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Nr. 1«V L8. Jahrg. Geschäftsstelle und Redakttour Dresden-A. IS» Holbeinstraße 4Y sttckssstlie Donnerstag, 24. Jnli 1919 Fernsprecher 21 366 Postscheckkonto Leipzin Nr. 14 767 Bezugspreis i Ausgabe 1 mit illustr. Beilage vierteljährlich ».88 X. In Dresden >md ganz Deutschland frei HauS ».»6 X. - Ausgabe » bierteljührllch ».88 X. In Dresden und ganz Deutschland frei Haus ».60 X. - Die Sächsische Volwzeitting erscheint an allen Wochentagen nachmlttagS. — Sprechstunde der Redaktion: 11 bis 1» Uhr vormittags. Anzeige«! Nnnahme von GeschsstSanzeigen bis 16 Uhr. von ssamtltcnanzetgen bis II Ubr vorm. — PrciS silr dt^ Pelit-SpaUzetle 46 im NeNamcteil I X. Familien-Slnzcigen 3« —Für undeutlich geschriebene, sowie durch Fern» sprecher ausgegobenc Anzeigen können wir die Bcrantworllichkelt sür die Richtigkeit des LcptcS nicht übernehmen« Hohe Politik H In der Nationalversammlung ist gestcri. ',ohe Politik getrieben worden. Ter Reichsmimsterpräsideiu B a » e r und der Neichsminister des Aenßern M ii ller Hu ben lange Reden gehalten und das Programm der Reicl's- legierung entwickelt. Das Wesentlichste aus diesen Reden fin den unsere Leser weiter unten. Riemand wird behaupten können, das; diese Reden sehr viel Neues gobrackst hätten nnd von überwältigender Wirkung wären. Aber niemand wird gerechterweise abstreiten können, das; sie ,Hand und Aust baben und vom Willen zur Tat beseelt sind. Tie sind ja auch nicht der Ausdruck eines ausgesprochen sozialistische» Reichsiniiiisteriums, sondern verkörpern den Willen des Ge- 'amtkäbmetts, der ans Zentrum und SoziglbemokrUie ge bildeten stoeckitionsregieenng. In unserer Negierung des Gleiches sitzen zwei Parteien, die eine Must der Weltanschan- mi>g trennt und iw in er trennen witzd. Aber es lässt sich doch nickst leugne», das; sie ans sozialem Gebiete Bcriih- rmigSpiinkle sta'ben, die ein Zusammenarbeiten ermöglichen. Die Sozialdemokratie hat sich unter dem Zwange der Per- lmltiiisse »nd ans Selbsterhaltungstrieb so weit durstige- mansert, das; sie, augenblicklich wenigstens, die Errichtung der Diktatur des Proletariats ableh-nt und sich mit dem demokratischen Prinzip abfindet. Trotz alledem wird iiatsie- lich sich die .stillst zwischen den beiden Parteien, die die Mit glieder der Koalitionsregierung stellen müssen, niemals Wiegen lassen. Ter Ministerpräsident Bauer hat in scinel gestrigen Rede ans die Worte hingewiesen, die Ludwig instand in der Nationalversammlung in der Panlskirche in Frankfurt a. M. gesprochen hat, nämlich es werde kein Haupt über Deutschland leuchten, das nicht mit einen'. Tropfen demokratischen Oels gesalbt sei. An diesem demokratischen Oele hat es bei »ns aller dings in sehr hohem Maste gefehlt. Gerade in der Zen- t r n m s p a r t e i aber war cs in starkem Maste stets vor handen. Es hat nicht nur bei den stonservativen, sondern mich bei denen gefehlt, die sich mit Vorliebe demokratisch na,inten, nämlich bei den Freisinnigen, und es fehlt auch heute noch in grossem Umfange bei der Teuro kra ll scheu Volkspart ei. Das hat der Parteitag dm Demokraten, der in diesen Tagen in Berlin stattsand, deut lich bewiesen. Es ninst zugegeben werden, das; die in den Revollitionstagen entstandene Demokratische Vcstksparlei sich in kurzer Zeit ein starkes Gehäuse geschaffen hat, und wenn wir vernommen haben, daß die Zähl der einge schriebenen Mitglieder dieser Partei die Million säst erreicht hat, so ist das eine erhebliche Leistung^eine Leistung, deren Bedeutung durchaus nicht unterschätzt' werden darf. Tie sagt, das; dort die Wichtigkeit der O r g anisa - tion vollauf erkannt worden ist, und wir hoffen, das; -das auch sür unsere Parteifreunde ein starker Ansporn sein wird, sich auch durch die Tat und nicht nur am Wahltage zur Zentriimspartei zu bekennen. Abgesehen davon aber hat der Parteitag der Demo kraten nicht das Geringste gebracht, was zur Nachahmung reizen konnte. Im Gegenteil! Er hat ein wenig erbau liches Bild innerer Zerrissenheit gegeben, das beweist, das; diese Partei die widerstrebendsten Elcmeate in sich birgt und nickst die .straft besitzt, gedeihlich hohe Politik zu treiben. Wenn das „Berliner Tagstblatt" (Nr. erklärt, in den revolutionären Novombertagcir seien „die nationalliberale und die fortschrittliche Partei infolge einer Anämie, einer nnanshaltsamcm Blutleere eines Plötzlichen Todes" gestorben, so hat es recht. Diese Blutleere ist jedoch auch bei der Teiitschen demokratischen Partei, die ans den beiden eben genannten, ober wie das „Berliner Tageblatt" sich ansdrückt, ans ihren Trümmern hervorgegangen ist, sestznstellen, und wir würden uns nach den häuslichen Szenen, die sich auf dem Parteitag abgespielt haben, »ichr im geringsten Wundern, wenn wir eines Tages hören wür den, bah diese Partei ebenfalls aufgehört habe, zu sein. Denn wir glauben nicht, das; die notdürftige Verkleisterung der Risse eine Trennung nach links und rechts ans die Dauer wird anfhalten können und wir glauben, bas; daran mich die Wahl des Mitteleuropäers Friedrich Naumann nicht viel ändern kann. Sie kann die Spaltung vielleicht »och hinanszügern. Und selbst wenn offiziell eine sotckw Spaltung nicht eintreten sollte, dann wird znni mindesten der näMte Wahltag eine starke Abwanderung bringen. Auch auf diesem demokratischen Parteitag bat sich als über-nstcgend ein Geist gezeigt, der mit hoher Politik so gut wie nichts zu tun hat. Das hat ja schon die negative Tätigkeit der verflossenen dcmokrati-schenNeichsfinanzmiiiister Schiffer und Dernbnrg hinreichend bewiesen. Nichts von demokratischem Del ist zu verspüren, sondern vielmehr Geist des reinen Mancbestertnm-s, der besondels in dem ebenfalls ansgesck-iedenen Staatsminister Gothcin verkörpert ist, dm noch wahrend seiner Minislertätiakeit den der Marineverwal- tnng gehörigen Boden nicht etwa der Errichtung von Heim stätten zugänglich gemacht, sondern von Reichs wegen der privaten Bodenspekulation zur freundlichen Benutzung überlassen hat. Solange solche Männer bei den Freisinnigen noch die erste Flöte spielen tönnen. haben sie das blecht ver wirkt, sich demokratisch zn nennen und den Anspruch zu er beben, bei der hohen Politik mit von der Partie zn lein. Der Reichsminister des Aenßern hat gestern als Ergeb nis des strieges festgestellt, das; das deutsche Schiwert in Zukunft als Hilfsmittel diplomatischer stnnst nicht mehr zählt. Das ist «ine Tatsache. Mancher wird sagen, diest- Zeststellnng sei kein Beweis, das; gestern hohe Politik ge trieben worden sei. Denn diese Tatsache zn unterstreichen, sti zum mindesten überflüssig. Dazu wäre einmal zu sagen, das; der Minister ja auch betont hat. das; die Abrüstung eist dann zn einem Degen iur die ganze Welt werden würde, wenn sie allen Poltern gemeinsam anferlegt sein werde. Dann aber war die Be tonung dieser Tatsache auch im Rahmen der hohen Polilu doch wohl notwendig -als Gegengewicht gegen die Brand- r e d e n a n s d e m tonservati v e n P urteil a g , die eben nur Brandreden waren und hinter denen nichts Positives steckt. ES wird über die Politik dieser Partei und ihres neuesten Bannerträgers Hclsferich i» den nächsten Tagen noch manches zn sagen sein und, soweit wir unter richtet sind, auch in der Nationalveisanimliing noch gesagi werden. Für heute sei nur »och soviel erklärt: Es ist kein Zufall, das; sich in letzter Zeit bei den Abstimmungen in der Nationalversammlung T e n t s ch n a t i o n a l e und Unabhängige so oft znsamnienfanden; denn beide» fehlt heute alles das, was man gemeinhin nicht nur unter hoher Politik, sondern unter Politik überhaupt ver steht. Iml, Der große Tag Stimmungsbild aus der N a t i o n a l v e r - s a m m l u n g. Wciiilnr, 2:!. Juli Mit großer Spannung hatte man in parlamentarischen streuen dem heutigen Tage entgegcngeschen, an dem endlich die neue Regierung ihre Erklärung machen wollte. Scboi,- lange vor Beginn der uns Ul Uhr angesetzten Sitzung ist der Saal dicht besetzt, das gesamte st ab i nett ist ericbienen, zahlreiche Regiernngsbeainte drängen sich hinter den Mi- nistertischeii zusammen. Durst' das Haas schwebt jenes laute, nndefinievbare Stimmengewirr, das iinmer vor grosirn Be ratungen bemerkbar wird. Als aber der Ministerpräsident Bauer vom Leiter der Versammlung anfgernsen wird, tritt sofort lnntlose Stille ein, die Abgeordneten, die bis dahin noch in dichten Gruppen »m ihre Vorstände ver sammelt waren, nehmen ihre Plätze ein und horchen gespannt den Ausführungen des Ministers. Bauers Manuskript ist ziemlich umfangreich, seine Rede gut dnrchgearbeitet. Viel Neues bringt sie allerdings nicht, die Gedanke», die da ent wickelt werden, sind im Wesen die gleiche», wie sie das vor hergehende Kabinett Dcteidemaiin vertrat. Mit den Tentschnatioiiaicn geht Bauer in ein strenges Gericht, ei wirft ihnen antirevolntionäre Pläne vor, die im Wider spruch mit dem Willen des demokratischen Polles ständen. Diese Vorwnrse wecken natürlich bei der angegriffenen Par tei Entrüstung. Ter Lvpositionsgcist ist erwacht, und mehr als einmal braust lauter Widerspruch durch den Saal. Auch die Unabhängigen müssen manche Anklage über sich ergehen lassen, doch verhalten sic sich demgegenüber ziemlich gleich mütig. Auf die übrigen Parteien macht Bauers Bortrag sichtlich Eindruck. Besonders das, was er über die Reformen ans innerpolitischem Gebiete sagt, ruft Beifall hervor. Tie Sozialdemokraten insbesondere sind erfreut über die in Aussicht gestellten Maßnahmen ans wirtschaftlichem Gebiet, die Abgeordneten suchen sich gegenseitig in Znstimmnnas- knndgebnn-ge'n für den Minister zn überbieten. Aber alle Kundgebungen, gleichgültig, von Melcher Seite sic kommen, ob von recht oder links, scheinen uns den Portragendcn keinen Eindruck zn machen. Gleichmäßig setzt er seine Rech fort, nichts in seinen Zügen verrät, was in ihm vorletzt Als Bauer nach Isst. Stunden geendet hat, bricht ein (austr Beifallssturm bei der Mebrheit des Hauses los, und als die äußerste Rechte »nd die äußerste Linke gemeinsam dni.ä Zischen ihren Unwillen kniidtn» wollen, klatscht das Haiu- der parlamentarischen Sitte entgegen wiederholt und lau e in die .Hände, Dem Ministerpräsidenten folgt der Außen minister Müller, der sich gleichfalls mit einem ziemlsta umfangreichen Manuskript versehen hat. Seine Rede rnst beim ,H --ist- noch e.ösiere Anime-Uamkeit tiervor. Aller Aiigcn iiaa ani den Minisiee acaictzst dee gegenwärtig einen dee. icbwici igsten Posten im Restve i>erckritl. Eilt Wideisp'ncn gegen Müller-:- Anssiihrung.m macht sich nur bei der Rechten bemerlbar. Dafür aber suchen Dozialdenivkrateir und die and-.nen bürgerlichen Var.neu sinn um io nel-r ;n- znslinimeii. Iiubric mdere die Gedanken über den Hnte-bnnd erwecken laute» Beisatz. Aber aveb das. was Mntzrn über -die Wiedere.l'silalinie dee Perlehr-r-bezielmugen zn den Neu tralen sagst verdient ailstitigc Aue:iennnng. D-.-e Schluß der Rede wird mit den gleichen stnndgc-hni-.gei, wie best Bauer hing-ciiommen. Rechts und linst lebhasies Zst.aen, bdi der Mebrheit siürmiscl-cr Bei'alst Die Redler Müll'-o Nationalversammlung Weimar, Di. In i A'eichsminislerpräsid-eii! Bauer «siebe „Säck-s. ist st s- i zeitnng" Nr. lt><>, Seile -l! fährt stutz: Der Au-stau es, ! netten Siaatshaiiies wird in tuest-» Tagen du eck- die i »ahme der neuen Verfassung geklönt, Ick: ver.n: >. da: ,atz, l die demolratisehen Enmngenscha'teu der letzten aebi Ran ' ansznzählen. stein anderes Volk stuni sich so!.!' uumer ! Demokratie rühmen. Wenn es noch da und dort stützt, -c» ! ist es nickst ein Fehlen von Rechst» ees Vaste.-, stust.al ! vielmehr ein Fehlen von Fähigkeiten, die'e sterile m lstni i Unnange e.nsznüben. Was die wilden Dlre.ls - utz-!. >a ! haben alle Berufe empört die Behanplnng znrückgcrn'en, i als handle es sich bei ihnen um posttijw-e .'--..-aas.-, sste ! Regieriin-g leugnet keineswegs, daß die breiten 'st st a -n > (strnnd zur Uiizilfriedenheit haben. Aber die Au ' ! er ! Regierung ist es nicht, vor jede n ieiststfertig :ou: ,staue > gebrochenen Streik ;n läpitnliercn. Sie muß die l -e a -ig- ten Gründe zur lliizilfriebenhcit beseitigen und die - sts- ! genossen allsklären. Die Machtverhältnisse im Wulst! >!s- leben haben sich am gründlichsten aeändert, EntwecAuu- des j stapitals, Steigerung der Löhne. Das ans diese Weist nni- , gestaltete Verhältnis zwischen Arbeitgeber nnd Arbeit»-st mer Mllß seine» Ausdruck auch i» den öffentlichen Eiiu ick lunae» sinden. Darum wird die Regierung Ihnen ei» Gest» über die Arbeiterräte und Wirtschastsräte vorlegen. D:c .Re gierung hat sieh entschlossen, a-n den Abbau der Reckte der Uriegswirtschast zn geben. Die.liriegsgesellschasten üul- ans der Not der Blockade geboren. Die Aushebung der B' stbe »ins; auch ibr Ende beibei'iiliren. Es nmß eine Se>-!a der Preise helbeigestihltz nnd die Sozialpolilit nach st. u-sleir '.veiler ansgebant werden. Die Grundlage alles Ged. st -ms, die unerläßlich ist, bleibt aber die Arbeit. Wir (-.am den Friedensvertrag unter Zwang »nter'chrieben, aber >» den Grenzen der Erfüllbarkeit darf uns leine Schuld na .ein Porwuri tressen. Der Vertrag legt uns die Pslirltz zur Arbeit ans. Wir bekämpsen entschieden den Schrei nach Rache, der seit Unterzeichnung des Vertrages ans --inec (leinen Grnppe dringt. Es wäre ein Unglück, wenn durch die konservative Frrlebre vvn der guten alten Zeit wie' um,n national und nalionalislisrh verwechselt winde. Wir aran- chen die Arbeit und vcrabschencii die Revanche. Dcshalh ist das Ei fordernis ehrlicher Dienst am Gcdanst - des k-viteihnndes. Wir sind cinia im ck;l,i,,tzei> an die Unbe siegbarkeit der Demokratie, die niebt »nr die Glstchlieit; zwischen den Volksgenossen, sondern auch Gleichheit, stn-iheit; und Brüderlichkeit zwischen den Völkern, den Völieal'mch schassen muß, R e i ch s m i n i sl e r M üller: Als das Slaatsweseii. das das freieste Wahlrecht der Welt cingesübrl bat, da-I am ivcitesten die Frauen als berechtigte Slaatsbürgerinneir, am ösfcntlichen Leben beteiligt, das die Fardernngen dep international organisierten AlbeiterUaise zn seinem Pro-, gramm erl'vben bat, treten wir in die neue Zeit ein. Durch den härteste» Frieden gefesselt, der seit Einführung dev christlichen Zeitrechnung je eincw Volke nnserlegt wurde, müssen wir dennoch versuche», ans de» freiheitlichen Bahnen vorwärts zu schreiten. Die Welt fall sich davon überzeugen, daß dee Verlust van zwei Millionen Toten in dein dentschen Volke die Ueberzengnug gefestigt bat, daß St re tilg te iten nute »den Völkern wicht inebr mit Piilvee nnd Blei ansgefochten werden dürfen. Als Ergebnis des .strieges ist sür uns festzustellen, daß das deutsche Schwert in, Zukunft als Hilfsmittel diplomatischer stnnst nicht meln: zählt. ES ist uns eine so gründliche Abrüstung anferlegt, daß es zweifelhaft ist, ob sie selbst im Interesse der Nachbarn, liegt. Aber kiest Abrüstung ist zunächst für uns und ni-seie frühere» Verbündeten diktiert. Zn einem Segen sür die ganze Welt wird sic erst werden, wenn sie alle» Volte,,, gemeinsgm anserlegt ist. Die Erreichung dieses lewen Zieles zn fördern, muß unsere Ausgabe sei». Wir inststn