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Nr. 109. Sonnabend, den 14. Mai 1904. 3. Jahrgang. >, W» - Srschrint täglich nachm, mit Ausnahme der S»nn- und Festtage. «e»»a-pre>s: Kierleljilhrl. I Mk. 80 Pf. «ohne Bestellgeld). Bel rutschen Paslanstalllt.ZetlunaSpreiSI. Ltnzeli,ummer 10 Ps. Redaktwus-Lvrechsiunde: ll—1 Uhr. Unsbbänglgrs lageblatt für Aabrbeit. sterbt ».frei beit. Inserate werden die >>gespaltene Petitzeile oder deren Naum mit 18 Pf. berechnet, bei Wiederholung bedeutender tltabalt. tvnchdrukkcret, .Redaktion und McschaftSfteUe: Trelde», PUInihcr Ltratze 41 — Fenisprecher ptml I ü!r tliltli. K Beerdignng oder Verbrennung der Leichen? Tie Erste Sächsische Kammer hatte sich am Montag über die Petition der städtischen Kollegien zu Leipzig und des Vereins siir Feuerbestattung zu Leipzig zu äußern, worin um Zulassung der Feuerbestattung im Königreich Sachsen nachgesncht wurde. In dem Bericht der Deputation waren die Gründe für und gegen aufgezählt worden, und die Mehrheit stimmte dafür, die Angelegenheit der Negierung zur Kenntnisnahme zu überweisen. Der Kultusminister von Seydewitz anerkannte die angcstrebte Objektivität bei der Behandlung, bemerkte aber auch sehr richtig, das; ans der Darlegung der Gründe eher der Schluß gezogen werden müßte, die Petition unberücksichtigt zu lassen. Und dieser Meinung war auch die Mehrheit der Kammer. Die Gründe, die für die Feuerbestattung ins Feld ge führt werden, sind mancherlei Art. In den 70 er Jahren, als die Bewegung in Fluß kam, wurde mit großem Nach druck ans die Gefahren hingewiesen, welche der Gesnndheit der Bevölkerung durch die Friedhöfe drohen Aber die ereil ten wissenschaftlichen Untersuchungen ergaben sehr bald, daß diese Gefahren tatsächlich gar nicht eristieren, sobald die nicdizinalpolizcilichen Vorschriften beobachtet werden. Da die Anhänger es hauptsächlich ans die großen Städte abgesehen haben, weil ja von Krematorien ans dem Lande gar nicht die Nede sein kann, so vergrößern sie die Schwierigkeiten, welche die Beschaffung von geeigneten Mätzen für Friedhöfe macht, sie übersehen dabei, daß diese eingebildeten Schwierigkeiten auch dann weiter fortbesteben bleiben, wenn die Fenerbestattnng gestattet ist, weil sich höch stens einige reiche Freidenker oder poetisch veranlagte Köpfe verbrennen lassen würden, das christliche Volt aber mit Zäbigkeit an dem Erdbegräbnis festbalten wird. In Paris ist cs gerade umgekehrt. Da genießen die Leichen der Hospi täler das angebliche Vorrecht, ideal ans Staatskosten ver brannt zu werde», dagegen wollen die Familie» der zweifei basten Ehre keinen Geschmack abgewinnen. Tie Anhänger der Fenerbestattnng weisen dabei ans einen sehr praktischen Zweck hin. Professor Moleschott wird auch in dem Bericht angeführt, der ans volkswirtschaftlichen Gründen dafür ist. Er meint, das; Menschenasche kostbare Bestandteile enthält und sich daher vorzüglich znm Düngen von Feldern und Gärten eignen würde. Das Verbrennen sei daher geradezu eine heilige Aufgabe. Statt dessen ver gräbt man den kostbaren Stoff. Es sei dies eine der schlimmsten volkswirtschaftlichen Sünden, welche die Welt gesehen. Mit Widerwillen wendet man sich von diesem jedes ästhetische Gefübl beleidigenden Standpunkt des Materialisten ab. Aber man wird einwenden, das; die Petition ja nur die Zulassung der Feuerbestattung in Sachsen bezwecke. Es handelt sich also gar nicht um die Gründe, welche für, son dern um eine Widerlegung der Gründe, welche gege n die Feuerbestattung sprechen. Und diese sind sehr schwerwiegen der Natur. Die Justiz führt den Hauptgrund ins Feld: das Interesse der öffentlichen Sicherheit. Sie kann nie und nimmer die Fenerbestattnng im allgemeinen gestatten, weil diese die Nachforschung nach bestimmten Ver brechen geradezu unmöglich macht oder ihr wenigstens die sichere Grundlage nimmt. Tie Anhänger sagen freilich, durch voraufgehende gerichtliche Sektion der Leiche ließe sich in jedem Falle, in welchem nur der geringste Verdacht be stände, das Bedenken der Justiz entfernen. Wie oft kommt es aber vor, daß der Verdacht eines stattgefundeneu Ver brechens erst nach Wochen und Monaten entsteht? Alle or ganischen und unorganischen Gifte zersetzen sich bei der be deutenden Hitze, in welcher die Leiche verbrennt, so das; es unmöglich ist, in der Asche noch Morphium, Strychnin, Blausäure, selbst Arsenik wiederzufinden: ein Umstand, der in zahlreichen Fällen dahin führen muß, das; der Anklage das Beweismaterial entzogen ist. Man hat sogar den selt samen Vorschlag gemacht, von allen Leichen mehrere Jabre hindurch den Magen anfznbewahren. Nicht minder kräftig sind die Gründe, welche das menschliche Gefühl gegen die Feuerbestattung ins Feld führt. Eine Menschenleiche galt zu allen Zeiten und bei allen Völkern, soweit dieselben nicht einer gänzlichen sitt lichen Verwilderung anheimfielen, als etwas Heiliges, das mit einer gewissen Ehrfurcht behandelt werden mußte. Leichenschändung sah man als eine Roheit und als ein ver- abscheunngSwürdiges Verbrechen an. Rücksichtslosigkeit in der Behandlung der Leiche beleidigt das natürliche Gefühl, die Liebe schmückt den teuren Verstorbenen, bettet ihn weich noch im Sarge, als ob er Empfindung hätte. Wir schmücken die Gräber mit Blumen und gehen gern nach dem Friedhof hinaus, wo unsere Lieben begraben liegen. Wir können sie nicht in unseren Häusern behalten, daher ver senken nur ihre Leiber unversehrt in die Erde und überlassen sie dort dem Walten Gottes und der Natur. Es dient uns zur Beruhigung, eine geliebte Körperforni wenigstens vor der Hand noch ganz unversehrt, mit Sorgfalt bekleidet und geschmückt, in den Schoß der Erde zu senken. Was antworten darauf die Anhänger der Lesthenver brennung? In jeder größeren Ausstellung, wie voriges Jahr in der Dresdner Städteaiisstelliing, werden dem Publikum gräuliche graphische Tarstelliii'gen dargeboten, wie die Leiche in Verwesung übergeht und verfault: inan jchiiderl das Erdengrab als Ekel und Abscheu erregend. Tein sittlichen Gefühl »nd der Pietät widerstrebt es, denken zu müssen, das; die Leichname nach und nach in Fäulnis übergehen In unserer Phantasie lebte er so fort, wie wir ihn dem Grabe übergeben. Unästhetisch aber nennen wir cs, den Leichnam gewaltsam zu zerstören »nd ans dem Wege zu räumen. Der Mensch bat ja gar kein Recht, den Leib zu vernichten, den er nicht geschaffen, noch beseelt bat. Urne und Kolumbarium sind nicht imstande, das Grab und den Friedhof zu ersetzen. Uns Ehristen geht jedoch über das ästhetische Empfin den noch das Glaiibenslcben. Herr Oberhofprediger Dr. A ck e r in a n n bat in der Debatte sehr richtig gesagt, das; cs sich nicht um eine Frage des Dogmas handle, denn vom dogmatischen Standpunkte ans könne die Zulässigkeit der Feuerbestattung nicht prinzipiell verneint werden. In der Tat ist das Begraben der Verstorbenen Nieder ein Glaubens artikel noch ein Sakrament, und es läßt sich nicht nur die Unsterblichkeit der Seele, sondern auch die Auferstehung zu einem verklärten Leibesleben mit der Verbrennung des ent seelten Leichnams nicht vereinen. Es ist aber trotzdem be denklich, au einer Sitte zu rütteln, die mit den Gesamt - anschannngen des Christentums innig verwachsen ist. Es ist allgemein bekannt, das; die Sprache des Alten und Nenen I Vom „Christentum Christi". „Christentum Christi" lautet das moderne Schlagwort, mit welchem die moderne liberale Protestantische Bibelkritik ihr Vcrkürznngsvcrfahren am Christentum rechtfertigen will. Wir sagen „Verkürznngsversähren": Läuft doch die ganze Arbeit dieser Herren „Forscher" darauf hinaus, alles zu streichen, was nicht in ihren eigenen Kram hineinpaßt. Das Schlagwort vom „Christentum Christi" ist bei Lichte be trachtet nur eine spanische Wand, hinter welcher man seinen Unglauben zu verdecken sucht. Wer das „Christentum Christi" als Maßstab dessen ans gibt, was er vom Christentum gelten lassen will, von dem erwartet man mit vollem Recht, das; er volle Klarheit da rüber hat, was eigentlich das „Christentum Christi" ist. Wenn er aber das selbst nicht weiß, ja das „Christentum Christi" selbst als etwas bezeichnet, was noch erst entdeckt werden soll, so treibt er ein eines ehrlichen, wahrhaftigen Menschen Spiel mit Worte», berechnet auf die Täuschung von kurzsichtigen Lesern. Da schreibt der Baseler Professor Wernle: „Tie Be deutung des Nenen Testaments besteht darin, das; es die Worte Jesu und seines Apostels (Paulus) allein überliefert und zugleich verdunkelt für alle Zeiten und so auch noch für uns" und „das Johannis-Evangelium deckt unS Jesus zu durch Paulus und die Kirche und macht »ns das geschichtliche, vorkirchliche Verständnis Jesu unmöglich für immer" (Die Anfänge unserer Religio», 2. Auflage, S. 469 »nd 457). Also: man weiß selbst nicht, was eigentlich das „Christentum Christi" ist und führt es doch beständig im Munde, um alles von sich fern zu halten, was eben zum — Katholzismus führeil würde. Tie Furcht, beim folgerichtigen, rein sachlichen Vor gehen, schließlich doch beim — Katholizismus angelangen zu müssen, diese ist es, welche die moderne protestantische Theologie zu ihrer Ampntationsarbeit am Nenen Testament zwingt. Man kann gar nicht mehr leugnen, daß das Nene Testa ment den Katholizismus -mthält: man siebt sich gezwungen, das offen ansznsprechen und einzngestehen, das; der Katholi zismus die gradlinige Entwicklung des Ncnen Testaments und des Urchristentums darstellt. So z. B. der genannte Baseler Professor, nach welchem „die Theologie des Nenen Testamentes katholisierter Paulinismus ist, der zwar eine große Vorwärtsbewegung bedeutet über die Ansänge Jesu hinaus, aber doch im ganzen in Jesu Richtlinie. Ter Katho lizismus nimmt den wirklichen Jesu zu sich herüber und hält im ganzen die gerade Entwickelungslinie des Urchristen tnnis ein . . . es gebt eine gerade Linie von Paulus über Johannes zu Justin hinüber" (Wernle, a. a. O.. S. 4.!I, !!89, 008). Was würde aus diesen Zugeständnissen folgen? Nichts anderes, als das; eben der Katholizismus die Religion des Nenen Testamentes ist. Aber der Katholizismus darf nicht wahr 'ein. denn sonst hätte ja der Protestantismus kein Eristenzrecht mehr, also muß eben auch die Lehre des Nenen Testamentes falsch sein, „nnterchristlicbe Elemente" enthalten, wie Weinel-Bonn sagt. Aber nach welchem Maßststav soll das beurteilt und be messen werden? Nach keinem anderen als dem rein persön lichen Ermessen des Einzelnen, was eben Diesem oder Jenem als annehmbar erscheint: also dein reinsten Subjektivismus. Aber wird man einwenden: es liegen doch die Berichte der Jünger Jesu und der Apostel vor über Christus: man kann also doch da ersehen, was es ist »m das „Christentum Christi". Gewiß antwortet diese Eiertanztheologie, liegen diese Berichte vor, aber wer sagt uns denn, das; diese Jünger und Apostel den Herrn überhaupt richtig verstanden haben, ob nicht diese Leute in ihrer Naivität Anschannngen aus ihren Meister übertragen haben, gegen welche dieser selbst sich energisch gewehrt hätte? Bis zu welchem Grad der Voreingenommenheit, »in nicht zu sagen vollendeter Torheit, diese „Wissenschaft" sich verirrt, Testaments nur die Beerdigung kennt. JesuS Christus selbst hat das Grab geheiligt. Die katholische Kirche muß um io fester an dem Begräbnis festhalten, als nach ihrer Lebrc und jener des hl. Paulus unser Leib ein Tempel Gottes, eine Wohnung des heiligen Geistes ist: man soll ihn daher nicht gewaltsam zerstören. Die christliche Religion muß um so energischer an der Sitte des Begräbnisses festhalten, als die Leichenver brennung ihre Spitze direkt gegen das positive Christentum zu richten scheint. Die Freunde derselben bringen meist Gründe vor, die direkt oder indirekt in einer Verherrlichung des Materialismus und Pantheismus wurzeln. Hören wir einige Airssprüche: I a k o b G r i m in , der in der Petition als Verfechter angeführt wird, schreibt in „Kleine Schrif ten" (Band 2, Seite 2lt): „Aus des Scheiterhaufens Feuer hebt sich der rettende Geist zum Vater, den unsere Vorfahren Altvater, die Römer Jupiter nannten, wie durch die Erde der Leib in der göttlichen Mutter Arme zurücksinkt." Der gute Herr übersah dabei gänzlich, das; wir doch keinen leben digen Nie nicke n verbrennen, sondern Leichen, der Geist also nicht erst aus dem Feuer entbunden wird, sondern durch den Tod bereits vom Körper getrennt ist. Grimm schaut im Geiste schon das poetische Altertum in seinem Wiedererwachen, indem er ans die Leichenver- brennnng zwei Verse Goethes nnwendet („Braut von Korinth"): Wenn der Funke sprüht, Wenn die Asche glüht, Eilen nur den alten Götte r n zu. Professor Moleschott sagt direkt, man dürfe schon des halb nickt an dein Begräbnis festhalten, weil es nur ans Christentum und Offenbarung beruhe, „also ans inhaltlosen Satzungen einer willkürlichen Ueberliefernng". Es würde uns zu weit führen, zu zeigen, das; die Leute, welche be sonders für die Leichenverbrennung schwärmen, meist Männer des Unglaubens sind. Es liegt ans der Hand, das; die katholische Kirche solchen Bestrebungen des Materialismus und Pantheismus gegen über nickt nachgiebig sein kann, mag auch der ortbodore Protestantismus einlenten ans Rücksicht ans die Hinter bliebenen, wie es im Berichte beißt. Deshalb hat auch sie 1886 bestimmt erklärt, daß die Fenerbestattnng ihren Glän bigen nicht erlaubt sei und daß keinem, der die Verbrennung für sich oder seine Angehörigen verlangt, die heiligen Sakra mente dürfen gespendet werde», das; ferner alle jene, welche Vereinen für Leichenverbrennnng beitreten, gegen den der Kirche schuldigen Gehorsam verfehlen und, sofern jene Ver eine von Freimaurern ansgehen, auch den gleichen Strafen der Erkominnnikation verfallen, wie die Freimaurer selbst. Für einen Katholiken ist es deshalb nicht nur ans den oben angeführten triftigen Gründen, sondern auch ans Liebe zu seinem Glauben ausgeschlossen, ein Freund der Leichenver brennnng zu sein. >V. Die Jcsrlitcndebatte im prerchischen Herrenhaus. Nun hat auch das dritte Parlament in Berlin seine Je- snitendcbatte überstanden: erst das preußische Abgeordneten Hans, dann der Reichstag und am Mittwoch das Preußische Herrenhaus. Die Generaldebcckte znm Etat wnrde von dem Grasen st o r k v o n W a r t e n b n r g dazu benutzt, um dafür nur einen Satz eines Hanptvertreters dieser Richtung, Bonsset Göttingen, der in seinem Schristchen: „Was Nüssen Nur von JesuS" ein Gedankenmonstrnm znm Besten gibt, wie dieses: „Das gehört auch zu der Größe Jesu, daß keiner seiner Jünger auch nur im entferntesten fähig gewesen wäre, seine Gestalt in stirer Ganzheit zu erfassen" (S. 52). Was sind diesen Stümpern gegenüber die modernen Theologie Professoren doch für ganz andere Leute: trotzdem sie 2000 Jahre von Christus getrennt sind. Nüssen sie ganz genau, was dieser Christus eigentlich wollte, viel, sehr viel besser als seine Jünger, ja noch besser als er selbst. Es ist eine kräftige, aber verdiente Züchtigung, wenn der radikale Christnslengner Kalthon in beißendem Spott diesen Ja- und Nein Theologen, welche glaubten von ihrem Standpunkt ans wider ihn zu Felde ziehen zu können, dem selben Bonsset und in ihm der ganzen Richtung, welche den „historischen" Christus gegen den Christus des kirchlichen Dogmas ansspielen will, entgegnet: „Wenn die Theologie von einem historischen Christus nichts anderes weiß, als Inas Bonsset gewußt bat, dann ist ihr Bankrott nnansbleiblich und die Selbstgewißheit, mit der sie redet, die Miene der geistige» Ileberlegenheit, die sie anninunt, gleicht nur zu sehr dem Anstreten der jenigen, die »ach außen hin ein großes Hans machen, um ihren .Kredit noch eine kurze Feit zu wahren, während z» gleich in den Ausstellungen allerlei Manipulationen vor genommen werden, »>» die wahre Bilanz zu verschleiern" >Was Nüsse» wir von Jesus? Eine Abrechnung mit Professor Bonsset. Sclmiargendors Berlin l!«o l. S.21). Das ganze Vorgehen dieser Professoren Theologie zeigt, wie ans der schiefen Balm, welche mit dem Abfall von der Kirche betreten wnrde. ei» Jnnehalten nicht inebr möglich ist. Lawinen sind nicht so zahm, das; sie nach unseren Wün scheu laufen: sie reißen vielmehr die, welche sie losgelöst, mit in den Abgrund.