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Tageblatt M Unterhaltung und Geschäftsverkehr. 125. Donnerstag den 5. Mat 1859. Ersch. tägl. Morg. 7 U. — Inserate die Spaltzeile 5 Pf werden bis Ab. 7 (Sonnt, v. 11—2 U ) angenommen. — Abonn. Vierteljahr 20 Agr. be uncntgeldl. Lieferung in's Haus. Durch die Post. Viertels. 20 Ngr. Einz. Nummern 1 Ngr. Expedition: Johannes»Allee 6 u. WaisenhauSstr. S Pt. Local- und Provmzial-Nachrichtm. Dresden, dm 5. Mai. — Se. M. der König hat dem Münzdruckmeister I. C. F. Richter allhier in Anerkennung seiner mehr als 50jährigen treuen und nützlichen Dienstleistung bei der K. Münzanstalt die zum Verdienstorden gehörige Medaille in Silber verliehen. — Heute, am Sterbetage Sr. M. des Königs Frie drich August I. von Sachsen, finden Vorm. 11 Uhr in der hiesig«» kathol. Hofkirche feierliche Exequien statt. Das zu dieser Todtenfeier componirte Requiem ist von dem verstorbenen Kapellmeister Morlacchi und kommt in der Regel an diesem Lage zur Ausführung. — Heule Morgen 7 Uhr ist das 3. und 4. Batail lon (Brigade Kronprinz) in die Gegend von Meißen aus gerückt. Wahrscheinlich wird am 11. Mai bei Leipzig eine große Heerschau über die sächsischen Truppen abgehalten werden und sollen dieselben dem Vernehmen nach am 14. die Grenze überschreiten. — Die neuen gezogenen Gewehre der Infanterie sollen sich sehr gut bewähren, so daß jetzt das gcsiammte sächsische Heer hinsichtlich seiner tüchtigen Ausrüstung für den Krieg selbst keinen Vergleich mit ir gend einer andern europäischen Armee mehr zu scheuen braucht. — Oesfentliche Gerichtsverhandlungen: Unsere Leser werden sich des Lodesurtheils erinnern, wel ches das K. Bezirksgericht allhier am 3. Januar d. I. über die Dienstmagd Joh. Christ. Bchringer aus Meißen aussprach, welche geständig gewesen war, am Abende des 9. Dec. v. I. ihr 7 Wochen altes Kind von der Marien brücke in die Elbe geworfen zu haben. Es hatte sie da mals zu diesem gräßlichen Verbrechen die äußerste Noth und eine daraus entstandene namenlose Verzweiflung ver anlaßt. Denn ohne jegliche Unterstützung Seiten ihrer ganz armen Verwandten, von aller irgend entbehrlichen Habe bereits entblößt, und in Gefahr, aus dem Asyl, das sie in einer dem Arbeiterstande angehörigen, selbst unbe mittelten Familie zu Friedlichstadt gefunden, ausgewiefen und mit ihrem Kinde sich dem Elend Preis gegeben zu sehen, war ihr am obengenannten Lage auch der letzte Versuch, von ihrem in höchst ärmlichen Verhältnissen be findlichen Verführer, dem Tagelöhner Kind in Wilschdorf, Unterstützung zu erlangen, fehlgeschlagen; ohne einen Pfen nig war sie von dort zurückgekehrt und hatte nun in höch ster Verzweiflung beim Herannahen an die Stadt den Entschluß gefaßt, sich ihres Kindes, das ihrem Fortkom men allerwärtS im Wege stand und für das sie kein Zieh geld aufzubringrn vermochte, auf irgend eine Weise zu ent ledigen. Beim Uebergang über die Marienbrücke hatte sie diese Absicht nach langem Kampfe auch auSgeführt und dasselbe den Fluthen übergeben, aus denen eS schon TagS darauf von dem Fährmeister in Kötzschenbroda entseelt hcrausgezogen wurde. Die Lhat hatte, wie bekannt, ihre Verurtheilung zum Tode zur Folge, und gestern hatte darüber das K. Oberappellationsgericht in zweiter Instanz zu erkennen. Nachdem Herr Oberstaatsanw. v. Schwarze sich der bedauernswerthen Verbreche«» in einem eben so tief durchdachten als von großem Humanitätsgefühl gelei teten Bortrage angenommen und sich darüber geäußert hatte, daß der furchtbare Nothstand der Angeklagten wohl eine verminderte Zurechnungsfähigkeit derselben annehmen lassen dürfe, er daher dem hohen Gerichtshöfe anheim zu geben habe, ob er mit Rücksicht hierauf eine Abänderung des erstinstanzlichen, lediglich auf die Annahme des Mor des aus Vorbedacht gegründeten Erkenntnisses beschließen wolle, führte der Vertheidiger, Herr Adv. Fränzel, unter Anschluß an die Aeußcrungen der Oberstaatsanwaltschaft in gewohnter ausgezeichneter Weise dieselbe Ansicht des Weiteren aus, indem er namentlich darauf hinwies, daß es als eine Abnormität erscheinen werde, wenn man die Annahme einer verminderten Zurechnungsfähigkeit wohl bei andern Verbrechen, bei welchen dem Strafmaß ein weiter Spielraum gelassen worden, nicht aber bei einer von dem Gesetz absolut seflgestellten Strafe Platz greifen lassen wolle. Es trat hier der gewiß seltene Fall ein, daß nach Been digung der mit ansprechender Durchschaulichkeit und von allem Zuviel sich fern haltenden Bestimmtheit gehaltenen Vertheivigung in einer so wichtigen Angelegenheit die K. Staatsanwaltschaft nicht zur Erwiderung auftrat. Der hohe Gerichtshof entsprach denn auch den Ansichten der Staatsanwaltschaft und Vertheidigung insofern, daß er zwar nicht, wie beantragt war, auf Tödtung erkannte, son dern das Vorhandensein eines wirklich geschehenen Morde- festhielt, diesen aber als unter sehr verminderter Zurech nungsfähigkeit geschehen betrachtete und unter Aufhebung des erstinstanzlichen Erkenntnisses die Brhringrr zu zwölf Jahren Zuchthaus verurtheilte. Sicherem Vernehmen nach war Herr Adv. Fränzel aus der Sitzung sofort in da- ArresthauS zu der Jnculpatin geeilt, um ihr die Bot schaft mitzutheilen. Sie nahm die Nachricht beinahe sprachlos unter heißen Dankesthränen auf.