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Loimtao. IS. Juni 1927 Dresdner IlochriMea Nr. r»s Leite g Berltarr Allerlei. Stele geht «uf Url««b — Herrschaft AN» Gestade — Da» ers»art« Dienstmädchen — Stürze i« Schizeepalaft — Da» «e»e Wellenbad — Die RekordlLaserin über Hürden — Wa» bei Hose nicht getanzt »nrde. In der Küche wird herzbrechend geschluchzt. Da steht die Lucte, unsere Perle, in ihrem Sonntagsstaat. Die Lucte ist die Schwester unserer „vorichten"; wir bleiben am liebsten bei der Familie, da ist doch schon Tradition. Die Lucte soll ihre Tage Sommerurlaub antrcten. zu den Eltern aus den kleinen armen Bauernhof in Schlesien fahren. Sie kommt wie ein WeihnachtSengcl: einer jüngeren Schwester bringt sie ein Kleid mit, dem Bruder einen Selbstbinder, den ganz Kleinen Naschwerk, den Eltern zwei bequeme Korb- stichle für die gute Stube und außerdem eine Büchse Ananas, well sie so etwas Schönes noch nie gegessen hätten. Ihr selbst haben wir noch tüchtig Zehrgeld mttgegeben, damit sie -n Hause nicht umsonst verpflegt zu werden braucht. Der Lucie fehlt auch sonst nichts, sie hat sogar einen kreuzbraven Ltschlergesellen. der sie mal heiraten will. Trotzdem heult e wie ein Schlofchund und kann aus unsere Fragen nach em Grunde kein Wort hcrvorbrtngen. Da sagt unsere alte Putz- und Waschfrau: „Se wcent, weil et hier so schcen iS. un weil se det erstemal wechselst, un se meent, wenn n» bloß de Frau sich »ich überarbeet, wo se doch all so lang krank war." Die gute Seele, wahrhaftig, in uns quillt eS warm empor. Und am nächsten Morgen, während die Lucie schon längst daheim ist, erscheint noch vor Tau und Tag unsere Waschfrau, wird still von unserem kleine» Pflegejungen -eretngclassen und spült schnell und geräuschlos alles Ge schirr. Da sage einer »och, das, cs keine patriarchalischen Zu stände mehr gibt! Dabei haben die beiden, daö alte Fakto tum und das junge Dienstmädchen, schon die letzten Wochen hindurch weit über Pslichtmaß getan und waren abends nur mit Gewalt von ihrer Arbeit zu scheuchen. Unsere große Wohnung blinkt wie ein Mustcrstübchen in Dvrdrccht oder Delft. Am heutigen Donnerstag macht sich die Lucie zu Hause, obwohl es dort in der katholische» Gegend bet Fron leichnam hoch hcrgeht, sicherlich »och Sorgen. Denn am Donnerstag, das weiß sic, da „rumpelt" der Herr am Schreib tisch. wie die Kinder sagen, da darf er nicht gestört werden, und wenn es nun schellt und die alte Putzfrau ist nicht wie der Wind an der Haustür, da macht der Herr wohl selber auf. schrecklich, schrecklich. Und wen» am Sonnabend über acht Tage die Lucie wieder hier ist. wird sic erneut herz brechend schluchzen, aber dann vor Freude. Denn hier hat sie ein Heim. Hier ist sie geborgen. Hier lernt sie was bei einer tüchtigen Hausfrau, bis sie selber eine geworden ist. un- dann wohl als „Frau Mecsterin" in Berlin. Die erste ist es nicht, die von hier aus heiratet. Warum ich das er zähle? So eine reine Privatsachc? Ihr lieben Leute: weil auch diese Privatsache typisch berlinisch ist. Es gibt hier noch viel mehr familiären Zusammenhang zwischen Herrschaft und Gesinde, als der Fernstehende ahnt, denn die guten gebildeten Familien haben immer noch eine Art elterlichen Verant wortungsgefühls. sie sind mehr als bloß Arbeitgeber oder gar Leuteschinder. Darunter leidet durchaus nicht etwa der Respekt. Wenn die Lucie mal einen Apfel bekommt, dankt sic trotz ihrer 23 Jahre mit einem tiefen Knicks. Gelehrt haben wir sie das nicht. Manche werden freilich sagen, so etwas sei doch sehr selten. Gewiß, wie eS überhaupt seltener geworden ist, daß die Art Familien, die ich meine, sich noch et» Dienstmädchen und eine Putzfrau hält. Man sollte einmal die statistische» Ziffern darüber veröffentlichen, wieviele -Hansgehilsinncn es 1927 im Berglcich zu 1914 bei uns noch gibt. Dann wäre man über den angeblichen materiellen „Aufschwung" Tcntsch- lanb» gleich tm Bilde. Für manchen Haushalt bedeutet der Verzicht auf die herkömmliche Hilfe sogar ein «usatmen. Man hat sie haben müssen, schon au» Rücksichten aus die Stellung des Mannes, nun aber sagt man, die Kinder seien aus dem Hause, man sei selber alt und lebe eingezogener. also wisse man nicht recht ein Dienstmädchen zu beschäftigen. Das bedeutet mindestens 100 Mk. Ersparnis im Monat. Da braucht der Mann nicht mehr so abgeschabte Bureauröcke zu tragen, da kan» man sich wieder hin und wieder ein Buch, einen Ausflug, einen Theaterbesuch leisten. Und die Um welt versteht einen heute. Natürlich gibt es trotz allem eine große Schicht von Leuten bei uns. die einen durchaus gepflegten Eindruck machen, nicht nur die Verdienerinnen unter den jungen Mädchen, sondern auch Herren aller Altersstufen, auch ganze Familien mit Haussöhnen und Haustöchtern. Zumeist ist es die Schicht derer, die irgendwie an dem allmählichen Aus verkauf unserer Substanz mitbeteiligt sind, aber auch andere sind darunter, die als Spezialisten auf einem Fachgebiete noch verdienen oder sonstwie sich arrangiert haben. Für die wird die Welt alle Tage schöner, sogar die öldunstverpestete der Großstadt. Denn diese Großstadt schafft raffinierten Er satz für alles das, was hier nicht bodenständig ist. Wir haben jetzt einige Monate hindurch den Schneepalast schätzen lernen, der von Woche zu Woche mehr Skiläufer vereinigte. Kolossal echte Sache. Schon drei Knöchelbrüche in den ersten vier Wochen. Nur muß man Lederhandschuhe tragen, denn wenn man purzelt, schürft man sich sonst die Hände auf den Soda- kristallen ab. Und nach dem Skilauf kann man dann ganz in der Nähe, tm Lunapark, ein erfrischendes Wellenbad nehmen. Das ist seit kurzem „der letzte Schrei" in Berlin. Und man braucht deshalb noch nicht einmal den Rummel über sich ergehen zu lassen, die marokkanischen Feuerschlucker anzusehen, aus dem Radioauto einhcrzusausen, vor den Zerr spiegel» im Lachkabinett den Veitstanz zu kriegen, aus der Wafserrutschbahn zu kreischen, mit teuren kleinen Mädchen auf der Weinterrasse zu soupieren, — nein, es gibt auch einen besonderen Eingang zum Wellenbad von der Bornimer Straße in Halensee her. Eine mächtige Halle, 45 Meter lang, etwa 80 Meter breit. Ein verschiebbares Glasdach, dessen Ocffnung auf kurze Zeit den großen Raum sofort entlüftet. Betrieb von morgens 8 bis nachts 12 Uhr. Das Schwimm becken selbst, dessen Wasser ständig auf 22 Grad Wärme er- halten wird, ist von pudellustigen Leuten belebt. Es ist wie in Westerland auf Sylt: große Wellen rollen heran, regel mäßig, alle drei Sekunden, quer durch die ganze Breite des Beckens, brechen sich am „Strande" im flach ansteigenden Teil, es rauscht und braust und spritzt ganz wie an der See, man wird umgeworfen, hochgehobcn. hinweggeschwemmt, und nach wenigen Minuten fühlt man sich wie neugeboren. Heute früh bin ich da ganz allein geschwommen. ES mar herrlich. Durch Glasdach und Glasfenstcr schien die Sonne. Die ersten Badegäste waren schon weg, waren schon wieder in der Berufsarbeit, die zweite sehr große Serie, die der Nichts tuer vom späteren Vormittag, noch nicht da. Gerade so um il Uhr herum aber lohne es sich, meinte ein Babediener, da könne man ganz Berlin W. bewundern. Ich danke. Wohl aber bin ich auch abends um 8 Uhr dagewesen. Und gerade in die beste Streuung geraten: der Damenschwimmklub Sprcenixe tummelte sich zurzeit. Eine Menge netter junger Dinger, so daß ich schon glaubte, das Unternehmen habe sie als Lockvögel engagiert. Am späten Nachmittag und am Abend baden nämlich die Beschäftigten. ES ist ein ver- gnttgtes, gesundes, sportfrohes, anständiges, ungeniertes Treiben,- auch eine Dame von mindestens 214 Zentnern Lebendgewicht sprudelt im Wasser, und niemand schaut be sonders nach ihr hin oder macht irgendeine Bemerkung über sic. Jedermann gönnt jedermann den Jungbrunnen. Mitten in einer Schar sehniger junger Leute bewegt sich, lehrend und anfeuernd, ein ungemein stämmiger, untersetzter Mensch; ich würde sogar ruhig „ein dicker Mensch" sagen, wenn ich mich bei seiner federnden Beweglichkeit dieser Bezeichnung nicht schämte. Es ist der „Weltspringmeister" Günther, der Athener Otympiadesieger von 1912, der auch tm schnellen Hand-über- Hand-Schwimmen und in der Parterre-Akrobatik die Schlanksten übertrisst. Natürlich lausen an dem Becken auch Galerien für das „Publikum" entlang, das dort an gedeckten Tischen schmausen und znschen kann, denn der Nestaurant- betrieb bringt bei dergleichen doch die Hauptetnnahme. Aber morgens kann man ohne Zuschauer sich in die Wellen stürzen. Badet niemand, so liegt das Wasser ruhig da. Sowie aber auch nur ei» einziger Badegast hincinstcigt, wird hinter der Szene die Maschine in Tätigkeit gesetzt, die mit einer hin- und herschwingenden Niescnschausel von 15 Metern Breite das Wasser bewegt. Eine herrliche Erfindung. Ich weiß nicht, ob irgendeine andere Weltstadt so etwas aufweis^ Wenn ja, dann sicher nicht so groß, so gediegen, so sauber. Auch Nichtschwimmer, die ganz tm Flachen bleiben, könne, froh sein. Sie strampeln am Tau oder sie legen sich in die Brandung und neue Lebenskraft überschäumt sie. Es ist erfreulich, mit welcher Selbstverständlichkeit auch alleinstehende Damen aller Jahrgänge das Wellenbad aus suchen. Es ist nichts Schwüles dabei. Das findet sich nur in den Badenummer» der Witzblätter. Dagegen hier Frische, köstliche Frische. Ausländer bemerken schon seit Jahren er staunt, daß ein ganz neues weibliches Geschlecht bei unk hcranwachse. Unsere jungen Mädchen wollen nicht mehr Gattungsbegriff sein, sondern Persönlichkeit. Wenn einem straffen Geiste ein weichlicher Körper den Dienst versagt, ist es keine durchgcbildcte Gesamtpersönlichkcit. Also treibe» wir Sport. Der dadurch gezüchtete Amazonentyp entspricht allerdings nur selten den bisherigen Schönheitsbegrissen. Auf dem Franensportsest des vorigen Sonntags, an dem zum ersten Male ausschließlich nur Frauen beteiligt waren, sind drei neue Weltrekorde ausgestellt worden, darunter zwei von deutschen Sportlerinnen. Wenn ich da so etwa das Fräu. lein Eva v. Bredvw mir ansehe, eine 22 jährige „berufs. tätige" Dame, die heute, ivo Grafen Droschkenautos steuern, als Stenotypistin sich ihr Brot verdient, dieses Fräulein v. Brcdow, das im Endlauf vor der Engländerin, Französin und Tschechin in Weltrekordzeit über die Hürden springt, kann ich mir wohl vorstcllcn, daß sie eine gute Partnerin auf der Elcfantenjagd in Ostafrika wäre. Ihre Muskel« sind Bänder von Stahl. Nur. wo findet sich immer ein König Gilnther, der solche Brunhild — heiraten möchte? Freilich gibt es unter den Sportlerinnen — die Bredow gehört selbst dazu — nicht wenige, die „in Zivil" es vergessen lasten, was ihre Stärke ist, und dann genau so aussehen, wie irgendeine andere Dame der Gesellschaft, auch den Freuden der man. dänen Zeitgenossen nicht abhold sind, auf dem Tanzparkett geschmeidig und sogar elegant wirken. Auch das Tanzen ist ja schon längst fast nur noch Be wegungsübung, Ersatz des Großstädters für das ihm ver sagte Hcrnmlaufc» im Freien. Wäre es nicht so, so könnten die Schlcnkertänze sich doch nicht halten. An fürstlichen Höfen waren und sind sie natürlich verpönt. Da durfte man auch früher am Hergebrachten nicht rütteln, denn irgendein könig licher Spiegelsaal „ist doch keine Turnhalle". Einmal be suchte eine Abordnung seines preußischen Ulanen-Regiments de» König von Sachsen und wurde zum großen Kammerball eingeladen. Tie jüngeren Herren schwenkten fleißig das Tanzbein. DaS klopfte einer der Dresdner Würdenträger einem von den Leutnants auf die Schulter und sagte ihm: „Verzeihen Sic, Herr Graf, aber Walzer linkSrum tanzen, das darf man bei -Hose nicht, das ist nicht anständig!" Rumpelstilzchen. ?ünkt1ie1ie8 Kr8elieLnen ELQLK ck°r 4.di?eQX2I>'. l,Id4O1'VkL, ä«r cias Lortiereo uack Xblegea cker 4 dlatrireo« Zorteo, also 8 Lckrikteo, voll kommen automatisch besorgt Vier>dlagarin-l.inotvpo. diociell lv. der Ore8dner ^Vaebriebten i8t obne Z^veikel ein Orkolg der Organi8ation de8 teebni8eben Betrieben In letzter Mnute eintrekkende vviebtige Naeb- riebten können nur von der Zeitung gebraebt werden, der inodern8te Na8ebinen ?ur Verfügung 8teben. In allererster Oinie muß liier die in 70 000 Oxeniplaren in allen Kulturländern der ganren V^elt verbreitete genannt werden, init der die Dresdner Naebriebten g68etrit werden. Die irn .labre 1900 aukg68te11te OI^XO^VOO älterer Kon8truktion arbeitet rroo/r /reute nut derselben Zuverlässigkeit wie die 8päter aulg68te11t6n neun Ooppel-Nagarin-OINOHOOZ - der beste Lewer« kür den über ragenden Oebraueli8wert und die Ltabilität aller IdNOHkL-ÜVIodelle. 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