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Unterer Lauf der Ströme. Deltabildung. 473 Anlerer Laus der Ströme. Genau genommen ist diese Bezeichnung keine ganz richtige, wenn sie sich schon ganz allgemein eingebürgert hat, seit der geniale Ritter mit seinem scharfen, die Nerhältnisse in ihrem großartigsten Maaßstabe auf fassenden Blick die Unterscheidung in oberen, mittleren und unteren Lauf einführte. Bei dem Lauf eines Flusses hat man doch immer die Ufer im Sinne — der untere Lauf der Ströme hat keine Ufer mehr — Ufer und Strom fallen zusammen, was man für Ufer halten möchte, ist nur Gestade einer Insel, welche der Strom nicht etwa beim Hinwegreißen des Vorhandenen übrig gelassen hat, sondern welche er gebildet, aufge worfen hat; von da, wo der untere Lauf der Flüsse beginnt, bis zum letzten Stückchen Land, das von den Fluthen des Meeres bespült wird, war einst alles Meer. Der Fluß hat diese Inseln, diese flachen Ufer, welche sich kaum über dessen Hochwasserstand erheben (an vielen Orten tief darunter bleiben und durch Dämme vor Ueberschwemmungen geschützt werden müssen), sich selbst herbei getragen, und fortwährend und ununterbrochen trägt er noch ferner Material herbei, um sich sein Bette weiter in das Meer hinein zu bauen, das Meer weiter zurückzudrängen — daß ist die Deltabildung. Bleiben wir bei einem den Norddeutschen nahe gelegenen Beispiele stehen, bei der Weichsel (die Elbe hat kein Delta, weil die Fluth dasselbe, so wie es sich ansctzen möchte, immer fortspült und weit in das Meer führt), so können wir sehr deutlich ihren früheren Standpunkt verfolgen. Der mächtige Strom, von den Karpathen herabkommend, genährt durch starke Zuflüsse aus dem Innern von Polen, Bug, Narew u. s. w., zeigt noch jetzt bei jedem Hochwasser, was seine eigentlichen Ufer sind — er tritt bis an die Hügelreihe, die ihn aus beiden Seiten begrenzt und, parallel mit ihm fortlaufend, unzählige Punkte darbietet, von welchen man die entzückendste Aussicht genießt auf ein üppig fruchtbares Niederungsland, mit unzähligen Dörfern und einzelnen Gehöften, mit Hütungen, aus denen das kräftige Niederunger Vieh bis au den Bauch im schönsten Klee watet und ihn wählerisch verschmäht und sich das feinere, zartere Gras von dem Boden aufsucht. Dort, wo eine herrliche Besitzung sich an die andere schließt, nur durch einen leichten Lattenzaun getrennt, der das Vieh an dem Austreten hindert; dort, wo das köstlichste Obst wächst, und zu Hunderten von Schiffsladungen nach den nordischen Gegenden, Petersburg, Stockholm, versandt wird — dort, wo der Weizen sechszigfältig trägt, wo man von einem Morgen Landes fünf vierspännige Fuhren Getreide nach Hause bringt und das Stroh wie Rohr, stark und dicht steht — dort überall,