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Tudlvrg van Beethoven Aura 100. Todestage (26. HNärz 1927) Veelhoven und wir. s Von Prüf. Dr. Eugen Schmitz. Beethoven und wir — das klingt sehr stolz und kühn! Aber es ist nun schon einmal so: wen» der Schlag der Zeiten uhr uns durch ein irgendwie symmetrisches Zahlcnverhült- nis an einen einst gewesene» Groben gemahnt, fühlen wir uns schlennigst gedrängt, jenem verewigten Ich unser kleines zeitliches vergleichend, abwägend gcgenüberznstctte». Da sich nun am 2U. März 1027 der Todestag Beethovens z»m hundert sten Male jährt, kann die Stellung der nachdenklichen Frage „Beethoven und wir" nicht wohl nnterbleibcn. Die Antwort, die dabei herauSlommt, ist natürlich mehr für uuö charakte ristisch, als für Beethoven. Beethovens Geltung wird nicht davon berührt, was die Menschlein Anno 1927 von ihm denken. Er ist eine unmestbare ewige Grübe von historischer Geworbenheit, und als solche nnabhängtg von jeder zeitlichen Einschätzung. Der Sinn der Frage kann lediglich der sein: Wieviel vermag eine Zeit — unsere Zeit — von Beethovens Ilnermestlichkeit zu erfassen? Ob es eine Zeit gab, gibt oder jemals geben wird, die Beethoven ganz verstand und ver steht, erscheint zweifelhaft: ebenso, ob eine völlig beethoven- fremde Zeit kommen konnte. Beiden« steht der Universalis mus der Kunst und Persönlichkeit Beethovens entgegen, der einerseits wohl kaum je verstehend erschöpft, aber ebensowenig wohl kaum je in allen seinen Zügen mißverstanden und er kannt werden kann. Irgendeine Fühlung zwischen Beethoven und der Zeit wird immer da sein: aber der Grad, die gröbere oder geringere Bielseitigkcit und Tiefe des Erfassens, kann sich sehr verschieden gestalte». Sieht man nun die Beethoven-Zentenarfeier von 1927 aus ihr änbcrcö Gepräge hin an, so möchte man denken, daß »nser Erfassen Beethovens von enormer Umfänglichkeit und Tiefe sei, dast Beethoven »ns ungeheuer viel bedeuten müsse. Denn an Betriebsamkeit lässt unsere Beethovenfeicr füglich nichts zu wünschen übrig. Bom kleinen Landstädtchen bis znr Reichshanptstadt durchzieht Bcethvvcnweihrauch bas liebe, deutsche Vaterland. Man feiert den Meister in Parts und Moskau, in Nord- und Südamerika, bet den Faschisten und bei den Sowjets. Man feiert ihn in Schulen und in der Presse, bei den Behörde» und in den Parlamenten. Operetten- und Schanspielbnhnen machen de» zuständigen Konzert- und Operninstitutcn Konkurrenz mit Becthvvenabenden, und die Beethovenliteratnr schwelgt in Orgien entfesselter Forscher- instinktc, deren Gesichtskreis von Beethovens Weltanschauung bis zu Beethovens Nachtmütze reicht. Beethoven, Beethoven und nochmal Beethoven allüberall. Forscht man aber schließlich, von solcher Ucbcrfülle schier bedrückt, nach dein geistigen Hintergrund der ganzen Bewegung, so folgt die große Er nüchterung. Eine nnschcinbarc Zeitungsnotiz, die nnö dieser Tage unter die Hand kam, gibt die unbeabsichtigte Antwort auf die Frage, wie diese ganze nervös angestrengte Kund gebung von Bcethvvenpietät letztlich zn erklären sei. Da war zu lesen: „Den Rekord ini Bccthovenfeiern wird die Stadt L schlagen, die an einem Tage nicht weniger als 38 Ver anstaltungen usiv. usw." Ter Ausdruck „Rekord" ist nicht eine augenblickliche Geschmacksverirrung des bctresfendcn Journalisten gewesen, sondern eine unbewusste Eingebung, die den Nagel auf den Kopf trifft. Die Ausmaße unserer Beethovenseicrn haben mit wirklichem Verständnis für den Meister wenig zu tun. Sie sind einfach ein Ausfluß des Spvrtsgeistes unserer Zeit, der Höchstleistungen, „Rekord?" ans allen Gebieten gewohnheitsmäßig erstrebt. Vorgestern im Kanalschwimmcn, gestern im Boxen und heute nun eben im Beethovenseicrn. So besteht also aller Grund, dem offiziösen Bccthoven- rausch dieser Tage mit einiger Skepsis zu begegnen. Gelinde ansgedrückt: er ist zum mindesten kein Beweis für ticseS Becthovenverständnis unserer Zeit. Immerhin darf man aber doch auch nicht so weit gehen, ihn nur als Kultnrhcuchelei zn nehmen. Jenseits aller sportsgemäßen Uebcrhitzung be sitzt er ziveifcllos auch seine lauteren Quellen. Eine solche ist vor allem die echte Ehrfurcht vor der Größe der Persönlich keit. Diese Ehrfurcht fehlt innerem Zeitempfinden nicht. Viel leicht gerade, weil heute wirklich große Persönlichkeiten rar sind, ist aus einer gewissen Sehnsucht heraus der Sinn für die historische PcrsönlichkeitSgröße lebendig. Sv wird Beethoven teils wissend, teils wenigstens ahnend ersaßt »nd verehrend verstanden als ein gewaltiger Sieger in Leben und Kunst, als ein Held, der dem Schicksal in den Rachen griff und Kraft z» seinem Moralgcsctz machte, als elementarer LebenSbejahcr, der die Parole „Durch Nacht znm Licht" strah lendes Leitmotiv seines Schaffens werden ließ, als ein Na poleon der Tonkunst, der sich dem Weltervbcrer als geistiger Machtsaktor kühn au die Seite setze» konnte. In diesem Sinne ist Beethovens Bild als das eines Nationalhcroö lebendig, und das ist letztlich der Grund, der den Gedenktag des großen Musikers zu einer über Künstlerkrcise hinauS- greisenden Angelegenheit des Allgcnieinempsindens gemacht hat. Mögen auch Unklarheiten mit im Spiele sein: hier schlügt sich doch eine Brücke des Verstehens zwischen Beethoven und nnS. Aber sobald wir versuchen, Beethoven als historische Er scheinung in ihren einzelnen Seiten auf die Gegenwart zu beziehen, zeigt sich sofort, daß uns zn wesentlichen Momenten seines Seins nnd Wirkens die Berührungspunkte fehle». Vor allem znr allgemein geistigen nnd kulturgeschichtlichen Bedeu tung seiner Knnst. Beethovens erste unbedingte Betonung des freien künstlerischen Subjektivismus, der sich von aller Gebundenheit durch eine gegebene Weltanschauung löst und rein ans sich selbst stellt <— während etwa selbst Mozart »och ganz bedingter Rokoko»,cnsch war —ferner sein Prvphctcn- tnm aller HnmanitätSidealc, wie Freiheit, Brüderlichkeit, Freundschaft, oder sein glühender Tyrannenhaß: alle diese Gedanken und Stimmungen, die die Seele seiner Töne ans- macheu, bedeuten für uns wenig oder nichts. Weil sic, die einst gewaltige Knltnrfaktorcn waren, hexte zn Gcmein- plätzen einer seichten Zivilisation wurden. Dadurch ist nnö die ganze geistige idealistische Becthvvcnauffassnug der Ro mantik, die i» Richard Wagners Bccthvvcv-Ercdv ihre letzte und höchste Verklärung fand, entfremdet. Beethovens Kunst als solche, das heißt losgelöst vom Zauber seiner heroischen Gesamtpcrsönlichkcit, spricht zu nnö angcublicklich darum nur durch absolut rein musikalische Werte. Kcnuzcichncnd dafür ist die Neigung der jüngsten fachmännischen Bccthvvcnlitera- tnr znr technisch-musikalischen stilkritischcn Analyse. Wenn Beethoven selbst gelegentlich davon sprach, daß in seinen Kla- viersvnatcn eine Fülle poetischer Vorstellungen stecke, und sogar mit dem Gedanken umging, diese irgendwie mit Worten zn fixiere», so kümmert den heutigen Beethovcnfvrschcr baö wenig. Der sinnt nicht poetischen Vorstellungen nach, sondern zählt die Takte, mißt den Perivdcnbau nnd sucht durch mathe- matischc Techniken die WerbungSkrast Becthvvcnscher Musik zn bestimme». Ganz ähnlich verhält sich beim praktischen Musiziere» der Becthovcndirigcnt heutiger Generation. Die titanenhastc Größe, der chaotische Schwung und Ueberschwang, mit denen noch ein Nikisch und Mottl Beethovens Sinfonik zu erfassen liebte», sind verschwunden: dafür herrscht das Ideal des Nussuchens einer klassischen Linie bei Beethoven und des in Kleinkunst s— wohl auch -künstelet —) brillierenden „NuS- lcgenS" seiner thematischen Arbeit. Selbst dieser unserer rein musikalische» Erfassung Beethovens sind jedoch noch Grenzen gezogen. Daß ausgesprochen zweitklassige Werke, die bei Beethoven so wenig wie bei sonst einem Großen fehle», verblaßt sind, daß wir den „Christus am Oelberg" nicht so liebe», wie de» „Fideliv", die Zwischenaktsmusiken des „Egmont" nicht so wie die Ouver türe, hat zwar nichts zu sagen. Das ist naturgemäße, historische Auslese. Aber daß auch der vollwertige Beethoven einer gewissen Auswahl unterliegt, ist noch kennzeichnend für unser zeitbedingtes Becthvvcnverständnis. Diese Auswahl kommt tu der volkstümlichen Beethvvcnpflege vielleicht gar nicht so sehr zur Geltung. Da hält man sich nach wie vor an die neun Sinfonie» und die eine Oper, an die große Messe und an den ganzen Schatz von Sonaten, Streichquartetten sowie sonstiger Kammermusik ohne viel Kopfzerbrechen. Indessen, die Geltung eines Komponisten für eine Zeit bekundet sich Beethoven -Büste von Älex. Höfer-Dresden, die heute bot der Ausführung der 9. Sinfonie im Dresdner Opernhaus auf dem Podium sieht. nicht nur darin, wie er aufs „Volk" wirkt, sondern auch in dem, ivas die „Meister der Zunft", denen die praktische Pflege des Erbes anvertraut ist, von ihm als Anregung und Vor bild annchmcn. Da erscheint kennzeichnend die bekannte Anekdote — sie soll sogar wahr sein —, daß ein leiblich be rühmter junger Neutöner die volkstümliche naiv melodische „Frühlingssvnate" von Beethoven für „Mist" erklärt habe, dagegen die letzten Quartette des Meisters in seinem eigenen Schassen sich zum unverkennbaren Vorbild genommen hat. Die Mehrzahl der heutigen jungen Mnsikergcneration denkt und handelt ähnlich, wenigstens der Sache nach, wenn auch nicht mit so grober Verletzung der Pietät und des historischen Tistanzgcfühls. Für das jüngste Musikschaffen jedenfalls kommt der volkstümlich klassische Beethoven kaum als An reger in Betracht, sehr dagegen der problematische „letzte Beethoven" deö Streichquartetts nnd der Klaviersvnate. Für diesen hat zwar auch die vergangene Romantik schon sehr ge schwärmt, aber ans einem anderen Grnnde: sie hielt sich an die durchgeistigte Mystik dieser Knnst, während die heutige Mnsikcrgencration auch hier die absolut musikalischen, stilisti schen nnd technischen Probleme zn erfassen nnd wciterzn- bilden sucht. Sic sieht nnd sucht in diesen Werken eigentlich gar keinen Beethoven, sondern einen verkappten, erneuerten Bach, das heißt de» Meister, der eigentlich das SehnsnchtS- ziel des schaffenden Musikers von heilte ist und inr Augen blick viel stärker als Beethoven das zünftige Musikcmpsinden beherrscht. Warum, ob mit Recht nnd ans Grnnd wirklichen Verstehens — das sind Fragen, die hier außer Betracht bleiben können. Aber die Tatsache, daß unsere jungen Komponisten ganz offenkundig über den klassischen Stil hinweg auf die Formenivclt des Bach-ZeitalterS zurückgrciscn nnd znm Bei spiel das durch die klassische Sinfonie seinerzeit verdrängte Concerto grosso wieder z» ihrer Lieblingssorm erklärt haben, darf unter den becthvvcnsrcmde» Zügen unserer Zeit nicht übersehen werden. Im übrigen und schließlich: die Gegenwart ist schnell lebig. Alles ist mehr denn je ini Flusse, und so wird auch daS — positive oder negative — Beethoven-Ideal von heute in Bälde sich wieder wandeln. Und zwar, wie inan sicher an nehme» darf, nach Richtung der verlassene» Romantik zu. Den» diese bedeutet geistige Vertiefung, und solche setzt sich im Wechsel der Zeiten doch immer wieder siegreich durch. Im übrigen hat alles seine zwei Seite». Vielleicht war die roman tische Beethoven-Auffassung manchmal z» wirklichkcitöcnt- rückt nnd ranschhast, so daß die augenblickliche „neue Sach lichkeit" als Reaktion notwendig wurde. Aber Dnrchgangs- crschciniing wird nnd darf sic nur bleiben: eS stünde schlecht um die universelle Auswirkung von Beethovens Genius, wenn die Beethoven-Gesinnung des Zentenarjahrcö 1927 Dancraeltung gewänne. Wie Veelhoven war. Von Rudolf HanS Bartsch. Nicht das leichtfertigste der Völker, sonder» daS tiefste ist eS, welches glaubt, daß die Götter immer wieder, heute wie ehedem, in menschliche Körper cinkehrcn. all deren Sünde» und Schwächen »litlragcn müsse», nnd sich dann, befreit und entsühnt, wieder in ihr nncrsorschlichcS Reich znrückschwingcn. Der Inder erkennt an gewissen Zeichen auch heute »och de», in welchem ei» Gott wandelt. ES ist merkwürdig, daß auch bei nnS Tausende von klugen und skeptischen Menschen bei Beethoven, ähnlich wie bei Michel angelo. das Gefühl haben und sich nicht scheuen eS ans- znsprcchcn: „Hier war mehr als ein Mensch!" Ein Lebe» voll allzu menschlicher Schwächen, voll lächer licher Anhüngscll ES gibt ein wunderbarcs Gedicht von Lissaucr. daS mit lakonischer Prägnanz ans dem Munde einer Wiener Hausmcisterin Beethoven so umreißt. wie er dem Auge der Wiener erschien „Was soll man gegen Ihn machen? Herr Graf hat ihm Wohnung erlaubt. Verrückter Musikant ans Niederland. Tanb, schreit viel. Nichts anzusangc» mit ihm." Sohn eines Säufers. Im ständigen, erfolgreichen Kampf gegen das heillose Erbteil, obwohl er den Wein durchaus nie gemieden, sondern ihm in herzhafter Weise zugesprochcn hat. Aber man hat Beethoven oft heftig gesehen, nie betrunken. Er, von Natur zu nngehcnrcr Einsamkeit gebildet, sehnt sich »ach der wahrlich geistig nicht kostspieligen Wiener Ge selligkeit. Er geht tanzen »nd wird dabei, trotz allem Respekt, ängstlich von den schönen Frauen gemieden. Er hopst wie ein Bär. und nachdem seine Schwerhörigkeit zugenvmmen hat, kann er den Takt nicht mehr cinhalten. Eine erfüllte Liebe hat er nicht gekannt: auch die paar Briese an die „unsterbliche Geliebte" lassen noch sehr viel weniger Er füllung erraten, als Goethe bei Frau von Stein genossen. Feinfühlige Frauen verehren ihn: seine Schlasstatt blieb verödet. Dabei war dieser „Ucbcrmensch" unsagbar gütig! Er mußte lieben. So warf er seine Liebe auf den hysterischen Neffen Karl, für den er, trotz Undank und ewig wechselnder Laune -es beinahe nnerzichbaren Burschen, cintriti auch dort, wo vielleicht der Lehrer recht haben mochte. Noch entsinne ich mich, in der Originalhandschrift eines noch »ngcdrnckten Brieses die wachsende Wut gesehen zn haben, in die Beethoven sich selber hineinschrieb. Immer größer werden die Buchstaben, immer höher gezerrt und schräger werdend, biö sic in ganz ungeheuerlich großen Zügen in die Worte auöbricht: „Dieser Esel, dieser Pscrdccrzichcr —" Beethoven ist unbändig. Man hat seinen „Fidelio" nicht genügend gewürdigt,- schreiend begehrt er vom gräflichen In tendanten seine Partitur zurück — und niemand mehr be kommt sie wieder, bis in seine alten Tage. Dem Marschall und Konsul Vonaparte hat er seine „Eroica." gewidmet. So bald er erfährt, daß der sich zum Kaiser krönen läßt, reißt der Demokrat die Widmung herunter. „Auch er ist nichts, als ein gewöhnlicher Mensch!" Ueberkommt ihn die Schaffenswut, so brummt und heult er in -den Sturm seiner Melodien so ungeheuerlich hinein, -atz etwa ein Ochsengespann scheu wird und mit dem schimpfenden Bauern, der dem Teufel begegnet zn sein glaubt, querfeldein durchgeht. Dann ist er einmal In jüngeren Tagen in eine Dirne verliebt, die er alle Tage auf ihrem Misthaufen bewundert, und die dazu noch Flohberger heißt. Ihr Vater säuft und rauft, sitzt mehr -m Gcmcindekottcr von Hciligenstadt als im Hause. Beethoven rennt auf die Kanzlei, den Vater des Mäd chens zu befreien, aber man lacht ihn nur ans. Beinahe wird er auch eingesteckt — so unparlamentarisch benimmt er sich gegen die Dorfgewaltigen. Jedes Wort, das er sagt, ist wie ein Fels! Beim „Frei schütz", den er in Wien hörte: „Der Kaspar! Das ist ein Kerl! Steht da wie ein Haus! Wo der Teufel die Tatze ransstrcckt, ist's dem Mandl, dem Weber, nicht zuzntrancn!" Weber sragt ihn dann, wie ihm sein „Freischütz" gefallen habe. „Schreiben Sie nie mehr eine Oper!" brummt ihn Beethoven grob an. „Warum nicht? Gefällt sie Ihnen nicht?" — „Viel zu gut! Aber so was bringen Sie nie mehr zustande!" Und Beethoven behielt erstaunlich recht. Dem Goethe wäscht er in einem recht unhöflichen Briefe den Kopf: Bettina von Arnim erzählt die Geschichte, die diesem Briefe vorausgegangcn. Goethe hatte dem Kaiser Franz und seiner Tochter in Tcplitz eine gar zn devote Verbeugung ge macht, während Beethoven ganz laut auöricf: „Was?! Die sollen uns zuerst grüßen!" Und Hut auf dem Kopfe rannte er durch die ganze erlauchte Gesellschaft mitten hindurch. Der wußte, wer er war! Den Männern gegenüber wußte er eS. Den Frauen gegenüber war er ein Kind. Und dem Leben gegenüber noch wehrloser. Er, der gewaltige Geist, den Elementen viel näher als den Menschen, erschöpft und zersplittert sein ganzes Leben mit Dicnstbotcngcschichtcn, Zank gegen Vermieter und bestän digen Kündigungen mit Wohnungswechsel. Wenn man an jedes Hanö in Wien, in dem Beethoven wohnte, eine Marmor tafel anbringcn wollte, dann müßte ein „Hvfstcinmctz" seinen ganzen Vorrat abgcbcn. Er verliebt sich schnell, wo ihm ein junges Mädchen, eine Frau Verehrung cntgcgcnbringt, die er immer gleich für Liebe hält. Aber tapfer unterdrückt er jede Enttäuschung. Dann rennt er in die Natur hinaus. Und die heilt ihn. Von Wien kann er nicht fort. Nicht wegen der Pension, die ihm der Erz herzog Rudolf gibt, sondern wegen der Umgcbnng und weil man von den Basteien frei über die weit draußen liegenden Vorstädte hinübcrsehen kann bis znm weißen Alpcnkamm dcS fernen Sclmceberges nnd der steierischen Grenze, die über die Rix hinanSlänft. DaS muß er haben. Alle Tage, am liebsten beim teufelS- tollen Wiener Sturmwcttcr, rennt er einmal, zweimal, ja dreimal rund »m die ganze Stadt. Beethoven ist verfemt, vereinsamt. Und er kann so herz lich, so licbesbedürftig, so fröhlich, so respektvoll vor anderem Können sogar sein. Sein Humor wird, wo er auftant, gutgelaunt wie der eines Tanzbären. Grillparzer kommt in Gesellschaft zu ihm. Da bringt er Flaschenwein und setzt jedem mit einem gut mütigen KlapS eine ganze Bvnteillc auf den Ti"'. Grill parzern aber zweie: mit einem Hieb auf die Achsel. „Zwei verdient er!" Immer kennt nnd nennt man den Titanen. Daß Beet hoven entzückend humorvoll bis znm Uebcrmnt sein konnte, mag niemand recht cinsehe»! Welche Fröhlichkeit allein im Schlußsätze seines Violinkonzertes mit Orchester! Oder gar seine Variationen ans das Brcttllied vom Schneider Kakadn, de» er in irgendeinem Vorstadtthcatcr angesehen. All dies so menschlich! Nun aber komme ich zu einem Zug seines Wesens, der mir beim bloßen Seingcdcnken ein ehrfürchtiges Granen durch alle Nerven sendet. Beethovens Natnrverbnndcnhcit... Immer sucht er seinen Gott, den er in der Kirche nie zn finden wußte, »nd ans dem Umwege über den Menschen erst recht nicht: Da wahrlich erst recht nicht! Dafür hat ihm der Geist, dessen Teil er war, nnd zn dem er znrücksnchtc, sei» Lebelang einen Urdrang von so wilder Gewalt nach freier Natur gegeben, nach allen Himmclöcrscheinnnge», nach Wald nnd Wolke nnd Höhcnfrcihcit, neben dem selbst das über schwengliche Gefühl des jungen Goethe, wie er eS Werthcrn verliehen, ein Rokvkvspiel erscheint, und neben dem kanm der gewaltige Monolog Faustcnö „crhnb'ncr Geist, dn gabst mir alles, alles", zu bestehen vermag. Dort draußen auf den Höhen des Wiener Waldes, an den Bächen von Hciligcustadt nnd Baden, sucht er sich einen abgelegenen Platz oder, wie im Hclcntal, eine» Felsen ans, nnd es ist eine merkwürdige Felöprcdigt gerade von der letztgenannten Stelle überliefert, die er ein paar Freunden hielt. „Hier bin ich frei! Kein von Menschen gebautes Drcck- dach hemmt mich hier am Betrachten der Gottheit, nnd der Himmel selber ist mein sublimes Zelt!" Wer nur eine der bekanntesten Kompositionen dieses Mannes kennt, etwa den Chor „Die Himmel rühmen deö Ewigen Ehre", der weiß, daß hier ein Geist wunderbar krei-