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212 Das Wasser. ein viele tausend Fuß tiefer und vier Meilen breiter Meeresarm und dieser füllt das Mittelmcer. Versetzen wir uns zurück in jene Zeit, in welcher der Felsen von Gibraltar noch mit dem von Ceuta zusammenhing, in welcher bei den Dardanellen und im Hellespont noch keine Wasserstraße war, so haben wir nicht ein Meer, sondern ein ungeheures Tiefland vor uns. Chpern, Candia und der ganze Archipel waren nicht Inseln, sondern bewohnbares Land mit schönen, zum Theil nicht unbedeutend hohen Bergen; das adriatische Meer existirte nicht, es war ein tiefes Längenthal mit dem Flußbette des Po und der Brenta, der Etsch und des Timavo (Timäus der Alten), zu sammen wohl einen ziemlich mächtigen Strom bildend, der, verstärkt durch kleine Zuflüsse von Griechenland und Italien, sich endlich in dem tiefsten Theile des Beckens um Malta her mit dem Nil zu einem großen Landsee vereinigte. Sicilien, Sardinien und Corsika hingen wahrscheinlich mit Italien zusammen, die Mitte des jetzigen Tyrrhenischen Meeres mag durch die Tiber und die übrigen italischen Flüsse gespeist, gleichfalls einen Landsee von kleinerem Umfange gebildet haben, und die pontinischen Sümpfe, jetzt unter dem Spiegel des Meeres gelegen, dürften damals wohl schöne, segensreiche Wiesen oder Kornfelder, hoch über dem Landsee, gewesen sein. Afrika hing ohne Zweifel mit Spanien zusammen durch ein von Osten nach Westen ansteigendes Thal, das bei Gibraltar geschlossen war. Die Balearen bildeten abgesonderte Berge zu dem spanischen Tieflande; zwischen ihm und Sardinien war ein drittes Becken, ein Binnensee für die Ge wässer der Rhone und des Ebro. Sicilien mit Afrika, zusammenhängend, schied das Mittelmeer in zwei Hauptthäler. Daß dieses glücklich gelegene Tiefland reichlich bewohnt und bebaut war, dürfte wohl keinem Zweifel unterliegen, wenn schon es wahrscheinlich keine Städte, sondern nur gruppenweise vertheilte Hirtenstämme enthielt, wie uns die Bibel solche in Palästina, in Arabien und Persien, im ganzen Orient beschreibt und wie sie noch von Strabo viel später angeführt werden. Wenn nun der Damm des Bosporus und die Säulen des Her kules durchbrochen wurden, so war eine Ueberfluthung dieses herrlichen Thales die unmittelbare und unabweisliche Folge, und wir hatten auch ohne die Fenster des Himmels und die Brunnen der Tiefe eine Sündfluth, die wohl Millionen Menschen das Leben gekostet haben mag. Daß die Arche (von welcher alle Traditionen wie von der Sündfluth selbst sprechen) in diesem speciellen Falle auf dem Ararat stehen blieb und nicht auf Malta, oder Candia, was viel natürlicher gewesen wäre — das liegt wohl darin, daß der Mensch das Wunderbare liebt und nicht zufrieden mit den wirk lichen schrecklichen Ereignissen, sich noch eingebildete hinzudenkt, und die