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3638 Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. 68. 24. März 1910. von einem Buchhändler eine Gefälligkeit hätte erzeigen lassen, um 3 Thaler zu ersparen, und ob die gnädige Comtessin, seine Groß mutter, auch um diese Ersparung ein Buch unaufgeschnitten verschlang, d. h. in der unbequemsten Lage, wie ein Bettler, der zwischen dem Hausthor den geschenkten Bissen hinunterschluckt, ohne viel nach Comfort zu fragen." Daß dieses nicht das einzige Beispiel in dieser Art ist, kann man in jeder Buchhandlung erfragen. »Durch diesen hiermit nachgewiesenen, zunehmenden Absatz mangel sieht das Buchhändlergeschäft den traurigsten Zeiten entgegen, ja der Jammer ist bereits zu einer großen Höhe gestiegen, die noch bekannter sein würde, suchte nicht Einer dem Andern seine Noth und Sorge zu verbergen. Allein hier reicht es nicht aus, wenn wir gute Miene zum bösen Spiel machen, denn wir können es uns gar nicht mehr verhehlen, daß die Novitäten, selbst wenn sie ä. 6onä. verlangt waren, zurückkommen wie sie versendet waren, — daß Fälle Vorkommen, wo auf 200 Thaler ordinair Transport Zahlungen von eiroa 10 Thaler und darunter saldiren, daß es nichts seltenes ist, wenn Verleger, statt Saldi einzustreichen, solche in gar nichts verschwinden sehen, ja sogar noch für Jnsertionsgebühren herauszahlen müssen. »Diese Zustände sind um so bedenklicher, da man nicht wahrnimmt, daß sie abschrecken. Im Gegentheil mehren sich die neuen Erscheinungen mit jedem Jahre, wovon jeder Meß-Catalog den Beweis liefert, um so bedenklicher, als die Kauflust zu Büchern mit jedem Jahre abnimmt. Sie hat den höchsten Grad erreicht und geht so weit, daß, wie ich kürzlich selbst erlebt habe, sogar von ganz neuen und vortrefflichen Localschriften, die nur allein für den Ort selbst geschrieben waren und nach allen menschl. Berechnungen für sehr viele Bewohner desselben das allergrößte Interesse haben mußten, Anzeigen in der alleinigen starkgelesenen Ortszeitung nicht die Folge batten, daß auch nur ein einziges Exemplar davon wäre verlangt worden. »Und statt daß wir die Federn aller Journalisten, auf die wir Einfluß haben, in Bewegung setzen sollten, das Publicum auf seine unglaubliche Literaturtaubheit aufmerksam zu machen, ihm solche als ein wahres Zeitgebrechen vorzuwerfen, an sein Ehr gefühl zu appelliren, das; es bei solcher Indifferenz nicht mehr verdiene, noch eine Literatur zu haben, statt solches auf die trau rigen Folgen, die hieraus für Wissenschaft, Bildung und Intelli genz endlich hervorgehen müssen, zu verweisen, statt daß wir mit allen Hebeln dahin wirken sollten, den Sinn für Literatur, wie er jetzt noch in Oesterreich am wenigsten im Verfall ist, wieder zum Modegeschmack zu erheben, was uns vielleicht im Ganzen eben so gut glücken könnte, als es im Einzelnen z. B. bei den Zweigroschenausgaben, bei den illustrirten Werken, bei den famosen Geheimnissen vieler großen Städte, bei den Conversationslexicis u. andern nur durch die Buchhändler in Gang und Aufnahme ge brachten Modeartikeln geglückt ist, suchen wir den Grund dieser noch gar nicht so dagewesenen Gleichgültigkeit gegen die Literatur in ihr und in dem Buchhandel selbst, ja wir klagen uus selbst öffentlich an, und bestärken das Publicum in dieser uns so nachtheiligen Stimmung, indem wir ihm selbst weiß machen, die Schrift stellerei sei tief wie noch nie gesunken und verdiene nicht mehr seine Aufmerksamkeit, eine Behauptung, die bei vielen dermaligen Machwerken, wie sie aber zu allen Zeiten mit untergelaufen sind, angewandt sein mag, im Allgemeinen aber doch von der Gesammt- heit der heutigen Literatur, die in so vieler Hinsicht auf den Schultern der Vorläufer steht, nicht durchweg gelten kann. »Geht das so fort, so wird der jetzt schon so große Verfall des Buchhandels noch nicht seinen Gipfel erreicht haben: er wird noch zunehmen, und es entsteht die Frage, wohin das zuletzt führen soll? wohin in einer Zeit, wo sich die Zahl der buchhändlerischen Etablissements in jedem Monat um einige vermehrt, so daß Bei spiele vorhanden sind, daß in Städten von 8000 Einwohnern 4 Sortimentsbuchhandlungen existirenü Der Vortragende wirft nun die Frage auf: Wie wird der Buchhandel betrieben und wie sollte er betrieben werden? Er gibt sachdienliche Fingerzeige zu erhöhter Auf- *) Die aber zum Theil merkwürdigerweise, jeder einzeln — mehr Absatz bewirken, als Andere, die in Städten von 10 bis 16 000 E. monopolisirt und die einzigen sind. merksamkeit bei der Ansichtsversendung, zur Achtung auf wissen schaftliche Sondergebiete, Neigungen und Liebhabereien der Kunden, zur Anlegung und unablässigen Nachtragung von Kunden listen, zur Ausdehnung der Kundschaft über den Kreis der Ge lehrten und sogenannten Gebildeten hinaus auf Handwerker, Fachmänner, Techniker und Praktiker jeder Betätigung, usw., zur sorgfältigsten Führung der Kontinuationslisten, zur Herumsendung von Subskriptionslisten, zum Kolportagebetrieb, zur Wirkung durch gute Schaufensterauslagen, zur eifrigen Prospektversendung, zu brieflichen Offerten, zu persönlichen Besuchen des Handlungs inhabers bei einflußreichen Persönlichkeiten seines Wirkungskreises und zu anderem mehr. Bernhard Friedrich Voigt schließt seinen Vortrag mit einer Reihe von Absatzziffern eigener Verlagswerke und daraus gezogener Schlußfolgerung: »Ich schließe, indem ich eine Ueberzeugung ausspreche, mit der ich mich Vielen mißfällig, ja Einigen sogar lächerlich machen werde. Diese Ueberzeugung besteht darin, daß in Deutschland wenigstens zwanzigmal mehr Bücher abgesetzt werden könnten, als geschieht, wenn Jeder sein Geschäft mit dem Eifer, in der Ausdehnung, mit der Aufmerksamkeit und der Kundenkenntnis betriebe, mit der es betrieben werden könnte. Diese Ueberzeugung gründet sich namentlich auf lange Erfahrung und auf die mir effectiv vorliegenden einzelnen Absatzbeispiele. Ich bin genöthigt, um die Wahrheit derselben geltend zu machen, Thatsachen anzuführeu. So z. B. sind vom v. Biedenfeldschen Conversationslexicon, nicht etwa durch Reisende, sondern durch die Bemühungen von theils nicht einmal persönlich mit mir bekannten Einwohnern in folgen den thüringischen Dörfern abgesetzt worden: Gräfentonna von 1100 Einw. 28 Ex. — Udestedt 760 Einw. 10 Ex. Paulinzella 90 Einw. 8 Ex. Bischoffsheim a. d. Rhön, Städtchen mit 1500 Einw., 20 Ex. Neukirchen 142 Einw., 6 Ex Stadl-Ilm, Städt chen 2000 E, 16 E. Ballstedt 640 E-, 6 Ex. Kalten Nordheim 1340 Einw., 6 Ex. Burgau 181 E-, 7 Ex. Von den kleinen thüring. Städten kommen in manche jährl. Hunderte der monograph. techn Journale. Ritter in Zweibr. braucht fest 93 Bauzeitg., 86 Journal f. landw. Fabrikenkunde, 20 Conditorzrg. Holle in Wolfenb. 61 Tischlerzeitg. Klein in Kopenhagen 52 Elegante rc., wogegen es große Hand lungen gibt, die von keinem einzigen dieser 25 technischen Jour nale auch nur eins absetzen. »Durch diese Beispiele ist bewiesen, daß des Absatz blos anf der Thätigkeit Einzelner beruht, und daß, wenn solche den jenigen Grad allgemein erreichte, der zur Subsistenz so erstaun lich vieler Sortimentshandlungen doch in der Thal erforderlich ist, der Buchhandel in Deutschland einen Aufschwung, wie früher nie erleben müßte, statt er sich jetzt in dem bejammerungswürdigen Kleine Mitteilungen. Kunst und Praxis im graphischen Gewerbe. <Vg>. Nr. S7' 63, 66 d. Bl.) — Den vierten und letzten Vortrag der für diesen Monat vorgesehenen Reihe über das Thema »Kunst und Praxis im graphischen Gewerbe« hielt am 18. d. M. auf Anregung der Leipziger Handelskammer und des Deutschen Buchgewerbevereins in der Gutenberghalle des Deutschen Buchgewerbehauses in Leipzig der Museumsdirektor Herr vr. Johannes Schinnerer. Von allen Aufgaben — so legte der Vortragende dar —, die dem Künstler von seiten eines gewerblichen Unternehmens gestellt werden können, ist wohl die Anfertigung eines Plakats die dankbarste, und zwar darum, weil auf diesem interessantesten und künstlerisch wertvollsten Gebiet jenem am meisten Gelegenheit gegeben ist, Eigenes zu bringen. Es ist das Plakat heutzutage eine Spezialität unter den mancherlei Reklameobjekten geworden, die einen ganz be- sonoers gearteten Mann erfordert. — Wenn wir mit offenen Augen durch das buntgestaltete Leben und Treiben der wichtigen Verkehrsadern unserer Großstädte wandern, so haben wir fast in jedem Schaufenster Gelegenheit, Plakate, Packungen und Attrappen aller Art zu betrachten, und können im allgemeinen erfreulicher weise konstatieren, daß in bezug auf den künstlerischen Schmuck aller dieser Dinge ein wesentlicher Fortschritt unverkennbar ist. Besonders hervorgehoben zu werden verdienen die geschmackvollen Brieskussetten der Firma Wertheim, Berlin. Dennoch begegnet