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Zweites Blatt sächsische BoltSzeitunft vom 25. September 1908 Nr. 219 Landarbeiter in Stadt und Land. i. Ucker die Gründe der „Landflucht" ist schon viel ge- schrieben worden. Bis vor nicht allzulanger Zeit noch Über wege» die Stimmen, welche den massenhaften Zug nach der Stadt der „Vergnügungssucht", dem Hang nach Unge- bundenheit und ähnlichen Beweggründen zuschrieben. Diese Meinung ist in der letzten Zeit mehr und mehr in den Hintergrund getreten gegenüber der Ansicht, daß doch zu- meist wirtschaftliche Ursachen bestimmend seien, und daß eine so gewaltige Bewegung, wie die inneren Wande rungen in Deutschland sie darstellen, sich auf bloßer Will kür und rein äußerlichen Motiven doch wohl nicht gut auf bauen kann. Dementsprechend ist mehr und mehr die Frage in den Vordergrund der Erörterungen getreten, ob nicht der große Lohnunterschied in Stadt und Land und die da durch in der Stadt lockende bessere Lebenshaltung der Mag net sei. der die Leute unwiderstehlich in die Städte ziehe. Von vielen wurde diese Frage bejaht, von anderen mit Ent schiedenheit verneint. jedoch stützte sich die Entscheidung meist nur auf allge meine Annahmen oder auf Schlüsse, die auf gelegentlichen Kteobachtungen beruhten. Durch einige wertvolle Unter suchungen beginnt nun auch hier mehr Klarheit in die Sache zu koinmen. Schon 1902 hat Tr. Franz Heiser-Harttung in Thiels Landwirtschaftlichen Jahrbüchern (Bd. 31, S. 697 ff.) eine Untersuchung veröffentlicht, in der er auf Grund genauer zahlenmäßiger Angaben von 200 Arbeitern Lohnvcrhältnisse und Lebensunterhalt in Stadt und Land einein eingehenden Vergleiche unterwarf. Eine ähnliche Untersuchung veröffentlicht nunmehr Dr. Oskar Mnlert in einem Buche: Viernndzwanzig ostprenßische Arbeiter und Arbeiterfamilien. Ein Vergleich ihrer ländlichen und städtischen Lebensverhältnisse. (Jena, Fischer 1908.) Auch die dieser Arbeit zugrunde liegenden Erhebungeil gehen zurück bis ins Jahr 1903. Doch haben sich die Verhältnisse in deii letzten Jahren nicht so sehr verändert, daß die beiden genannten Untersuchungen auch nicht noch heute ihren Wert behielten. Von besonderer Bedeutung werden die beiden Erhebungen dadurch, daß sowohl Heiser-Harttnng als auch Mnlert des leichteren Vergleiches halber ausschließlich mit ihren Erhebungen sich an — mit großer Sorgfalt ausge wählte — Leute wandten, die nunmehr in der Stadt leben, früher aber ans dem Lande gearbeitet hatten. Die Arbeiter Heiser-Harttnngs sind zumeist Berliner und Hamburger, die Angaben Mnlerts stammen von Ar beitern in Königsberg in Ostpreußen. Die auf Arbeiter budgets und ans sonstigen genauen Erhebungen und Er kundigungen — zunächst bei den betreffenden Arbeitern selbst (verbunden vielfach auch mit Rückfragen an deren Arbeitgeber) — anfgebanten Vergleiche zwischen der Lage, in der die betreffenden Arbeiter sich in der Stadt befinden, und der, die ihnen auf dem Lande zuteil gewesen war, sind zwar von den beiden Verfassern nach verschiedener Riethode vorgenommen, treffen aber in ihren hauptsächlichen Resul taten in bemcrkensiverter Weise zusammen. Das Ergebnis der Untersuchungen Heiser-Harttnngs zeigt für die Ver heirateten, daß unter der Voraussetzung, daß die Er- nährung in der Stadt die gleiche geblieben ist wie auf dem Lande, sich alle diese Familien in der Stadt wirtschaftlich schlechter stellen, als das auf dem Lande der Fall war bezw. gewesen wäre. Von den 31 verheirateten Berliner Eisen bahnarbeitern verdienen ganze 1 soviel, daß ihnen einiges Geld für Vergnügungen und andere Bedürfnisse übrig bleibt. Eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage be- ^ deutet das, wie Heiser-Harttung mit Recht bemerkt, noch nicht, denn auch bei den Landarbeitern sind Ueberschüsse öfter vorhanden. Tic übrigen 27 verheirateten Berliner Eisenbahnarbeiter haben nicht so viel verdient, daß sie sich und ihre Familie so gut ernähren können, wie dies vor dem Abzug bei den auf dem Lande bereits Verheirateten der Fall war. Richt einmal das hinznkommende Verdienst der Frau hat eine ausreichende Ernährung ermöglicht. Von den 26 verheirateten Hamburger Arbeitern haben 23 nicht das zur Bestreitung der Existenzbedürfnisse notwendige Geld ver dient, bei einein decken sich ungefähr Einnahmen und Aus gaben, 2 haben noch Geld für andere Bedürfnisse eriibrigt. Bei den Unverheirateten ergeben sich ziemlich große Unterschiede. Von den zur Zeit der Aufnahme noch unver heirateten 10 Berliner Eisenbahnarbeitern leben -1 in be deutend besseren Verhältnissen als ans dem Lande; einer hat, obwohl er unter günstigen Bedingungen arbeitet, seine wirtschaftliche Lage verschlechtert, bei den übrigen ist die wirtschaftliche Lage ungefähr gleich geblieben. Von den übrigen unverheirateten Berliner Arbeitern haben unter 20 15 ihre Lage verschlechtert, bei 10 ist sie annähernd gleich geblieben. Von den 7 unverheirateten Berliner Arbeitern, die sich in Pension begeben haben, hat nur einer seine wirt schaftliche Lage verschlechtert, die übrigen haben sie ver bessert. Wesentlich ungünstiger war die Situation der Hamburger unverheirateten Arbeiter. Jedoch ist hier in Betracht zu ziehen, daß die ungünstigere Lage sehr vieler unverheirateter Arbeiter mit der in jenen: Jahre besonders ungünstigen Gestaltung des Arbeitsmarktes besonders in Hamburg znsammenhängt. Der Prieftermangel in Fr- nkreich k>r»»y rua Veduten., ^ Parts, de. 2 ?cp1cmeer lvOK. Tie Trennung von Kirche und Staat hat dem Katholi zismus äußerst empfindliche materielle Schläge versetzt. Wir erinnern nur an die Streichung des Kulturbudgets (jährlicher Verlust von zirka 39 Millionen) und an die Wegnahme der Kirchengüter (einmaliger Verlust von zirka 600 Millionen). Jetzt taucht aber noch eine andere Frage auf, die allerdings nur teilweise aufs Konto der Trennung gesetzt werden kann und infolge ihrer weit größeren Trag weite die Bischöfe und einflußreichen katholischen Kreise in hohem Maße beschäftigt. Das ist der auffallend große Mangel der Kandidaten fiir den Priesterberuf. Diese Frage hat die unlängst stattgehabten Verhandlungen der „Großen Seininarien" beherrscht. Sie veranlaßt Hirtenbriefe und Weisungen seitens der Bischöfe. Sie stand zur Tages ordnung auf dem Priesterkongrcß in Ebülons-sur-Marne. Sie wurde auf dem neulichen Kongreß der christlichen Er ziehungsanstalten von: Jesuitenpater Delbrcl, einem Spezialisten auf diesen: Gebiete, eingehend untersucht. Tie Zahl der ecclesiastischen Kandidaten ist in den letzten Jahren ganz bedeutend znrückgegangen, in ver- 'chiedenen Diözesen um die Hälfte, in anderen um ein Drittel. Ein ziffernmäßiges Beispiel. In den letzten drei Jahren ist die Zahl der Seminarzöglinge in Albi von 210 auf 80 gesunken, in Elermont-Ferrand von 200 auf 00. in Tours von 00 ans -15 usw. Diese kurze und typische Statistik spricht eine beredte Sprache, die einen Theologie- Professoren zur folgenden pessimistischen Zeichnung der Lage veranlaßt: „Tie Zukunft scheint sehr bittere Aussichten zu er öffnen . . . Mehr und mehr Gemeinden müssen des Seelen hirten entbehren. Man darf auch der Hoffnung keinen Raum geben, daß der Mangel an Ouantität durch eine bessere Onalität ausgeglichen würde ... In dieser neuzeitlichen Erscheinung liegt eine der größten Gefahren, welche die K irche jemals bedroht haben . . ." Tiefes düstere Bild steht keineswegs vereinzctt da. Eine Reihe von Bischöfen, Priestern und Laien hat ähnliche Perspektiven entwickelt. Wie erklärt sich dieser bedenkliche Mangel der .Kandidaten des ecclcsiastischen Berufes? Ver schiedene Gründe werden ins Feld geführt: der obligatorische Militärdienst, die Aufhebung des Kultusbndgets, die In differenz der Bevölkerung in religiösen Dingen, die fort schreitende Entwickelung der atheistischen Staatsschulen auf Kosten der in kirchlichen: Geiste geleiteten freien Schulen, die Unterdrückung der meisten von den Orden geleiteten Internate und Erternate usw. Nach unserer Ansicht hat die Einführung der Militärdienstpflicht neben der Aufhebung des Knltnsbudgets die empfindlichsten Schäden gezeitigt. Wie dem auch sein mag. die führenden Kreise des franzö sischen Katholizismus haben die klaffende Wunde bemerkt und sind nun ernstlich auf der Suche nach dem probaten Heilmittel. Msgr. Tadolle, Bischof von Dijon, empfahl, eine Besprechung des Priesteramtes in den Katechismus anfznnelnnen. Ter Berichterstatter des Seminarkongresses verlieh demselben Gedanken Ausdruck. Der bereits genannte Jesnitenpater Telbrel widmet den: schwierigen Problem eine eingehende Behandlung in einer Broschüre, die unter den: Titel erschien: ,,1'anr rc-panpb-r n<»8 uäminrttr«-«" <llm unsere Seminare wieder zu bevölkern). Er weist darin ans die Predigt, die Beichte, die össentlichen Vortrüge, die Jünglingsvereine, den Einfluß der Geistlichen auf die Familien und Mütter, die Presse und die Bücher hin, welche die Erhabenheit des Priesteramtes kennzeichnen. Er be fürwortet sogar die Nützlichkeit gewisser Gesänge, Bilder und Spielzeuge (kleine Altäre, Kelche nsw.). Fast überall sind von den Bischöfen Vereine gegründet worden «c-ouvres «I,> v,wnt ioim), welche den Zweck verfolgen, den Kindern unbemittelter Eltern die nötigen Geldmittel zur priester- licben Heranbildung zu verschaffen. Ter Bischof von Lu?on empfahl, bei der Wahl der Kandidaten äußerst vorsichtig zu sein, und dabei vor allem auf die natürlichen Herzens- cigenschasten Rücksichten zu nehmen. Ter französische Epi skopat betrachtet es als eine seiner Hauptaufgaben, die den: — 2l6 — lebt. Sie werden gewiß die Freundlichkeit haben, dieselben als Ihre Passa giere anznsehen, und können überzeugt sein, daß keine Rechnung, welche Ihre Rheder Mr. Alfonso Hawke senden mögen, diesem zu hoch erscheinen wird." „Schon gut," antwortete er. „Alfonso Hawke? — Ich glaube, ich kenne den Namen von Sydney her. So sind die Damen Angehörige jenes Herrn? Nun, es freut mich, daß ich ihnen Hilfe bringen konnte." Ter erste Maat trat zu uns, und noch eimal erzählte ich all unsere Er lebnisse. Tie plötzliche Verwandlung unserer Situation erschien mir wie ein Traum. Nach 26 Minuten etwa kamen die beiden Boote längsseit. Die beiden Kranken wurden sorgsam herausgehoben und nach vorn getragen. Die anderen folgten und räumten gemeinsam mit den Leuten des Dampfers die Vorräte an Bord, und als das fertig war, wurden die Boote über die Reeling gehißt und verstaut. In diesen: Augenblick kamen Tante Tamaris und Florencc aus der Kabine. Ich trat zu ihnen, während der Kapitän ans die Brücke ging. Gleich darauf fühlte man unter den Füßen das eigentümliche Zittern der arbeitenden Maschine. Die Brigg kan: uns auf die Seite, als der Dampfer herum schwenkte, und hoch aus den: Wasser ragend, lag sie dort schlingernd — ein verlassenes Schiff — so traurig in ihrer Einsamkeit, daß mich ihr Anblick inehr bewegte, als ich hätte gestehen mögen. Sie hatte uns einem entsetz lichen Schicksal entrissen und erschien nur nur wie ein menschliches Wesen, fähig, Kummer und Schmerz zu empfinden. Jetzt, nachdem sie uns geholfen, stießen wir sie von uns, ließen wir sie allein und hilflos liegen. Ich dachte unwillkürlich: „Das ist ihr Lohn." 44. Kapitel. Was wird M r. Hawke sagen? Tie Heimreise war so ereignislos, daß ich nichts davon zu berichten weiß. Das Schlimmste, was uns widerfuhr, war ein starker Gegenwind, der den: Schiff eine ganze Woche Verzögerung verpachte. So übergehe ich die Stunden, die ich mit Florencc zubrachte, sowie die freundliche und gastliche Aufnahme, die uns an Bord deS „Clanwilliam" zuteil wurde, um sofort auf den 15. März zu kommen. Dies war der Tag, an welchen: der Dampfer GraveSend erreichte, und ich an Land ging. Florence und ihre Tante hatten das Schiff schon in Ply mouth verlassen, weil sie von da bequemer mit der Eisenbahn nach Bristol fahren konnten. Sie waren zwar in mich gedrungen, sie zu begleiten, ich hatte ihnen aber erklärt, daß ich mich durchaus erst in London neu equipiere» müßte, ehe ich mich im Hause meines Onkels sehen lassen könnte. Die Trennung sollte ja nur eine kurze sein — wie Florence und ich hofften, und Tante Damaris versprach — aber was war das für ein herzbrechender Ab schied, als der Augenblick kam, wo beide den Kutter bestiegen, der sie a::8 Land führen solltel Man hätte denken können, es gälte eine Trennung auf Nimmerwiedersehen. Zweimal drehte Tante Damaris am Fallreep um, um mich zu küssen — ja, um mich zu küssen! während mein Herzensliebling — doch nein, davon laßt mich schweigen. - 213 — Tags darauf bestatteten wir den Maat mit den gebräuchlichen Feierlich keiten; als die See den Toten ausgenommen hatte, stand der brave alte Römers noch lange an der Reeling und blickte traurig nach der Stelle, wo die Hängematte verschwunden war. Tie anderen schlichen leise nach vorn und bekamen erst wieder Leben, als ich befahl, die Naaen Vierkant zu brassen und vor den Wind zu gehen. Wieder vergingen drei Tage und noch immer hielt der östliche Wind an, welcher Himmel und See so einhüllte, daß das Schiff manchmal wie ein Ge spenst in: Nebel schwamm. Ich mußte mich entschließen, die Fahrt nach Australien anfzngeben und den Weg der Schiffe aufzusuchen, die nach den: Kap der guten Hoffnung steuerten. Nicht lange, so gratulierte ich mir herzlich ;-n den: Entschluß, denn ich sah, wie die faule „Sarah Jane" jetzt Fersengeld gab. Ihr nunmehr regelrechtes Segeln gab uns allen die gute Laune zurück. Das Schiff glich nicht mehr einer losgerißenen Boje, die der Wind leewärts treibt. Seine hohen Seiten hielten das Teck trocken. Die Leute wurden nicht mehr aus ihrem Logis vom Wasser heransgcschwemmt, welches sich vordem tonnenweise über den Wetterbng ergossen hatte. Selbst die Gesichter der Frauen verrieten mehr Licht und Hoffnung, als Tag um Tag verging, und die alte Brigg, mit ihren ungeschickten, weitgespreizten Schwingen, durch den Schani:: der Wogen watschelte, als ob sie ebenso sehnlichst wie wir wünschten, recht bald zivilisierte Küsten zu erreichen. Der Abend des sechsten Tages, seit der Ostwind eingesetzt hatte, war ge kommen, da minderte sich der Sturm — denn ein solcher — wenigsten? ein halber — war es gewesen, und die See klärte sich. Um Mitternacht ging ich zu Bett, doch die Sorge, was werden sollte, wenn wir jetzt Westwind oder gar Nordwind bekämen, ließ mich keine Ruhe finden. Von Angst gefoltert, warf ich mich unter meiner alten Decke umher, bis ich endlich todmüde ein schlief. Bei Tagesanbruch wurde ich durch den Ton von Stimmen und daS Niederwerfen von Tauen geweckt, und lief sofort auf Deck. Tort traf ich die Wache beschäftigt, die Raaen gegen einen leichten Südwind herumzubrassen. Hinter uns wurde der Himmel rasch Heller, die Atmosphäre war klar wie Glas und eine Dünung kan: aus Süden, deren blaue Hügel von der Brise gekräuselt wurden. „Na," sagte ich zu Somers, der den Befehl hatte, „Gott sei Dank, daß der Wind noch günstig ist. Seit Mitternacht hat sich das Wetter ja wunder bar verändert. Noch immer nichts in Sicht?" Indem ich so sprach, blickte ich nach hinten, wo soeben der Rand der Sonne in Flammenstrahlcn cmporschoß. Der Glanz war so blendend, daß ich meine Augen nach einer anderen Richtung wenden mußte. Auf einmal rief ein Mann, der in meiner Nähe ein Tau anfrollte, atemlos: „Was ist denn das da? Ist das nicht Rauch?" Mit einer Hand die Augen beschattend, starrte er. ohne zu blinzeln, in die Glut und deutete dicht neben die Sonne. Drei andere Leute, die den Ausruf gehört hatten, schrien nun ebenfalls: „Rauch von einen: Dampfer!" und zeigten eifrig darauf hin. Nun erkannte auch ich deutlich eine feine dunkle Linie, die aus dem Licht hcrvorschwebte und nach Norden zog. „Mein GlaSI" befahl ich. Zitternd vor Aufregung nahm ich es in Empfang, und niederknieend richtete ich es auf die Stelle, wo der Rauch endete, und wandte cd dann langsam dahin, wo derselbe aus dem Meere