Entwickelung, hier vorgesührt werde»? Der Verfasser wenigsteiis, der doch seit 50 Jahre» gerade aus diesem Felde „Einiges" kennen gelernt hat, muß hier verneinend antworten. D»s.' Löwenvorsührung, bei welcher 6. fast durchweg erwachsene Ltwen t» ihrer Dressur durch die erwähnte Dame ge zeigt werden, ist ei» Beweis, daß unsere Lhlcrke»»Iuib »och lang« uicht am Ende „«gekommen ist. sie beweist die Umwandlung einer Thierart durch Behandlung und Zucht in einem säst ungeahnleii Grade. Es dürste bekannt sein, daß i» zoolo gische» Gärte» »nd selbst in Menagerie» die Lüioen jetzt säst wie Kallinchen gezüchtet werden. Wahrend man aber in de» erfterc» dieselben sich selbst überlasse» ansmachsen läßt, widmet man i» den Menagerie» sich säst stets der Auobildnng der gezüchtete» Löwen zu« Künstler, und die entwickelte Forlzucht scheint i» Verbindung mit dieser sich stetig erneuernde» Ausbildung eine, wir können fast sage», „europäische" Löwenrace zu erzeugen, welche, aus den Mischungen der bisherigen Racen zusammengesetzt, nicht bloS die üblichen Rückschläge zeigt (sogar blödsinnige Löwen kommen jetzt ä I» Boigi'jche Theorie vor), sonder» auch eine ZähmiingssShigleit entwickelt, die dem importirtcn Löwen entschieden abgeht. Deswegen sind ja auch schon längst die gezüchteten Löwen von de» Thier- bäiidigern am gesuchtesten. Wer kau» auch daran zweifeln, daß z. B. di« beiden von de» Lötve» des Eeniralkäsigs abstuminende lungeu Löwen (einer 4 Wochen, einer mehrere Monate alt) sich zur Hundezahnihcit und Hundcdressur entwickeln lasse», wenn er sicht, wie Miß Eora »ach der Vorstellung dieselbe», i« Arme tragend, dein Publicum frei zeigt, wobei sie, gleich Säuglingen, an der Milchflasche sauge» und dieselbe mit den eigenen latze» halten? Mögen diese wenigen Andentunge» zunächst genügen, um auch »och dem anderen Inhalt der Mcnagerie durch den vorläufigen Hinweis gerecht zu werden, daß derselbe eine Fülle der geiionnlenea Thiere ausweist, gerade jetzt aber auch durch einige gnchtrcsultale, »äiiilich junge Pumas und eine junge gefleckte Hyäne, noch besonders interessant ist. Beide sind vom Nichtuiiterrichteten schlechterdings nicht zu erkennen, denn die drei jungen Pumas könnte man ihrer schwarzen Flecke Ivegen eher für junge Leoparden halten, während man hinsichtlich der jungen einfach rußsarbigen Hyäne» bei ihrer noch unftrligen Gestalt überhaupt kaum eine Vermuthun- haben könnt«. Daß auch anßer den schon erwähnten noch andere innge gezüchtete Löioeu von allen Größe» vorhanden sind, lft so gut wie selbstverständlich, und uidem also einer späteren Besprechung Vorbehalte» bleiben mag, de» eigent liche» Thierreichthoni, insbesondere seine Seltenheiten, zu schildern, mag den Schluß hier der Hinweis aus den asrikanischrn Etephanten „Pluto" bilden, welcher in gleicknr Weise wie die Löwinuen Fort schritt« in seiner Ausbildung bekunde«, welche besonder« in seinen Leistungen als Akrobat ans Unbegreifliche grenzt, und sür die Zn- kiurst auch van den Elephaulea »och HerrlichcS hoffen läßt. U. H. Entscheidungen des Reichsgerichts. (Abdruck ohne Angabe der Quelle wird gerichtlich versoi-t.) Nach tz. 226 Etr.B-B. ist, wenn dnrch eine Körper verletzung der Tod de« Verletzte» »ernrsacht worden, »ns Zuchthaus nicht uuter drei Jahren zu erkennen. Aus dieser Stros- bestinimuag war gegen den Arbeiter S. aus Sch. di« Untersuch»»« eröffnet, das Landgericht hatte jedoch nur wegen vorsätzlicher er schwerter Körperverletzung an« 8- 223» Skr.-G.-V. verurttzeill. Nach dem vom Landgerichte sür erwiesen erachteten Thatbestanoe U am 18. Juli 1883 zwischen dem Angeklagten S. «nd dem Arürttse Job» ans dem Heimwege von der Erutearbett Streit e»O»»y»». S. schlug mit der stumpfen Seit« seiner Sens« ans die Schulter des John; dieser machle mit seinem Arme eine ««»duug und schlug mit seinem Arme gegen die Schärfe der Sense,während 2. alerchzettiU die Sense in die Höhe hob. Hierdurch erlitt Jod« eine schwere Ver letzung deS rechten Aeines und ist a» den Folgen dieser Verwund»»- »« Morgen des nächsten Tage« gestorben. Die Verneinung de« Thatbestondes de« st. 22«! Ltr G -B und die Annahme, daß nur eine erschwerte Kürpeiverletziing im Sinne des 8 223» Sir.-G.-V. zutreffe. ha» tz»K Landgerichl durch die Erwägung begrüntet: „daß der Tod das eiaeni unglückliche» Zniall oder eigener Unvorsichtigkeit zuznschueW»». sei, indem John sich selbst darch di: Wendung mit seine» Arx die fragliche Verler n»» zugezoqen habe. er W.llL dc« Angeklagw» set nicht darauf gerichtet gnmle». de» Jod» mit Schärfe kirn